
Welche Möglichkeiten bietet die Digitalisierung für die Kreislaufwirtschaft? (Bild: Dalle 3/OpenAI)

Die Kreislaufwirtschaft ist eines der dringlichsten Themen in der Kunststoffindustrie. Angesichts der wachsenden globalen Herausforderungen, die sich aus dem Kunststoffverbrauch und der damit verbundenen Entsorgung respektive Wiederverwertung ergeben, steht die Branche vor der Aufgabe, nachhaltige Lösungen zu entwickeln und die Zukunft weiterhin aktiv mitzugestalten. Der Report „plastics – the fast Facts 2023“ von Plastics Europe unterstreicht die Bedeutung der Digitalisierung in diesem Zusammenhang: Demnach gaben 85 % der in diesem Zusammenhang befragten Unternehmen an, dass eine funktionierende Kreislaufwirtschaft ohne digitale Technologien nicht möglich ist. Sieht man sich die weiteren Fakten an, so wird schnell deutlich, dass es die Unterstützung vielfältiger Technologien benötigt – und das nicht nur im digitalen Bereich, um eine funktionierende Kreislaufwirtschaft auch fernab der hiesigen Grenzen ins Rollen zu bringen. Gut 400 Mio. t Kunststoffe wurden allein im Jahr 2022 weltweit produziert. Davon entfielen 14 % auf die EU – also in etwa 58 Mio. t. Auf EU-Ebene wurden hiervon 7,6 Mio. t (12,9 %) mechanisch (post-consumer) recycelt, 3,2 Mio. t (pre-consumer) ebenfalls mechanisch recycelt und lediglich 0,2 %, also weniger als 0,1 Mio. t chemisch wiederverwertet. Das Potenzial ist groß. Die Digitalisierung ist einer der Schlüssel, um dieses Potenzial zu heben. Denn während Unternehmen weltweit unter dem Druck stehen, ihre Prozesse nachhaltiger zu gestalten, bietet die Digitalisierung die Werkzeuge, um genau dies zu erreichen.
So ermöglicht die Digitalisierung etwa, Materialflüsse in Echtzeit zu verfolgen, die Qualität von Rezyklaten zu verbessern und den gesamten Lebenszyklus eines Produkts transparent und nachvollziehbar zu gestalten. Die Vision einer vollständig digital vernetzten Kreislaufwirtschaft wird durch die Digitalisierung greifbar. Unternehmen können so nicht nur ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern, sondern auch aktiv zum Umweltschutz beitragen – eine Win-win-Situation, die das Potenzial hat, die gesamte Branche zu transformieren. Der PLASTVERARBEITER stellt deshalb provokativ die These auf: Die Kreislaufwirtschaft in der Kunststoffindustrie ist ohne Digitalisierung nicht möglich. Doch wie stehen die Unternehmen der Branche zu dieser Aussage?
Die unverzichtbare Rolle der Digitalisierung

Guido Frohnhaus, Geschäftsführer Technik bei Arburg, stimmt der Aussage, dass die Kreislaufwirtschaft ohne Digitalisierung nicht möglich sei, „zu 100 Prozent“ zu. „Die Digitalisierung spielt für die Kreislaufwirtschaft eine zentrale Rolle, um Kunststoffprodukte nach Gebrauch zum Beispiel sicher identifizieren, sortieren, rezyklieren und in den Wertstoffkreislauf zurückführen zu können.“ Der Hersteller von Spritzgießmaschinen aus Loßburg hat etwa Markierungstechnologien wie Holygrail und die R-Cycle-Initiative mitentwickelt, die essenziell für diese Prozesse sind. „Als Maschinenbauer haben wir die Anforderungen frühzeitig erkannt und entsprechende Techniklösungen verfügbar“, so Frohnhaus und spricht dabei die digitalen Assistenzfunktionen in der hauseigenen Gestica-Steuerung an. „So trägt zum Beispiel der ‚AXW Control Recylatepilot‘ dazu bei, Rezyklate trotz schwankender Materialqualität einfach und sicher zu verarbeiten.“ Im unternehmenseigenen Programm „Arburg Greenworld“ bündelt das Unternehmen sämtliche Aktivitäten im Bereich der Kreislaufwirtschaft und damit der Ressourcenschonung respektive CO2-Reduktion. Das beinhaltet beispielsweise das Verarbeiten von Rezyklaten, aber auch von Biokunststoffen.

