Durchsichtige PET-Flasche mit Wasser aus der viele Wassertropfen in die Luft sprudeln.

Ausgediente PET-Flaschen landen viel zu oft noch in der Umwelt. Warum sie nicht für automobile Komponenten verwenden? (Bild: Vitte Yevhen - stock.adobe.com)

Textile hellblaue Radlaufschale aus Ocean Plastic.
Bild 1: Textile Radlaufschale aus Ocean Plastic: hier zu Demonstrationszwecken aus blauen Fasern gefertigt. (Bild: Borgers)

Die Transformation des Automobilbaus ist in vollem Gange. Die wachsende Nachfrage nach elektrifizierten Automobilen und innovativen Mobilitätskonzepten zeigt: Nachhaltigkeit ist und wird immer wichtiger. Vor dem Hintergrund knapper werdender natürlicher Ressourcen gewinnen nachhaltige Wertschöpfungsketten für die Automobilindustrie an Bedeutung. Im Fokus stehen hier insbesondere Themen wie das Wiederverwenden und das Recycling von Ressourcen. An einer kreislauforientierten Produktentwicklung kommen deshalb auch Automobilhersteller und Zulieferbetriebe nicht mehr vorbei.

Schwarzes Bauteil aus Propylat.
Bild 2: Bauteile aus Propylat sind vielseitig im Innen- und Außenbereich einsetzbar. (Bild: Borgers)

Ein Unternehmen, das im automobilen Umfeld mit seinen kreislauforientierten Produkten aufmerksam macht, ist Borgers. Nachhaltigkeit war für den im nordrhein-westfälischen Bocholt beheimateten Automobilzulieferer bereits seit seiner Gründung 1866 Teil des Geschäfts. Man könnte auch sagen, das Unternehmen war bereits damals eines der ersten Recyclingunternehmen überhaupt, beschäftigte sich der Firmengründer Johann Borgers doch mit dem Wiederverwerten gebrauchter Textilien. Aus daraus gewonnen Reißfasern wurden dann Polstermaterialien für Kutschen gefertigt.

PET-Flaschen für textile Werkstoffe

Blaue Fasern (sieht aus wie ein blauer Wattebausch).
Aus den gebrauchten PET-Flaschen lassen sich Fasern gewinnen, die dann zu Vliesstoffen weiterverarbeitet werden. (Bild: Borgers)

Bis heute sind Recycling, Ressourcenschonung und Umweltschutz fester Bestandteil der Unternehmensphilosophie, was sich in der Marke „blue Label by Borgers“ widerspiegelt. Daraus entstanden ist die erste textile Radlaufschale aus „Ocean Plastic“, also aus meeresgebundenen Abfällen wie PET-Flaschen, gesammelt in küstennahen Regionen, an Flüssen, Ufern und Stränden. Die zu Demonstrationszwecken blau gehaltenen Radlaufschalen werden abfallfrei gefertigt und sind am Ende der Fahrzeuglebensdauer wieder komplett recycelbar. Mit jedem damit ausgestattetem Fahrzeug werden 120 gebrauchte PET-Flaschen wiederverwertet. Bis heute hat der Automobilzulieferer mehr als 200 Mio. dieser textilen Automobilkomponenten realisiert.

Was ist Propylat?

Bei Propylat handelt es sich um einen textilen Werkstoff für Ausstattungsteile für die Automobilindustrie und gehört hinsichtlich der Fertigungstechnik zur Gruppe der Vliesstoffe. Bauteile aus Propylat sind vielseitig im Innen- und Außenbereich einsetzbar, lassen sich gewichtsoptimiert konstruieren, sind akustisch wirksam und besitzen eine hohe Ökologieeffizienz. Im Gegensatz zu bisherigen Vliesstoffen, die meist durch Binder aus Puder oder Latex verfestigt werden, geschieht dies bei Propylat durch Bindefasern, was deutliche Vorteile in der Produktion, für Funktionalität und Eigenschaften mit sich bringt. Propylat besteht aus einer Mischung aus Kunstfasern (Polyester, Polypropylen) und gegebenenfalls, anwendungsbedingt, aus Naturfasern wie Baumwolle oder Bast.

