Herr Engleder, wie beurteilen Sie die aktuelle wirtschaftliche Lage der Kunststoffindustrie im globalen Kontext?
Dr. Stefan Engleder: Es ist, glaube ich, kein Geheimnis zu sagen, dass wir uns mittlerweile das zweite Jahr in einer Rezession befinden. Das wirtschaftliche Umfeld ist sehr schwierig und betrifft mittlerweile alle Wirtschaftsregionen und -sektoren. Die aktuelle Lage deutet darauf hin, dass eine Bodensatzbildung stattgefunden hat. Es gibt dafür auch Anzeichen in den Euromap-Zahlen, die im letzten Quartal auf eine leichte Steigerung der Stückzahlen hinweisen. Dennoch sind wir auf einem sehr niedrigen Niveau, und es wird vermutlich noch einige Zeit dauern, bis sich diese positive Entwicklung stabilisiert und eine nachhaltige Erholung einsetzt.
Ihr Geschäftsjahr beginnt im April und ist derzeit zur Hälfte um. Wurden Ihre Erwartungen bisher erfüllt, und wie sieht die Prognose für die zweite Hälfte aus?
Dr. Engleder: Aufgrund der wirtschaftlichen Situation haben wir ein sehr konservatives Budget aufgestellt. Die Prognose war bewusst vorsichtig angesetzt, dementsprechend sind wir nicht weit davon entfernt. Letztes Jahr verzeichneten wir einen Umsatzrückgang von 6 %, und auch für dieses Geschäftsjahr erwarten wir einen Rückgang.
Sie produzieren in Asien, Amerika und Europa. Verläuft die Entwicklung in diesen Regionen ähnlich?
Dr. Engleder: Die Marktentwicklungen sind sehr interessant. Die Stimmung ist in Europa am schlechtesten, vor allem in Deutschland. Dennoch können wir sagen, dass unser Geschäft in Europa besser läuft als erwartet, allerdings auf niedrigem Niveau. In Nordamerika lief es bisher gut, jedoch sehen wir hier erste Wolken am Horizont. In China hingegen, insbesondere im Automobilsektor, spüren wir seit der Chinaplas eine Abkühlung. Überkapazitäten und ein veritabler Preiskampf, vor allem im Automobilbereich, trüben die Stimmung. Chancen sehen wir hingegen in den Bereichen Verpackung und Medizintechnik sowie durch das China-Decou-pling, da viele Kunden von China nach Südostasien expandieren und uns so neue Wachstumsmöglichkeiten eröffnen.
Die zunehmenden Regulierungen in Europa sind bekannt. Wie beeinflussen diese Ihre Innovationskraft und Standortentscheidungen?
Dr. Engleder: Die zahlreichen regulatorischen Anforderungen sind kostenintensiv, da sie Compliance-Anforderungen mit sich bringen. Größere Sorgen bereitet uns jedoch die Unsicherheit, die in Europa vorherrscht und aus unserer Sicht das Haupthemmnis darstellt. Die Kunden wissen oft nicht, welche Regulierungen tatsächlich in Kraft treten werden und wie rasch diese in nationale Gesetze überführt oder womöglich wieder verworfen werden. Das ist meiner Ansicht nach das Gift für unsere Wirtschaftszone hier in Europa. Ein gutes Beispiel dafür ist die Elektromobilität: Erst hieß es, alles wird vollelektrisch, dann kam die Kehrtwende. Diese Unsicherheiten sind toxisch für die Wirtschaft und erschweren Investi-tionen erheblich.
In welchen Branchen sehen Sie derzeit das größte Wachstumspotenzial für Engel?
Dr. Engleder: Der Begriff „wachstumsstark“ ist in diesen Zeiten relativ. Dennoch sehen wir nach wie vor Wachstum im Medical-Bereich sowie konstante Entwicklungen im Verpackungssektor, wenn auch auf niedrigem Niveau. Es bestätigt somit unsere Entscheidung, die divisionale Strategie weiterzuverfolgen. Interessanterweise sehen wir auch im technischen Spritzguss, also im klassisch angestammten Gebiet, vor allem im Merchant Market Potenzial für uns. Im Infrastrukturbereich gibt es Wachstumsmöglichkeiten, vor allem in Märkten wie dem Nahen Osten, Nordafrika und Lateinamerika. In diesen Regionen spielt die Circular Economy eine immer größere Rolle, da zunehmend Recyclingmaterial verwendet wird. Der Automobilsektor bleibt dagegen weiterhin unter Druck.
