Zulieferer von Kunststoffkomponenten für die Automobilindustrie sind in der Regel auf bestimmte Baugruppen für den Innenraum, den Motorraum oder den Außenbereich der Fahrzeuge spezialisiert. Ist die Fertigungstiefe des Unternehmens hoch und es besitzt einen eigenen Werkzeugbau, so ist dieser mit seinem Maschinenpark für die Bearbeitung der Werkzeugstähle auf die Bauteilgrößen abgestimmt. In den Verbrennerfahrzeugen wuchs der Elektronikanteil über die letzten Fahrzeuggenerationen stetig an, jedoch für die Elektromobilität und das autonome Fahren machte er regelrecht einen Sprung. Es kam der Hochvoltbereich hinzu, und die Kabelbäume der Fahrzeuge wurden umfangreicher. Hirschmann Automotive mit Sitz im österreichischen Rankweil ist spezialisiert auf die Entwicklung und Herstellung von elektrischen und elektronischen Baugruppen und Bauteilen wie Steckverbindungen, Sensoren, Kabelbäume für die Automobilindustrie. Das Unternehmen verfügt über einen eigenen Werkzeugbau mit rund 100 Mitarbeitern und einen eigenen Maschinenpark, der jedoch nicht auf Werkzeuge der für dieses Segment erforderlichen Größe ausgelegt ist.
Als das Unternehmen den ersten Auftrag für einen assemblierten Kabelsatz erhielt, war eine neue Vorgehensweise unumgänglich, denn die Maschinen waren zu klein. „Wir stellten fest, dass unser Werkzeugbau für diese Größe von Spritzgießwerkzeugen nicht ausgelegt war und wir uns für dieses Projekt für den Bau des Werkzeuges einen adäquaten Partner suchen müssen“, erläutert Klaus Häfele, Mechanical & Plastics Engineer Director bei Hirschmann Automotive. „Wir haben uns europaweit umgesehen und sind in Portugal fündig geworden. Nach Gesprächen mit verschiedenen Unternehmen haben wir uns für Frumolde Tooling entschieden, da das Unternehmen bereits Erfahrungen bei der Herstellung von Werkzeugen für Kabelhalter besaß.“ Frumolde Tooling mit Sitz in Marinha Grande konstruiert und fertigt seit 1990 Spritzgießwerkzeuge für verschiedene Bereiche wie Haushaltsgeräte, Automobilindustrie, Telekommunikation, Elektronik, Medizintechnik. Das Unternehmen stellt 1K-, 2K- und 3K-Werkzeuge sowie Werkzeuge für IML und IMD mit einer oder mehreren Kavitäten.
Teil 1: Werkzeugbau 4.0
Auch beim portugiesischen Werkzeugbauer geht trotz langjähriger Erfahrung der Konstruktion eine Moldflow-Analyse voraus, um den geeignetsten Anspritzpunkt für die komplexen Bauteile zu ermitteln, um später am Teil die Bindenähte an unkritischen Stellen zu haben. „Man sieht es den Kabelhaltern nicht an, aber sie erfordern eine Genauigkeit von 0,2 µm, damit später im Fahrzeug alles passt“, ist von Mario Frutuoso, Geschäftsführer Frumolde Tooling zu erfahren. Zur Fixierung der Kabel besitzt der Halter aus PA6GF zum einen Laschen, in die die Kabel eingeknüpft werden. Die hierfür erforderliche Kraft ist vorgegeben. Zum anderen gibt es Laschen, die über 0,8 mm dünne Filmscharniere ans Teil angebunden sind. Auch diese unterliegen ganz klar den durch den Automobilhersteller vorgegebenen Qualitätskriterien, beispielsweise hinsichtlich Schließkraft, Anzahl der Öffnungen ohne Weißbruch, Temperaturbeständigkeit, Vibrationen. „Der Aufbau der Formen für die Kabelhalter ist immer komplex“, weiß der Geschäftsführer. „Das Herstellen von Laschen, Durchbrüchen, Verrippungen, Taschen, um nur ein paar Ansprüche zu nennen, bedarf einiges an Schiebern mit nachgelagerter Mechanik.“
Nach erfolgter Werkzeugkonstruktion wird der Formaufbau aufgrund seiner Größe extern gefertigt, denn die Metallbearbeitungsmaschinen bei Frumolde sind auf präzise Stahlbearbeitung durch 3- und 5-Achs-Fräsmaschinen ausgelegt. Kleinere Schieber und Kontureinsätze für neue Werkzeuge sowie die für die Stahlbearbeitung benötigten Elektroden werden in der automatisierten Produktionszelle des Werkzeugbauers gefertigt. Die Daten werden eingelesen, der für das später zu fertigende Kunststoffprodukt je nach Serienstückzahl ausgewählte Stahl bereitgestellt, und die Prozesse der in der Zelle verketteten Maschinen – Fräsmaschine, Senkerodiermaschine, Erodierelektroden-Produktion, Vermessung der Erodierelektroden, Teilereinigung – laufen vollautomatisiert ab. Das Handling in der Zelle übernimmt ein 6-Achs-Roboter, sodass keinerlei manuelle Eingriffe notwendig sind. Die Durchlaufzeit in der Zelle wird von der Bauteilgeometrie bestimmt und kann zwischen 40 und 300 Stunden liegen, je nach Komplexität des Formeinsatzes. Ist es notwendig, dass der Formeinsatz gehärtet werden muss, eine Narbung oder Hochglanzpolitur benötigt, so greift Frumolde auf externe Partner zurück, die sich auf diese Bearbeitungsschritte spezialisiert haben. Die Formeinsätze für die Kabelhalter werden strichpoliert und die beweglichen Komponenten des Werkzeugs erhalten eine DLC-Schicht für eine schmiermittelfreie, reibungsarme Beweglichkeit.
