Eine Hand mit einem blauen Armband arbeitet an einem Elektronikteil. ESD-Schutz: Über das Armband sind die Montagemitarbeiter geerdet.

ESD-Schutz: Über das Armband sind die Montagemitarbeiter geerdet. (Bild: Pharmasens und Kunststoff Helmbrechts)

Geöffnetes Gehäuse der Insulin-Patch-Pumpe. Kunststoff Helmbrechts verbaut insgesamt zwölf Komponenten im Gehäuse der Insulin-Patch-Pumpe.
Kunststoff Helmbrechts verbaut insgesamt zwölf Komponenten im Gehäuse der Insulin-Patch-Pumpe. (Bild: Pharmasens und Kunststoff Helmbrechts)

Bislang waren Insulinpumpen meist groß wie Smartphones und wurden über einen dünnen Schlauch mit dem Körper des Patienten verbunden oder es handelte sich um sogenannte Patch-Pumpen, die man auf die Haut klebt, über eine Fernbedienung steuert und nach maximal drei Tagen entsorgt. Die Patch-Pumpe „Niia Essential“ von Pharmasens geht neue Wege, indem sie alle Funktionalitäten vereint: Das Gehäuse mit rund 45 mm Durchmesser und 18 mm Höhe enthält sowohl Pumpe als auch Bedienelemente. Nur das Element mit dem drei Milliliter fassenden Insulinreservoir und der Infusionsnadel befinden sich in einem Einwegbauteil, das nach Gebrauch entsorgt werden muss. Serge Hügli, verantwortlich für Industrialisierung und Fertigung bei Pharmasens, erklärt die Grundidee hinter diesem Design: „Durch die Verriegelung beider Komponenten entsteht eine wasserdichte Einheit, die es den Patienten ermöglicht, problemlos Sport zu treiben und zu duschen.“

Was das IML-Verfahren ermöglicht

Die Entwicklung der Niia-Pumpe war nur mit modernen Verfahren der Kunststoffverarbeitung möglich: Foliendekoration per In-Mould-Labelling (IML), gezielte Lichtführung, 2K-Spritzgießen mit Hart-Weich-Verbindung. Das Team von KH übertrug dafür seine Oberflächentechnologien in die Medizintechnik. Hinzu kommt eine anspruchsvolle Montage von 13 Einzelkomponenten. Die größte Herausforderung bei der Umsetzung des Gehäusekörpers bildete das Austarieren von Transluzenz und Blickdichte. Aus dem Autoinnenraum kennt man das sogenannte Black-Panel, einen „Verschwindeeffekt“, bei dem Symbole auf Tasten oder Schaltern nur erscheinen, wenn diese gedrückt beziehungsweise aktiviert werden. Ähnliches war auch für die neue Pumpe geplant, allerdings in etwas abgeschwächter Form. Die Symbole für Warnung, Bluetoothverbindung und Batteriestand lassen sich im ausgeschalteten Zustand erahnen, fallen aber nicht auf. Während der Benutzung sind sie farbig hinterleuchtet. Im IML-Verfahren wird dafür eine Folie im Siebdruck dekoriert, gemäß der Teilegeometrie geformt und ausgestanzt, ins Werkzeug eingelegt und hinterspritzt. Sie bildet die Oberfläche des Bauteils und ist untrennbar damit verbunden. Bei der Niia-Pumpe sitzt die 250 µm starke PC-Blend-Folie an der Oberseite und ist in sechs Schichten bedruckt. KH-Folienexperte Nikolai Müller erläutert: „Zunächst drucken wir zweimal mit einer leicht getönten Transluzenz, danach zweimal schwarz zeichnend und deckend. Es folgt in Silber der Niia-Schriftzug sowie abschließend ein matter Kratzschutzlack, der das Produkt gleichzeitig unempfindlich gegen Chemikalien macht.“ Als heikel erwies sich die Standgenauigkeit – schließlich werden die Symbole auf eine flache Folie gedruckt, die man im Anschluss dreidimensional formt. Besonders ein Leuchtring in der Mitte des Gehäuses benötigte etwas Tüftelei, denn hier würde man jede seitliche Verschiebung sofort sehen.

Fast unsichtbar: Der Verschwindeeffekt wurde leicht abgeschwächt, um die intuitive Bedienung zu erleichtern. Rechts der bedruckte und geformte Folienrohling.
Fast unsichtbar: Der Verschwindeeffekt wurde leicht abgeschwächt, um die intuitive Bedienung zu erleichtern. Rechts der bedruckte und geformte Folienrohling. (Bild: Pharmasens und Kunststoff Helmbrechts)

Welches Material eignet sich für das Hinterspritzen?