Jürgen Schwarz, Leiter Geschäftsentwicklung bei SAR aus Dingolfing, betont die Bedeutung der Digitalisierung für die Kreislaufwirtschaft: „Digitalisierung spielt eine entscheidende Rolle, um Transparenz im Herstellungsprozess von Kunststoffprodukten zu gewährleisten, was wiederum den Recyclingprozess maßgeblich beeinflusst.“ Besonders durch neue EU-Verordnungen wird es notwendig, recycelte Materialien verstärkt für Neuprodukte zu nutzen. Schwarz erklärt, dass der „digitale Fingerabdruck“ dabei hilft, Chargenschwankungen zu minimieren und eine gleichbleibende Prozessstabilität sicherzustellen. Er bringt zugleich die Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz (KI) ins Spiel, die der Kreislaufwirtschaft innovative Möglichkeiten eröffne – beispielsweise die Entwicklung anwendungsspezifischer Polymerverbindungen.
Potenziale der künstlichen Intelligenz und Vernetzung

Das Potenzial Künstlicher Intelligenz für die Kreislaufwirtschaft lässt sich derzeit nur erahnen. Dr. Martin Fritsch, Leiter Entwicklung & Anwendungstechnik bei Karl Finke, Wuppertal, sieht in der KI einen unerlässlichen Faktor für die Zukunft der Kreislaufwirtschaft. „Künstliche Intelligenz bietet viele Möglichkeiten, insbesondere bei der Sortierung und Materialauswahl, um die Effizienz der Prozesse deutlich zu steigern.“

Prof. Dr.-Ing. Holger Ruckdäschel, Geschäftsführer Neue Materialien Bayreuth, ergänzt, dass die Vernetzung digitaler Technologien eine deutliche Steigerung der Effizienz in der gesamten Wertschöpfungskette ermöglichen wird. Als weitere Beispiele nennt dieser die datengestützte Rezyklatcompoundierung oder die digitalen Marktplätze für Rezyklate. „Ich erwarte eine noch stärkere Nutzung digitaler Methoden in der Kreislaufwirtschaft – vom Rohstoff über die Fertigung bis zur Anwendung und Rezyklierung – und dadurch einen klaren Mehrwert für Industrie und Anwender.“

Diese Einschätzung wird von Anatol Sattel, CSO bei Sumitomo (SHI) Demag, Schwaig, geteilt und er sieht dabei folgendes Anwendungsfeld: „Die Herausforderungen an die Verarbeitung von nicht-homogenen Materialien wachsen. Hier kann lernende oder reagierende Maschinensoftware eingesetzt werden und zur Lösung beitragen.“ Solche Technologien helfen dabei, die Produktionsprozesse stabiler und ressourcenschonender zu gestalten.
Digitale Produktpässe und Prozessoptimierung

„Die Kreislaufwirtschaft setzt voraus, dass wir vom bislang vorherrschenden Downcycling wegkommen“, betont Michael Wittmann, Geschäftsführer der Wittmann Gruppe, Wien, Österreich. Hierfür brauche es digitale Assistenzsysteme, wie dieser hervorhebt, die qualitätskritische Prozessparameter kontinuierlich analysieren, Abweichungen in Bruchteilen einer Sekunde erkennen und noch im selben Zyklus austarieren. Zugleich spiele auch die Transparenz von Daten eine übergeordnete Rolle, wie er betont und spricht dabei das Thema digitaler Produktpass an: „Von der Rohstofferzeugung über die Verarbeitung und Anwendung bis zum Recycling sammeln die Pässe über den gesamten Produktlebenszyklus relevante Daten, um besonders hochwertige Rezyklate für anspruchsvolle Anwendungen produzieren zu können.“ Für Wittmann sind Datentransparenz und der Austausch von Informationen über die gesamte Wertschöpfungskette bis hin zu den Konsumenten ohne Digitalisierung nicht denkbar. „Für den Erfolg der Kreislaufwirtschaft ist aber genau diese Offenheit entscheidend“, bilanziert dieser.

