
Wo liegen die Potenziale von Formeinsätzen mit strukturintegrierter Heatpipe? (Bild: HS Bielefeld)
Zielführend für Spritzgießwerkzeuge ist eine gleichmäßige Kavitätstemperatur und thermische Stabilität. Wird dies nicht erreicht, sind Qualitätseinbußen am Artikel die Folge [1, 2, 3]. Um in thermisch kritischen Bereichen (Hot Spots) die Wärme ausreichend abzuführen, muss bisher ein hoher Aufwand in Konstruktion und Fertigung in Kauf genommen werden. Verlängert sich die Zykluszeit, damit eine gewünschte Artikelqualität erreicht wird, wirken Hot Spots sich nachteilig auf die Wirtschaftlichkeit aus.
Die Temperierung findet in der Regel über Wasser statt. Damit der nötige Wärmeaustausch erreicht wird, wird eine oftmals überdimensionierte Durchflussmenge eingestellt. Neben der Wärmeabfuhr in Hot Spots, soll die Kavität auf Soll-Temperatur gehalten werden. Bei technischen Kunststoffen bedeutet dies über 60 °C. Der Energieeintrag ist hoch und mehrere Temperiergeräte nötig. Allein die Temperierung nimmt etwa 37 % bis über 60 % der Gesamtenergie beim Spritzgießen ein [4, 5].
Unter dem Einsatz einer konturnahen Kühlung können Hot Spots um bis zu 30 % verringert und die Produktivität erhöht werden [6, 7]. In verästelten Kühlkanälen mit geringem Durchmesser ist eine hohe Turbulenz schwer vorherzusagen und sicherzustellen. Die Turbulenz jedoch ist maßgeblich entscheidend für die Wärmeabfuhr. Daher wird in der Regel eine überdimensionierte und somit energieintensive Durchflussmenge eingestellt [8, 9, 10]. Auch müssen diese kostenintensiven Formen bei verunreinigten und nicht zu säubernden Kühlkanälen ersetzt werden.
Stiftartige Kerne sind ebenso problematisch. Das Wasser wird über Medienführungen wie Sprudler oder Wendeln zum Hotspot hin und im gleichen Bauraum abgeführt. Diese Bereiche verengen zusätzlich. Auch sind diese Normalien bereits bei einfachen Konturen mit Radius nicht mehr einsetzbar, da sie nur geradlinig erhältlich sind. Ein weiterer Nachteil der konventionellen Kühlung ist ein Kompromiss der quer zueinander laufenden Temperierungen und des Auswerfersystems. Optimale Kühlkanalgeometrien sind oft nicht mit der Positionierung der Auswerfer vereinbar.
Herausforderung Wärmetransport
Kühlnormalien haben unterhalb von 3 mm Durchmesser ihre Einsatzgrenze. Spätestens ab diesem Querschnitt wird oftmals Kupfer aufgrund der hohen Wärmeleitfähigkeit eingesetzt. Physikalisch ist dies jedoch ein Kompromiss: Ein hoher Wärmetransport bedarf einer hohen Temperaturdifferenz und einem großen Querschnitt bei geringer Länge. Die geometrischen Bedingungen von Hot Spots stehen in der Regel hierzu im Widerspruch. Eine hohe Temperaturdifferenz kann zur Kupferkühlung nur mit einem extra Kaltwasserkanal erreicht werden. Bei der Verarbeitung technischer Kunststoffe liegt die Kavitätstemperatur in der Regel ab circa 60 °C. Entsprechend hoch ist die Temperatur des eigentlichen Temperiersystems. Dies führt zu einem erhöhten konstruktiven Aufwand. Auch beeinflussen diese Temperaturen sich gegenseitig. Für schmale Bereiche wurden ebenso Kältemittelsysteme auf Basis eines Zweiphasen-Wärmeübergangs mit speziellen Kühlfluiden eingesetzt. Diese benötigen jedoch geschlossene Systeme mit einer umfangreichen und kostenintensiven Peripherie [11, 12, 13]. Leistungsstarke Alternativen bieten Heatpipes. Zwar sind sie auf dem Markt als Normalie bekannt, spielen jedoch im Formenbau bisher keine bedeutende Rolle. Begründet ist dies mit Nachteilen bei der Konstruktion, Montage sowie Robustheit. Auch ist die Verlässlichkeit der Wärmeübertragung problematisch, da diese innerhalb gleicher Heatpipes abweichen. Ein besonderes Problem ist die Vorkonfektionierung in standardisierten Abmaßen und runden Querschnitten der Heatpipe. Ein idealer Verlauf entlang einer freigeformten Kavität ist nicht möglich [14, 15, 16].
