Das Audio-Interface, dessen Einfallstellen und Bindenähte durch Simulation optimiert wurden.

Das Audio-Interface, dessen Einfallstellen und Bindenähte durch Simulation optimiert wurden. (Bild: Lewitt)

Als Lewitt in den Mikrofonmarkt eintrat, wurden die meisten Teile aus Druckguss hergestellt. Mit der Expansion in andere Produktsegmente der Audioindustrie wurde der Bedarf an Kunststoffspritzgussteilen notwendig. Dies war für das Ingenieurteam herausfordernd, da sich Design und Produktion von Druck- und Spritzguss unterscheiden. Es kam zu unerwarteten Ergebnissen und Defekten an den Spritzgussteilen, die oft zu langwierigen Diskussionen und Verbesserungsschleifen mit den Zulieferern führten. Es wurde schnell klar, dass das Ingenieurteam ein leistungsfähiges Werkzeug benötigte, das während des Konstruktionsprozesses hilfreiche und konstruktive Unterstützung bietet. Ein Werkzeug, das dem Team bereits in der frühen Phase der Produktentwicklung ermöglicht, Fehler, die im Produktionsprozess zu Spritzgussproblemen führen könnten, frühzeitig zu erkennen, zu korrigieren und zu vermeiden. Darüber hinaus war es das Ziel, die Zeiten für das Design for Manufacturing (DFM) zu reduzieren, bei Diskussionen mit Zulieferern über Teilefehler argumentieren zu können und die Zeit von T0- zu T1-Teilen zu verkürzen. Hierfür wurde als Werkzeug eine Simulationssoftware eingeführt, mit der das Gehäuse eines Audio-Interfaces ausgelegt wurde.

Was ist ein Audio-Interface?

Das Audio-Interface Lewitt Connect 2 ist intuitiv bedienbar und bietet eine hochwertige Klangwiedergabe von Gesang und Instrumenten. Audio-Interfaces transformieren analoge Signale von Mikrofonen und Instrumenten in ein digitales Format, das von Computern und Software erkannt werden kann. Dieser Prozess wird als Analog-zu-Digital oder AD-Wandlung bezeichnet. Des Weiteren erfolgt auch eine Umwandlung digitaler Signale in analoge Signale, sodass eine Wiedergabe von Audiosignalen über einen Computer mittels Kopfhörer oder Studiomonitore möglich ist (Digital/Analog-Wandlung, auch DA-Wandlung genannt). Die Schnittstelle wurde so konzipiert, dass sie auf dem Schreibtisch platziert werden kann, wobei eine Positionierung auf gleicher Höhe mit der Tastatur zu bevorzugen ist. Das Gerät verfügt über eine berührungsempfindliche Benutzeroberfläche mit intuitiven Bedienelementen sowie eine visuelle Rückmeldung in Form von LEDs, die durch die in diesem Artikel analysierte Kunststoffabdeckung leuchten.

Grafik: Druck, Temperatur und spezifischen Volumen beim Einspritzvorgang.
Druck, Temperatur und spezifischen Volumen beim Einspritzvorgang. (Bild: Simpatec)

