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Die fertig montierten Kunststoffboxen (in Folie eingeschweißt) laufen auf einem offenen Förderband aus dem Reinraum in die Verpackung. (Bild: alle Colandis)

Um die kleinere, aber intelligentere Lösung zu designen, verabschiedet sich das produzierende Unternehmen am besten zunächst vom Begriff Reinraum als einer Vorstellung von Länge mal Höhe mal Breite. Groß zu bauen, ist teuer und muss nicht einmal zu einer produktgerechten Ausgestaltung führen. Statt voluminöser Räume mit hohem Risiko für Querkontaminationen und Kontaminationen durch Personal (die Hauptquelle für Verunreinigungen) empfiehlt es sich, den Blick auf die Produktspezifikationen des Kunden und auf den Prozess im eigenen Hause zu konzentrieren. Reinraumtechnik kommt konsequenterweise genau dort zum Einsatz, wo sie benötig wird. Dies wird im Folgenden an vier Beispielen aus den Bereichen Spritzgießen, Folienbeschichtung sowie Montage von Kunststoffteilen veranschaulicht.

Prozess schützen statt Riesenreinraum um alle Maschinen

Siliziumwafer für die Halbleiterindustrie sind empfindlich und benötigen für den Transport einen speziellen Schutz. Diesen gewährleisten Boxen aus Kunststoff. Sie müssen ihrerseits höchste Reinheit aufweisen, denn schließlich kommen sie direkt mit dem Produkt, dem Siliziumwafer, in Berührung. Für eine Herstellung geeigneter Transportboxen im Spritzgießverfahren hatte ein Hersteller geplant, einen Reinraum um zwei Maschinen herum zu installieren und die fertigen Kunststoffteile zur weiteren Montage über ein offenes Förderband in den Reinraum zu transportieren. In der Konzeptionsphase traten jedoch mehrere grundlegende Probleme zutage:

  • die Spritzgießmaschine als extreme Partikelquelle,
  • das Bedienpersonal als Partikelquelle,
  • das offene Handling der Kunststoffboxen, bevor diese dann in den Reinraum zur weiteren Bearbeitung eingebracht werden,
  • ein in der Halle existierender Portalkran, der weiterhin zum Werkzeugwechsel genutzt werden sollte.

Diese Überlegungen resultierten in mehreren Mini-Environments. Im Zusammenspiel schützen sie jetzt die komplette Prozesskette vor Kontaminationen. Die Menge an Material, das überhaupt in den Reinraumbereich gelangt, wird minimiert. Dadurch hält man auch die Kosten automatisch niedrig. Die Spritzgießmaschinen bekamen eine verfahrbare und mit Lüfter-Filter-Modulen, sogenannten FFUs, bestückte „Reinraumdecke“. Verfahrbar deshalb, weil auf diese Weise das Spritzgießwerkzeug nun problemlos mit dem vorhandenen Portalkran gewechselt werden kann.

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Anbindung: Die Kunststoffboxen werden aus dem Roboterbereich auf einem gekapselten Förderband weitertransportiert.

Eine gesonderte Betrachtung verdienen Zufuhr und Entnahme am Anfang und am Ende des Reinraumbereichs. Dies betrifft die beiden Förderbänder, die die Kunststoffteile in den Reinraum transportieren, und zwei Roboter, die die fertigen Teile aus der Spritzgießmaschine entnehmen. Die Lösung sieht an beiden Schnittstellen ähnlich aus: Sowohl die Förderbänder als auch die Roboter sind, wie der dazwischenliegende Prozess, mit Mini-Environments umhaust. In allen diesen Bereichen wird die geforderte Reinheit erreicht oder sogar übertroffen. Nun mussten „nur“ noch die fertig montierten Kunststoffboxen aus dem Reinraum in den Warenausgang zur Verpackung in Kartonagen transportiert werden. Dazu wurde in die Reinraumwand eine Verpackungsmaschine installiert. Sie schweißt nun die fertigen Boxen komplett in Folien ein. Ein nachgelagertes Förderband transportiert die Boxen zwischen den beiden Spritzgussmaschinen hindurch durch die Halle in den Logistikbereich. Dort erfolgt die weitere Verpackung. Das letzte Förderband wird nicht mehr von einem Mini-Environment eingeschlossen, da die Boxen durch das Einschweißen in Folie bereits bestens geschützt sind.

