Es sind zwei große schwarze Spritzgießteile, die Alexandre Ramos, Director von Mueller/Tecnoplast, beim Werksrundgang in São Paulo City präsentierte. Das größere der beiden lief soeben vom Austaktband einer Macropower 650-Spritzgießmaschine von Wittmann. Es handelt sich um eine Handschuhfachbox und den dazugehörigen Deckel, die die Division Mueller für das Toyota-Werk im nur 100 km entfernten Sorocaba produziert.
Die beiden Teile sind typisch für das Produktspek-trum. Fast ausschließlich werden bei Mueller/Tecnoplast Bauteile für die Automobilindustrie produziert. Darunter viele große Komponenten wie die Handschuhfächer oder beispielsweise auch Stoßfänger und Kotflügel.
Das Spritzgießen der Handschuhfachboxen und -deckel stellt enorm hohe Anforderungen an die Präzision und Oberflächengüte, wie Ramos erklärt: „Die beiden Bauteile werden mittels Vibrationsschweißen miteinander verbunden. Um eine gute Schweißnaht zu erhalten, müssen sie geometrisch perfekt zusammenpassen.“ Gut meint hier nicht nur, dass die Schweißnaht sauber aussieht, sondern vor allem, dass sie dauerhaft hält, auch wenn das Fahrzeug auf unebenen Straßen Vibrationen ausgesetzt ist.
So entstehen reproduzierbare Oberflächen
Mit sehr präzisen servohydraulischen Bewegungen und hoher Einspritzkonstanz sichert die Macropower 650 in Kombination mit Flowcon plus, dem intelligenten Durchflussregler von Wittmann, die Qualität der Bauteile. Er überwacht sämtliche Kühlkreise und erkennt Störgrößen wie zugesetzte Kühlkanäle oder Durchflussschwankungen. Über Proportionalventile gleicht das System diese Unregelmäßigkeiten im laufenden Produktionsprozess automatisch und zehntelgenau aus. Auf diese Weise wird die Temperatur gleichmäßig im Werkzeug verteilt. Das Ergebnis ist eine sehr hohe Qualitätskonstanz. „Manuell wäre diese Aufgabe nicht zu bewältigen, denn nur selten machen sich Änderungen der Temperierbedingungen unmittelbar bemerkbar“, verdeutlicht Marcos Cardenal von Wittmann Battenfeld do Brasil. „Mit der intelligenten Assistenz kann Mueller/Tecnoplast eingreifen, bevor Ausschuss produziert wird und spart so Rohmaterial und Energie ein.“
Die hohe Reproduzierbarkeit der Oberflächen ist deshalb so wichtig, weil es sich um Sichtbauteile handelt, die exakt zu den Instrumententafeln passen müssen, die nicht im selben Haus produziert werden. „Bei Farbe und Glanz haben wir keinerlei Spielraum“, so Ramos.
Sechs Jahre sind es her, dass Mueller von Toyota einen ersten Auftrag für die Produktion von Handschuhfächern erhielt. Inzwischen ist der Verarbeiter bei dieser Innenraumkomponente der Alleinlieferant für alle in Brasilien produzierten Toyota-Modelle. „Wir hatten in all den Jahren nie Qualitätsthemen“, sagt Ramos. „Die Handschuhfächer sind wirklich eine Erfolgsgeschichte.“ Eine von vielen, denn die Unternehmensgeschichte von Mueller/Tecnoplast ist eng mit der Entwicklung der Automobilindustrie in Brasilien verknüpft.
Pionier im Kunststoffspritzgießen
„Mueller und Tecnoplast sind in Brasilien Pioniere im Kunststoffspritzgießen. In den frühen 1950er-Jahren waren die Unternehmen die ersten, die die zu dieser Zeit im Land stark aufstrebende Automobilindustrie mit Kunststoffteilen belieferte“, berichtet Alexandre Ramos, der die Unternehmensgeschichte selbst bereits seit 25 Jahren mitgestaltet. Lange Zeit als Verkaufs- und Einkaufsleiter, bevor er 2018 von den Eigentümern zum Director der heutigen Unternehmensgruppe berufen wurde.
