Darstellung von zwei im Forschungsvorhaben vom IKV entwickelte Messsysteme.

Zwei im Forschungsvorhaben vom IKV entwickelte Messsysteme. (Bild: IKV)

Bei der plastifizierenden Additiven Fertigung (AF) wird der thermoplastische Kunststoff in einer beweglichen Plastifiziereinheit aufgeschmolzen und anschließend strangförmig ausgetragen. Als thermoplastische Formmasse dienen zumeist Monofilamente (unter anderem Fused Filament Fabrication (FFF)) oder Granulate (unter anderem Schneckenextrusionsverfahren (SEV)) (Bild 1) [FAL23]. Das schichtweise Fertigungsprinzip mit einem lokal definierten Materialaustrag erlaubt ein hohes Maß an Freiheit, Flexibilität und zugleich auch Komplexität im Bauteildesign, etwa durch die Möglichkeit zur Einbringung von Hinterschnitten und inneren Strukturen oder der anwendungsspezifischen Funktionsintegration. Gegenüber herkömmlichen Kunststofffertigungsverfahren hat insbesondere die werkzeugfreie Bauteilfertigung immense wirtschaftliche Vorteile, da hohe Zeit und Fixkostenaufwände der Werkzeugfertigung entfallen.

Die Vorzüge plastifizierender AF-Verfahren werden allerdings stets durch die anisotrope, prozessabhängige mechanische Bauteilcharakteristik kontrastiert. Insbesondere die deutlich geringere Zwischenschichtfestigkeit in Aufbaurichtung stellt im Vergleich zur Festigkeit innerhalb der jeweiligen Einzelschichtebene eine Herausforderung dar. Bemessen an der Zugfestigkeit beträgt die Zwischenschichtfestigkeit in Aufbaurichtung etwa 25 bis 60 % der Festigkeit innerhalb der strangparallelen Schichtebene [CCM+16, HLD+20]. Diese Spanne ergibt sich aus der starken Prozessabhängigkeit der Zwischenschichtfestigkeit, die materialspezifisch sowie je nach Prozessführung variiert.

Grafik: Schematischer Aufbau einer FFF- und SEV-Anlage sowie Darstellung des Schichtaufbaus.
Bild 1: Schematischer Aufbau einer FFF- und SEV-Anlage sowie Darstellung des Schichtaufbaus. (Bild: IKV)

Insbesondere bei mechanisch beanspruchten Bauteilen ist dieses Verfahrensdefizit häufig ein limitierender Faktor für die Anwendung von AF-Bauteilen. Eine frühzeitige Bewertung und auch konstruktive Berücksichtigung der mechanischen Bauteilcharakteristik findet im Rahmen der Bauteilauslegung bislang nicht statt. Stattdessen wird zunächst ein vollständiger Konstruktions- und Fertigungsprozess durchlaufen. Erst anhand von anschließenden Bauteilkontrollen können geeignete Handlungsmaßnahmen abgeleitet und umgesetzt werden. Dieser Umstand stellt für plastifizierende AF-Verfahren ein wirtschaftliches als auch technologisches Hindernis in der Erweiterung des Anwendungsspektrums dar. Die Prototypenfertigung und insbesondere der Einsatz additiv gefertigter Endbauteile sind derzeit aufgrund der entwicklungstechnischen Unwägbarkeiten gehemmt, sofern es hohe mechanische Anforderungen zu berücksichtigen gilt.

Wie kann die lokale Zwischenschichtfestigkeit modelliert werden?

Vor dem Hintergrund der Anwendungserweiterung war es das Ziel des IGF-Forschungsprojektes (IGF-Nr. 22191N), die Vorhersagbarkeit der mechanischen Bauteilcharakteristik für das Schneckenextrusions- sowie das FFF-Verfahren zu verbessern. Fokussiert wurde die Vorhersage der Zwischenschichtzugfestigkeit von amorphen Thermoplasten. Zunächst wird dazu eine Berechnungsroutine erarbeitet, um die Zwischenschichtfestigkeiten auf Basis der im Maschinencode hinterlegten geometrischen Informationen und Fertigungsparameter zu ermitteln und dem Anwender zur Verfügung zu stellen. Die Berechnungsroutine besteht aus zwei Teilroutinen. Die erste Teilroutine dient der Berechnung der lokalen Temperaturverläufe im Zwischenschichtbereich. Dies erfolgt ausgehend von den Fertigungsparametern und geometrischen Bauteilinformationen, welche im Maschinencode hinterlegt sind. Die zweite nachgeschaltete Routine dient zur Berechnung der lokalen Zwischenschichtfestigkeit, wobei diese den in der ersten Teilroutine bestimmten Temperaturverlauf als Berechnungsgrundlage nutzt. Die Routine baut auf Modellen zur Bestimmung der Interdiffusionsvorgänge zwischen den Schichten auf. Begleitet wurden die Arbeiten an den Berechnungsroutinen durch die Entwicklung prozessintegrierter Messeinheiten zur Prozesstemperaturerfassung im FFF und SEV sowie durch experimentelle Untersuchungen zur prozessparameterabhängigen Zwischenschichtfestigkeit. Dies ermöglicht eine Validierung der errechneten Temperaturverläufe während realer Bauteilfertigungen. Auch die Ergebnisse mechanischer Untersuchungen werden mit denen der Berechnungsroutine korreliert, sodass das Berechnungsmodell verifiziert und bedarfsgerecht kalibriert werden kann.

