Die Ausgründung des Start-ups Dermagnostix aus dem Hahn-Schickard-Institut für Mikroanalysesysteme beruht auf jahrelanger Forschung auf dem Gebiet der zentrifugalen Mikrofluidik. „Aus dieser Forschungsarbeit heraus haben wir eine Art Toolbox für die Flüssigkeitsverschaltung bei Lab-on-Chip-Testsystemen entwickelt – praktisch einen klassischen Laborablauf im Kleinformat“, so Prof. Nils Paust von Hahn-Schickard. „Diese Entwicklung treiben wir bis zu einem Technology-Readiness-Level von circa fünf bis sechs, also bis zum Proof-of-Concept beziehungsweise für den ersten Einsatz mit Funktionsmustern voran.“
Wie das Produkt entwickelt wurde
Die Aufgabe für Hahn-Schickard bestand zunächst darin, einen Assay, also einen biochemischen Ablauf von Analyseschritten, in ein produkttaugliches PCR-Nachweisverfahren für dermatologische Erkrankungen auf einer Lab-on-a-Chip-Kartusche aus Kunststoff zu integrieren. Bei diesem Nachweis soll es möglich sein, die beiden Hauterkrankungen Psoriasis (Schuppenflechte) und Ekzem über eine Hautprobe in rund 2 Stunden zweifelsfrei voneinander zu unterscheiden. Die Ausgründung von Dermagnostix erfolgte, um gemeinsam aus dieser Produktidee ein marktreifes Produkt zu entwickeln. Für das Herstellen der Grundkörper wurden Prototyping-Technologien wie das Mikrothermoformen eingesetzt, das deutlich geringere Werkzeugkosten verursacht als beispielsweise der Spritzguss, der erst zu einem späteren Zeitpunkt genutzt wird, wenn das Design weitgehend feststeht. Das Prototyping versetzt Hahn-Schickard in die Lage, zügig und kostengünstig erste Kartuschen aus dem final verwendeten Kunststoff zu fertigen. Diese werden dann nach und nach hinsichtlich Fluidik und Nachweisreaktion optimiert.
So erfolgte die kunststoffgerechte Auslegung
Die Überführung in den Kunststoff ist generell der Zeitpunkt, zu dem die Rodinger Kunststoff-Technik (RKT) ins Spiel kommt. Sobald es um Designanforderungen bezüglich des Werkstoffs Kunststoff sowie das Auslegen der Spritzgusswerkzeuge für die Serienproduktion geht, ist die Erfahrung des Kunststoffverarbeiters gefragt. An diesem Punkt war das Produktdesign bereits weit fortgeschritten, vor allem bezüglich der Kernfunktion des Bauteils, wie Sebastian Fröhlich, Key Account Manager bei RKT, erläutert: „Hinsichtlich der Fluidik, was also Kanalquerschnitte und Kammern angeht, waren 95 Prozent des Designs bereits von unserem Kunden Dermagnostix und Hahn-Schickard festgelegt. Unsere Aufgabe war dann die kunststoffgerechte Auslegung der eigentlichen Kunststoffhülle rund um diese Fluidik herum. Wenn uns dabei auffällt, dass bestimmte Strukturen von der Geometrie her ungünstig sind, weil sie beispielsweise später im Spritzguss nicht entformbar sind, geben wir Empfehlungen, Entformschrägen oder Radien zu implementieren. Dann muss jedoch die Fluidikfunktion erneut überprüft werden.“ Die Disc enthält sehr feine Kanäle von teilweise nur 0,09 mm Breite und 0,08 mm Höhe. Um eine einwandfreie Fluidikfunktion sicherzustellen, dürfen Abweichungen im Spritzguss maximal +/-5 µm betragen. Das Werkzeug ist ein 1-fach-Kombiwerkzeug für zwei Kunststoffbauteile, mit dem derzeit drei Discs pro Stunde hergestellt werden – in der Assemblierung wird eine Disc pro Stunde gefertigt. Ein Ausbau auf die doppelte oder vierfache Ausbringung mittels 2-fach- oder 4-fach-Werkzeug wäre bei entsprechender Nachfrage möglich. Als Kunststoff für die Disc wurde ein COC-Compound (Cycloolefin-Copolymer) gewählt. Sebastian Fröhlich beschreibt die Herausforderung bei der Kunststoffauswahl: „Es galt, ein bei niedriger und ein bei hoher Temperatur schmelzendes Kunststoffprodukt miteinander zu vermischen, um den optimalen Schmelzpunkt zu treffen, der später beim Versiegeln der Disc mit einer Kunststofffolie aus Polypropylen eine sichere Verbindung zwischen den Komponenten schafft.“