1937 von Dr. Fritz Jacob, einem deutschen Auswanderer, gegründet, machte sich das Unternehmen zunächst mit Haushaltswaren, die zu dieser Zeit vor allem aus metallischen Werkstoffen produziert wurden, einen Namen. In der Mitte des 20. Jahrhunderts erweiterten die neuen polymeren Materialien die Möglichkeiten und das Produktportfolio und veränderten den Branchenfokus. Mit unter anderem Ford, Volkswagen, Scania Latin America und Toyota besteht eine jahrzehntelange Zusammenarbeit.
Automotive Lighting eröffnet neue Perspektiven
Ein noch junger Geschäftsbereich des Automobilzulieferers ist Automotive Lighting, der durch das verstärkte Engagement japanischer Automobilhersteller in Südamerika gute Wachstumsprognosen hat. Seit ein paar Jahren sorgen die Japaner für viel Bewegung im Markt. Es kommen neue Anforderungen, aber auch weitere Zulieferer ins Land. Auch wenn der Wettbewerb zunimmt, sieht Alexandre Ramos darin eine gute Entwicklung. „Ich habe nicht vor, hier der Einzige zu sein, sondern ich möchte Teil einer starken Produktionskette sein. Als Director trage ich schließlich nicht nur für die Firma und unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Verantwortung. Mir ist es sehr wichtig, auch einen Beitrag zu leisten, unser Land und unsere Gesellschaft weiterzuentwickeln.“
Scheinwerfer, Rückleuchten, Reflektoren, Linsen und Lichtleiter werden immer seltener importiert, sondern vor Ort produziert. Tecnoplast hat mit diesen Produkten ein weiteres Standbein für die Unternehmensgruppe aufgebaut. Verarbeitet werden sowohl Polycarbonat als auch PMMA. „Wir brauchen hierfür die beste Spritzgießtechnik“, sagt Ramos.
So wird materialschonend plastifiziert
Mit dem neuen Geschäftsfeld kamen erste Smartpower-Spritzgießmaschinen, ebenfalls aus dem Hause Wittmann, in den Maschinenpark. Daneben kommen aber auch hier die im Haus lange bewährten Macropower-Maschinen zum Einsatz. Licht ist bei Fahrzeugen inzwischen ein Designelement. Zum Teil werden sehr lange Lichtleiter benötigt – ein Trend, der die Spritzgießwerkzeuge größer werden lässt.
Um höchste optische Qualität mit Verarbeitungseffizienz zu kombinieren, stattete der Spritzgießmaschinenbauer die für die Business Unit Lighting bestimmten Smartpower- und Macropower-Maschinen mit gezielt für dieses Anwendungssegment entwickelten Niederkompressionsschnecken vom Typ Optimelt aus. „Optimelt-Schnecken stellen beim Plastifizieren eine sehr gute Materialschonung sicher“, sagt Cássio Luis Saltori, Geschäftsführer von Wittmann Battenfeld do Brasil. „Selbst bei kurzen Produktionsunterbrechungen kann ohne Anfahrausschuss weiter produziert werden.“
Die Lichtelemente sind zwischenzeitlich Designelemente am Fahrzeug.
Auf dem Weg zur CO2-Neutralität
Insgesamt 54 Spritzgießmaschinen stehen im Werk von Plásticos Mueller und Tecnoplast in São Paulo. Die Mehrzahl kommt von Wittmann beziehungsweise Wittmann Battenfeld, wie die Spritzgießmaschinensparte der Wittmann Gruppe bis vor kurzem hieß. Als Gesamtlösungsanbieter zeichnet sich das österreichische Unternehmen von Spritzgießmaschinen über die Automatisierung und Peripherie für die Granulatversorgung bis hin zu Mühlen zum Inline-Vermahlen und Recyceln von Angüssen verantwortlich. „Wittmann ist für uns ein wichtiger Baustein für unsere hohe Wettbewerbsfähigkeit“, betont Alexandre Ramos. Und dabei geht es nicht nur um Qualität, sondern auch um Effizienz, wozu verschiedene Faktoren beitragen.
