Optische Erfassung der Oberflächenrauigkeit von Vorstreckstempeln.

Optische Erfassung der Oberflächenrauigkeit von Vorstreckstempeln zur Bestimmung von Ra und Rz mittels Laser-Scanning-Mikroskopie (LSM). (Bild: IKV)

Je nach Produkt bestimmt das eingesetzte Halbzeugmaterial beim Thermoformen bis zu 90 % der Herstellungskosten [HM17a, Mos13]. Durch eine einheitliche Wanddickenverteilung kann Material eingespart und die Bauteileigenschaften verbessert werden. Dazu werden insbesondere Vorstreckstempel eingesetzt [HM17b, Mar18], welche der eigentlichen Ausformung durch Druckluft oder Vakuum vorgeschaltet sind und das Material gezielt in stärker verstreckte Bereiche verbringen [IS16]. Bekannt ist, dass sowohl die Geometrie, der Verstreckweg als auch die Temperatur des Stempels die Stempel-Halbzeuginteraktion und damit die Wanddickenverteilung beeinflussen. Ein bislang unerforschter Einflussfaktor ist die Reibung zwischen Vorstreckstempel und Halbzeug. Es ist plausibel, dass das Halbzeugmaterial in der Kontaktzone zum Stempel bei sinkender Oberflächenrauigkeit des Stempels verstärkt in frei verstreckbare Bereiche abgleiten kann (Bild 1, links). Eine experimentelle Bestimmung der Reibungskoeffizienten der Materialpaarung ist aufgrund der zahlreichen Einflussfaktoren, wie zum Beispiel der Gleitgeschwindigkeit, der Kontaktpressung, der Oberflächenhärte der Materialien zeitaufwendig und meist ungenau. Bild 1 fasst die Stempel-Halbzeug-Interaktion sowie die Einflussfaktoren auf die Wanddickenverteilung zusammen.

Schematische Darstellung der Stempel-Halbzeug-Interaktion (rechts). Links: Aufzählung von 8 Einflussfaktoren auf grünem Untergrund.
Bild 1: Schematische Stempel-Halbzeug-Interaktion (links) und Einflussfaktoren auf die Wanddickenverteilung eines Formteils im Thermoformverfahren mit Stempelverstreckung (rechts). (Bild: IKV)

Vorstreckstempel mit definierter Oberflächenrauigkeit

Zur Untersuchung des Einflusses der Stempeloberflächenrauigkeit auf die resultierende Wanddickenverteilung werden je sieben Vorstreckstempel zwei unterschiedlicher Geometrien (8°R9, 4°R3) aus Hytac-W, einem syntaktischen Schaum der Firma CMT Europe BV, Kaatsheuvel, Niederlande, spanend im Drehverfahren mit unterschiedlichen Vorschüben (0,01 mm/s bis 0,7 mm/s) hergestellt und teilweise nachbearbeitet (sand- und glasperlengestrahlt, poliert). In Abhängigkeit der Fertigungsparameter ergeben sich somit Stempel unterschiedlicher Oberflächenrauigkeit. Bild 2 zeigt die verwendeten Stempel- und Werkzeuggeometrien.

Graue Zeichnung mit Maßen vom verwendetet Werkzeug und der Stempelgeometrien.
Bild 2: Verwendete Werkzeug- und Stempelgeometrien sowie Messbereiche der Stempeloberflächenrauigkeiten. (Bild: IKV)

Um die Stempeloberflächenrauheit zu quantifizieren, werden die Rauigkeiten an der Stempeloberseite, die zuerst das Halbzeug berührt, am Kantenradius zum Übergang in die Wandschräge und an der Wandschräge selbst gemessen. Für die Ermittlung der Oberflächenkenngrößen Ra und Rz kommt vergleichend als optisches Messverfahren ein konfokales 3D-Laserscanning-Mikroskop des Typs VK-X200, der Keyence Deutschland GmbH, Neu-Isenburg, und als taktiles Messverfahren ein Linienmessgerät vom Typ MarSurf M 310 der Mahr GmbH, Göttingen, zum Einsatz. Bild 3 visualisiert exemplarisch die Oberflächenrauigkeit (Rz) der 8°R9-Stempel in Abhängigkeit der Bearbeitungsmethode unter Nutzung beider Messverfahren. Es ist festzustellen, dass die Oberflächenrauigkeit tendenziell mit feiner werdender Bearbeitungsmethode abnimmt. Weiterhin weisen die Stempelbereiche signifikante Rauigkeitsunterschiede auf, was auf unterschiedliche Umfangsgeschwindigkeiten des Drehmeißels aufgrund differierender Umfänge der Stempel zurückzuführen ist.