Warum sind Partnerschaften wichtig?
Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit ist für das Gelingen eines Projektes sehr wichtig. Diese sollte bereits in der frühen Phase eines neuen Projektes beginnen, bekräftigen Klaus Häfele und Mario Frutuoso. „Wir greifen bereits auf die Erfahrung des Werkzeugbauers zurück, wenn wir den Artikel konstruieren und entwickeln. Denn dann können wir das Bauteil hinsichtlich seiner Funktionalität noch beeinflussen und ebenso das Werkzeugkonzept“, sagt Häfele. Und weiter: „Wir versuchen gemeinsam, unlösbare Dinge lösbar zu machen, sofern sie auf der Kostenseite vertretbar sind.“ Frutuoso ergänzt: „Das Werkzeug muss in der Serie stabil laufen, damit der Kunststoffverarbeiter reibungslos produzieren kann und so wenig wie möglich Ausschuss produziert.“ Stichwort – Design for Manufacturing.
Die Instandhaltung der Werkzeuge erfolgt am tschechischen Produktionsstandort in Vsetin. Stehen größere Änderungen oder gar Reparaturen an, so werden diese beim Werkzeugbauer in Portugal durchgeführt. Ebenso wird das neue Werkzeug bei Frumolde bemustert, um unnötige Transportkosten sowie Zeit zu sparen.
Teil 2: Spritzgussfertigung 4.0
Das Spritzguss-Kompetenz-Center von Hirschmann Automotive im tschechischen Vsetin ist eine smarte Fabrik. Über SAP und ERP werden die rund 100 Spritzgießmaschinen des Werkes vollautomatisiert gesteuert, inklusive Materialversorgung, Peripherie, Teilehandling, Qualitätssicherung, Verpackung bis hin zum Transport ins Hochregallager. Die Angüsse werden separiert, dem im Werk angegliederten Recyclingcenter zugeführt und zu PIR-Rezyklat compoundiert. Je nach Liefervorschrift wird das PIR-Rezyklat mit Neuware gemischt und verarbeitet. Bei den Kabelhaltern kommt aufgrund der Kundenvorgabe kein Rezyklat zum Einsatz. Ein Anguss entsteht beim Herstellen der Halter nicht, da die bis zu vier Kavitäten über einen Heißkanal mit Nadelverschlusssystem angespritzt werden.
Für die Produktion der Halter wurde in eine Turnkey-Anlage von Arburg investiert. Aus Gründen der Energieeffizienz fiel die Wahl auf eine vollelektrische Spritzgießmaschine. In die der Maschine angegliederten Produktionszelle sind folgende Schritte integriert: Über einen Rütteltopf werden die Buchsen zugeführt, diese werden vom Handling aufgenommen und in die Kavitäten des Spritzgießwerkzeugs eingelegt, Teileentnahme durch Handling und Ablage links/rechts auf das Förderband. Die Teilekennzeichnung erfolgt durch einen Datumsstempel im Spritzgussteil sowie das Batch im ERP-System, sodass die Bauteile nachverfolgt werden können. Die Kabelhalterwerkzeuge arbeiten in der Regel mit einer Zykluszeit von 22 bis 30 s.
In Zeiten des fortschreitenden Fachkräftemangels ist es laut Klaus Häfele besonders wichtig, verlässliche Partner an der Seite zu haben sowie die Effizienzmaßnahmen in der Produktion auf ein hohes Maß zu steigern, um in Europa die Produktionsstandorte aufrechterhalten zu können.
Quelle: Frumolde Tooling, Hirschmann Automotive
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