Deshalb ist das Kunststoffbauteil anspruchsvoll

Das betreffende Kunststoffteil ist für Lewitts Verhältnisse relativ groß und verfügt über zahlreiche eingebettete Funktionen. Darüber hinaus fungiert es als Kontaktfläche für die Hand des Anwenders und es besteht quasi eine andauernde Interaktion mit dem Produkt.
Während der Entwicklungsphase wurde deutlich, dass die kosmetische Oberfläche aufgrund der genannten Merkmale sowie der zahlreichen Öffnungen auf der Rückseite des Bauteils gewisse Herausforderungen mit sich bringt. Insbesondere das potenzielle Entstehen von Einfallstellen auf der sichtbaren Oberfläche und die Möglichkeit der Bildung von Bindenähten aufgrund der vielen Öffnungen.
Um eine geeignete Lösung zu finden, ist es zunächst notwendig, das Problem genau zu analysieren und zu verstehen. Die Kunststoffschmelze hat in diesem speziellen Fall eine Verarbeitungstemperatur von 210 °C. Da die Dichte von Kunststoffen nicht nur von der Temperatur, sondern auch vom Druck abhängt, wird sie über ein pvT-Diagramm beschrieben: p ist der Druck, T die Temperatur und v das spezifische Volumen, welches nichts anderes als der Kehrwert der Dichte ist.
Wird der Einspritzvorgang im pvT-Diagramm verfolgt, ist deutlich erkennbar, was im Bauteilinneren passiert. Im ersten Schritt steigt der Druck an. Bei guten Prozesseinstellungen sollte die Schmelzetemperatur nahezu konstant bleiben. Das spezifische Volumen nimmt mit steigendem Druck ab. Die Dichte nimmt zu. Im zweiten Schritt wird die Kavität gefüllt. Der Druck sollte konstant gehalten werden, um die volumetrische Schwindung zu kompensieren. Die Temperatur nimmt ab. Im dritten Schritt friert der Anschnittbereich ein. Der Nachdruck kann nicht mehr wirken, und der Druck fällt auf Umgebungsdruck ab. Die Temperatur sinkt weiter. Im vierten und letzten Schritt kühlt das Bauteil bei Umgebungsdruck final ab.
Mit der Simulationssoftware Moldex 3D vom Projektpartner Simpatec lässt sich dieses Verhalten im gesamten Bauteil detailliert analysieren. Das Ergebnis ist eindeutig: Die optimalen Prozessbedingungen werden nicht überall im Teil erreicht. Ein Hauptgrund dafür ist die notwendige Bauteilgeometrie. Einige Bereiche besitzen eine stärkere Schwindung, was auf eine unzureichende Versorgung mit Nachdruck zurückzuführen ist.

Diese Szenarien lassen sich ableiten

Bei der ersten Möglichkeit ist die gefrorene Randschicht noch sehr dünn und instabil. In diesem Fall kommt es zum Bilden einer Einfallstelle, da die schwindende Schmelze die flexible Außenhaut nach innen ziehen kann. Als zweite Möglichkeit kann die Festigkeit der erstarrten Randschicht als höher angenommen werden als die Festigkeit der verbleibenden Schmelze. In diesem Fall wird kein Einfall an der Außenhaut des Bauteils sichtbar sein. Jedoch kommt es im Inneren der Wandstärke zu einem Aufreißen der Schmelze, was zur Bildung eines Hohlraums (Lunkers) führt. Der Defekt ist auch bei transparenten Teilen sichtbar und ähnelt einem Lufteinschluss.
Dieses Verhalten ist bei Connect 2 sehr deutlich sichtbar. SN1 (orange Kurve) liegt in einem angussnahen Bereich mit durchschnittlicher Wandstärke, während SN2 (blaue Kurve) in einem dickwandigen Bereich liegt, der nicht mit ausreichend Nachdruck versorgt werden kann. Die orange Kurve zeigt erwartungsgemäß ein nahezu perfektes Verhalten im pvT-Diagramm. Der blauen Kurve fehlt die gesamte zweite Stufe. Dadurch kann die Volumenschwindung nicht ausreichend ausgeglichen werden.

Das Oberteil des Gehäuses in Draufsicht und Untersicht (rechts).
Das Oberteil des Gehäuses in Draufsicht und Untersicht (rechts). (Bild: Lewitt)

Was macht eine Bindenaht problematisch?

Bindenähte entstehen, wenn zwei Fließfronten aufeinandertreffen. Abhängig vom Material und dem Auftreffwinkel sowie der Temperatur und dem Druck an der Fließfront, haben die Bindenähte unterschiedliche Eigenschaften. Daher ist eine Bindenaht nicht nur eine optische, sondern auch eine mechanische Schwachstelle. Was die Bindenaht sichtbar macht, ist eine kleine Kerbe auf der Oberfläche. Die Kerbe entsteht, weil die Temperatur an der Werkzeugwand sehr schnell sinkt und die Luft in der Umgebung meist nicht vollends entweichen kann. Je größer der Auftreffwinkel und je höher die Schmelzetemperatur, desto besser ist in der Regel die Bindenaht. Es gibt jedoch auch andere Effekte, die die Qualität der Bindenaht verbessern oder verschlechtern können. Bindenähte befinden sich häufig in Bereichen, die am Endprodukt nicht sichtbar sind. In den meisten Fällen wird eine aktive Optimierung nur in den sichtbaren Bereichen angegangen. Die Tatsache, dass eine Bindenaht nicht zwingend stationär ist, sondern sich (oft unsichtbar) im Laufe der Restfüllung oder während des Nachdrucks im Bauteil bewegt, wird fälschlicherweise meist vernachlässigt. Diese Bewegung geschieht in der Regel durch Querströmungen, die sich positiv auf die Bindenahtfestigkeit auswirken können, wenn sie richtig kontrolliert werden.

