Das Dach des Club Cars wird mit der Gasinjektionstechnik realisiert. Ein Golfcart auf einem Golfplatz.

Das Dach des Club Cars wird mit der Gasinjektionstechnik realisiert. (Bild: SDF_QWE – stock.adobe.com)

Durch den Einsatz der Gasinjektionstechnik (GIT) sind Fließwege von mehr als 2 m realisierbar.  Die GIT-Kanäle werden als Fließhilfe genutzt, sodass Instrumententräger mittlerer Größe innerhalb von 2 bis 3 s mit 800 bar Spritzdruck vollständig gefüllt werden können. Die nachfolgenden Beispiele zeigen, dass Bauteile in Großserie sind, von denen viele „Experten“ behaupteten, dass es unmöglich sei, so etwas umzusetzen. Das erste Bauteil, das von Ulrich Stieler vor rund 36 Jahren mit der GIT-Technik umgesetzt wurde, besaß einen Fließweg von 1,6 m.
Glücklicherweise gab es damals wie heute zukunftsweisende, fortschrittliche Firmen und Mitarbeiter, die Mut und Vertrauen in die Technologie haben und Produkte umsetzen, die bisher für unmöglich gehalten wurden. Ulrich Stieler, Geschäftsführer Stieler Kunststoff Service, denkt, dass es gerade in der momentanen Zeit, mit den sehr hohen Herausforderungen im internationalen Wettbewerb, durch gut eingesetztes Know-how, Erfahrung und Mut bewiesen werden kann, dass es „Made in Germany“ noch gibt. Oft beruhige eine Füllbildsimulation mit geeigneter Software die Skeptiker und Bedenkenträger am Projektbeginn.

Darum ist der GIT-Kanal eigenspannungsarm

Schnittbild: Die Schnitte durch den Gasinjektionskanal des Bauteils zeigen einen gleichmäßig ausgeformten Querschnitt.
Bild 1: Die Schnitte durch den Gasinjektionskanal des Bauteils zeigen einen gleichmäßig ausgeformten Querschnitt. (Bild: Stieler Kunststoff Service)

Wenn ein konventionelles Produkt im Spritzguss gefertigt wird, ist ein hoher Nachdruck erforderlich, um Einfallstellen am Bauteil durch das schrumpfende Material zu vermeiden. Da der Druck vom Anguss nicht mehr bis zum letzten Füllpunkt kommt, werden beispielsweise bei PP rund 1.000 bis 1.200 bar Nachdruck aufgebracht und im Bereich des Anschnittes eingefroren, um am letzten Füllpunkt zumindest noch 100 bar zu erreichen und keine Einfallstelle entsteht. Die Wirkung des Nachdruckes wirkt aber nur bis zum Einfrieren der Schmelze, also rund 5 bis 10 s; danach kann kein Polymer mehr bewegt werden und die Schmelze schrumpft von der kühlenden Werkzeugwand weg. Die eingefrorenen Eigenspannungen führen zum Verzug beim Abkühlen und zum Memoryeffekt, wenn sich durch Wärmeeinwirkung durch Sonnen- oder Motorwärme das Bauteil an seine „alten“ Eigenspannungen erinnert und diese auch noch lösen kann.
Bei der Gasinjektion übernimmt das Gas die Funktion vom Nachdruck, in diesen Fällen über den gesamten Bereich der Gasblase sowie 10 cm rechts und links davon. Der Druck wirkt somit nahezu gleichmäßig während der gesamten Kühlzeit über das ganze Bauteil in einer Höhe von lediglich 50 bis 100 bar, also einem Bruchteil der zuvor genannten Druckwerte. Mit dem Druck von innen wird die Kunststoffhaut an die kühlende Werkzeugfläche gedrückt, sodass das Bauteil nicht schwindet.

Was wurde umgesetzt

Ein vor längerem realisiertes GIT-Bauteil ist ein Dach eines „Club Cars“, das mit einer Stückzahl von mehreren hunderttausend Bauteilen in den USA umgesetzt wurde. Hier wurden zwei Verfahren in einem Bauteil vereint und Synergien erzielt. Das PP-Bauteil mit 3 mm Wandstärke mit einer Größe von 1,05 x 1,45 m wird auf einer 1.900 t Maschine mit einem einzigen Anspritzpunkt produziert. Der Anspritzpunkt sitzt hierbei nicht mittig, sondern an einer der kurzen Seiten des Daches. Im Bauteil befinden sich mehrere Kanäle mit einer durchschnittlichen Länge von 1,3 m und ein besonders langer Kanal, der u-förmig um das Bauteil herum konstruiert wurde und eine Kanallänge von 3,8 m aufweist. Die Füllung erfolgt über die Fließhilfen/Masseanhäufungen/Gaskanäle, wohl wissend, dass diese später mit Gas ausgehöhlt werden und somit nicht als zykluszeitdiktierende Masseanhäufungen fungieren.

