Probleme lassen sich nie mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind. Um die globalen Herausforderungen zu meistern, braucht es eine neue Denke, eine neue Herangehensweise, es braucht versierte Experten, die zielführende Lösungsansätze liefern. Was liegt also näher, die Experten der Kunststoffindustrie selbst zu befragen, ob eine Umgestaltung der Industrie hin zur Kreislaufwirtschaft in den nächsten 10 Jahren realistisch ist. In einer Umfrage hat der Veranstalter der Kuteno, der Carl Hanser Verlag, München, die Austeller gebeten, ihre Sicht der Dinge darzulegen.
Bettina Dempewolf, Bereichsleitung Netzwerk & Event, am FSKZ in Würzburg, ist sich sicher, dass durch ein konsequentes Ausschöpfen jeglicher Potenziale, in 10 Jahren der Anteil des eingesetzten Rezyklats an der insgesamt verarbeiteten Kunststoffmenge deutlich höher sein wird als heute. Zurzeit liegt der Anteil in Deutschland bei circa 10 Prozent. „Eine 100 prozentige Kreislaufwirtschaft, in der alle Güter wieder stofflich verwertet werden und nahezu keine Primärrohstoffe mehr benötigt werden, ist für Kunststoffe, wie auch für andere Werkstoffe jedoch schwer zu realisieren“, gibt Bettina Dempewolf zu bedenken. „Die Gründe beim Kunststoff sind, dass bei mehrmaliger werkstofflicher Verwertung Polymerketten abbauen, sodass irgendwann nur noch ein Downcycling möglich ist und am Ende eine thermische Verwertung erfolgen muss. Auch müssen wir weiterhin von einem weltweiten Wachstum der Kunststoffproduktion ausgehen, so dass zwangsläufig auch Neuware dem Kreislauf zugeführt werden muss.“
Auch Petra Krajewsky, Bereichsleiterin der Verarbeitungstechnik am Kunststoff-Zentrum in Leipzig (KUZ) glaubt, dass eine Umgestaltung zu deutlich höheren Anteilen möglich ist, wobei sie eine 100prozentige Kreislaufwirtschaft nicht für realistisch hält. Für Rudolf Hein vom Konstruktionsbüro Hein ist eine Umgestaltung unabdingbar. „Es darf aber keine 10 Jahre mehr benötigen. Der größte Teil der Umgestaltung sollte eher in 5 Jahren erfolgen.“
Nach Meinung von Dr. Stefan Sommer, Techn. CEO-Assistant, Prokurist bei Günther Heisskanaltechnik, muss die Umgestaltung der Wirtschaft hin zu einer kontinuierlichen Kreislaufwirtschaft, welche gleichzeitig die Wertschöpfung nicht außer Acht lässt, mittelfristig Ziel einer jeden Branche sein. „Voraussetzung hierzu ist jedoch, dass branchenübergreifend vom Hersteller, über den Verarbeiter bis hin zum Endverbraucher ein Umdenken einsetzt und die Prozesse hierzu gemeinsam gestaltet werden. Nur durch die gesamtheitliche Gestaltung der Wirtschaftskette kann die Umstellung zu einer Kreislaufwirtschaft gelingen. Die zunehmend digitalen Prozesse und Nachverfolgbarkeit von Produkten im Zuge der Digitalisierung begünstig die Prozessumstellung.“ Aber er hat sein Zweifel, dass der Weg zur Kreislaufwirtschaft bereits in 10 Jahren abgeschlossen sein wird.
Für Rolf Saß, Geschäftsführer von Engel Deutschland am Standort Hagen, ist die Schaffung einer Kreislaufwirtschaft eine globale Herausforderung. Aber angesichts der regional sehr unterschiedlichen Ausgangssituationen sind für ihn zehn Jahre nicht realistisch, um für die Kunststoffindustrie als Ganzes eine Kreislaufwirtschaft zu etablieren. „In einzelnen Bereichen und Ländern wird es in den nächsten zehn Jahren aber wichtige Teilerfolge geben,“ so Rolf Saß. „Die Unternehmen unserer Branche sind weltweit vernetzt. Das ist eine Riesenchance. So werden zum Beispiel in Asien Sammelsysteme nach europäischem Vorbild aufgebaut. Hier in Europa steht unter anderem das Aufstocken von Recyclingkapazitäten im Fokus.“ Diego Karpeles von Gabriel-Chemie sieht es ähnlich, „Ob die Umgestaltung der Industrie hin zu einer vollkommenen Kreislaufwirtschaft möglich ist, ist fraglich, aber die Richtung und der Trend sehen dies definitiv vor.“ . Dr. Stephan Gneuß, Gneuss Kunststofftechnik, Bad Oeynhausen, definiert das Ziel etwas anders, „Für viele Produkte und Materialien ist dies sinnvoll und realistisch, für einige jedoch nicht. Ziel sollte sein, bereits beim Produktdesign die Recyclingfähigkeit sicherzustellen und sich insbesondere die Materialauswahl entsprechend vorzunehmen.“
Alle Akteure des Wirtschaftssystems gefragt
Eine Umgestaltung der Wirtschaft vom alten, linearen Ansatz hin zu einer neuen, nachhaltigen Kreislaufwirtschaft ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, die die Industrie nicht allein bewältigen kann. Michèle Schulz von der Barlog Gruppe sieht hier alle Akteure unseres Wirtschaftssystems gefordert – von der Politik, über Verbände und NGOs, die Rohstoffindustrie, (Kunststoff-)Verarbeiter und Brand Owner bis hin zu den Verbrauchern, Abfallentsorgern und Verwertern. „Das Erreichen einer vollständigen Kreislaufwirtschaft ist, wenn es überhaupt, nicht ohne erhebliche Eingriffe in unser Konsumverhalten möglich und bedarf umfangreicher regulatorischer Abstimmungen zwischen den vielen Akteuren. Ein Zeithorizont von 10 Jahren ist daher utopisch. Das darf uns aber nicht davon abhalten, gemeinsam in möglichst kurzer Zeit möglichst große Schritte in Richtung Kreislaufwirtschaft zu unternehmen.“
Sandra Dierks von der der Feddersen-Gruppe, Hamburg weist aber noch auf die Frage der Energiebilanz hin. „Auf Kosten ggfs. welcher Energiequelle schaffe ich „Nachhaltigkeit“, in diesem Fall von entsprechend langfristiger Wiederverwertung eines nicht alterungs- und belastungsresistenten Rohstoffs. Wie sehr hängt die Gesamtwirtschaft mittlerweile von der Herstellung von Kunststoffen ab und wie ist dessen Reaktion auf diese ökonomisch evtl. sehr schwerwiegende Einflussnahme, wenn beispielsweise Bedarfsmengen drastisch zurückgehen?“
Es sind also noch einige Fragen zu klären, aber gerade eine Fach- und Arbeitsmesse wie die Kuteno, bietet hierfür eine gute Basis, um solche drängenden Fragen zu erörtern. In der Umfrage der Aussteller wurde bereits eine gute Grundlage für einen weiteren Diskurs im Rahmen der Messe vom 01. bis 03. September 2020 in Rheda-Wiedenbrück gelegt, wie sie im nächsten Artikel lesen können.