Während der Design for Manufacturing Phase (DFM) übermittelte Lewitt dem Engineering-Team von Simpatec einige Informationen über den Einspritzprozess sowie den vorliegenden Rahmenbedingungen. Die Position und Größe des Anschnitts waren bereits bekannt und wurden folglich in der Simulation reproduziert. Details wie Druck/Temperatur oder die genaue Beschreibung des Kühlsystems blieben jedoch noch unbekannt. Aus diesem Grund wurden typische Einstellungen verwendet, die eine gewisse Sicherheit ermöglichen, dass sie nicht zu weit von der Realität entfernt sind. Engineering-Teams haben häufig die Situation, dass sie nur begrenzte Informationen zur Verfügung haben und für eine möglichst genaue Vorhersage entsprechende Annahmen für die Modelle treffen müssen.
Das für die Simulation ausgewählte Material ist ein handelsübliches ABS, das auch beim Herstellen des Teils verwendet wird (ABS PA757-GJ08, Chimei), und im Moldex-3D-Materialassistenten direkt verfügbar ist. Zielsetzung des Mikrofonherstellers war, mit Hilfe der Simulation vorherzusagen, ob das Fertigen des Bauteils mit der gegebenen Geometrie möglich ist und wo potenzielle Probleme auftreten könnten.

Zitat

Durch Simulation herausfinden, wohin sich die Bindenaht verschieben könnte.

Das zeigte die Simulation

Die durchgeführte Simulation zeigt, dass beim Füllen keine kritischen Bereiche zu verzeichnen sind. Das Teil kann folglich mit den vordefinierten Prozesseinstellungen produziert werden. Eine Analyse der Schmelzetemperatur im Bereich der Bindenähte ergab, dass diese leicht ansteigt, jedoch der maximal zulässige Wert nicht überschritten wird. Dies ermöglicht das Ermitteln der kritischen Einspritzgeschwindigkeit, was wiederum beim Bilden von möglichst belastbaren Bindenähten helfen kann.
Moldex-3D bietet eine Vielzahl von Berechnungsmöglichkeiten, um das Risiko von Einfallstellen besser einschätzen zu können. Da die Entstehung von Lunkern und Einfallstellen sehr komplex ist und von vielen Faktoren abhängt, ist es empfehlenswert, sich mit verschiedenen Szenarien auseinanderzusetzen. Dabei sollten insbesondere die folgenden Punkte berücksichtigt werden: die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Einfallstelle, die Auffälligkeit der Einfallstelle sowie die Möglichkeit, die Einfallstelle zu beeinflussen.

Mit den Ergebnissen „Sink Mark Displacement“ und „Sink Mark Indicator“ lässt sich ziemlich exakt vorhersagen, wie hoch das Risiko einer Einfallstelle sein wird sowie deren potenzielle Auswirkung. Anhand des „Molten Core“-Ergebnisses kann die optimale Nachdruckzeit ermittelt werden und ab wann ein bestimmter Bereich nicht mehr mit Nachdruck versorgt werden kann. Dies sind wesentliche Informationen, um Einfallstellen zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren.