Sie präsentieren auf der Fakuma in diesem Jahr Ihre Zweitmarke Wintec mit einer Zweiplattenmaschine. Wie wird diese von den Messebesuchern angenommen?
Dr. Engleder: Die Besucher zeigen großes Interesse an Wintec. Sie sind neugierig und sehen es als Statement unsererseits, dass wir die Zweitmarke auf dem europäischen Markt etablieren wollen. Einige überlegen bereits, wie sie die T-Win-Baureihe in ihren Produktionsverbund integrieren können. Wintec bietet eine kostengünstige und effiziente Alternative zu unseren Hauptmarkenmaschinen und spricht gezielt Unternehmen an, die in der aktuellen Situation einfachere und bewährte Lösungen suchen. Mit Wintec stellen wir in Europa eine Marke vor, die genau auf die aktuellen wirtschaftlichen Gegebenheiten zugeschnitten ist. Während Engel für „Tailored-Innovations“ steht, bietet Wintec „Accessible-Solutions“, das heißt bewährte etablierte, maßgeschneiderte Technologien für die jeweilige Branche. Wir bieten simple und clevere Lösungen, die kosteneffizient und zugleich zuverlässig sind. Diese klare Differenzierung wird von unseren Kunden gut aufgenommen.
Chinesische Hersteller investieren zunehmend in eigene Innovationen und sind nicht mehr nur als Nachahmer bekannt. Wie bewerten Sie die Wettbewerbssituation, besonders im Hinblick auf Wintec?
Dr. Engleder: Natürlich sehen wir die Entwicklungen in China, aber Engel bleibt nach wie vor Innovationsführer. Wir werden immer noch gerne kopiert. Viele Produktinnovationen entstehen mittlerweile außerhalb Europas und Deutschlands. Die führende Automobilmesse für neue Fahrzeugkonzepte ist heute nicht mehr die IAA in Frankfurt, sondern die Messe in Shanghai. Das führt dazu, dass sich Produktinnovationen zunehmend von Europa nach Asien verlagern. Engel reagiert darauf, indem wir unseren globalen Footprint stärken und auch vor Ort lokale Entwicklungsteams aufbauen, um den jeweiligen Marktanforderungen weltweit gerecht zu werden. Wir sind dort, wo unsere Kunden sind.
Seit der Vorstellung der holmlosen Spritzgießmaschine auf der K-Messe im Jahr 1989 sind 35 Jahre vergangen. Wird diese Technologie weiterhin angenommen werden?
Dr. Engleder: Ja, die holmlose Maschine ist ein fester Bestandteil von Engel und gehört zu unserer DNA. Besonders die hybride Maschine vereint die Präzision von elektrischen Aggregaten mit dem großen Freiraum für Werkzeuge. Sie bietet auch in der Mehrkomponententechnologie zahlreiche Vorteile, da mehrere Kernzüge angesteuert werden können, die ohnehin hydraulische Antriebe erfordern. Die Holmlos-Technologie ist längst nicht mehr nur auf Europa beschränkt. Die Nachfrage ist in Amerika – insbesondere in Kanada, den USA und Mexiko – ebenso stark wie in Asien, wo unsere Produktionsstätte in Korea auf holmlose und vertikale Maschinen spezialisiert ist. Wichtig ist, dass die Werkzeugausstattung zur Maschine passt. Bei Anwendungen mit großen Werkzeugen und Kernzügen bietet die holmlose Maschine eine sehr flexible Lösung. Kunststoffverarbeiter, die die Vorteile dieser Technologie verstehen, profitieren sowohl von der Effizienz als auch von der Wirtschaftlichkeit.
Wie steht es um die Nachfrage nach Großmaschinen in der aktuellen Rezession?
