Werkzeug: Der kombinierte Tiefzieh-/Hinterspritzprozess verkürzt die Fertigungskette der hybriden Bördelkappen signifikant.

Der kombinierte Tiefzieh-/Hinterspritzprozess verkürzt die Fertigungskette der hybriden Bördelkappen signifikant. (Bild: Siegfried Hofmann)

Medizinische Ampullen für Arzneimittel werden häufig mit sogenannten Bördelkappen verschlossen. Dabei wird ein Gummistopfen, der einen luftdichten und sterilen Verschluss der Ampulle gewährleistet, durch die Bördelkappe fixiert. Die Bördelkappe besteht aus einer Aluminiumkomponente, die einen dauerhaften Verschluss garantiert, und einer Kunststoffkomponente, die eine einfache Öffnung der Bördelkappe erlaubt, indem diese von der Aluminiumkomponente abgedrückt wird und den Verschluss öffnet (Bild 1). Dabei muss eine definierte Abzugskraft der Kunststoffkomponente sichergestellt werden, die nach DIN EN ISO 8362-6 für Bördelkappen der Nenngröße 20 eine Kraft von 35 N nicht überschreiten darf [1,2].
Zur Reduktion des Fertigungsaufwandes, der sich momentan aus fünf einzelnen Produktionsschritten zusammensetzt (Bild 1), und zur Verbesserung der Produktqualität beispielsweise durch den geschlossenen Metallnapf, soll ein mikroformschlüssiges Fügeverfahren für den Verbund aus Kunststoff und Aluminiumdünnblech eingesetzt werden. Dabei werden in die Metallkomponente zunächst mittels Laserstrahlung hinterschnittige Mikrostrukturen, welche als Formschlusselemente dienen sowie eine Vorschädigung, die eine definierte Öffnung der Kappe ermöglicht, eingebracht. Optional kann auch eine Beschriftung oder eine zusätzliche Strukturierung zur Verbesserung der Mediendichtheit eingebracht werden. Indem sich anschließenden Spritzgießprozess wird das Umformen der mikrostrukturierten Aluminiumbleche und das Hinterspritzen der Kappe in einem Kombinationswerkzeug realisiert. Der Prozess wurde zuerst mit einem Einkavitäten-Prototypenwerkzeug erfolgreich umgesetzt und anschließend auf ein Mehrkavitätenwerkzeug inklusive einer zugehörigen Automatisierung übertragen [3].

Zeichnung: Hybride pharmazeutische Bördelkappe (links) und aktuelles Herstellungsverfahren (rechts).
Bild 1: Hybride pharmazeutische Bördelkappe (links) und aktuelles Herstellungsverfahren (rechts). (Bild: IKV)

Werkzeugtechnik zur Prozesskombination

Der Aufbau des vom Unternehmen Siegfried Hofmann, Lichtenfels, entwickelten und gefertigten Mehrkavitätenwerkzeugs kann Bild 2 entnommen werden, in dem die Düsen- und Schließseite gegenübergestellt werden. Im Werkzeug sind vier Kavitäten vorgesehen, in denen die Bördelkappen auf der verwendeten Spritzgießanlage hergestellt werden (110-380 CX sowie ein Linearhandling LRX100 der Krauss Maffei Technologies, München). Das eingesetzte PP PCGR40 von Sabic, Riad, Saudi-Arabien, entspricht den Vorschriften für den Einsatz in der medizinischen und pharmazeutischen Industrie und weist eine sehr gute Fließfähigkeit auf (MFR [230 °C/2.16 kg] = 40 g/10 min) [4].

Zwei Werkzeuge: Verwendete Werkzeugtechnik.
Bild 2: Verwendete Werkzeugtechnik. (Bild: IKV)
Magazinierung und Greifersystem zum Einlegen und Entnehmen der Bördelkappen in Etage.
Bild 3: Magazinierung und Greifersystem zum Einlegen und Entnehmen der Bördelkappen in Etage. (Bild: IKV)

