Herr Kronimus, die Ressourcen unseres Planeten sind endlich. In Ihrer Keynote bei den Wittmann Competence Days 2024 haben Sie die planetaren Grenzen thematisiert. Welche Rolle spielt dabei die Kunststoffindustrie, um diese einzuhalten?
Dr. Alexander Kronimus: Die Herstellung und Verarbeitung von Kunststoffen steht derzeit noch stark auf der Grundlage von fossilen Rohstoffen wie Erdöl und Erdgas, was zur Freisetzung von Treibhausgasen in die Atmosphäre und folglich zur Klimaerwärmung beiträgt. Entscheidend sind hier nicht nur die direkten und energiebedingten Emissionen der Produktion, sondern auch der Kohlenstoffinhalt in den Polymeren. Für eine klimaneutrale Kunststoffnutzung muss auch der in den Polymeren gebundene Kohlenstoff defossilisiert werden. Eine signifikante Reduktion des Verbrauchs fossiler Ressourcen ist Voraussetzung für ein Kunststoffsystem, welches die planetaren Grenzen nicht überschreitet. Entscheidend im Kontext der planetaren Grenzen ist, dass die globale Erwärmung nur eine neben einer Mehrzahl planetarer Grenzen ist. Andere Grenzen sind beispielsweise die Gewässerversauerung, die Biosphärenintegrität, Nährstoffzyklen im Zusammenhang mit Phosphor und Stickstoff und Aerosole in der Atmosphäre. Die Betrachtung geht somit weit über den Einfluss der Kunststoffnutzung auf die globale Erwärmung hinaus.
Wissenschaftler der ETH Zürich, der University of California at Santa Barbara und der RWTH Aachen haben erforscht, wie der Rohstoffmix für Kunststoffe und andere Bedingungen beschaffen sein müssten, ohne die planetaren Grenzen zu überschreiten. In den untersuchten Modellen zeigte sich, dass eine Rohstoffgrundlage basierend auf Biomasse, CO2 und hohem Rezyklateinsatz ein Weg ist, sich diesem Ziel zu nähern. Zugleich sind selbstverständlich weitere Bedingungen, wie die Kreislaufführung und die Nutzung regenerativer Energien erforderlich. Letztlich muss die Kunststoffproduktion von einer linearen zu einer Kreislaufwirtschaft umgestellt werden und zugleich eine sukzessive Entkopplung von fossilen Ressourcen erfolgen, indem man diese durch Rezyklate, Biomasse und CO2 ersetzt. Langfristig werden aber noch weitere Maßnahmen notwendig, um den weltweit ansteigenden Kunststoffgebrauch innerhalb der planetaren Grenzen abbilden zu können.
Wie können Prozesse verbessert werden, um einen geschlossenen Wertstoffkreislauf zu generieren?
Kronimus: Die gute Nachricht ist, dass sich die europäische Kunststoffindustrie bereits auf dem Weg zu einer nachhaltigen und klimaneutralen Kreislaufwirtschaft befindet. Schon heute bestehen 19,5 % aller neu produzierten Kunststoffe in der EU aus recycelten und nicht-fossilen Rohstoffen. Wir müssen aber schneller werden. Gemäß der Transition Roadmap von Plastics Europe wird dieser Anteil bis 2050 voraussichtlich auf 65 % steigen.
Die europäischen Chemie- und Kunststofferzeuger investieren, um ihre Produktionsprozesse umweltfreundlicher zu gestalten und eine klimaneutrale Kunststoffproduktion zu ermöglichen. Dafür setzen sie verstärkt auf die Elektrifizierung ihrer Produktionsprozesse, die Nutzung erneuerbarer Energien und die Erforschung alternativer Rohstoffquellen.
Essenziell ist aber nicht nur die Produktion, sondern auch die Kreislaufwirtschaft. Und diese beginnt nicht mit dem Abfall. Durch smartes Produktdesign kann der Materialeisatz verringert und Produkte wiederverwendbar und reparierbar gestaltet werden. Design for Recycling ermöglicht eine verbesserte Kreislaufführung, etwa durch eine verringerte Materialkomplexität im Produkt, also beispielsweise die Nutzung von Monomaterial statt schwer recycelbaren Verbunden. Auch kann die Ergänzung des mechanischen Recyclings durch das chemische Recycling zu höheren Recyclinganteilen führen, also Abfallströme, die bislang energetisch verwertet, sprich verbrannt wurden, können nun im Kreislauf gehalten werden.
