Werksbesichtigung bei Ewikon

Auf dem zweitägigen Programm stand auch eine Werksbesichtigung. (Bild: Ewikon)

Rund 100 geladene Gäste fanden den Weg in beschauliche Frankenberg, als das Ewikon Heißkanalforum nach zwei Jahren Corona-Pause wieder stattfinden konnte und so fand die Branche am 19. Mai 2022 endlich wieder zusammen. Und zu diskutieren gab es viel, schließlich waren die vergangenen Monate zwar vielleicht von Lockdown und zeitweise auch Kurzarbeit geprägt – bestimmt nicht aber von Stillstand.

Kunststoff: Problem, oder Problemlöser?

Ein Thema, dass die Branche gleich auf mehreren Ebenen beschäftigt, fasste Prof. Dr.-Ing. Martin Bastian, Institutsdirektor SKZ, gleich im Titel seines Vortrags zusammen: „Kunststoffe – Fluch oder Segen?“ Allein bis zum Jahr 2017 wurden weltweit 8,3 Mrd. t Kunststoffproduziert, was 4x dem Gewicht der Stadt Berlin entspricht. Fast noch beeindruckender, aber eher in einer negativen Art, ist eine andere Zahl: 80 %. Denn dies ist der Anteil des produzierten Kunststoffs, der am Ende seiner Nutzungsphase auf Deponien gelandet ist. Oder um beim Vergleich mit Berlin zu bleiben: 3x das Gewicht der Hauptstadt. Würde die Wirtschaft munter weiter produzieren, so würde sich der produzierte Kunststoff bis zum Jahr 2050 auf 12 Mrd. t aufsummieren – und damit 6x das Gewicht Berlins. Hauptursache für diese Entwicklung, so Bastian: Gerade einmal 11,9 % des Kunststoffs wird heute stofflich verwertet – von einer Kreislaufwirtschaft sind wir also noch ein ganzes Stück entfernt.

Kunststoffrecycling: Der große Überblick

Mann mit Kreislaufsymbol auf dem T-Shirt
(Bild: Bits and Splits - stock.adobe.com)

Sie wollen alles zum Thema Kunststoffrecycling wissen? Klar ist, Nachhaltigkeit hört nicht beim eigentlichen Produkt auf: Es gilt Produkte entsprechend ihrer Materialausprägung wiederzuverwerten und Kreisläufe zu schließen. Doch welche Verfahren beim Recycling von Kunststoffen sind überhaupt im Einsatz? Gibt es Grenzen bei der Wiederverwertung? Und was ist eigentlich Down- und Upcycling? Alles was man dazu wissen sollte, erfahren Sie hier.

Trotzdem zieht Bastian ein positives Fazit und nennt Kunststoff einen Werkstoff mit Zukunft – denn der kann, was andere Stoffe nicht können: Ob Leichtbau für die neuen Arten der Mobilität, Windenergie für den Klimaschutz oder Schutzausrüstung in Gesundheit und Pflege. Diese und so viele andere Aspekte lassen sich ohne Kunststoff nicht lösen.

Dies alles mag für die Teilnehmer des Heißkanalforums eine Sammlung von bekannten Fakten sein. Doch sei es für die Branche (überlebens-)wichtig, dies aktiv in der breiten Masse zu kommunizieren. Denn wenn selbst die Politik, ob nun mangels Wissen oder Populismus das Kunststoff-Bashing mit vorantreibt (Zitat eines Tweets von Markus Söder vom 23. Juli 2021: Plastik ist nicht die Zukunft.“) dann hat dies unmittelbare Auswirkungen auf die Attraktivität der Branche, die Bastian ebenfalls mit einer Zahl belegen konnte: Bereits im Jahr 2020 verzeichneten die Fächer der Kunststofftechnik bis zu 45 % weniger Studenten. Was es für eine Industrie bedeutet, die bereits heute unter Fachkräftemangel leidet, wenn künftig noch einmal die Hälfte der Mitarbeiter fehlt, mag man sich an dieser Stelle gar nicht vorstellen. Die Zeit des Handelns ist also jetzt. Und im Grunde ist das Umfeld dafür auch gut geeignet.

