
Damit ein Unternehmen nachhaltig wirtschaften kann, müssen alle Bereiche einbezogen werden. (Bild: Dalle 3/OpenAI)
Nachhaltigkeit ist der missbrauchteste Begriff unserer Zeit. Jeder Farbeimer und jede Spülbürste reklamiert für sich nachhaltig zu sein. Und damit ist dieser Begriff im Grunde verbrannt. Zudem wird Nachhaltigkeit und Klimaneutralität als lästiges Thema neben Digitalisierung, Fachkräftemangel, Bürokratie empfunden mit dem „man sich nicht auch noch beschäftigen kann“. Viele Menschen verdrehen daher die Augen, wenn sie den Begriff hören. Nachhaltigkeit im eigentlichen Sinne bedeutet nur so viel an Ressourcen zu verbrauchen, wie in der gleichen Zeit wieder zur Verfügung gestellt werden können. Aber der World Over Shoot Day, also der Tag, an welchem rein rechnerisch bereits alle Ressourcen für das Jahr verbraucht sind, rückt unaufhörlich weiter nach vorne – im Jahr 2024 war es der 27. Mai. Das entlarvt, dass der Zustand der Nachhaltigkeit nicht nur nicht erreicht, sondern der verhängnisvolle Trend des immer schnelleren Ressourcenverbrauchs nicht einmal im Ansatz abgebremst wird.
Aber warum sollte ein kunststoffverarbeitender Betrieb überhaupt nachhaltig sein? Ist das nicht reine Ideologie? Verschlechtert das nicht die Wettbewerbsfähigkeit? Die klare Antwort ist nein. Das Gegenteil ist der Fall wie auch führende Wirtschaftswissenschaftler zwischenzeitlich einräumen [1]. So zeigen jüngste Untersuchungen, dass durch die Verschleppung der Transformation zu einer nachhaltigen und „klimafreundlichen“ Produktionsweise bereits jetzt Einkommenseinbußen von bis zu 20 % in den kommenden Jahrzehnten zu erwarten sind [2]. Die Techniken, die bisher (ökonomisch) gut funktioniert haben, führen heute zu immensen Problemen, die sich in naher und mittlerer Zukunft existenzgefährdend verstärken werden. Die volkswirtschaftliche und betriebswirtschaftliche Rechnung hat bisher zwei Faktoren nicht mit einbezogen, die in Zukunft jedes unternehmerische Handeln stark beeinflussen werden.
Diese Faktoren sind entscheidend
Das sind zum einen die Auswirkungen, die die Produktion auf die Umwelt oder besser „Mit“-Welt ausübt. Und zum anderen, die Einwirkungen der Mitwelt auf die Produktion, die Produktivität und den unternehmerischen Erfolg.
Das unbekümmerte Nutzen fossiler Energieträger hat zu neuen Realitäten geführt, die zunehmend durch physikalische Gesetze bestimmt werden. Die gelten unabhängig davon, ob man an sie glaubt oder nicht. So unterbrechen immer häufiger unerwartete, katastrophale Ereignisse wie Stürme, Fluten oder Trockenheit die Lieferketten in so ziemlich allen Produktionsbereichen. Das bedeutet, dass die Auswirkungen der bis heute stattgefundenen Nutzung und Ausbeutung fossiler Reserven sich bereits jetzt – und in der Zukunft exponentiell ansteigend – den unternehmerischen Erfolg unmittelbar beeinflussen werden. Es lohnt sich daher, nein es ist essenziell, sich mit den Auswirkungen der eigenen Produktion auf die Umgebung, zu beschäftigen. Und es ist weitsichtig spätestens jetzt kritisch zu prüfen, wie resilient die eigene Produktion gegenüber den Auswirkungen des durch unsere fossile Abhängigkeit verursachten Klimafolgen ist. Diese „Inside-Out“ und „Outside-In“ doppelte Wesentlichkeitsanalyse wird die rein ökonomische Betrachtung durch die Brille der Wettbewerbsfähigkeit orientiert nur am Marktpreis vollständig ersetzen.
Die Frage ist, kann ein kunststoffverarbeitender Betrieb überhaupt so etwas wie Nachhaltigkeit erreichen? Die Antwort ist kurz und klar: Solange fossile Energieträger und Rohstoffe auf fossiler Basis genutzt werden, sicher nicht. Aber es gibt eine Reihe von wichtigen Stellschrauben, deren Berücksichtigung zu einem Annähern an den Zustand verbesserter Nachhaltigkeit führen kann. Dazu muss man sich zunächst einmal vor Augen führen, welche Einflüsse von außen in das Unternehmen hineinwirken und welche, welchen Output die Produktion – abgesehen von den produzierten Waren – hat.
An nahezu jedem dieser Punkte ist eine Verbesserung und Annäherung an den Zustand echter Nachhaltigkeit möglich. Die Möglichkeiten und Stellschrauben, um den Carbon-Footprint zu verringern, würden ein ganzes Buch füllen. Daher hier nur ein paar ausgewählte Beispiele.

