
Bei dem Projekt arbeiteten Konstrukteure von Servomold und Röchling Medical eng zusammen. (Bild: Servomold)
Die Röchling-Gruppe entwickelt und produziert seit rund 200 Jahren Kunststoffprodukte für unterschiedliche Branchen. Dazu gehört, neben Industrial und Automotive, auch der Bereich Medical. Hier entstehen hochwertige, kundenindividuelle Komponenten und Baugruppen, bis hin zu kompletten OEM-Produkten für die Marktsegmente Diagnostics, Fluid Management, Surgery & Interventional sowie Pharma. Dieser Unternehmensbereich kam im September 2020 auf Servomold, einem Experten für die Realisierung von Spritzgießverfahren mit servo-elektrischen Automatisierungskonzepten, mit einer Projektanfrage zu – bestehend aus Skizzen, die die gewünschten Abmessungen eines 16-fach und zwei 8-fach Spritzgießwerkzeugen zur Herstellung von pharmazeutischen Verschlusskappen aus Polypropylen (PP) zeigte.
Ein Projekt mit Vorgeschichte
Dass Servomold erster Ansprechpartner bei diesem Projekt wurde, war kein Zufall: Bereits im Oktober 2016 wurde von Röchling ein 1-fach Prototypenwerkzeug mit einer Ausschraubeinheit von Servomold gebaut, das den prinzipiellen Aufbau der späteren Serienwerkzeuge aufwies und über austauschbare Gewindekernhülsen und Standkerne für drei verschiedene Schraubkappengrößen vorgesehen war. Die Ergebnisse aus diesem Prototypenwerkzeug wurden bewertet und flossen im Nachgang auch in die spätere Serienform ein.

Werkzeugkonzept, Getriebelayout und der passende Servoantrieb
Da Röchling bereits seit einigen Jahren Ausschraubeinheiten von Servomold bezieht und außerdem Erfahrungen aus dem Bau des Prototypenwerkzeuges vorlagen, gab es von Beginn an genaue Vorstellungen zu den möglichen Systemgrößen sowie dem grundsätzlichen Aufbau der Ausschraubeinheiten. Somit war der erste Schritt die Bewertung der Kunststoffteile hinsichtlich der zu erwartenden Losbrechmomente. Auf Basis des verwendeten Kunststoffes – in diesem Fall PP, der dabei zu Grunde gelegten Schwindung von 1,7 % und dem Elastizitätsmodul von 1500 mPa – wurde die Umfangsspannung berechnet. Des Weiteren flossen die Wanddicke, mittlerer Durchmesser, Länge der Kontur sowie die Reibungszahl zwischen Kunststoff und Metall in die Berechnung mit ein. Die errechneten Losbrechmomente wurden noch mit Erfahrungen bisheriger Anwendungen abgeglichen, um die Ergebnisse auf Plausibilität zu prüfen. Da das Entformungskonzept bereits aus dem Prototypenwerkzeug bekannt war, konnte das von Röchling gewünschte Layout zu Grunde gelegt werden, das das für die gesamte Anwendung benötigte Drehmoment definiert. Auf dieser Grundlage wurde das Getriebelayout definiert – hier wurden neben der notwendigen Übersetzung zum Erreichen der Drehmomentvorgaben, die Festigkeiten von Verzahnungen und die Tragfähigkeit der Lagerungen berechnet und berücksichtig.
„Das Getriebelayout ist ein iterativer Prozess, der unter anderem auch die Vorgabe nach einer notwendigen Ausrichtung des Gewindeanfangs berücksichtigt und gegebenenfalls Anpassungen an die Zähnezahl der Ritzel sowie notwendige Profilkorrekturen nach sich zieht,“ erklärt Thomas Meister, Geschäftsführer von Servomold. Erst im Anschluss erfolgte die Auswahl eines geeigneten Servoantriebs, der aus einem Servomotor und einem Planetengetriebe besteht. Neben der Auswahl der geeigneten Motorgröße, muss die Übersetzung des Planetengetriebes und die bei unterschiedlichen Übersetzungen vorliegenden Leistungsstufen berücksichtigt werden. Beim Servomotor werden sowohl nominales und maximales Drehmoment, Drehmomentkonstante als auch die über die benötigte Leistung variierende maximale Drehzahl des Motors bewertet. Dies führt zur Auswahl eines Servomotors, der die aufgeführten Einflussgrößen möglichst ideal abdecken und die Anforderung des Kunden hinsichtlich Funktionsgarantie und Prozesssicherheit erfüllen kann.
Zusätzlich bewertete Servomold die Anforderungen, die sich über die Leistungsanforderungen des Servomotors an die Leistungswerte des Servoreglers ergeben. Dies führte zur Auswahl der geeigneten Servosteuerung. Nun war es möglich, ein detailliertes Angebot über die Ausschraubeinheiten der Serienwerkzeuge zu erstellen; die Bestellung erfolgte circa fünf Wochen später. Um die Ausschraubeinheiten für die drei Spritzgießwerkzeuge möglichst zeitgleich fertigstellen zu können, begann anschließend die intensive Zusammenarbeit zwischen den Servomold Konstrukteuren Christian Etzel und Armin Stankus sowie dem Konstrukteur Thorsten Gantzert von Röchling.
Patentiertes System frei von Radialkräften
Servomold verwendet bei seinen Ausschraubeinheiten ein patentiertes System, bei dem der Antriebsstrang vom Gewindekern getrennt ist. Damit werden Antriebseinflüsse auf den Gewindekern vermieden und die Montage und Wartung der Komponenten vereinfacht. Radialkräfte des Antriebsstranges werden durch Dünnringlager abgefangen und haben somit keinen Einfluss auf den Gewindekern – dieser bewegt sich frei von Radialkräften durch ein Keilwellenprofil angetrieben und durch vorgespannte Kugelkäfige optimal konzentrisch geführt, durch eine Messingleitmutter vor und zurück. „Durch diese patentierte Ausführung des Ausschraubsystems erreichen wir sehr hohe Standzeiten, minimieren den Verschleiß und sorgen somit für eine hohe Prozesssicherheit und maximale Prozesseffizienz,“ kommentiert Meister. Die Gewindekerne wurden als Hülsen konstruiert, welche mit gekühltem Innenkern kombiniert wurden. Um zwischen den Innenflächen der Gewindekernhülse und den Außenflächen des Innenkerns einen definierten Abstand (Luftspalt) zu erhalten und einen Kontakt der Flächen zu vermeiden, setzt Servomold vorgespannte Kugelkäfige ein und erzielt dadurch sehr genaue Rundlauftoleranzen. Des Weiteren wurden Kugelkäfige zwischen den Außenflächen der Gewindekernhülse und der Innenfläche der Konturhülse eingesetzt, um auch hier eine optimale Konzentrizität zu erzielen. Das Resultat ist eine deutliche Verbesserung des Systemwirkungsgrades durch Vermeidung von Reibungen, die neben Drehmomentverlusten schlimmstenfalls zu Schäden an den Gewindekernoberflächen führen könnten. Außerdem wird die Werkzeuglebensdauer erhöht und ein konstanter, reproduzierbarer Prozessablauf gewährleistet.“

