Oben rechts der unbearbeitete und links der einbaufertige Kern. Vorne im Bild das gespritzte Griffelement sowie die Gartenschere.

Oben rechts der unbearbeitete und links der einbaufertige Kern. Vorne im Bild das gespritzte Griffelement sowie die Gartenschere. (Bild: Hermle)

Die Gartenarbeit ist für viele Hobbygärtner entspannend: Mit der Schere in der Hand bringen sie in ihrer grünen Oase die Sträucher in Form. Die Produktion der hierfür benötigten Gartenscheren erfolgt nicht mit Ruhe, sondern in schnellem Takt fallen beispielsweise die Einzelteile des späteren Griffs aus der Spritzgussmaschine. Um gute Ergebnisse bei der Fertigung zu erzielen, setzt der Ulmer Gartengerätehersteller Gardena auf Spritzgießformen mit einem rötlich-glänzenden Geheimnis: Im Inneren der dünnsten Stellen leitet Kupfer die Wärme zügig zum nächstgelegenen Kühlkanal. Das Fertigungsverfahren dahinter ist die Metall-Pulver-Auftrag-Technologie (MPA) von Hermle Maschinenbau (HMG), Gosheim. Mit der Anfrage eines neuen Werkzeugs, bei dem diese spezielle Technologie zum Ableiten der Wärme aus der Kavität eingesetzt wird, wandte sich Gardena an S&S Werkzeugbau in Schlitz.
Seit 1985 werden in der mittelhessischen Kleinstadt Formen für die Massenproduktion komplexer Kunststoffteile gebaut. Gegründet wurde das Unternehmen  von Heinz Starch und Walter Susemichel und wird heute von Harald Starch in zweiter Generation geleitet. S&S ist in der Kunststoffbranche bekannt für hohe Fertigungstiefe und technologisches Know-how bei der Konstruktion und Fertigung von Spritzgießwerkzeugen mit 2K-Indexplattentechnik, Drehtellern und Core-back-Technologie sowie für die Entformung mit Schiebern und Ausschraubgetrieben. Der Werkzeugbauer hat mittlerweile vier Spritzgießmaschinen in seinem Technikum, um die Mehrkavitäten-Formen vor der Auslieferung zu testen. „Zum einen haben Kunden mit einem hohen Fertigungsgrad keine Kapazität für solche Tests, zum anderen können wir so Lösungen ausprobieren und unsere Expertise ausbauen“, begründet Starch.

Kupfer statt Kühlkanal

Ein unscheinbarer Formkern ist für den Hohlraum im Zangengriff des Gartenwerkzeugs verantwortlich. Je filigraner eine Geometrie ist, desto schwieriger wird das Wärmemanagement. Die Alternative zu Kupfer sind dünne Kühlkanäle. Konturfolgende Temperierkanäle können lasergesintert oder vakuumgeschweißt werden. „Die Gefahr hierbei ist, dass die sehr engen Kühlkanäle mit der Zeit verstopfen. Um dies zu verhindern, ist eine regelmäßige Werkzeugreinigung erforderlich“, erläutert der Formenbauer. Die Metall-Pulver-Auftrag-Technologie (MPA) bietet hier eine smarte Lösung: Das in den Formkern integrierte Kupfer führt aus den engen Bereichen die Wärme ab. Das Kupfersegment endet dort, wo Kühlkanäle ausreichend Platz haben, sodass das Kühlwasser gut fließen kann.

Sptitzgießform: In der Spitze der Kerne ist kein Platz für einen Kühlkanal, dennoch muss die Wärme abgeführt werden. Hier sorgt Kupfer im Inneren des Kernes für die schnelle Wärmeableitung zum Kühlkanal.
In der Spitze der Kerne ist kein Platz für einen Kühlkanal, dennoch muss die Wärme abgeführt werden. Hier sorgt Kupfer im Inneren des Kernes für die schnelle Wärmeableitung zum Kühlkanal. (Bild: Hermle)

Wie kommt das Kupfer nun in den Kern?

HMG hat dafür auf Basis des Fünf-Achs-Fräszentrums C 42 U die MPA 42 entwickelt, die nicht nur Material ab-, sondern auch auftragen kann. Wärme, Stickstoff, überhitzter Wasserdampf und eine Lavaldüse sind entscheidend dafür, dass das Metallpulver auf Überschallgeschwindigkeit beschleunigt wird und sich beim Auftreffen mit dem eingespannten Rohling verbindet. Die fünf Achsen des Bearbeitungszentrums richten den Pulverstrahl nahezu beliebig zum Bauteil aus und lassen so Kühlkanäle oder Kupferinlays selbst auf gekrümmten Oberflächen entstehen. Der Werkzeugbauer erhält schließlich einen matten Kern. „Die finale äußere Kontur fertigen wir dann hier“, berichtet Starch. Wichtig dafür sind die korrekten Daten. „Unsere Konstrukteure kennen ganz genau die Lage der Kupferfüllung. So erhalten wir filigrane Kerne mit optimaler Wärmeableitung.“ Von den additiven Fertigungsverfahren ist dem Geschäftsführer die MPA-Technologie am liebsten. Der Kern besteht, bis auf den Kupferanteil natürlich, aus demselben Material wie die restliche Form – aus Werkzeugstahl. „Wir haben damit eine Komponente mit denselben Eigenschaften und derselben Lebensdauer wie die Formkavität. Das funktioniert bei anderen additiven Verfahren nicht“, betont der Maschinenbau-Ingenieur aus Schlitz. Dass Kupfer Wärme besser leitet, ist nicht neu: „Früher haben wir einfach ein Loch gebohrt und einen Kupferdraht reingepresst. Besonders flexibel – bezogen auf die Kontur und Form des Kühlbereichs – waren wir damit nicht“, gibt der Formenbauer zu. Ebenso besteht die Gefahr, dass kleine Lufteinschlüsse den Wärmefluss behindern. Vom additiven Fertigungsverfahren der HMG erfuhr er über Gardena. Der Gartengerätehersteller hatte bereits ein Werkzeug mit vakuumgelöteten Formkernen in Betrieb und sah deshalb Optimierungspotenzial.

Mehrkosten, die sich auszahlen

Der mittelhessische Formenbauer ist von der MPA-Technologie überzeugt, denn sie ermöglicht komplexe Formen herzustellen und gleichzeitig eine effiziente Wärmeableitung zu gewährleisten. Seinen Kunden würde er dazu raten, wenn sie die Wirtschaftlichkeit durch eine optimierte Kühlleistung in besonders kleinen Bereichen erhöhen möchten und die Mehrkosten dadurch gerechtfertigt sehen. Auch die Konstrukteure und Techniker bewerten die Technologie positiv, denn sie sei simpel in der Anwendung, und mit der Kombination aus MPA-Technologie und traditioneller Temperiertechnik werden sehr gute Ergebnisse erzielt.

Quelle: Hermle

Fakuma 2023: Halle A1, Stand 1409

 

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