18. Ewikon Heißkanalforum
Rund 100 Gäste durfte Ewikon zum 18. Heißkanalforum begrüßen. (Bild: Ewikon)

Aus Herausforderungen Chancen machen

Denn Klimaziele und der Green Deal, sie sind Herausforderung und Chance zugleich, so Bastian, da Kunststoff zum Erreichen dieser Ziele durchaus seinen Beitrag leisten kann – unter anderem, indem die Branche die Kreislaufwirtschaft weiter vorantreibt, Recyclingprozesse- und fähigkeit verbessert, aber vor allem auch Aufklärung betreibt. Denn dass beispielsweise Verpackung im Lebensmittelbereich aktiver Umweltschutz ist, da Food-waste (also weggeworfene Lebensmittel), mit Abstand mehr Schaden in der Umwelt verursacht, als es eine Kunststofffolie jemals könnte. Auch hierfür hatte Bastian ein Zahlenbeispiel mitgebracht: Allein in Deutschland werden jedes Jahr 2,1 Mio. t Käse verkauft, weltweit sind es sogar 20 Mio. t. Im Vergleich zu Käse, der an der Frischetheke quasi verkauft wird, wird nur ein Bruchteil der im SB-Regal abgepackten Käseprodukte am Ende weggeworfen, was laut Rewe Österreich eine Abfallreduktion von 97 % ermöglicht.

Aber schon in der Produktion von Kunststoffprodukten lässt sich aktuell noch viel Energie (und damit auch bares Geld) sparen: So lasse sich in einem Betrieb mit 30 Spritzgießmaschinen mit Maßnahmen wie einer Schließkraftoptimierung jedes Jahr circa 4 Mio. kWh Energie einsparen.

Smarte Prozessüberwachung für die Produktion 4.0

Auf diesen Einstiegsvortrag folgte mit Bernd Krebs, der das Unternehmen Toolcraft im Jahr 1989 gründete und hier mittlerweile den Vorsitz des Aufsichtsrats inne hat, ein echter Praktiker, der bis zum heutigen Tagen nichts von KPIs wissen will, dafür aber auch seine Leidenschaft für den Formenbau beibehalten hat. An der konkreten Case-stury „Cerumenfilter“, einem Bauteil also, das bei Hörgeräten zum Einsatz kommt, zeigte Krebs auf, wie ein Werkzeugbauer seine Kunden von der Machbarkeitsstudie über die Greiftechnik bis hin zur Qualitätssicherung unterstützen kann.

Mit Dr.-Ing. Sebastian Brockhaus folgte auf Krebs der Leiter der Entwicklung von Gastgeber Ewikon. Im Zentrum seines Vortrags stand Smart Control aus der Ewikon Control-Serie. Dabei handelt es sich um ein Assistenzsystem zur ganzheitlichen Prozessüberwachung von Spritzgieß-Produktionszellen, das Anwendern Transparenz ermöglicht – auch in die Vergangenheit, wodurch sich das Tool nicht nur für die konstante Prozessüberwachung eignet, sondern auch um Fehlerquellen zu identifizieren oder Prozesse zu optimieren. Um Anwendern den Einstieg diese Industrie-4.0-Welt zu erleichtern, hat Ewikon beispielsweise für bestimmte Maschinen von Engel bereits Profile hinterlegt, sodass Smart Control nur angeschlossen werden muss und dann direkt die wichtigsten Parameter ausliest.

Prozessoptimierung durch Digitalisierung

Inhaltlich griff dieses Thema auch der folgende Beitrag „Optimierung von Spritzgießprozessen – Potenziale der Digitalisierung“ auf, gehalten von Dr.-Ing. Norbert Müller, Bereichsleiter Globale Anwendungstechnik bei Engel Austria. Denn Digitalisierung, so Müller, ermöglicht Transparenz und in der Folge die Möglichkeit, die Effizienz mittels aktiver Prozesskontrolle zu steigern. Einen großen Unterschied macht dabei, ob die Prozessdaten rechtzeitig oder in Echtzeit erhoben werden. Also ob der Anwender in der Lage ist, einen Trend mit mehreren Sekunden Verzug zu erfassen, oder der Regelprozess sofort angepasst wird, beispielsweise die Temperatur.

Dr.-Ing- Stefan Eimeke, Geschäftsführer Ewikon, warf einen Blick in die Zukunft und präsentierte neue digitale Konzepte, von denen Kunden künftig profitieren sollen. Zentrale Rolle soll hier eine Projektdatenbank spielen, die Eimeke auch als Wissensdatenbank bezeichnet. Sie ermöglicht den Ewikon-Mitarbeitern mittels einer Suchmaske den Blick auf alte Projekte, was die Machbarkeitsprüfung neuer Aufgabenstellungen vereinfachen soll. Mehr noch, so die Vision, sollen Predictive Analyses und maschinelles lernen künftig die Konstruktion automatisieren und dabei möglichst energieeffiziente Lösungen ermöglichen.