Heatpipes haben aber grundsätzlich Vorteile [17]:
- Sie übertragen bei gleichen Abmessungen Wärmeenergie um ein Vielfaches effektiver als Kupfer, oder Aluminium bei gleichen Abmessungen.
- Zur Wärmeübertragung ist keine externe Energie nötig, da sie autark arbeiten.
- Heatpipes bleiben sauber da sie hermetisch verschlossen sind.
Durch Verdampfung effektiv Wärme übertragen
Die Wärme wird durch einen zweifachen Zweiphasen-Wärmetransport übertragen. Am Beispiel von Bild 1 kann der Heatpipe Prozess beschrieben werden. Eine Heatpipe ist ein hermetisch verschlossener Hohlraum mit Unterdruck und einem Verdampfungsfluid. Im einfachsten und häufigsten Fall wird Wasser eingesetzt. Durch den Unterdruck stellt sich eine Verdampfungstemperatur von ca. 30 °C ein. Durch den Phasenübergang von flüssig zu dampfförmig wird die Wärme (Bild 1, Wärmequelle T1) abgeführt. Der Dampf strömt zur kälteren Seite (Bild 1, Wärmesenke T2), kondensiert und gibt die Wärme ab [17, 18]. Umso stärker die Wärmequelle die Sättigungstemperatur übersteigt, desto höher ist die Wärmeübertragung. Diese wird bei angezielten Kavitätstemperaturen von ca. 60 °C überschritten [14, 19]. Zur Kondensation muss die Wärmesenkentemperatur T2 unterhalb der Sättigungstemperatur liegen. Eine Kühlung mit Kaltwasser von circa 15 °C bietet nicht nur einen geringen Aufwand in Peripherie und Energie, sondern ebenso eine hohe Differenz zur Sättigungstemperatur. Vorteilhaft ist, dass die Wärmesenke außerhalb des Formbereiches liegen kann und die Kühlung somit keinen Einfluss auf die restlichen Werkzeugbereiche hat.
![Schema einer strukturintegrierten Heatpipe unter Rahmenbedingungen der Werkzeug-Konstruktion [14].](assets/images/c/bild1-7a1b602a.jpg)
Das Werkzeug selbst ist die Heatpipe
Bild 1 zeigt eine Werkzeug-reale Einbausituation. Spritzgießwerkzeuge sind in der Regel horizontal aufgebaut und somit auch die Kernbereiche, sprich die Wärmequelle. Die Leistungsfähigkeit von Heatpipes ist immens vom Kondensatrückfluss abhängig. Die Benetzung der Wärmequelle mit Fluid ist fundamental, da ansonsten keine Verdampfung stattfinden kann. Käufliche Heatpipes haben Kapillare, welche das Fluid in horizontaler Lage und entgegen der Schwerkraft zur Wärmequelle fördern sollen. Der schwerkraftgetriebene Kondensatrückfluss führt jedoch zu deutlich höheren Leistungen. Die Wärmesenke sollte somit oberhalb der Wärmequelle lokalisiert sein. In Bild 1 wird dies durch eine Anschrägung des Dampfkammerverlaufes realisiert [14, 20].
Bild 1 stellt eine strukturintegrierte Heatpipe dar. Der Unterschied zu käuflichen Heatpipes ist, dass diese nicht montiert wird. Der Dampfprozess findet direkt im Hohlraum statt. Strukturintegrierte Heatpipes bieten besonders konstruktive Vorteile, welche neue Chancen in der Temperierung aufzeigen [14]:
- Die Heatpipe-Kontur, besonders die Wärmequelle an der Kavität, kann konturoptimal und frei gestaltet werden. Besonders relevant ist hier ein möglichst großer Querschnitt.
- Temperier-Auswerfersystem kann in gleicher Ebene laufen. Es entstehen weniger konstruktive Konflikte.
- Aufgrund der Verdampfungsprozesse ist eine weitgehend gleichmäßige Wärmeabfuhr zu erwarten (lokal höhere Temperatur führt zu mehr Verdampfung und mehr Wärmetransport).
- Konturnahe Kühlung ist ohne Sonderverfahren möglich. Eine Schale hinter der Kavität zur Verdampfung ist ausreichend und kann einfach geschlossen werden. Kanäle, Wasserführungen sind nicht nötig.
Auch um Stützstrukturen oder Auswerferdurchführungen wird durch das Verdampfen Wärme abgeführt. Es entstehen keine Strömungstotstellen und eine flächige Wärmeabfuhr ist möglich. Heatpipes führen somit zu einer höheren konstruktiven Freiheit. Berücksichtigt werden muss ein Befüllstutzen. Über diesen wird Vakuum gezogen und das Wasser injiziert. Außerdem muss die strukturintegrierte Heatpipe an den Montagestellen Gasdicht gestaltet werden [14].