Folienbeschichtung: Luftstrom horizontal statt vertikal

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Druck- und strömungsoptimiert: Mini-Environment zur Folienbearbeitung

In der Photovoltaik wird seit längerem auf Kunststofffolien als Trägermaterial für die eigentliche Funktionsschicht zurückgegriffen. Wie diese beiden Partner zusammengebracht werden, hängt wesentlich von der jeweiligen Anwendung ab. Stets werden die Kunststofffolien mit der Funktionsschicht beschichtet. Dabei werden die funktionalen Substanzen gelöst und das entstandene flüssige Gemisch als ein Bad bereitgestellt. Durch dieses laufen die Folien nun hindurch, wobei die funktionalen Substanzen in kürzester Zeit vernetzen und auf dem Trägermaterial haften bleiben. Gleichzeitig verdunstet das Lösungsmittel, im vorliegenden Beispiel eine sowohl extrem gesundheitsschädliche als auch beim Einatmen äußerst unangenehme Substanz – insbesondere bei Schleimhautkontakt. Daher muss sie abgesaugt werden.

Dieses Projekt wurde in einer Funktionalausschreibung beschrieben, und man lud mehrere potenzielle Lieferanten ein, ihre Konzepte vorzustellen. Dabei hat es sich einmal mehr bestätigt, dass es nicht einfach mit einem Angebot vom Schreibtisch aus getan ist, sondern dass es unerlässlich ist, sich die Situation und die Gegebenheiten vor Ort anzuschauen. Vor allem ist es entscheidend, die richtigen Fragen zum Prozess und zur Prozessmaschine zu stellen. Ausgeschrieben war ein Mini-Environment, klassisch, wie man es sehr oft in verschiedenen Branchen vorfindet, so etwa auch in der Halbleiterindustrie: eine Einhausung der Maschine mit Lüfter-Filter-Modulen darauf, vertikaler Luftstrom, Überdruck im Mini-Environment.

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In der beschriebenen Anwendung fiel die Entscheidung gegen „Standard“-Lüfter-Filter-Module, da der Aufwand für eine Anpassung an die Maschine unverhältnismäßig hoch gewesen wäre. Stattdessen umfasste die Lösung ein kundenspezifisches Modul mit maßgeschneiderten Dimensionen und zusätzlichen Funktionen.

Schnell wurde jedoch klar, dass es im vorliegenden Falle nicht auf diese Weise funktionieren konnte. Es stellten sich zwei wichtige Fragen zur Gestaltung des Mini-Environments. Erstens: Hat man in der Ausschreibung bedacht, dass durch den geforderten Überdruck im Mini-Environment die gesundheitsschädigenden Lösungsmittel in die Umgebung transportiert werden und damit eine potenzielle Gefahr für das Bedienpersonal entstehen kann? (Die Frage nach dem Explosions- und Brandschutz stellt sich dann zusätzlich.) Zweitens: Ist es gewollt, dass der Luftstrom nicht entsprechend der Produktgeometrie geführt werden soll, sodass die Rückseite der Folie undefinierten Bedingungen ausgesetzt wäre?

Nach Klärung dieser Fragen wurde ein Konzept mit den folgenden beiden Eckpunkten vorgestellt: ein horizontaler Luftstrom entsprechend der Foliengeometrie sowie eine druckgeregelte Strömungsführung. Letztere sollte in Kombination mit einer Absaugung im kritischen Prozessbereich der Folienbeschichtung im Mini-Environment eine definierte Druckdifferenz zur Umgebung von ± 0 Pa gewährleisten. Im Ergebnis versprach diese Lösung den maximalen Schutz des Prozesses vor unerwünschten Kontaminationen und zugleich den notwendigen Arbeitsschutz. Sie wurde schließlich erfolgreich realisiert.

Kunststoffoptik fürs Smartphone – FFU maßgeschneidert

In den folgenden Beispielen liegt der Fokus auf der Montage von Kunststoffteilen. In einer Produktion aus dem Bereich Mikrotechnik/Mikrooptik sollten Kunststoffoptiken montiert werden, etwa für die Kameras von Smartphones. Unter vorgegebenen Reinheitsbedingungen sollte das Montagesystem die einzelnen Linsen und Objektivteile automatisch zuführen und verkleben. Klassischerweise würde die gesamte Maschine in einem Reinraum stehen und müsste dort schon aus Arbeitsschutzgründen hermetisch verschlossen sein.

„Damit sind“, kommentiert Joachim Ludwig, Gründer und Geschäftsführer des Unternehmens Colandis, Kahla, ironisch, „auch die Produkte vor der reinen Reinraumatmosphäre gut geschützt.“ Sein Gegenentwurf: Die Maschine wird in ein Mini-Environment mit Ausmaßen von weniger als einem halben Kubikmeter eingehaust. Bei dem Versuch, dies umzusetzen, trat jedoch ein Problem auf. Es gab bereits eine Maschine, die letztendlich für die Konzeption und Installation eines Reinheitssystems nicht sehr viel Spielraum bot. Mit diesem typischen Problem werden Reinraum- beziehungsweise Reinheitstechniker immer wieder konfrontiert.