So wird der Prozess überwacht

Obwohl die Bedeutung der Zwischenschichttemperatur für die erreichbaren Zwischenschichtfestigkeiten offensichtlich ist, werden die Prozesstemperaturen sowohl im SEV- als auch im FFF-Prozess bisher nur selten erfasst. Eine prozessintegrierte, zeit- und ortsaufgelöste Bestimmung der Ablagetemperaturen sowie der Zwischenschichttemperaturverläufe ermöglicht jedoch eine Korrelation dieser Prozessparameter mit der resultierenden Zwischenschichtfestigkeit.
Grundlegend werden an die Messsysteme folgende zwei Anforderungen gestellt:

  • Die Messung muss berührungslos erfolgen, um den Fertigungsprozess nicht zu beeinflussen.
  • Neben den Temperaturen sollen auch Zeitpunkt und Ort der jeweiligen Messung aufgezeichnet werden.    

Während das entwickelte Messsystem für das SEV eine zeit- und ortsaufgelöste Ermittlung der Zwischenschichttemperatur über ein gesamtes Bauteil ermöglicht, können keine Zwischenschichttemperaturverläufe ermittelt werden. Das entwickelte Messsystem für das SEV ist in Bild 2 zu sehen. Um eine gleichzeitige Messung des Strangs und des Substrats zu ermöglichen, werden zwei Wärmebildkameras verwendet. Außerdem sind die Kameras auf einer rotierenden Einheit montiert.

Anders als bei der Schneckenextrusion wird für das FFF-Verfahren eine eigenentwickelte FFF-Anlage mit Core-XY-Kinematik so modifiziert, dass eine Wärmebildkamera die Fertigung statisch analysiert (Bild 3). Aufgrund des beschränkten Bauraums ist die Adaption eines rotierenden Messaufbaus nicht möglich. Da der Druckkopf keine Z-Achsenbewegung ausführen muss, befinden sich die abgelegten Stränge immer auf derselben Höhe. Dadurch kann die Strangtemperatur an einem konstanten Referenzpunkt bestimmt werden.

Temperaturermittlung

Für die Simulation des SEV- und des FFF-Prozesses sowie der damit verbundenen Bestimmung des Zwischenschichttemperaturverlaufs wird das FEA-Programmpaket Abaqus der Firma Dassault Systèmes, Vélizy-Villacoublay, Frankreich, genutzt. Die Software bietet die Möglichkeit, Bauteilgeometrien zu importieren, diese zu vernetzen, Werkstoffdaten zuzuweisen und anschließend thermische sowie mechanische Simulationen durchzuführen. Zusätzlich steht das Abaqus Plugin „AM Modeler“ zur Simulation von AF-Prozessen zur Verfügung. Dieses wird verwendet, um das inkrementelle strang- und schichtweise Fertigungsprinzip des SEV- und FFF-Verfahrens modellhaft für ein beliebiges Teil abzubilden. Dabei werden Bauteilvolumenelemente sukzessive aktiviert sowie eine Temperatur übergeben. Die Definition der Bauteilgeometrie erfolgt über den Import einer STL-Datei in die Simulationsumgebung. Die Bauteilgeometrie wird anschließend mit einer Event Series überlagert, welche die Pfandinformationen der Fertigung enthält. Diese Event Series dient in der Modellierung der zeitabhängigen Aktivierung von Materialvolumenelementen.

Ein Vergleich der experimentell ermittelten Zwischenschichttemperaturen mit den simulativ ermittelten Zwischenschichttemperaturen bei Strangablage zeigt eine gute Übereinstimmung. Bild 4 zeigt einen solchen Vergleich für die Zwischenschichttemperaturen für ABS im SEV. Die jeweiligen Temperaturunterschiede sind über den Balken der Versuchspunkte dargestellt. Die Unterschiede zwischen den simulierten und den gemittelten gemessenen Temperaturen liegen zwischen 0,4 °C und 6,6 °C. Die simulierten Zwischentemperaturen zeigen, dass niedrigere Strangtemperaturen und längere Schichtbauzeiten zu niedrigeren Zwischentemperaturen führen. Aus den Ergebnissen wird deutlich, dass die Prozesssimulation die Zwischenschichttemperaturen robust vorhersagt. Die in der Prozesssimulation ermittelten Temperaturen können somit als Eingangsgrößen für die Erstellung einer Berechnungsroutine zur Vorhersage der Zwischenschichtfestigkeit verwendet werden.