Stellschraube 1: Der Rohstoff
Die Basis der meisten Rohstoffe im Bereich der Kunststoffverarbeitung sind nach wie vor fossile Quellen. Unabhängig davon, ob und wie oft diese recycelt werden, in letzter Konsequenz landet der Kohlenstoff aus diesen Produkten entweder als Micro Plastik in unserer Umwelt [3], wird legal oder illegal deponiert, oder thermisch verwertet, also verbrannt [4]. Somit landet fast jedes Kohlenstoffmolekül früher oder später in der Atmosphäre und treibt die Klimaerwärmung weiter an.
Recycling findet bisher nur in einem verschwindend geringen Maßstab statt [5]. Auch wenn es hoffnungsvolle Ansätze wie Rohstoffbörsen gibt, in denen Überproduktionen, Reste oder Lagerbestände weiterverkauft werden [6], das reicht nicht annähernd. Viele Polymerprodukte beispielsweise in der Automobilindustrie sind per Design aktuell gar nicht recycelbar.
Wie sieht es nun mit dem Ersatz dieser fossil basierten Polymere durch nachhaltige Alternativen aus? Dies kann zum einen durch Rohstoffe erfolgen, die über die Fischer-Tropsch-Analyse aus Wasserstoff und Kohlendioxid [7] hergestellt werden. Zum anderen durch Biopolymere [8], die Pflanzenbestandteile nutzen. Leider erfüllen jedoch diese Polymere oft nicht die Anforderungen, die für die Produkte definiert wurden. Bei biogenen Polymeren spielen Fragen der Haltbarkeit, Wiederverwendbarkeit und Verfügbarkeit eine entscheidende Rolle. Auch hat der VCI unlängst in einer Studie [9] vorgerechnet, dass eine Versorgung der weltweiten Produktion von Polymerartikeln auf dem aktuellen Niveau, weder auf der einen noch auf der anderen Basis realistisch ist.
Stellschraube 2: Die Energie

Den weitaus größten Hebel zum Optimieren bietet das Thema Energie. 67 % des Energieeinsatzes der Industrie geht auf Wärmeerzeugung zurück [10]. Wurde bisher günstiges Gas verfeuert, wird sich dies durch die schrittweise Decarbonisierung der Industrie fundamental verändern. Ein Treiber, der sich bereits in naher Zukunft auf alle Unternehmen auswirken wird, ist die gerade stattfindende kommunale Wärmeplanung (KWP). Diese wird zur Folge haben, dass Gasnetze zunehmend ökonomisch unrentabel werden. Das Mannheimer Energieunternehmen MVV hat bereits bekannt gegeben, sich bis 2035 aus dem Gasnetz zurückzuziehen. Dieser Umstand fällt zusammen mit der Freigabe der CO2-Preise für das Verbrennen fossiler Rohstoffe im Jahr 2027. Diese wird aller Voraussicht nach zu einer weiteren, erheblichen Verteuerung der Energiestückkosten führen. Das bedeutet angesichts der Nutzungsdauer und der Investitionen in Wärmeerzeugungsanlagen ist es ökonomisch und ökologisch sinnvoll, für neue Anlagen und für die Modernisierung bestehender Anlagen die klimaneutrale Wärmeerzeugung spätestens jetzt zu planen.
Oft werden aber auch die Potenziale, die auch in existierenden Anlagen bestehen, im laufenden Betrieb gar nicht gesehen. Bild 2 zeigt einen Dieselofen zum Erwärmen der Bäder einer wässrigen Reinigungsanlage. Dieser steht in einem Betrieb, der jährlich die Abwärme aus gasbetriebenen Trockenöfen im hohen sechsstelligen kWh Bereich ungenutzt in die Umgebung abgibt. Hier würde bereits eine einfache Wärmerückgewinnung sowie Speicherung [11] gleich mehrere Effekte erzielen: Einsparungen auf der Brennstoffseite und bei der Wartung des Ofens. Außerdem könnte mit der Rückgewinnung die angesaugte Außenluft vorgewärmt werden. Auch der Einsatz industrieller Wärmepumpen würde sich mittel- und langfristig lohnen.
Kunststoffrecycling: Der große Überblick

Sie wollen alles zum Thema Kunststoffrecycling wissen? Klar ist, Nachhaltigkeit hört nicht beim eigentlichen Produkt auf: Es gilt Produkte entsprechend ihrer Materialausprägung wiederzuverwerten und Kreisläufe zu schließen. Doch welche Verfahren beim Recycling von Kunststoffen sind überhaupt im Einsatz? Gibt es Grenzen bei der Wiederverwertung? Und was ist eigentlich Down- und Upcycling? Alles was man dazu wissen sollte, erfahren Sie hier.
Stellschraube 3: Interne Prozesse
Eine große Quelle für Einsparungen, die gleichzeitig den Carbon-Footprint verringern würden, liegt auch in den internen Prozessen. Immer noch gelten Ausschussquoten von 15 bis 20 % und mehr in manchen Branchen als normal und nicht selten fällt bei Serienanläufen 80 % Abfall an. Da es sich dabei oft um komplexe, nicht recycelbare Produkte handelt, werden diese entsorgt. Letztlich werden sie verbrannt und tragen zum Treibhausgaseintrag in die Atmosphäre bei.