Theorie anhand eines realen Heatpipe-Kerns
Anhand eines realitätsnahen Test-Artikels (Bild 2), wird der beschriebene Ansatz praktisch nachgewiesen. Der Artikel hat verschiedene enge Bereiche – und somit auch der Werkzeugeinsatz. Diese ungleichmäßig großen Kernbereiche heizen sich zyklisch auf, stellen Hot Spots dar und benötigen einem besonderen Aufwand zur Kühlung. Außerdem sind drei Durchbrüche, zwei seitlich und einer oberhalb des Artikels eingebracht. Diese können bspw. Kabeldurchführungen oder Ähnliches darstellen. Der Artikel ist bei der Heatpipe Variante spiegelbildlich aufgebaut. Konturfolgende Querschnitte stehen runden Querschnitten vergleichsweise gegenüber. Die Form der Heatpipe-Querschnitte ist auf der Oberfläche des Kerneinsatzes eingraviert und bildet sich auch am Artikel aus, um die Vergleichbarkeit der verschiedenen Heatpipes am Bauteil zu vereinfachen.

Die Temperierung findet mittels strukturintegrierter Heatpipes in den jeweiligen Werkzeug-Kernen und in den Schiebern statt (Bild 3). In Blau eingefärbt sind als Volumenkörper die Hohlräume der Kerne, welche als Dampfkammer der strukturintegrierten Wärmequellen dienen. Oberhalb ist in Rot der Hohlraum der Wärmesenke eingefärbt. Zwischen den Stahlbauteilen und dem Aluminium ist eine thermische Trennung durch eine Silikonmatte eingebracht. Zu beachten bei der Auslegung von Heatpipe-Werkzeugen, ist ein möglichst ungehinderter Dampftransport raus aus der Wärmequelle. Außerdem muss die Wärmequelle stetig mit Wasser benetzt sein, deshalb muss das Kondensat möglichst ungehindert zurückfließen können. Damit Dampf und Kondensat ungehindert entgegen einander strömen können, muss möglichst viel Material am Kern abgenommen werden, wobei die Strukturfestigkeit zur Aufnahme der Spritzdrücke zu berücksichtigen ist.
Auch ist die Wärmesenke relevant. Hier sollte neben dem Rückfluss, Platz zur Kondensation vorhanden sein. Eine übergroße Wärmesenke kompensiert eine Druckerhöhung durch die Dampfbildung. Ein erhöhter Druck ist zu vermeiden, da somit auch die Verdampfungstemperatur ansteigt und die Leistung der Heatpipe nachlässt. Im Vergleich hierzu wird ein konventionell gekühlter Kern eingesetzt. Querbohrungen führen das Wasser über Umlenkbleche in die einzelnen Kerne. In einem besonders engen Kern wird ein Kupferstift (d = 4 mm) eingesetzt, da eine Wasserkühlung, aufgrund des geringen Querschnitts, hier nicht als umsetzbar angesehen wird.

Neuer Ansatz mit geringerer Zykluszeit
Der beschriebene Kern ist austauschbar, sodass sowohl die strukturintegrierte Heatpipe als auch eine konventionelle Wasserkühlung, vergleichende Versuchsreihen zulassen. Diese wurden auf einer Engel victory 120 Spritzgießmaschine durchgeführt. Der verarbeitete Werkstoff ist ABS (Sitraplas aus Bünde). Die Massetemperatur beträgt 240 °C. Die Fertigung des Werkzeuges wurde durch die Firma Richter Werkzeugbau übernommen. Es werden Temperaturmessungen an den Kernen mittels Thermographie (Kamera: Infratec PIR 180 UC; Software: Irbis 3.1 professional) durchgeführt. Für die Heatpipe-Einsätze wird außerdem der Druck in der Dampfkammer erfasst (Drucksensoren: Balluff BSP00PJ; Vergleich Bild 5).

Geichmäßig und effizient temperieren
In den ersten Versuchsreihen ist bereits eine Überlegenheit gegenüber Wasser festgestellt worden, da Bauteile bei rein optisch gleicher Qualität bis zu 3,5 s schneller produziert werden konnten. Wurde hingegen der Kern mit Wassertemperierung bei einer gleichen Zykluszeit betrieben, ergaben sich deutlich stärkere Einfallstellen auf der Oberfläche des Bauteils. Bei den Versuchen lässt sich jedoch auch feststellen, dass noch weiteres Optimierungspotenzial bei der Heatpipe zu erkennen ist. Besonders auf der Seite der kreisrunden Heatpipes ist die Oberflächentemperatur auf dem Kern deutlich erhöht (Bild 6). Außerdem kommt es zu einer Temperaturanhäufung an einem besonders engen Kern, an dem auch bei der Wassertemperierung sehr hohe Temperaturen auftreten (Bild 3 und Bild 4, jeweils Kern rechts unten). Im Fall der Wassertemperierung ist hier ein Kupferstift eingebracht. Betrachtet man die Formel der Wärmeleitung offenbart sich jedoch, dass auch der eingebrachte Kupferstift (d = 4 mm; l = 70 mm) bei einer sehr hohen Temperaturdifferenz von 50 K eine Wärmeübertragungsleistung nicht höher als 3,5 W erreicht.