Grafik: Vergleich der gemessenen und simulativ bestimmten Zwischenschichttemperaturen bei Strangablage der einzelnen VP für ABS im SEV.
Bild 4: Vergleich der gemessenen und simulativ bestimmten Zwischenschichttemperaturen bei Strangablage der einzelnen VP für ABS im SEV. (Bild: IKV)

Festigkeitsanalyse

Die Berechnung der Zwischenschichtfestigkeit baut auf dem Reptationsmodell nach de Gennes auf [Gen71]. Als Ausgangsgrundlage der Berechnung der Ausheilung wird eine am IKV entwickelte Routine zur Vorhersage der Bindenahtfestigkeit bei amorphen Thermoplasten genutzt [Onk19]. Die Vorhersage der von Onken entwickelten Routine gibt einen Aufschluss darüber, inwieweit die theoretische Festigkeit bei der ausgerechneten Ausheilung erreicht wird. Die Vorhersage des lokalen Temperaturverlaufs im Zwischenschichtbereich wird als Grundlage für das Reptationsmodell genutzt. Zur Validierung der Berechnungsroutine werden experimentelle Untersuchungen zur prozessparameterabhängigen Zwischenschichtfestigkeit durchgeführt. Die errechnete Spannung in der Simulation erreicht eine ähnliche Größenordnung wie der reale Zugversuch (Bild 5). Da in der Berechnung der Zugfestigkeit keine weiteren mesostrukturellen Einflüsse berücksichtigt werden, ist eine höhere Zugfestigkeit in der Simulation im Vergleich zum realen Zugversuch möglich.

Grafik: a) Vergleich der Simulationsergebnisse für einen Versuchspunkt im SEV.b) links strangparallel; rechts strangorthogonal.
Bild 5: a) Vergleich der Simulationsergebnisse für einen Versuchspunkt im SEV.b) links strangparallel; rechts strangorthogonal. (Bild: IKV)

Fazit

Durch die Vorabbestimmung der mechanischen Eigenschaften von plastifizierend additiv gefertigten Bauteilen sollen zukünftig zeit- und materialaufwendige Iterationsschleifen in der Bauteilauslegung entfallen. Die Berechnungsroutine zur Bestimmung der Zwischenschichttemperatur kann genutzt werden, um mögliche Abweichungen im realen Prozess zu erkennen und somit eine Qualitätssicherung zu implementieren. Die Nutzung der Routine zur Berechnung der Zwischenschichtfestigkeit kann genutzt werden, um erste grundlegende Bauteilauslegungen durchzuführen. Die frühe Vorhersage der Zwischenschichtfestigkeit bietet daher ein großes Potenzial, die Attraktivität und Verbreitung von Schneckenextrusions- und FFF-Verfahren deutlich zu steigern.

Quelle: IKV

Weitere Autoren:

  • Prof. Christian Hopmann, Leiter des Instituts für Kunststoffverarbeitung (IKV) in Industrie und Handwerk an der RWTH Aachen
  • Johannes Austermann, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Additive Fertigung am Institut für Kunststoffverarbeitung (IKV) in Industrie und Handwerk an der RWTH Aachen

Dank

Das Forschungsprojekt 22191 N wird im Rahmen der „Industriellen Gemeinschaftsforschung und -entwicklung (IGF)“ durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages über die AiF gefördert. Wir möchten uns bei allen genannten Organisationen bedanken.

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Literatur

[CCM+16] CASAVOLA, C.; CAZZATO, A.; MORAMARCO, V.; PAPPALETTERE, C.: Orthotropic mechanical properties of fused deposition modelling parts described by classical laminate theory. Materials & Design 90 (2016), S. 453-458 - DOI: 10.1016/j.matdes.2015.11.009

[FAL23]    FISCHER, A.; ACHTEN, D.; LAUNHARDT, M.: Kunststoff-Wissen für die additive Fertigung: Eigenschaften, Verarbeitung und Einsatzgebiete von Thermoplasten. München: Hanser, 2023 - ISBN: 978-3-446-46488-9

[Gen71]    GENNES, P. G. DE: Reptation of a Polymer Chain in the Presence of Fixed Obstacles. The Journal of Chemical Physics 55 (1971) 2, S. 572-579 - DOI: 10.1063/1.1675789

[HLD+20]    HOPMANN, C.; LAMMERT, N.; DAHLMANN, R.; PELZER, L.; HELLMICH, C.: Process and design optimisation in additive manufacturing. In: Institut für Kunststoffverarbeitung (IKV) in Industrie und Handwerk an der RWTH Aachen (Hrsg.): Proceedings of the 30th International Colloquium Plastics Technology. Aachen: Shaker, 2020

[Onk19]    ONKEN, J.: Vorhersage der Bindenahtfestigkeit in amorphen Thermoplasten. Institut für Kunststoffverarbeitung, RWTH Aachen, Dissertation, 2019 – Betreuer: Prof. Dr.-Ing. Christian Hopmann

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