Auch Stefan Engleder, CEO der Engel Gruppe, sieht in der Digitalisierung einen „entscheidenden Enabler für eine effiziente Kreislaufwirtschaft.“ Eigene Produkte wie „IQ Weight Control“ ermöglichen es, Recyclingmaterialien trotz schwankender Werkstoffeigenschaften prozesssicher und mit höchster Bauteilqualität zu verarbeiten. Engleder betont: „Die Digitalisierung ermöglicht das Schließen von Prozessketten in einem digitalen Abbild. Dies ist essenziell, um den Kunststoffkreislauf zu schließen und so den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen zu fördern.“

Matthias Jacob, Geschäftsführer des Kunststoff-Zentrums Leipzig, konkretisiert: „Kreislaufwirtschaft bedeutet, sich von dem aktuellen Modell ‚Produzieren, Konsumieren, Wegwerfen‘ zu verabschieden und eine durchgängige Rückgewinnung und Wiederverwendung von Materialien anzustreben.“ Digitalisierung stelle die notwendige Infrastruktur und Werkzeuge bereit, um diese Komplexität zu bewältigen, so Jacob und spricht dabei die Themen Nachverfolgbarkeit von Stoffströmen oder auch die Materialentwicklung an. So können beispielsweise KI-basierte Technologien Farbschwankungen bei Rezyklaten erkennen und korrigieren, was die Prozesssicherheit erhöht und die Akzeptanz von Regranulaten stärkt, wie dieser ausführt.

Digitale Produkte, um etwa Produktionsprozesse optimieren zu können, bietet auch Krauss Maffei Technologies, München. „Durch das digital präzise Erfassen relevanter Material- und Prozessdaten wird die Kreislaufwirtschaft erst ermöglicht“, sagt Jörg Stech, Leiter Bereich Spritzgießtechnik und Geschäftsführer der Krauss Maffei Technologies. Er nennt hier zugleich ein Beispiel aus dem eigenen Portfolio: „ACP Plus“ oder „Adaptive Process Control“, speziell für den Spritzgießprozess. Es stabilisiert den Produktionsprozess und hält das Bauteilgewicht konstant, „selbst unter schwankenden Bedingungen oder beim Verarbeiten von Rezyklaten“, so Stech. Das wiederum reduziere auch den Ausschuss. „Spannend wird es, wenn es nicht nur um den Spritzgießprozess selbst geht, sondern auch um die dazugehörigen Verfahren und Peripherie wie beispielsweise Lackieren direkt im Werkzeug (Colorform), das vorgelagerte Compoundieren wie natürlich auch die vollständige Automatisierung des Fertigungsprozesses.“

Wenn es um die Peripherie geht und die Digitalisierung ganzer Kreisläufe, hat auch der Schweizer Temperiergerätehersteller HB-Therm aus St. Gallen eine Meinung. Mit der Einführung der Series 6, bestehend aus den Temperiergeräten „Thermo 6“ und dem Schnittstellenserver „Gate 6“, bietet der Hersteller auch hier vernetzbare, digitale Lösungen für eine nachhaltigere Produktion an. „Die digitalen Dienstleistungen wirken sich sowohl auf die Sicherheit der Produktionsprozesse als auch auf die Handhabung der Geräte aus“, erklärt Muhammed Kakis, Communication and Business Development Manager bei HB-Therm. Bei Bedarf kann per Fernzugriff auf die Geräte zugegriffen werden. „Darüber hinaus dokumentiert, analysiert und berichtet das Gerät und warnt vor möglichen Ausfällen. Auf diese Weise werden Stillstandzeiten reduziert, Folgeschäden vermieden und eine möglichst lange Lebensdauer der Temperiergeräte und gleichzeitig eine Kreislaufwirtschaft sichergestellt.“

Als Hersteller von Recyclingmaschinen ist Erema, Ansfelden, Österreich, quasi an der Quelle, was das Thema Kreislaufwirtschaft anbelangt. Für die Qualität von beispielsweise Rezyklaten, aber auch die Produktionseffizienz dieser Anlagen sind digitale Technologien ausschlaggebend. „Sie unterstützen dabei, die Komplexität zu bewältigen“, wie Markus Huber-Lindinger, Managing Director bei Erema, sagt. Beispielhaft steht dafür das Qualitätsmesssystem „Qualityon“ des Herstellers. „Gesammelt werden alle Maschinendaten und Apps übersichtlich auf der Online-Plattform ‚Bluport‘.“ Die Digitalisierung ermöglicht Transparenz entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Diese Transparenz entlang der Wertschöpfungskette erlaubt es Unternehmen, tiefergehende Zusammenhänge zu erkennen und gezielt zu optimieren. Für Huber-Lindinger ist dabei klar: „Entscheidend ist immer, ob die jeweilige Maßnahme wirklich einen zusätzlichen Nutzen für den Kunden schafft.“
Digitalisierung als Allheilmittel?