Zum einen geht es um die hohe Flächenproduktivität, die die Macropower-Maschinen ermöglichen. Verglichen mit Großmaschinen anderer Marken benötigen die Zweiplattenmaschinen des Herstellers bei großzügig dimensionierten Werkzeugaufspannplatten nur wenig Stellfläche. „Es passen mehr Maschinen in die Halle“, bringt es Ramos auf den Punkt. „Wir sind hier nicht in einem Industriegebiet, sondern mitten in der Stadt, wo die Flächen teuer sind. Kompakte Maschinen und Produktionszellen bedeuten für uns, dass wir eine ganze Weile wachsen können, ohne das Gebäude erweitern zu müssen.“
Zum anderen spielt die Nachhaltigkeit eine immer größere Rolle, die sich über die Material- und Energieeffizienz verbessern lässt. Material- und Energieverbräuche werden in São Paulo systematisch erfasst, analysiert und optimiert. Hierfür liefern die Maschinen bereits heute viele wertvolle Daten. „Wir sehen, dass die Wittmann-Maschinen im Vergleich zu den anderen Maschinen im Werk sehr wenig Energie verbrauchen“, sagt Ramos. Um für die Zukunft noch spezifischere Daten zu erhalten und diese leichter auswerten zu können, ist die Unternehmensgruppe dabei, Softwarelösungen von Wittmann Digital, darunter das MES Temi+, zu installieren.
Die Automobilindustrie treibt ihre Zulieferer mit hohem Tempo in Richtung CO2-Neutralität. Mit Toyota zum Beispiel hat Mueller ein entsprechendes Commitment unterzeichnet. Die Einzelmaßnahmen gehen über die Spritzgießproduktion hinaus. So werden unter anderem die Transportverpackungen für sowohl Bauteile als auch Rohmaterialien immer weiter minimiert und wo immer möglich wiederverwendet.
Immer schnell vor Ort
„Die Wittmann-Maschinen machen es unseren Technikern sehr einfach“, erzählt Alexandre Ramos und spricht damit nicht nur die robuste Maschinenkonstruktion mit cleveren Features für eine leichte Wartung und Instandhaltung an. Vielmehr geht es dem Manager um die technische Unterstützung, die die Unternehmen vor Ort in São Paulo erhalten. Der Sitz des Maschinenbauers in Brasilien ist nur eine Autostunde vom Mueller/Tecnoplast-Werk entfernt.
Es ist eine langjährige und sehr enge Partnerschaft, die die Unternehmen Mueller, Tecnoplast und Wittmann verbindet – und sie reicht über die Grenzen Brasiliens hinaus, wie Ramos betont: „So herzlich, wie mich Marcos Cardenal und Cássio Saltori hier in Brasilien willkommen heißen, macht es Michael Wittmann, wenn ich in Österreich bin. Wir haben enge Kontakte zum Stammsitz, auch in die Technik. Man kennt unsere Projekte und Themen, und ich weiß, dass das Management in Österreich fest hinter seinem Team in Brasilien steht. Das gibt mir ein sehr gutes, sicheres Gefühl.“
Damit die eigenen Produktionsmitarbeiter das volle Potenzial der österreichischen Technologien auch ausschöpfen können, schickt Alexandre Ramos sie regel-mäßig zu Trainings. Zum einen ins Trainingszentrum in der nur unweit entfernten Niederlassung, aber auch nach Kottingbrunn in Österreich.
Quelle: Wittmann