Den ersten Prozessschritt bildet das Tiefziehen der 200 µm dicken, mikrostrukturierten Aluminiumronden zu Näpfen. Dazu sind im Werkzeug die drei notwendigen Elemente Niederhalter (Matrizenplatte), Tiefziehstempel und Tiefziehring vorgesehen. Zunächst werden die Ronden bei vollständig ausgefahrener Matrizenplatte durch ein Handlingsystem (Bild 3) über die zylindrischen Aufnahmen eingelegt. In jeder der vier Aufnahmen sitzt ein verfahrbarer Tiefziehstempel. Mithilfe einer außen am Werkzeug angebrachten Venturi-Düse wird zudem ein Vakuum zur Fixierung der Ronden angelegt. Zu Beginn sind die Stempel vollständig eingefahren. Sobald alle vier Ronden (Bild 4, links) positioniert sind, wird die Matrizenplatte über zwei hydraulische Hubzylinder geschlossen und mit einer definierten Niederhalter-Kraft mittels eines Maschinenkernzugs geschlossen gehalten, sodass die Ronden fixiert werden und das Vakuum nicht mehr benötigt wird. Während die Schließbewegung des Werkzeugs startet, werden die Tiefziehstempel über einen zweiten Maschinenkernzug zeitgleich ausgefahren, wodurch die Bleche jeweils in den Ziehspalt zwischen dem Stempel und dem Tiefziehring innerhalb der Matrizenplatte gedrückt werden. Die Tiefziehbewegung erfolgt kraft- und geschwindigkeitsgeregelt. Die Ronden werden somit zu Näpfen umgeformt. Nach dem Tiefziehprozess wird der Hydraulikdruck im Kernzug erhöht. Somit wird ein Zurückdrücken der Stempel durch den Spritzdruck und in der Folge eine Veränderung der Kavitätsgeometrie während der Einspritz-, Kompressions- und Nachdruckphase verhindert.
Als zweiter Prozessschritt folgt das Hinterspritzen der tiefgezogenen Bleche. Über die Schließbewegung des Werkzeuges werden die vier Kavitäten erzeugt, indem pro Kavität jeweils drei Schieber über den Schließkraftaufbau angelegt werden und somit die Abdichtung gegenüber dem Tiefziehspalt beziehungsweise am Blechnapf bilden. In Bild 2 ist düsenseitig eines der vier Systeme geschlossen dargestellt, während die drei restlichen Schiebersysteme offen sind. Während des Einspritzens gelangt der plastifizierte Kunststoff über ein offenes Heißkanalsystem in die erzeugten Hohlräume und dringt in die Mikrostrukturen der Bleche ein, wodurch die Verbindung erzeugt und die finale Bördelkappe ausgeformt wird.
Der finale Prozessschritt ist die Entformung und Entnahme der Formteile aus der Matrizenplatte (Bild 2). Parallel zur Öffnungsbewegung erfolgt die Öffnung der Kavitätsabdichtung und das Lösen der Bördelkappen von der Düsenseite. Diese verbleiben zunächst auf dem Tiefziehstempel. Während der Öffnungsbewegung der Schließseite werden die Stempel wieder eingezogen. Dabei wird über Bohrungen im Tiefziehstempel ein Luftstoß zugeführt. Dieser sorgt unterstützend dafür, dass die Bördelkappen nicht auf dem Stempel hängen bleiben und möglicherweise vom Kunststoff abgetrennt werden, sondern im Tiefziehring in der Matrizenplatte verbleiben. Zuletzt wird die Matrizenplatte ausgefahren, sodass die Bördelkappen über den Linear-Handlingroboter entnommen werden können, was gleichzeitig mit dem Einlegen neuer Ronden erfolgt. Somit werden keine zusätzlichen Auswerfer im Werkzeug benötigt. Neben der Spritzgießmaschine befinden sich sowohl ein Magazintisch mit 4 Magazinen (Bild 3) für die Bestückung des Roboters mit neuen Ronden als auch eine Ablagefläche für die produzierten Kappen.

Verbundfestigkeiten der Bördelkappe

Die Verbundfestigkeit des eingesetzten mikroformschlüssigen Kunststoff-/Metall-Verbundes wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst. Dazu zählt die Geometrie der Laser-Mikrostruktur, die wiederum in die makroskopische Anordnung der linienförmigen Mikrostrukturen, deren Strukturabstand und die mikroskopische Strukturgeometrie (Tiefe, Öffnungsbreite, Hinterschnittigkeit) unterteilt werden kann. Durch eine kreisförmige Mikrostrukturanordnung (Bild 4) kann die Verbundfestigkeit gegenüber einer sternförmigen Anordnung gesteigert werden [3]. Außerdem kann die Verbundfestigkeit durch eine gesteigerte Gesamt-Strukturlänge im Verbundbereich verbessert werden. Ein geringerer Abstand zwischen den linienförmigen Mikrostrukturen führt zu mehr Verankerungspunkten, wodurch die Krafteinleitung homogenisiert und die Verbundfestigkeit verbessert wird [5]. Für einen möglichst geringen Mikrostrukturabstand hat das Fraunhofer Institut für Lasertechnik ILT, Aachen, eine geeignete Prozessführung mit Pausenzeiten entwickelt, um einen Mikrostrukturabstand von 130 µm zu realisieren. Durch zwei Überfahrten mit einer Laserleistung von 1.005 W (Singlemode-Faserlaser des Typs Rofin FL 020 C von Coherent, Santa Clara, Kalifornien, USA) bei einer Scangeschwindigkeit von 15 m/s werden Mikrostrukturen mit circa 130 µm Tiefe und einer Öffnungsbreite von 70 µm erzeugt (Bild 4) [6]. Die Fertigung der mikrostrukturierten, 200 µm dicken Dünnbleche entsprechend der Norm [7] wird von Pulsar Photonics, Aachen, voll automatisiert umgesetzt. Die vollständige Laserbearbeitung einer Ronde erfolgt in unter einer Sekunde, sodass die Laserbearbeitung In-Line erfolgen kann.