Ulrich Stieler mit dem SPE-Award ausgezeichneten Bauteil, das mit der GIT-Technologie hergestellt wird. Mann mit Brille, weißem Hemd und dunklem Jackett steht hinter einem Tisch, auf dem ein Bauteil liegt.
Bild 2: Ulrich Stieler mit dem SPE-Award ausgezeichneten Bauteil, das mit der GIT-Technologie hergestellt wird. (Bild: Redaktion)

Um eine geringe Schließkraft zu erhalten und auf der relativ kleinen Maschine produzieren zu können, wird das Produkt nur zu rund 80 % innerhalb von circa 2 s mit Schmelze gefüllt und die Restfüllung durch das Aushöhlen der Kanäle mit Gas erreicht. Dadurch entsteht keine Druckspitze in der Form und der Schmelzenachdruck kann entfallen; diesen übernimmt während der gesamten Kühlzeit das Gas in den großen und langen, fast über das ganze Bauteil verteilten Kanälen. Im Einsatz sind zwei Gasinjektoren, von denen der zweite wenige Sekunden nach dem ersten Injektor gestartet wird, um den u-förmigen Kanal mit 3,8 m Länge auszuhöhlen. Die Schmelze aus dem Kanal wird in eine Nebenkavität auf jeder Seite gedrückt. Die enorme Steifigkeit des Daches wurde durch die vielen integrierten Rohrprofile erreicht, und durch Funktionsintegration kann aufwendige Nacharbeit entfallen.

Kanal- übertrifft Bauteillänge

Weitere Bauteile wie ein Staufach über Fahrer und Beifahrer mit einer Produktlänge von 1,5 m jedoch einer Kanallänge von 2,7 m werden im Nutzfahrzeugbereich produziert. Mit einem Anspritzpunkt werden circa 90 % des Bauteils gefüllt, weitere füllen nur noch einen kleinen Rest und sorgen fern vom Gaskanal für den Nachdruck. Vier Überlaufkavitäten und eine Integration von einem Haltegriff und weiterer Funktionselemente, die bisher nachträglich angeschweißt oder angeschraubt wurden, reduzieren die Kosten des Bauteils. Das Eigengewicht sinkt aufgrund aller Maßnahmen um rund 1 kg. Das eigentliche Einsparpotenzial liegt jedoch im Wegfall der zahlreichen Montagevorgänge, der Lagerung und Transport dieser Zusatzteile sowie deren Werkzeugkosten von der Entwicklung, Herstellung und Betreuung.
Im Bereich der Transportträger für schwere Produkte wurde ein flaches Bauteil mit hoher Anforderung auf Stabilität und Geradheit hergestellt: Die Abmaße betragen 1,2 x 0,6 m und die Wandstärke von 7 mm wird durch 8 mm breite Rippen verstärkt. Diagonal vom Zentrum aus wird das Bauteil durch eine 3 mm hohe Fließhilfe gefüllt und danach mit Gasnachdruck gerade gehalten. Trotz seiner flächigen Geometrie ist das Bauteil erstaunlich gerade und sehr verwindungssteif.

Was Sie über die Gasinjektionstechnik wissen müssen

Die Gasinjektionstechnik hat viele unterschiedliche Prozessvariationen. Allen ist gemein, dass mit ihnen mit geringem Gasnachdruck über die gesamte Kühlzeit sowie über große Strecken, auch angussferne Bereiche des Bauteils erreicht werden. Dadurch ergeben sich eine hohe Maßhaltigkeit, geringe Eigenspannungen, keine Einfallstellen wo die Gasblase wirkt sowie höhere Stabilität und Verwindungssteifigkeit aufgrund der eingebrachte Rohreffekte. Ein kürzerer Zyklus und natürlich Einsparen von Rohstoff und dadurch Artikelgewicht sind die wirtschaftlichen Vorteile.

Was sind die technischen Voraussetzungen? Das Allerwichtigste ist Stickstoff (N2) als Inertgas, um keine Oxydationen vom Rohstoff mit dem Sauerstoff der Umgebungsluft zu erhalten. Das N2-Gas braucht einen Pufferbehälter mit circa 300 bar, um durch ein Proportional-Regelventil den Gasdruck in die Kavität zu bringen, nachdem die Schmelze in der Kavität ist. Da der Gasdruck im Pufferbehälter aufgrund des Verbrauchs geringer wird, wird ein Kompressor mit einer Gasflasche oder ein Stickstoffgenerator mit Hochdruckkompressor benötigt. Für die Injektionsregelung an der Maschine ist ein Regelgerät mit einem Regelventil für jede Kavität erforderlich. In der Spritzgießform ist ein Gasinjektor verbaut, der, nachdem er von der Schmelze umarmt wird, das Gas in das Bauteil injiziert.

Mit dem VW ID7-Grundträger ist 2024 ein Produkt in Serie gegangen, für das das Unternehmen aus Goslar mit dem 1. Platz beim SPE-Award in der Kategorie „Body Interior“ ausgezeichnet wurde. Das Bauteil hat mehrere Sichtbereiche, wurde jedoch als Träger für weitere Bauteile konzipiert. Durch Funktionsintegration wurden vier weitere Bauteile und somit auch Werkzeuge und Fertigungskosten eingespart. Die CO2-Einsparung wurde von VW mit 5 kg pro Bauteil bewertet. Besonders anzumerken sind die Ergebnisse im Crashtest, bei dem der GIT-Kanal mit seiner versteifenden Rohrgeometrie und einer Kanallänge von circa 2,1 m maßgeblich beigetragen hat. Auch hier wurde mit einem einzigen Anspritzpunkt das Bauteil mit circa 500 bar zu 80 % gefüllt und dann wenige weitere zur Restfüllung und für das Halten vom Schmelzenachdruck fern vom Gaskanal genutzt. Während der Kühlphase wird das Stieler-Coolflow-Verfahren eingesetzt, bei dem während der Gas-Nachdruckzeit kaltes Gas (N2) gezielt durch den Kanal gespült wird. Dadurch wird der Zyklus erheblich verkürzt und durch die „innere Kühlung“ eine sehr gute Maßhaltigkeit erreicht.

Quelle: Stieler Kunststoff Service

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