Nicht alle Stimmen aus der Branche sehen die Digitalisierung als alleinigen Weg zur Kreislaufwirtschaft. Jens Kaatze, CEO von Mocom, weist darauf hin, dass die Kreislaufwirtschaft in bestimmten Bereichen bereits seit Jahrzehnten auch ohne umfassende Digitalisierung funktioniert. Mit neuen Technologien wie Material- und Produktpässen, Künstlicher Intelligenz zur Identifizierung der Materialien und verbesserter Sortierung oder Effizienzsteigerung in den Produktionsprozessen kann die Branche zusätzliches Potenzial ausschöpfen. Hier tut sich aktuell einiges, und wir sind da sicherlich eher noch am Anfang.“

Alfred Schiffer, geschäftsführender Gesellschafter von Dr. Boy, stimmt dem zu: „Kreislaufwirtschaft ist natürlich auch ohne Digitalisierung möglich“, ergänzt aber zugleich: „Digitalisierung ist definitiv eine wesentliche Unterstützung hierbei.“ Er sieht in der Digitalisierung insbesondere eine Möglichkeit, die Prozesse besser zu analysieren und robuster zu gestalten, auch im Hinblick auf „inhomogenere“ Materialien. Es sei aber auch ein Werkzeug, um beispielsweise das Lenken von Stoffströmen zu optimieren. Schiffer weiß jedoch auch: „Die geforderten Recyclingquoten zu erreichen, wird auch mit modernen Hilfsmitteln eine Herausforderung. Da werden wir die Digitalisierung mehr denn je benötigen.“

Rüdiger Dzuban, Leiter Marketing bei Oni-Wärmetrafo, beschreibt die Digitalisierung als „stark unterstützendes Element“, um die Kreislaufwirtschaft in der Kunststoffindustrie effizienter zu gestalten und noch differenzierter zu betreiben. „Allein die Willenserklärung zur Kreislaufwirtschaft ist mir persönlich viel zu wenig, weil meiner Meinung nach zwar ein Kreis bestimmt ist, nur mit dem Laufen klappt es noch nicht wirklich.“ Es braucht Dynamik, Zielsetzungen mit Zeithorizonten und einen Koordinator, der den Prozess vorantreibt, fordert
Dzuban. Er betont die Notwendigkeit klarer Zwischenziele und eines fokussierten Engagements, um die Kreislaufwirtschaft erfolgreich zu realisieren und keine „sich totdiskutierende Arbeitskreise“, wie er verrät.
Die Zukunft ist digital

Die Kunststoffindustrie steht vor einem grundlegenden Wandel, der durch digitale Innovationen vorangetrieben wird. Technolo-gien wie KI, digitale Produktpässe und vernetzte Produktionsprozesse werden die Transformation hin zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft ermöglichen und neue Standards für Effizienz und Qualität setzen. „Die Digitalisierung ist der Schlüssel, um eine effiziente und nachhaltige Kreislaufwirtschaft in der Kunststoffindustrie zu erreichen“, fasst Dr. Stefan Sommer, Geschäftsführer der Günther Heisskanaltechnik, zusammen. Digitale Technologien ermöglichen es, den gesamten Lebenszyklus von Kunststoffen und daraus entstandener Produkte zu überwachen, analysieren und so letzten Endes auch zu optimieren. Dafür bedarf es aber eines ganzheitlichen Ansatzes und konsequenter Umsetzung, wie Sommer fordert. Von der Rohstoffproduktion über die Kunststoffartikelfertigung bis hin zum Recycling müssen alle Prozessschritte und Beteiligten involviert werden. Sommer: „Ohne digitale Lösungen wäre es kaum möglich, die erforderliche Transparenz und Effizienz zu erreichen, um eine funktionierende, nachhaltige Kreislaufwirtschaft zu realisieren.“