Mikrostrukturierte Dünnbleche, hybride Bördelkappe und geöffnete Kappe.
Bild 4: Mikrostrukturierte Dünnbleche, hybride Bördelkappe und geöffnete Kappe. (Bild: IKV)

Eine Analyse der Spritzgießparameter Einspritzgeschwindigkeit, Nachdruck, Werkzeug- und Massetemperatur zeigt, dass vor allem hohe Einspritzgeschwindigkeiten und ein hoher Nachdruck zu einem hohen Füllgrad der Mikrostrukturen von bis zu 93 % und damit hohen Verbundfestigkeiten führen (Bild 5) [6]. Die Abzugskräfte von über 15 N, die im anwendungsnahen Abzugsversuch nach DIN ISO 10985 gemessen wurden [8], liegen unterhalb der maximal zulässigen Öffnungskraft von 35 N und reichen aus, um eine mittels Laser eingebrachte Sollbruchstelle außerhalb der Mikrostruktur mit einem Durchmesser von 10 mm zu öffnen (Bild 4).

Balken-Grafik: Erzielte Verbundfestigkeiten im anwendungsnahen Lastfall in Abhängigkeit der Prozessparameter und Korrelation der Mikrostrukturfüllung mit der Abzugskraft.
Bild 5: Erzielte Verbundfestigkeiten im anwendungsnahen Lastfall in Abhängigkeit der Prozessparameter und Korrelation der Mikrostrukturfüllung mit der Abzugskraft. (Bild: IKV)

Fazit

Durch den kombinierten Tiefzieh-/Hinterspritzprozess kann die Fertigungskette der hybriden Bördelkappen deutlich verkürzt werden. Zusätzlich bietet der Prozess Potenzial für eine weitere Funktionsintegration wie die Integration von Beschriftungen. Durch den Mikroformschluss können ausreichend hohe Verbundfestigkeiten erzielt werden, die die Anforderungen an das Produkt erfüllen. Durch eine Optimierung des Handlings sowie des Kombinationsprozesses konnte in einem ersten Schritt eine Zykluszeit von 45 s für den Gesamtprozess erzielt werden. Die Wirtschaftlichkeit des Prozesses kann in Zukunft durch eine Erhöhung der Produktionsgeschwindigkeit sowie eine größere Anzahl von Kavitäten weiter gesteigert werden.

Dank

Das diesem Bericht zugrunde liegende Vorhaben wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 03XP0291 gefördert. Wir möchten uns an dieser Stelle bei allen Institutionen für ihre Unterstützung und Förderung sowie bei den Projektpartnern für die gute Zusammenfassung bedanken.

Weitere Autoren:

Christoph Wortmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer Institut für Lasertechnik (ILT).
Prof. Dr.-Ing. Christian Hopmann, Leiter des Instituts für Kunststoffverarbeitung (IKV) in Indus-trie und Handwerk an der RWTH Aachen.
Patrick Först, Projektleiter im Bereich Multikavitäten bei Siegfried Hofmann in Lichtenfels.

Quelle: IKV

Literatur

[1] N.N.: Injektionsbehältnisse und Zubehör – Teil 6: Bördelkappen aus Aluminium- Kunststoffkombinationen für Injektionsflaschen (ISO 8362-6:2010); Deutsche Fassung EN ISO 8362-6:2011. Berlin: DIN Deutsches Institut für Normung e. V., 2011
[2] N.N.: Injektionsbehältnisse und Zubehör – Teil 7: Bördelkappen aus Aluminium- Kunststoffkombinationen für Injektionsflaschen ohne überstehendes Kunststoffteil (ISO 8362-7:2006); Deutsche Fassung EN ISO 8362-7:2010. Berlin: DIN Deutsches Institut für Normung e. V., 2011
[3] Hopmann, Ch.; Mascher, M.: Prozesskette zur Herstellung hybrider Medizinprodukte, Kunststoffe 04 (2022), S. 36-39
[4] N.N.: SABIC® PP PCGR40 - Global Technical Data Sheet. Riad, Saudi-Arabien: SABIC AG, Riad, Saudi-Arabien, 2022
[5] Hopmann, Ch.; Mascher, M.; Wurzbacher, S, Wagner, P: Development of Micro-form-fitted amorphous thermoplast-light metal hybrid components, Materials Science & Engineering Technology
[6] Hopmann, Ch.; Mascher, M.: Manufacturing hybrid pharmaceutical crimp caps using a combined deep-drawing/back-injection process with micro form fitting, 32nd International Colloquium Plastics Technology (2024), ISBN: 978-3-8440-9385-8
[7] N.N.: Aluminium caps for transfusion, infusion and injection bottles — Generalrequirements and test methods. Geneva: International Organization for Standardization, 2003
[8] N.N.: Bördelkappen aus Aluminium-Kunststoffkombinationen für Infusions- und Injektionsflaschen – Anforderungen und Prüfverfahren (ISO 10985:2009). Berlin: DIN Deutsches Institut für Normung e. V., 2009

Sie möchten gerne weiterlesen?

Unternehmen

Institut für Kunststoffverarbeitung (IKV) in Industrie und Handwerk an der RWTH Aachen (Hauptsitz)

Seffenter Weg 201
52074 Aachen
Germany