Nach einer genauen Inspektion der Maschine bot sich die Chance, eine Rückfront zu öffnen, die durch ein Blech verschlossen war. Dort wurde nun ein Lüfter-Filter-Modul installiert. Bewusst fiel eine Entscheidung gegen Standard-FFUs, da der Aufwand für eine Anpassung an die Maschine unverhältnismäßig hoch gewesen wäre. So umfasste die Lösung schließlich ein kundenspezifisches Lüfter-Filter-Modul. Seine maßgeschneiderten Dimensionen erlaubten eine Plug-and-Play-Installation: Blech von der Rückfront der Maschine abschrauben, Modul anschrauben, Stecker stecken – fertig. Der Prozessort lässt sich mit einer horizontalen Strömung optimal mit Reinstluft versorgen, das ergibt sich aus der Gesamtkonzeption der Maschine. An dieser mussten daher auch keine grundlegenden Veränderungen vorgenommen werden. Und man konnte in das FFU zusätzliche Optionen integrieren, wie zum Beispiel eine Luftionisation. Das reduzierte den Aufwand bei der Montage erheblich. Damit hat sich wieder einmal gezeigt: Kundenspezifische FFU-Lösungen erscheinen zwar anfänglich im Vergleich zu Standardmodulen kostenintensiver, doch bei der Betrachtung des Gesamtprozesses helfen sie, ein Vielfaches zu sparen.

Bei Wafern und photovoltaischen Komponenten denkt man automatisch an feine Strukturen und wird eine reine Umgebung ohne weiteres als Produktionsvoraussetzung akzeptieren. Doch das gilt auch für Objekte der makroskopischen Welt, wie etwa Automobilscheinwerfer.

Investitionskosten sinken drastisch

Ein Automobilzulieferer hatte einen großen Reinraum (etwa 20 x 20 m²) zur automatisierten Montage von Kunststoffteilen und elektronischen Komponenten zu Scheinwerfern mit neuester Technologie geplant. Ein Anbieter wird auf die Anfrage nach einem solchen Reinraum üblicherweise vorab ein Budgetangebot erarbeiten. Dieses muss die grundlegenden Parameter erfüllen. Im vorliegenden Beispiel war in erster Linie eine bestimmte Luftreinheitsklasse im Reinraum gefordert. Klimaparameter (zum Beispiel Temperatur, Luftfeuchte) spielten hierbei keine Rolle. Um sicherzugehen, dass alle Punkte der Anfrage in diesem Angebot vollumfassend umgesetzt wurden, und um letztendlich den genauen Anwendungsfall vor Ort einschätzen zu können, fuhr ein Mitarbeiter zu dem Automobilzulieferer, um das Angebot vorzustellen und Details abzustimmen. Der Investitionsumfang dieses Projektes betrug zirka 400.000 EUR. Vor Ort wurde jedoch schnell klar, dass die Voraussetzungen für eine Mini-Environment-Lösung fast perfekt gegeben waren. Die Fertigungslinie, die im Reinraum stehen und dort in einer Luftreinheitsklasse IS0 7 arbeiten sollte, bestand vollständig aus einem Aluminiummontagesystem. Dieses erwies sich als ideal für eine Einhausung durch Flächenelemente (PMMA, Polycarbonat, Glas und andere Materialien). Auf dieses Rahmensystem könnten dann FFUs installiert werden.

Im Ergebnis wurde der sensible Prozess von allen äußeren Einflussfaktoren – etwa vor dem Menschen als größte Partikelquelle und auch vor benachbarten Prozessen – komplett abgeschirmt. Durch eine gezielte Luftströmung am Prozessort wurde sogar eine weitaus höhere Luftreinheitsklasse erzielt, als die gewünschte IS0 7. Willkommener „Nebeneffekt“: Die ursprünglich veranschlagten  Investitionskosten von 400.000 EUR sanken durch die Mini-Environment-Lösung auf 35.000 EUR, da dafür nur in die FFUs investiert werden musste.

Vom Prozess her denken

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Mini-Environment-Lüfter-Filter-Module zur Adaption und Integration in Maschinen und Fertigungslinien

Diese Beispiele zeigen, wie Reinraumtechnik von individuellem Zuschnitt Arbeitssicherheit und Produktschutz zugleich verbessern und darüber hinaus zu bemerkenswert hohen Investitionseinsparungen führen kann. Als entscheidend erweist es sich dabei, statt vom Reinraum vom Produkt und vom Prozess her zu denken. Dies gilt unabhängig davon, ob man primär formgebende Schritte, Beschichtungen oder die Montage von Kunststoffteilen im Blick hat. Außerdem gilt es, stets für die aktuelle Aufgabenstellung zu definieren, was „rein“ eigentlich bedeutet. Denn es kommt weniger darauf an, eine ISO-Norm zu erfüllen, als darauf, das Beste für Produkt und Prozess herauszuholen. Dies lässt sich nur im engen Austausch zwischen Produktspezialisten und Reinraumtechnikexperten ermitteln.

ist freier Technik- und Wissenschaftsjournalist in Frankfurt am Main.

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