Komplex in der Technik, einfach in der Bedienung
Nach Freigabe der Konstruktion durch Röchling erfolgte Anfang Dezember 2020 die Fertigung der Komponenten. Parallel hierzu wurde durch das Serviceteam von Servomold die Schnittstelle zwischen Servosteuerung und Spritzgießmaschine zusammen mit Röchling abgestimmt. Da Röchling zu diesem Zeitpunkt bereits einige Servomold Steuerung in Betrieb hatte und diese universell für unterschiedliche Projekte eingesetzt werden können, war lediglich die Erstellung des Ablaufprogramms notwendig.
Auch ist das Bedienpersonal von Röchling mittlerweile im Umgang mit den Servomold Steuerungen gut geschult, sodass die sonst vom Servomold-eigenen Serviceteam durchgeführte Inbetriebnahme von Röchling selbst erfolgen konnte.
Quelle: Servomold
Welcher Kunststoff für welche medizinische Anwendung?

Kunststoffe, die in der Medizin zum Einsatz kommen, müssen besondere Eigenschaften erfüllen. Die Grundanforderungen an Materialien für die Medizintechnik etwa sind Biokompatibilität, Sterilisierbarkeit, Temperatur- und Chemikalienbeständigkeit. Die Anforderungen unterscheiden sich dabei im Einzelnen zwischen Materialien, die außerhalb des Körpers, und solchen, die – im Körper etwa als Implantate – zum Einsatz kommen. Biomaterialien – also Werkstoffe, die sich mit Körperzellen vertragen – dürfen keine schädigende Wirkung auf Organismus verursachen, sondern müssen vom Körper toleriert oder, im günstigsten Fall, wie körpereigenes Material akzeptiert werden. Wichtig ist außerdem, dass von dem Material keine toxische Wirkung auf den Organismus ausgeht. Festgelegt sind diese Anforderungen in verschiedenen Vorschriften und Richtlinien, beispielsweise der EU-Richtlinie 93/42/EWG, die auch als „Medical Device Directive“ bekannt ist. Seit 2019 definiert und beschreibt die VDI-Richtlinie 2017 speziell für den Bereich der Kunststoffe, was unter Medical Grade Plastics zu verstehen ist und welche Eigenschaften und Anforderungen maßgeblich sind. (Bild: Paul Vinten – Fotolia)