Die Radlaufschale ist Teil der von Borgers erdachten Lowmass-Philosophie. Im Rahmen derer werden Bauteile entwickelt, mit denen sich durch alternative Werkstoffe oder veränderte Funktionsprinzipien deutliche Gewichtseinsparungen erzielen lassen. Berücksichtigt werden hierbei auch Faktoren wie Kosteneffizienz, Recyclingfähigkeit und ein hoher Funktionswert. Ein Produkt dieser Leichtbau-Aktivitäten ist der textile Werkstoff Propylat, aus dem die Radlaufschalen bestehen. Das Material ist eine Mischung aus wiederaufbereiteten Natur- und/oder Chemiefasern aus recycelten Getränkeflaschen und Verpackungsabfällen. Im Falle der genannten Radlaufschalen besteht das Vliesmaterial aus PET- und PP-Fasern, die gekrempelt und anschließend durch Vernadeln verfestigt und weiterverarbeitet werden.

Den Feinstaub von der Straße holen

Das Unternehmen entwickelt diese automobilen Komponenten konsequent weiter. So entstehen derzeit in Bocholt Blue-Label-Radlaufschalen, die in der Lage sind, Feinstaub zu absorbieren. Ein wichtiges und zukunftsorientiertes Thema, wird Feinstaub doch auch von Elektrofahrzeugen produziert. Der Abrieb von Reifen und Bremsen wird hierbei noch dazu begünstigt von einem hohen Drehmoment. Die Radlaufschale absorbiert den Feinstaub bereits an der Quelle, wie der Hersteller selbst betont. Zugleich wird jedoch auch der bereits auf der Straße vorhandene Feinstaub aufgenommen. Der Feinstaub wird durch die hohe Luftströmung im Radkasten vom Reifen in die textile Radlaufschale transportiert. Der Aufbau der Radlaufschale ist wie ein Filter konstruiert, so dass Feinstäube aufgenommen und im Inneren festgehalten werden.

Ausschnitt eines schwarzen Fahrzeugs vom linken Hinterrad. Man sieht den Reifen und direkt darüber die eingebaute Radlaufschale.
Eingebaute Radlaufschalen am Fahrzeug: sie reduzieren die Geräuschentwicklung, das Fahrzeuggewicht und sind kosteneffizient. (Bild: Borgers)

Blue-Label-Radlaufschale als auch das Konzept des Feinstaubfilters wurden mit dem letztjährig verliehenen Innovationspreis der AVK, des deutschen Fachverbandes für Faserverbundkunststoffe, bedacht. Unter den insgesamt fast 50 teilnehmenden Unternehmen und Institutionen schaffte es das Unternehmen unter die Top 3 in der Kategorie „Produkte und Anwendungen“.

Quelle: Borgers

Nachgefragt bei Klaus Menke, Leiter der Technischen Entwicklung bei Borgers

Mann mit kurzen grauen Haaren (Halbglatze) und Brille.
(Bild: Borgers)

Die Firma Borgers stellt schon länger Radlaufschalen her. Aus welchem Material wurden diese bisher gefertigt und was hat Sie zu der Umstellung auf „Ocean Plastic“ bewogen?

Klaus Menke: Der Großteil unserer Propylat-Radlaufschalen besteht aus Fasermischungen, beispielsweise PET-, die mit PP-Fasern gebunden werden. In der Lebensmittelindustrie wird besonders hochwertiges PET verwendet. Dieses zu recyceln, ist daher grundsätzlich sinnvoll. Das Material wird für Flaschen, also Flüssigkeiten und Getränke eingesetzt, da es hier eine gewisse Resistenz hat. Entsprechend wird es auch vom Meerwasser nicht geschädigt und kann recycelt werden.

Aus welchen verlässlichen Quellen beziehen Sie die PET-Flaschen?

Menke: Unsere direkte Quelle möchten wir aus Wettbewerbsgründen nicht nennen. Überzeugt haben uns zwei Dinge: 1. Der von uns ausgewählte Lieferant für Ocean Plastic arbeitet bereits mit großen Unternehmen der Lebensmittelbranche in Deutschland zusammen und hat sich hier als verlässlicher Partner erwiesen. 2. Auch einzelne OEMs – also unsere Kunden – haben den Lieferanten genauer betrachtet und sind überzeugt.