Den Partikeln auf der Spur

Der erste Vortrag des Folgetages war der Medizintechnik gewidmet. Timo Steinebrunner, Leitung Vertrieb bei Braunform, sprach über die Risiken von Partikelkontaminationen – und Lösungsmöglichkeiten bei Spritzgießwerkzeugen. Im Zentrum des Vortrags standen parenterale Verpackungen, also Beutel für Infusionslösungen, Spritzensysteme sowie Augen- und Nasal-Applikatoren. Um der Problematik eine Dimension zu geben, brachte Steinebrunner gleich zwei Beispiele mit: So finden sich in einem Infusionsbehälter bis zu 200.000 Partikel zwischen 1 und 10 µm Größe. Und ein Patient kann während eines Tages intensiver Infusionstherapie bis zum 1 Mio. Partikel aufnehmen. Diese Partikel stellen nicht nur aufgrund ihrer Toxizität ein Risiko dar, sondern stören auch die Mikrozirkulation, verstopfen die Blutgefäße und können die Organe in ihrer Funktion beeinträchtigen.

Entstehen würden solche Partikel vor allem während mechanischer Abläufe im Spritzgießwerkzeug und bei der Entformung. Weshalb der Schlüssel zur Vermeidung von Kontaminationen für eine höhere Patientensicherheit in der Design- und Prozessoptimierung liegt, da dies zu einer saubereren Produktion führt.

Was ist eigentlich Biokunststoff?

Jonathan Franke, Geschäftsführer, und Dr.-Ing. Michael Süß, Leiter Forschung und Entwicklung bei Enesty, gaben einen Einblick in die Herausforderungen beim Spritzgießen von Biokunststoffen. Allein schon hinter dem Begriff der Biokunststoffe verstecke sich nämlich ein ganzer Bauchladen. Der Begriff „Biologisch Abbaubar“ beispielsweise weißt gleich mehrere Unschärfen auf. So ist nicht näher definiert, wie lange oder kurz der Abbauprozess dauert, dazu kommt noch die Abhängigkeit von Umgebungsbedingungen wie Ort und Temperatur. Gleiches gilt auch für „Kompostierbar“. Wobei hier noch hinzu kommt, dass Ausgangsmaterialien, die in kleinen Mengen verprobt werden, zwar noch tatsächlich kompostierbar seien, die fertigen Produkte aufgrund ihrer Wandstärken und Vernetzung durch den Spritzguss diese Eigenschaft nicht mehr vorweisen könnten. Aktuell fehlten für die meisten Biomaterialien schlicht verlässliche Daten, weshalb Unternehmen in der Praxis derzeit noch auf das Trial & Error-Prinzip angewiesen seien, so das Fazit.

Keine Kompromisse in Corona-Zeiten

Im letzten Gastvortrag entführte Lukas Gröning, Technical Sales Manager bei Sigma Engineering die Teilnehmer in digitale Welten: Anhand eines Kundenprojektes, bei dem es um die Entwicklung einer Gesichtsmaske ging, beschrieb Gröning, wie sich LSR-Spritzguss umfassend simulieren und damit das „Rennen gegen die Zeit“ gewonnen werden konnte. Denn anders als in normalen Zeiten, in denen bei den Optionen „niedrige Kosten“, „beste Qualität“ und Geschwindigkeit („gestern“) das Prinzip „nimm zwei“ zum Tragen kommt, waren bei diesem Projekt mitten in der hochdynamischen Corona-Phase keine Kompromisse möglich. Die einzelnen Schritte werden an dieser Stelle nicht aufgezählt, was das Ergebnis nicht weniger beeindruckend macht: Nach nur 41 Tagen startete die Serienproduktion.

Zum Finale des 18. Ewikon Heißkanalforum trat mit Verkaufsleiter Silvio Paesano noch einmal ein Vertreter des Gastgebers auf die Bühne. Er zeigte den Teilnehmern Mittel und Wege zur Verschließprävention auf. Denn die Zahl der Spritzguss-Kunststoffe ist mittlerweile fast schon unüberschaubar und so sei es nicht mehr ausreichend zu wissen, dass beispielsweise ein PA 6.6 zum Einsatz komme, vielmehr sei mittlerweile die Kenntnis der genauen Herstellerbezeichnung notwendig, um die korrekten Maßnahmen ergreifen zu können. Abrasiver Verschleiß beispielsweise hat seine Ursache häufig in Füll- und Verstärkungsstoffen wie Glasfasern oder Bestandteilen von Farbbatches, während korrosiver Verschleiß durch Additive wie Flammschutzmittel oder die Abspaltung von Säuren durch Kunststoffe ausgelöst wird. Bei der Prävention dieser Prozesse spielt laut Paesano vor allem die Verweilzeit in Heißkanal und Maschine eine entscheidende Rolle, „tote“ Bereiche im Fließkanal gelte es darum in jedem Fall zu vermeiden.

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