Der semiautomatisierte Assemblierungsprozess
Die Disc besteht aus zwei Kunststoffbauteilen, dem Substrat und dem Cover, die gemäß Spezifikationen spritzgegossen und im Anschluss an verschiedenen Stationen in einer Reinraumumgebung zusammengefügt werden. Drittes Element ist eine Verbundfolie, die später in einem Thermobonding-Prozess auf das Substrat zum Verschließen der Disc und ihrer biochemischen Inhalte aufgebracht wird. Sind die Kunststoffteile fertig spritzgegossen, geht es an die Bestückung des Substrats, das die fluidischen Kanäle und Kammern sowie die für die Funktion notwendigen Reagenzien beinhaltet. Zunächst muss eine hydrophobe Beschichtung appliziert werden, die einen gleichmäßigen Transport des auszuwertenden Mediums durch die Kammern gewährleisten soll. In der Überführung vom Prototyping beziehungsweise der Kleinserie bei Hahn-Schickard in die Serie bei RKT waren bei diesem ersten Schritt die Prozesstechniker von RKT gefragt; Fröhlich: „Bei Hahn-Schickard wurde das Aufbringen der Beschichtung mit einer Art Pen manuell getätigt. Uns war gleich klar, dass wir den Vorgang über eine Tagesfertigung oder mehrere Schichten so nicht prozessstabil abbilden können, sondern die Beschichtung automatisieren müssen. Ein Do-sierroboter vollzieht nun diesen Schritt positions- und wiederholgenau.“ An derselben Station erfolgt ein weiterer diffiziler Prozessschritt: Das automatisierte positionsgenaue Einpipettieren von Reagenzien in geringen Mengen von nur 5 µl mit einer Abweichungstoleranz von 10 %. Nach Durchlaufen eines Trocknungsofens liegen die Flüssigkeiten schließlich in getrockneter Form in ihren Kammern vor und sind so stabiler. Im Anschluss erfolgt an der nächsten teilautomatisierten Station das Bestücken mit Stickpacks, diese enthalten Lösungen verschiedener Inhaltsstoffe und müssen lageorientiert in das Substrat eingeklebt werden. An der Folgestation wird die Disc mit Lyophilisaten, gefriergetrocknete Reagenzien, bestückt. In der sich anschließenden Siegelstation wird die Disc mit der Siegelfolie in einem Thermobonding-Prozess mittels Heißprägung atmosphärisch verschlossen. Hierbei kommt es auf die richtige Kombination aus Temperatur, Druck und Zeit an sowie auf die oben beschriebene Kompatibilität der beiden Kunststoffgemische von Substrat und Folie. Schließlich wird an der letzten Station das Cover zusammen mit einem Coverlabel auf das Substrat aufgebracht und in einem Aluminiumbeutel luftdicht primärverpackt. Wenn das Bauteil derartig versiegelt ist, kann es in den Sekundärverpackungsprozess für den Endkunden überführt werden. Bei der Prozessentwicklung und Hochskalierung wurden die strengen Vorgaben wie Maße von weniger als 100 µm mit einer Fehlertoleranz von maximal 10 % eingehalten. Auch in der Qualitätssicherung der Disc-Bestandteile steckt sehr viel Aufwand in der Messtechnik. Stahlteile für den Präzisionsformenbau werden produktionsbegleitend vermessen. Der Spritzgussprozess wird mit einer DOE (Design of Experience) validiert und am Ende erfolgt eine 100-Prozent-Prüfung.
Deshalb ist das Bündeln von Kompetenzen wichtig
Sebastian Fröhlich fasst zusammen, worauf es beim Transfer von der Forschungsidee bis hin zum industriellen Medizinprodukt ankommt: „Je früher wir in Designüberlegungen einbezogen werden, desto besser können wir unser Kunststoff-Know-how bereits in der Frühphase für die Auslegung mit einbinden. In der Kooperation mit Hahn-Schickard ist genau das gegeben. Das spart dem Kunden Aufwand, Zeit und Kosten, und wir sind gemeinsam in der Lage, ihm die gesamte Wertschöpfungskette zu ermöglichen.“
Quelle: Dermagnostix, Hahn-Schickard-Gesellschaft, Rodinger Kunststoff-Technik