Aus den gesammelten PET-Flaschen werden Fasern gesponnen, die die Grundlage für die Radlaufschalen darstellen. Wie werden die Fasern verbunden, damit ein Bauteil entsteht?

Menke: Die PET-Fasern werden mit PP-Fasern kombiniert. Mithilfe einer Krempel bilden wir aus den Fasern ein Flor, der durch Vernadeln zu einem Filz verfestigt wird. Dieser Filz wird aufgeheizt und in Formwerkzeugen zu einem Bauteil, also beispielsweise einer Radlaufschale gepresst. Die Fasern verbinden sich miteinander. PP dient hier als „Klebstoff“. Technisch ausgedrückt bezeichnet man diesen Prozess als Thermofusion. PET ist dabei der Strukturgeber und PP der Matrixbildner.

Ihrer Pressemitteilung ist zu entnehmen, dass Ihre Fertigung abfallfrei arbeitet. Wie lässt sich das realisieren?

Menke: Bei der Produktion von Bauteilen entstehen oft Stanzabschnitte. Diese sind kein Abfall, sondern werden wiederaufbereitet und dem laufenden Prozess wieder zugeführt. Wir sprechen hier vom sogenannten Closed-Loop-System. Unsere Propylat-Radlaufschalen lassen sich so abfallfrei fertigen.

Wie halten faserbasierte Schalen den widrigen Einsatzbedingungen stand?
Menke: Borgers ist Erfinder der textilen Radlaufschale und hat mit diesem Produkt den Industriestandard gesetzt. Sie sind widerstandsfähiger – haben zum Beispiel eine höhere Abriebfestigkeit bzw. Schlagzähigkeit – als herkömmliche Lösungen, bieten Vorteile bei Akustik und Gewicht und reduzieren darüber hinaus die Gischtbildung. Textile Radlaufschalen haben sich im Serieneinsatz seit vielen Jahren und über 200 Millionen Mal bewährt.

Ihre Produkte erhielten in diesem Jahr den AVK-Innovationspreis in der Kategorie „Produkte und Anwendungen“. Eines dieser Produkte ist ein derzeit in Entwicklung befindlicher Feinstaubfilter. Wann ist die Markteinführung geplant?
Menke: Der Feinstaubfilter stellt einen erheblichen Zusatznutzen zu unserer normalen Radlaufschale dar. Erste Fahrversuche zeigen, dass das System funktioniert. Wann das Produkt in Serie geht, hängt auch von den OEMs ab.

Welche Mengen Feinstaub können pro 100 km aufgenommen werden? Bis zu welcher Partikelgröße werden Stäube gebunden?
Menke: Die Frage lässt sich pauschal nicht beantworten. Es gibt viele Variablen wie Fahrzeug- oder Antriebsart, Bauteilgröße und -position. Mit den bisherigen Fahrversuchen wurde bewiesen, dass es funktioniert. In welchem Umfang muss dann ein konkreter Anwendungsfall bzw. eine konkrete Fahrzeug- oder Bauteilentwicklung zeigen.

Auf eine Sammlung folgt notwendigerweise eine Entleerung. Wie und wann wird der gesammelte Feinstaub entnommen?
Menke: Die Radlaufschalen können im Ganzen oder abschnittweise ausgetauscht werden. So könnte unser Bauteil, ähnlich wie andere Filter im Fahrzeug, mit den normalen Serviceintervallen gewechselt werden.

In welchen Fahrzeugkategorien werden die Radlaufschalen aus Ocean Plastic bereits eingesetzt?
Menke: In Serie laufen noch keine Radlaufschalen aus Ocean Plastic. Die Bauteile sind serienreif. Im ersten Schritt hält Ocean Plastic im Kofferraum Einzug.

Für welche weiteren Produkte können Sie sich vorstellen Ocean Plastic ebenfalls einzusetzen?
Menke: Grundsätzlich lässt sich PET an nahezu allen Stellen durch Ocean Plastic-Material substituieren, vom Dekor bis zum Trägermaterial. Konkret wird es im Kofferraum in Serie gehen, auch Bodenteppiche im Fahrgastraum und komplette Unterbodenverkleidungen sind neben der Radlaufschale darstellbar.

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