Polyethylen (PE) ist nicht nur insgesamt der weit verbreitetste Kunststoff, sondern spielt auch im medizinischen Einsatz eine große Rolle. Der Werkstoff kommt vor allem in Verpackungen für klinische und pharmazeutischer Produkte zum Einsatz, so etwa in Flaschen oder Folien, aber auch beispielsweise in Spritzen. Vor allem Polyethylene hoher Dichte, sogenanntes PE- HD, zeichnet sich dabei durch eine hohe Formfestigkeit und Chemikalienbeständigkeit aus. Das Material kommt daher etwa auch für Implantate, zum Beispiel als Hüftgelenkpfannen in der Orthopädie, zum Einsatz. Außerdem lässt sich etwa bei Behältern aus PE der Einfluss von migrierenden Additiven vermeiden. (Bild: catsnfrogs – Fotolia)

Das zweite besonders häufig in der Medizin eingesetzte Polymer ist Polyvinylchlorid, besser bekannt als PVC. Für den Werkstoff sprechen vor allem der geringe Preis, auch im Vergleich zu anderen Kunststoffen, sowie die einfache Verarbeitbarkeit. Das Material ist außerdem sehr gewebe- und blutverträglich. Aufgrund dieser Eigenschaften kommt PVC vor allem in Einweg-Produkten wie Blutbeutel und Handschuhe oder Katheter, aber auch für Schläuche und sterilisierbare Verkleidung von medizinischen Geräten zum Einsatz. Als Problem von Weich-PVC gilt zunehmend, dass der Kunststoff meist phthalathaltige Weichmacher wie Diethylhexylphthalat (DEHP), das nicht chemisch gebunden ist und damit in seine Umgebung migrieren kann. Dem Additiv werden fortpflanzungsschädigende Eigenschaften zugeschrieben. Weich-PVC enthält bis zu 40 Gewichtprozent an DEHP. Während der Stoff in Kinderspielzeug oder Kosmetika verboten ist, gilt das Additiv in Medizinprodukten als weitgehend unverzichtbar. Hersteller müssen jedoch jeweils darlegen können, warum sich keine Alternativen zu DEHP einsetzen lassen. (Bild: Stephan Morrosch – Fotolia)

Für Verpackungen aller Art kommt im medizinischen Bereich vor allem Polystyrol (PS) zum Einsatz. Durch seine hohe Transparenz und ist der Thermoplast vor allem in Anwendungen zu finden, in denen sonst Glas zum Einsatz kommen würde, also etwa in Behältern für infektiöses oder toxisches Material oder im Laborbereich in Petrischalen und Ähnlichem. PS findet jedoch beispielsweise auch als Folie in Medikamentenblistern Verwendung. Expandiertes Polystyrol (EPS), weit bekannt unter dem Handelsnamen Styropor, dient als Schaumstoff dagegen dem Schutz von empfindlichen Produkten. Außerdem leistet das Material durch seine wärmedämmende Wirkung seinen Dienst in der Kühlkette beim Transport von Medikamenten und aktuell in der Logistik von Covid-19-Impfstoffen. (Bild: ggw – Fotolia)

Auch Polypropylen (PP) kommt hauptsächlich für die Verpackung zum Einsatz, beispielsweise wiederum in Medikamentenblistern, aber auch für Einwegspritzen oder Infusions-Bestecke. Hitzestabilisierte Polypropylen-Typen sind darüber hinaus gut zu sterilisieren. Außerdem kommt PP auch in Implantaten zum Einsatz. Außerdem spielt PP durch seine glatte Oberfläche als Nahtmaterial eine große Rolle. (Bild: ThKatz – Fotolia)

PE, PVC, PS und PP sind die mit Abstand gängigsten Polymere in der medizinischen Anwendung und stehen zusammen für 80 bis 90 % der dort eingesetzten Kunststoffe. Daneben gibt es noch eine Reihe anderer Kunststoffe in der Medizintechnik. Bereits seit etwa 20 Jahren wird beispielsweise auch Polyetheretherketon (PEEK) für Implantate in der Wirbelsäulen- und Gesichtschirurgie verwendet. Aufgrund eher unvorteilhafter Oberflächeneigenschaften ist der Werkstoff aber nicht weit verbreitet. Nitril-Polymere wiederum finden durch ihre chemische Beständigkeit und die gummiähnlichen Eigenschaften für Schutzhandschuhe Anwendung. (Bild: April Cat – Fotolia)
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