Dr. Engleder: Etwa 70 bis 80 % unserer Großmaschinen gehen in den Automobilsektor, der momentan stark unter Druck steht. Dennoch sehen wir weiterhin Trends, vor allem bei Anwendungen wie Batteriewannen und Stoßfänger. Diese setzen auf neue Materialkombinationen und stellen spezifische Anforderungen an Großmaschinen. Unser neuer 5.500-Tonnen-Kombiprozess für die Polyurethan-Technologie ist hier ein gutes Beispiel. Die Nachfrage im Infrastrukturbereich, etwa nach Paletten und Kisten, gleicht den Gegenwind aus dem Automobilbereich und dem technischen Spritzguss etwas aus. Sobald die Investitionsbereitschaft wieder steigt, sind wir mit unseren technologischen Entwicklungen gut aufgestellt. Ich blicke daher optimistisch in die Zukunft.
Engel bietet eine Reihe digitaler und KI-gestützter Produkte an. Gibt es Entwicklungen, auf die Sie besonders stolz sind?
Dr. Engleder: Durchaus. Unser IQ-Observer und das dazugehörige IQ-Server-Webinterface sind uns sehr gut gelungen. Warum? Der IQ-Observer ist der erste Schritt zur sich selbstregelnden Spritzgussmaschine. Wir haben viele Jahre Entwicklung investiert, damit die Maschine anhand von 2.000 Parametern erkennt, ob sie innerhalb bestimmter Toleranzgrenzen arbeitet oder nicht. Das heißt, sie meldet dem Kunststoffverarbeiter sofort, wenn etwas nicht passt oder die Toleranzgrenzen überschreitet. Der Weg dorthin war komplex, doch die Bedienung für den Werker ist einfach und bietet mit Farbcodes schnelle Orientierung. Viele Unternehmen verwenden den IQ-Observer mittlerweile als Startseite ihrer Maschinen, um auf einen Blick den Prozessstatus zu sehen. Diese intuitiven Lösungen sind besonders für kleine und mittelständische Unternehmen interessant, da sie ohne aufwendige Schulungen einsatzbereit sind. Ich bin stolz darauf, dass wir diese High-End-KI so einfach und benutzerfreundlich gestalten konnten.
Viele Unternehmen zögern noch, KI-Lösungen zu integrieren, vor allem kleinere und mittelständische Betriebe. Wie unterstützen Sie diese?
Dr. Engleder: Es ist wichtig, Digitalisierung erlebbar zu machen. Wir haben von Anfang an darauf geachtet, dass alle unsere Lösungen nicht nur zuverlässig funktionieren, sondern auch einfach zu bedienen sind. Die Kunststoffindustrie ist recht konservativ, weshalb es einige Zeit gedauert hat, bis unsere Assistenzsysteme angenommen wurden. Seit der letzten K-Messe wächst jedoch das Interesse an unseren IQ-Produkten stetig, ebenso wie an unseren Temperierlösungen, die signifikante Energieeinsparungen ermöglichen. Die größte Herausforderung ist derzeit noch die Integration von Portallösungen, da diese tief in die Produktionsprozesse eingreifen. Hier wollen wir mit dem Shopfloor-Manager die Akzeptanz weiter fördern. Der Anteil der digitalen Tools nimmt von Jahr zu Jahr zu.
Was sind die langfristigen strategischen Ziele von Engel, um in einem wettbewerbsorientierten Markt zu bestehen?
Dr. Engleder: Wir machen das, was wir bereits die letzten Jahre getan haben und verstärken es noch. Unsere Strategie konzentriert sich auf globale Dezentralisierung und die Stärkung unserer Innovationsführerschaft. Wir betreiben Produktionsstätten weltweit, um lokal kosteneffizient und nah an unseren Kunden zu produzieren. Vor kurzem haben wir in Mexiko ein neues Werk eröffnet, in dem die ersten zehn E-mac-Maschinen bereits vom Band gerollt und verkauft sind. Wir setzen auf Innovation und arbeiten kontinuierlich daran, die Total Cost of Ownership für unsere Kunden zu minimieren. Gemäß unserem Slogan „Be the first“ möchten wir Kunststoffverarbeitern helfen, der Erste am Markt zu sein und sich zu differenzieren. Spezialisierte Produk-tionszellen, automatisierte Lösungen und Digitalisierung aus unserem Haus tragen dazu bei, diesen Mehrwert zu generieren.
Quelle: Engel Austria