Und welche Aufgabe kommt hierbei der Digitalisierung zu?
Kronimus: Die Digitalisierung ist ein Game Changer in der Kunststoffproduktion aber auch für die Kreislaufwirtschaft. Von vollautomatisierten Produktionsprozessen und verbesserten Simulationen bis hin zu effizienzoptimierten Arbeitsabläufen, Tracing-Technologien und digitalen Produktpässen hilft die Digitalisierung, Kunststoffe effektiver im Kreislauf zu führen. Zum Beispiel mit KI-gestützten Sortierverfahren und digitalen Zwillingen, die dabei helfen, selbst komplexe Kunststoffanwendungen, wie in Automobilen oder Smartphones, durch Maschinen vermehrt automatisiert zu demontieren und zu recyceln. Auch bei der Compoundierung von Rezyklaten kann der Einsatz von KI helfen. Die Materialeigenschaften von Rezyklaten sind oftmals schwer einzuschätzen. Durch Materialanalysen und deren KI-gestützten Vergleich mit digitalen Materialhistorien, also den Eigenschaften möglichst aller bislang in einem Unternehmen genutzten Polymere und Compounds, können die Versuche zur Findung einer geeigneten Compoundierung verringert werden. Digitalisierung ist ebenso essenziell für die Umsetzung zirkulärer Geschäftsmodelle wie für den Betrieb von Marktplattformen für Rezyklate.
Michael Wittmann sagte in seiner Begrüßungsrede, dass Kommunikation das Herzstück der Digitalisierung sei. Wie „digital“ ist die Kunststoffindustrie inzwischen?
Kronimus: Digitalisierung wird bereits heute in der Abfallbewirtschaftung für eine effiziente und effektive Sortierung von Abfallströmen eingesetzt. In der Prozesstechnik optimieren beispielsweise Roboter die Produktion. Das war auf den Wittmann Competence Days eindrucksvoll zu sehen. In der Produktion werden durch Einsatz von KI die Anzahl von Testläufen verringert und der Ressourceneinsatz optimiert. Lieferprozesse, Logistik und Kommunikation in der Wertschöpfungskette sind zwischenzeitlich digitalisiert.
Wo sehen Sie die Kunststoffkreislaufwirtschaft in fünf Jahren?
Kroniums: Nach unseren Prognosen aus der Plastics Transition Roadmap werden in der EU bis 2030 etwa 25 % aller Kunststoffe aus recycelten und nicht-fossilen Ressourcen bestehen. Bis 2045 wird der Anteil voraussichtlich bei 40 % liegen und bis 2050 kann er bereits bei 65 % liegen. Damit diese Transformation gelingt, müssen jedoch schon heute große Investitionen getätigt werden, da die Unternehmen in der Chemie- und Kunststoffindustrie mit langen Investitions- und Planungszeiträumen konfrontiert sind. Plastics Europe setzt sich dafür ein, in Berlin und Brüssel geeignete Rahmenbedingungen zu ermöglichen, damit diese Investitionen jetzt möglichst schnell umgesetzt werden können. Doch ich möchte den Unternehmen in der Kunststoffindustrie auch zurufen: Warten Sie nicht auf die Regulierung! Die Kreislaufwirtschaft wird und muss kommen. Bereits heute gibt es in der Kunststoffindustrie smarte zirkuläre Produkte. Lernen Sie schon heute von den klügsten und mutigsten Pionieren der Kreislaufwirtschaft und versuchen Sie dann, es im eigenen Unternehmen noch besser zu machen!
Sie leiten bei Plastics Europe Deutschland den Geschäftsbereich Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft. Neuerdings sind Sie zusätzlich Hauptgeschäftsführer des Verbandes. Welche Synergien ergeben sich daraus für die Kunststoffbranche?
Kroniums: Meine Funktion als Hauptgeschäftsführer ist kommissarisch. Der Vorteil: Die Doppelfunktion verbindet technisches Know-how mit noch mehr Gestaltungsspielraum, was sich – so hoffe ich – auf die Rahmenbedingungen für eine Kreislaufwirtschaft mit Kunststoffen positiv auswirkt. Allerdings kann dies nur vorübergehend funktionieren. Auf längere Sicht ist die Arbeitsteilung zwischen den beiden Funktionen sinnvoll und notwendig.
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