Heatpipes, die konturoptimiert in den Kern eingebracht wurden, temperieren sehr gut und gleichmäßig. Die Kreisrunden Dampfkammer-Querschnitte haben noch Potenzial vergrößert zu werden. Eine geringere Temperatur ist somit auch hier zu erreichen. Die Temperaturverteilung ist bei der Wassertemperierung ebenso als recht gleichmäßig zu betrachten. Allerdings ist das Temperaturniveau bei der Wassertemperierung mit ca. 85 °C deutlich höher als bei dem Temperatur-Homogenen Bereich der konturfolgenden Heatpipes, welche circa 60 °C vorweisen. Hier lässt sich ebenfalls ein großer Vorteil der Heatpipe-Temperierung erkennen. Aus dem Datenblatt des Werkstoffs ABS geht hervor, dass die Werkzeugtemperatur im Idealfall circa 60 °C betragen soll. Aufgrund der temperaturabhängigen Leistungskurve von Heatpipes erzielen diese bereits bei einer Kühlwassertemperatur von 20 °C das gewünschte Temperaturergebnis. Die Wassertemperierung muss hingen im Vorfeld und unter großem Energieaufwand das Werkzeug erwärmen.
Im derzeitigen Schritt wird der Heatpipe-Kern überarbeitet. Hierzu wird der Hohlraum im Bereich der thermisch kritischen Bereiche der Wärmequelle vergrößert. So wird die Dampfableitung und der Kondensatrückfluss zwischen Wärmequelle zur Wärmesenke verbessert. Ziel ist es, die Leistung der Kerne so anzupassen, dass eine möglichst homogene Kavitätstemperatur auf dem Heatpipe-Kern entsteht. Weitere Versuche sind für Juli 2024 geplant. Die Bewertung der Bauteilqualität wird abschließend mittels 3D-Scan (GOM Metrology) durchgeführt und mit der ursprünglichen Konstruktion abgeglichen.

Verdampfung überzeugt, Simulation folgt
Es lässt sich bereits jetzt feststellen, dass die Formeinsätze mit strukturintegrierter Heatpipe insgesamt sehr gute Ergebnisse produziert haben. Geringer Verzug, gute Oberflächen bei einer geringen Zykluszeit werden erreicht. Möchte man konturnah mittels Wasser kühlen, müssen Kanäle gefertigt werden. Daher führen an aufwendigen und kostenintensiven Sonderverfahren der Fertigungstechnik nur selten Wege vorbei [21, 22]. Anders kann dies bei Heatpipes-Werkzeugen sein. Ausreichend ist ein Hohlraum zzgl. Stützstruktur zur Aufnahme des Spritzgdrucks. Diese schalenartige Form kann häufig konventionell gefertigt werden. Dabei wird der Werkzeugeinsatz nah der Kavität abtragend bearbeitet bis die gewünschte Kontur der Verdampfungsfläche entstanden ist. Geschlossen wird die Rückseite mittels einfacher Stahlplatte. Somit ist eine effiziente, energiearme und günstige Art der konturnahmen Kühlung möglich.
Entstanden ist diese Arbeit in einem gemeinsamen Projekt mit der Firma Richter Werkzeugbau aus Herford und der Firma Simcon kunststofftechnische Software aus Würselen. Kern des Simheap Projektes ist die Implemntierung einer Heaptipe-Kühlung in die Software Cadmould. Da die Verdampfung an Freikonturen vorgenommen wird, wird die Wärmequelle der Heatpipe als Volumenelement ausgebildet. Die Wärme wird dann pro mm², je nach anliegender Temperatur und der resultierneden individuellen Heatpipe-Leistung, aus dem Werkzeug subtrahiert. Eine präzise Berechnung lokaler Temperaturen pro Zyklus ist somit möglich.
Quelle: Hochschule Bielefeld
Dank
Diese Arbeit entstand im Projekt „Implementierung der Heatpipe-Temperierung in die Rheologie-Simulation von Kunststoff-Spritzgussteilen – Simheap” durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in der Fördermaßnahme „KMU-innovativ: Produktionsforschung“ (FKZ: 02K21K012) gefördert und vom Projektträger Karlsruhe (PTKA) betreut. Wir bedanken uns vielmals bei der Firma Sitraplas aus Bünde für die Bereitstellung des verarbeiteten Kunststoffs.
Literatur
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