Simulationsbild: Die Simulation zeigt keine kritischen Bereiche während des Füllvorgangs.
Die Simulation zeigt keine kritischen Bereiche während des Füllvorgangs. (Bild: Simpatec)

Warum die Analyse der Randschicht lohnt

Des Weiteren ermöglicht die Analyse der gefrorenen Randschicht ein Einschätzen der zu erwartenden Lunker- beziehungsweise Einfallstellen. Die Ergebnisse sowie die Größe der dargestellten Einfallstellen lassen den Schluss zu, dass auf den für die Ästhetik relevanten Oberflächen keine Einfallstellen sichtbar sind. Obgleich die tatsächlichen Prozessparameter und die detaillierte Werkzeugkonstruktion zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt sind, lassen sich anhand dieser Merkmale bereits in der Entwurfsphase mögliche Vorhersagen auf etwaige kleine kosmetische Mängel treffen. Der Vergleich mit dem realen Spritzgussteil zeigt, dass, wie mit der Simulation vorhergesagt, eine Fertigung ohne sichtbare Einfallstellen an den wichtigen Sichtflächen möglich ist.

Simulationsbild: Position und Bewegung von Bindenähten werden mit der Option „Partikeltracer“ visualisiert.
Position und Bewegung von Bindenähten werden mit der Option „Partikeltracer“ visualisiert. (Bild: Simpa)

Die Simulation zeigt eindeutig eine starke Bindenahtbildung auf der Bauteilrückseite, im Bereich von vorhandenen Durchbrüchen. Diese Durchbrüche sind für die Funktionalität des Bauteils unabdingbar, und eine konstruktive Bauteiländerung ist nicht möglich. Bei näherem Betrachten, im Rahmen der erwähnen Parameter, konnten keine kritischen Werte hinsichtlich des Auftreffwinkels oder der Temperatur der Bindenähte festgestellt werden. Für die Fragestellung, ob eine Bindenaht nochmals durchströmt wird, beziehungsweise sich örtlich noch verändert, kann in Moldex-3D mit dem Particletracer gearbeitet werden. Hier lässt sich unter anderem im Detail erkennen wie weit, in welche Richtung, bei welchen Temperaturen eine Bindenahtbewegung stattfinden wird oder nicht.
Der Vergleich mit dem realen Bauteil zeigt, dass das Problem, welches in den Simulationen beobachtet wurde, auch in der Realität besteht. Der genaue Auftreffwinkel konnte jedoch nicht bestimmt werden. Es zeigte sich, dass der Defekt kein strukturelles Problem ist, sondern lediglich ein kosmetisches, welches durch den darauffolgenden Lackierprozess vollständig kaschiert wird und somit keine Planungsänderungen erforderlich sind.

Modelldarstellung: Einfluss der Nachdruckzeit auf die Einfallstellen (Darstellung mit Moldex-3D und gerendert von B-Velopment).
Einfluss der Nachdruckzeit auf die Einfallstellen (Darstellung mit Moldex-3D und gerendert von B-Velopment). (Bild: Simpatec)

Wie das Werkzeug ausgelegt wurde

Aufbauend auf diesen Ergebnissen wurde die Form gefertigt. Beim Aufbau der Formkerne waren die Simulationsergebnisse bereits berücksichtigt worden. Es wurde eine Planung erstellt, um einzelne Formbereiche leicht zu modifizieren, um im Falle eines auftretenden Problems während der ersten Versuche schnell reagieren zu können. Insbesondere gab es einen gewissen Spielraum, um die Wandstärke im Bereich der hinteren Öffnungen zu erhöhen, falls dies erforderlich sein sollte. Nach den Bemusterungsreihen konnte bestätigt werden, dass die Konstruktion den Anforderungen entspricht. Anschließend fand die Pilotproduktion des Audio-Interface statt.

Quelle: Simpatec

Der PLASTVERARBEITER auf Instagram

QR-Code, der zum offiziellen PLASTVERARBEITER-Instagram-Account führt.
(Bild: Redaktion)

 

Interesse an mehr bewegenden und bewegten Bildern?

Dann folgen Sie uns einfach auf Instagram:

Der PLASTVERARBEITER-Kanal bietet Ihnen regelmäßigen – und mitunter exklusiven – Inhalt sowie ein stetig wachsendes Netzwerk.

Mit dem QR-Code gelangen Sie direkt zu unserem Kanal.

Sie möchten gerne weiterlesen?

Unternehmen

SimpaTec Simulation & Technology Consulting GmbH

Wurmbenden 15
52070 Aachen
Germany