Im Gegensatz dazu liegen aber viele Verbesserungspotenziale im Prozess nicht unmittelbar auf der Hand und werden nicht erkannt. Hier kann eine externe Prozessbegutachtung helfen. In den beiden vorhergehenden Artikeln wurden eingehend die Fehlerursachen und deren Behebung beziehungsweise Vermeidung [12,13]. Fehler in der Produktion zu erkennen, zu minimieren und im besten Fall zu vermeiden, führt zu weniger Ressourcenverbrauch, geringeren Energiekosten und verringert Abfall. Das ist nicht nur ökonomisch sinnvoll, sondern verringert negative Einflüsse des unternehmerischen Handelns auf die Mitwelt.
Bild 3 zeigt einen typischen Fall eines beschichteten Polymerbauteils, das in der Produktion durch Fehler in der Beschichtung ausgefallen ist. Die Ursachenforschung ergab, dass der Fehler bereits im Spritzguss durch nicht angepasste Werkzeugtemperatur und zu kurze Taktzeiten verursacht wurde. Die Folge sind Verzögerungen in der Lieferkette, dadurch bedingte zusätzliche Lkw-Fahrten, nicht recycelbarer Abfall sowie dessen Abfuhr durch Diesel-Lkw, zusätzlicher Ressourceneinsatz von fossil basiertem Polymer und Lack sowie Energieeinsatz und Personalaufwand. Alle diese Faktoren zahlen direkt oder indirekt auf den Carbon-Footprint des Betriebes ein und erhöhen die Kosten.

So könnte die Transformation gelingen
Eine Decarbonisierung der Kunststoffindustrie ist eine große, aber unvermeidliche Aufgabe, die erhebliche Anstrengungen in jedem einzelnen Unternehmen erfordern wird. Hierfür gibt es ad hoc Maßnahmen, mit denen nicht nur der Nachhaltigkeit und Klimaneutralität ein Stück nähergekommen werden kann, sondern gleichzeitig Geld gespart und die Wettbewerbsfähigkeit verbessert werden kann. Der erste Schritt ist eine unvoreingenommene Bewertung des Ist-Zustandes. Wo liegen realistische und bezahlbare Optionen, um den Carbon-Footprint signifikant zu verbessern? Beim Bewerten der Maßnahmen ist wichtig, dass die momentanen Investitions- und Transformationskosten gegen die zukünftigen Risiken und Kosten abgewogen werden. Auch ist eine Sensibilisierung der Mitarbeiter zum nachhaltigem Handeln wichtig. Mit dem unternehmerischen Mut den richtigen Weg einzuschlagen und dadurch möglicherweise in seinem Branchensegment zum Vorbild zu werden, begibt man sich „vor die Entwicklung“, die am Ende unausweichlich kommt.
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Literatur
1] Prof. O. Edenhofer NOZ, 4.01.2025
[2] Kotz, M., Levermann, A. & Wenz, L. The economic commitment of climate change. Nature 628, 551–557 (2024).
[3] Elhacham et. Al, Nature. 2020, 588(7838):442-444.e doi.org/10.1038/s41586-020-3010-5
[4] Plastic & Climate The hidden Costs of a Plastic Planet, https://www.ciel.org/plasticandclimate/
[5] Policy Scenarios for Eliminating Plastic Pollution by 2040, OECD (2024)
[6] https://rohstoffe.kunststoffweb.de/
[7] A.Reznichenko, A. Harlin; Applied Sciences (2022) 4:108, https://doi.org/10.1007/s42452-022-04991-4
[8] E. Kabir, R. Kaur, J. Lee, K. Kim, E. E. Kwon, Prospects of biopolymer technology as an alternative option for non-degradable plastics and sustainable management of plastic wastes, Journal of Cleaner Production, Volume 258, (2020), 120536, https://doi.org/10.1016/j.jclepro.2020.120536.
[9] Chemistry for Climate Abschlussbericht 2023 und update 2024, VCI (2023, 2024) https://www.vci.de/vci/downloads-vci/publikation/broschueren-und-faltblaetter/final-c4c-broschure-langfassung.pdf
[10] https://www.umsicht.fraunhofer.de/de/presse-medien/pressemitteilungen/2022/waermewende-industrie.html, abgerufen am 06.01.2025
[11] https://polarnightenergy.com/sand-battery/, abgerufen am 06.01.2025
[12] https://www.plastverarbeiter.de/verarbeitungsverfahren/worauf-bei-der-oberflaechenvorbehandlung-zu-achten-ist-646.html, abgerufen am 06.01.2025
[13] https://www.plastverarbeiter.de/qualitaetssicherung/wie-fehler-in-kunststoffen-zu-lackierungsstoerungen-fuehren-koennen-275.html, abgerufen am 06.01.2025
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