Balkendiagramm mit grünen und grauen vertikalen Balken.
Bild 3: Oberflächenrauigkeit (Rz) in Abhängigkeit des Messverfahrens, der Messbereiche und des Fertigungsverfahrens (8°R9-Stempel). (Bild: IKV)

Wie beeinflusst die Stempeloberflächenrauigkeit die Wanddickenverteilung?

Zur Ermittlung des Einflusses der Stempeloberflächenrauigkeit auf die resultierende Wanddickenverteilung werden Versuche auf einer Labor-Einstationenformanlage mit ausgelagerter Heizstation vom Typ KD 20/25 von Kiefel, Freilassing, durchgeführt. Als Halbzeugmaterial wird eine 0,8 mm dicke PS-Folie von W.u.H. Fernholz, Meinerzhagen, eingesetzt. Die PS-Folie besteht aus 67 % High-Impact-PS (HI-PS), 30 % General-Purpose-PS (GP-PS) sowie 3 % Masterbatch (weiß) und findet hauptsächlich bei handelsüblichen Verpackungsprodukten wie Joghurtbechern Anwendung. Die Versuche werden mit konstanten Standardeinstellungen durchgeführt (Vergleich Tabelle 1), um den Einfluss der Oberflächengüte auf die Wanddickenverteilung ermitteln zu können.

Tabelle mit 3 Spalten und 7 Zeilen.
Tabelle 1: Konstante Prozesseinstellungen bei der praktischen und
simulativen Versuchsdurchführung. (Bild: IKV)

Neben den beiden Stempelgeometrien und deren Oberflächenrauigkeiten ebenfalls die mittlere Halbzeugtemperatur variiert (110 °C, 120 °C, 130 °C), um Wechselwirkungen zwischen der Halbzeugtemperatur und der Stempeloberflächenrauigkeit identifizieren zu können. Pro Stempel und Temperatur werden insgesamt fünf Becher geformt, welche im Anschluss auf die Wanddickenverteilung untersucht werden. Die Messung der Wanddickenverteilung erfolgt mit einem Dickenmessgerät des Typs Magna Mike 8600 von Olympus Europa, Hamburg, an 14 Messpunkten (Vergleich Bild 4, rechts). Im Übergangsbereich vom Boden des Bechers zu seiner Wandschräge (Messpositionen 6 und 7) ist die Verstreckung charakteristisch hoch und die Wanddicke damit gering. Die Dünnstelle wird somit als kritischer Bereich des Bechers angesehen. Bild 4, links, zeigt exemplarisch die Wanddickenverteilung bei einer Halbzeugtemperatur von 110 °C unter Einsatz des 8°R9-Stempels.

Diagramm mit mehreren Kurven.
Bild 4: Messpositionen (rechts) und resultierende Wanddickenverteilung der 8°R9 Vorstreckstempel bei verschiedenen Herstellungsmethoden (THalbzeug = 110 °C, 8°R9-Stempel). (Bild: IKV)

Auffällig ist, dass der Vorstreckstempel, welcher mit einem vergleichsweise hohen Vorschub von 0,7 mm/U den dicksten Bodenbereich mit einer Dicke von ca. 0,5 mm erzeugt. Im Gegensatz dazu ist nach der Verwendung des polierten Vorstreckstempels die dünnste Materialdicke im Bereich des Bodens zu finden. Aufgrund der erhöhten Oberflächenrauigkeit gleitet die Folie nur schwer über den Boden und den Kantenradius des Stempels ab. Es steht weniger Material für die freie Dehnung zur Verfügung, was eine Ausdünnung des Materials im Übergangsbereich des Bechers zur Folge hat. Es kann beobachtet werden, dass das Abgleiten umso leichter möglich ist, je glatter die Oberfläche ist. Eine veränderte Wanddickenverteilung durch einen Verschleiß der Stempeloberfläche kann in einem Langzeittest mit mehr als 300 Umformungen nicht nachgewiesen werden.