Dem Folienrohling folgt das Hinterspritzen, und damit die Durchleuchtung gelingt, benötigt man einen transluzenten Kunststoff. Ist in einem Bauteil genug Platz, kann man die Bereiche, die hinterleuchtet werden sollen, mit einer Lichtabschottung umgeben, damit es nicht zu störendem Streulicht kommt. Dies war bei der Insulin-Patch-Pumpe aufgrund der räumlichen Enge nicht möglich. Für den Gehäusekörper musste deshalb ein Material gefunden werden, das den Lichtschein hinter den Symbolen passieren lässt, aber insgesamt blickdicht genug ist, um Streulicht an der Bauteilaußenseite zu verhindern. Dafür wählte das Entwicklungsteam passend zur Folie ein Polycarbonat (PC), das mit einem Masterbatch so eingefärbt wird, dass es scheinbar opak weiß ist. Die weichen Bedienbereiche am Gehäuse – für zwei Tasten außen und einer Taste in der Mitte – bestehen aus einem thermoplastischen Elastomer (TPE) in Standard-Schwarz. „Wir nutzen für die Herstellung ein Indexwellenwerkzeug mit zwei Anspritzpunkten, wobei erst die Hartkomponente gespritzt wird, der das TPE folgt. Die drei Weichbereiche sind über einen dünnen Steg miteinander verbunden. Die Zykluszeit beträgt rund eine Minute“, sagt KH-Key-Account-Managerin Sarah Gottschalk.

Damit im hinterleuchteten Zustand alles stimmt, braucht es präzise Drucktechnik. Der weiße Gehäusekörper schirmt das Licht ab.
Damit im hinterleuchteten Zustand alles stimmt, braucht es präzise Drucktechnik. Der weiße Gehäusekörper schirmt das Licht ab. (Bild: Pharmasens und Kunststoff Helmbrechts)

Wie elektronische und mechanische Bauteile zusammenfinden

Das wiederverwendbare Pumpen-Gehäuse (oben) plus der Einweg-Patch mit Insulinreservoir und Infusionsnadel (unten) ergeben zusammen die Insulin-Patch-Pumpe.
Das wiederverwendbare Pumpen-Gehäuse (oben) plus der Einweg-Patch mit Insulinreservoir und Infusionsnadel (unten) ergeben zusammen die Insulin-Patch-Pumpe. (Bild: Pharmasens und Kunststoff Helmbrechts)

Ist das Gehäuse fertig, steht die Montage der elektronischen und mechanischen Komponenten auf dem Programm. Diese vollzieht sich bei KH in einem partikelreduzierten Grauraum mit ESD-Schutz (Electro-Static Discharge), aufgrund der Nutzungsweise ist der strengere Reinraum für die Pumpe nicht nötig. Zunächst wird der kleine Elektromotor mit einer Schneckenwelle verbunden und mit einer Schutzfolie versehen. Dann gelangt er in eine vielgliedrige, mit Zahnrädern ausgestattete Antriebseinheit, die später für die Dosierbewegung zuständig sein wird. Ein Füllstandssensor (mit Schutzfolie und Label) wird ebenfalls dort angebracht. Er ist mit einer Platine verbunden, die letztlich die Funktionalität steuert und die auch Platz in der Antriebseinheit findet. Zuletzt erfolgt die elektrische Konnektierung: Der Motoranschluss wird durch eine Öffnung in der Platine geführt und mit ihr verbunden. Die Kupferlitzen der Motorwicklung werden verlötet und eine Zugentlastung per UV-härtender Klebepunkte aufgebracht. Auch die unter dem sich Komponenten nur in einer bestimmten Position befestigen lassen. Hinzu kommt eine mehrstufige End-of-Line-Prüfung an 100 Prozent der Bauteile. Blickt man von unten in das Gehäuse, sieht man aktuell das auf den Füllstandssensor geklebte Label „Not for human use“. Bislang handelt es sich bei allen montierten Pumpen um Freigabemuster, die für die im medizinischen Bereich nötigen Zertifizierungen verwendet werden. Pharmasens zielt als Erstes auf den nord- und südamerikanischen Markt mit seinem rasanten Wachstum an Diabeteserkrankungen und hat deshalb die Zulassung bei der FDA (Food and Drug Administration) der USA beantragt. Der europäische Raum soll folgen. Nach der Markteinführung wird der Patient ein Starterset des Systems „Niia Essential“ kaufen können. Es enthält das dauerhaft zu nutzende (bei KH montierte und verpackte) Pumpengehäuse, eine Insulin-Umfüllhilfe sowie weitere Accessoires. Zusätzlich nötig und in Mehrfachpackungen verfügbar werden die einmal verwendbaren Patches mit Insulinreservoir und Infusionsnadel sein. Für Hügli ist das der erste Schritt zu einem großen Ziel: „Wir wollen eine moderne und flexible Diabetestherapie für eine größere Anzahl von Menschen zugänglich zu machen, als das bisher der Fall war.“

Quelle: Kunststoff Helmbrechts, Pharmasens

 

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