Simulativ angenommene Reibkoeffizienten

Die Stempelhalbzeuginteraktion wird simulativ durch den Reibungskoeffizienten µ bestimmt. Ziel der simulativen Untersuchungen ist es, einen Zusammenhang zwischen den gemessenen Oberflächenrauigkeiten Ra beziehungsweise Rz und den simulativen Reibungskoeffizienten µ bei einer minimalen Abweichung zwischen der realen und simulativen Wanddickenverteilung herzustellen. Dazu wird ein Simulationsmodell (Vergleich Bild 5, links) gemäß des realen Vergleichsprozesses in der in der Software Abaqus der Firma Simulia, Johnston, USA, implementiert. Jedem der drei Stempelbereiche (Oberseite, Radius, Wandschräge) wird ein Reibkoeffizient zugewiesen und neben der Halbzeugtemperatur gemäß eines vollfaktoriellen Versuchsplans zwischen 0 und 10 variiert. Bild 5, rechts, zeigt exemplarisch den Zusammenhang der gemessenen Oberflächenrauigkeiten (Rz) am Stempelkantenradius und der mittleren Abweichung der Wanddickenverteilung zwischen Simulation und Experiment. Es lässt sich feststellen, dass bei konstanter Simulationsgenauigkeit kein linearer Zusammenhang zwischen der Oberflächenrauigkeit Rz, Kantenradius und dem Reibkoeffizienten µKantenradius besteht. So kann beispielsweise für eine Rauigkeit von Rz, Kantenradius = 50 µm ein Reibkoeffizient von 4 oder 10 bei gleicher Simulationsgüte angenommen werden. Bei einem höheren Reibkoeffizienten verbleibt das Material verstärkt am Becherboden, da es nicht über die Stempelkante in die frei verstreckbaren Bereiche abgleiten kann. Umgekehrt verhält es sich bei einem geringeren Reibkoeffizienten. Entsprechend ändert sich zwar die Wanddickenverteilung im Formteil, jedoch nicht die mittlere Abweichung entlang des Gesamtmesspfades. Die gesuchte Korrelation zwischen Rz und µ ist eine komplexe Funktion, weshalb weitere Forschung zur eindeutigen Beschreibung der Zusammenhänge notwendig ist.

Simulationsmodell in Regenbogenfarben.
Bild 5: Simulationsmodell in Abaqus (links) und Korrelation der Oberflächenrauigkeit Rz, Kantenradius mit dem simulativen Reibkoeffizienten am µKantenradius Kantenradius in Abhängigkeit der Simulationsgenauigkeit (rechts) (THalbzeug = 110 °C, 8°R9-Stempel). (Bild: IKV)

Fazit

Aufgrund der komplexen Stempel-Halbzeuginteraktion beruht die Stempelauslegung meist auf Erfahrungswissen, gefolgt von kostenaufwendigen Iterationsschleifen. Ein bislang nicht wissenschaftlich untersuchter Einflussfaktor auf die Wanddickenverteilung ist die Oberflächenrauigkeit der Vorstreckstempel. Experimentelle Untersuchungen belegen ihren signifikanten Einfluss. Es kann gezeigt werden, dass eine geringere Rauigkeit zu einem Abgleiten des Halbzeugmaterials in frei verstreckbare Bereiche des Formteils führt. Durch eine Korrelation der gemessenen Rauigkeiten mit in Abaqus anzusetzenden Reibkoeffizienten in den verschiedenen Stempelbereichen steht dem Verarbeiter ein umfassendes Tabellenwerk zur Konfiguration der Simulation und damit zur Verkürzung der Auslegungsdauer zur Verfügung.

Dank

Das IGF-Forschungsvorhaben 21300 N der Forschungsvereinigung Kunststoffverarbeitung wird über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung und -entwicklung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Allen Institutionen gilt unser Dank.

Literatur

[HM17a] HOPMANN, CH.; MICHAELI, W.: Einführung in die Kunststoffverarbeitung. München: Hanser Verlag, 2017, ISBN: 978-3-446-45355-5

[HM17b] HOPMANN, CH.; MARTENS, J.: Thermoformen mit Temperaturprofilierung. Steigerung der Materialeffizienz bei transparenten Formteilen. Plastverarbeiter 68 (2017)

[IS16] ILLIG, A.; SCHWARZMANN, P.: Thermoformen in der Praxis. München: Hanser Verlag, 2016, ISBN: 978-3-446-44403

[Mar18] MARTENS, J.: Profilierung der Halbzeugtemperatur zur Steigerung der Materialeffizienz beim Thermoformen. RWTH Aachen, Dissertation, 2018, ISBN: 978-3-95886-238-8

[Mos13] MOSER, A.: Nutzung von Prozesswissen beim Thermoformen von Verpackungen. Universität Duisburg-Essen, Dissertation, 2013

Quelle: IKV

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