Zeichnung einer durchsichtigen Plastiflasche - daneben viele Molekülstrukturen und -ketten. Das Enzym MHETase ist ein riesiges, komplex gefaltetes Molekül. MHET-Moleküle aus PET-Kunststoff docken an einer aktiven Stelle im Inneren der MHETase an und werden dort aufgespalten.

Das Enzym MHETase ist ein riesiges, komplex gefaltetes Molekül. MHET-Moleküle aus PET-Kunststoff docken an einer aktiven Stelle im Inneren der MHETase an und werden dort aufgespalten. (Bild: Martin Künsting/HZB)

Mann mit kurzen grauen Haaren, Brille und blauem Hemd. Prof. Uwe Bornscheuer, Institut für Biochemie, Abteilung Biotechnologie & Enzymkatalyse, Universität Greifswald.
Prof. Uwe Bornscheuer, Institut für Biochemie, Abteilung Biotechnologie & Enzymkatalyse, Universität Greifswald. (Bild: Privat)

Können Sie erklären, wie enzymatisches Recycling funktioniert und wie es sich von anderen Recyclingmethoden unterscheidet?
Uwe Bornscheuer: Beim enzymatischen Recycling werden (logischerweise) Enzyme eingesetzt, die in der Lage sind, die chemischen Bindungen im Polymer, also Esterbindungen im Polyester PET oder Urethanbindungen im Polyurethan, aufzuspalten, hier also durch Hydrolyse. Beim mechanischen Recycling wird das Plastik lediglich zerkleinert und in Anteilen bei der Herstellung von neuem (erdölbasiertem) Kunststoff zugesetzt, also ist das nur ein Teilrecycling und das Produkt hat verminderte Qualität. Beim chemischen Recycling werden chemische Reagentien genutzt, um die Polymerbindungen (bei höheren Temperaturen, beispielsweise >150 °C) aufzubrechen, etwa mit Natronlauge. Das bedeutet auch mehr Energieeinsatz. Für Kunststoffe wie PP oder PE wird auch Pyrolyse verwendet, das heißt sehr hohe Temperaturen und Drücke, das ist noch energieintensiver.

In welcher Form muss der zu recycelnde Kunststoff vorliegen, damit die Enzyme aktiv werden können?
Bornscheuer: Grundsätzlich kann dies auch ohne Vorbehandlung gehen, allerdings ist das Problem, dass zum Beispiel PET aus amorphen (hydrolysierbar) und kristallinen (nicht hydrolysierbar) Anteilen besteht. Bei circa 70 °C ist ein Übergangszustand, bei dem der kristalline Anteil amorph wird und nur dann kann PET zu 100 % hydrolysiert/gespalten, also vollständig recycelt werden. Allgemein findet vor dem Enzymverfahren eine Vorbehandlung statt, ‚Micronization‘, um kleine Partikel zu erzeugen, damit auch die Angriffsfläche/Oberfläche vergrößert wird.

Welche Rolle spielen Enzyme beim Abbau von PET und wie werden diese Enzyme ausgewählt?
Bornscheuer: Hier werden Hydrolasen, genauer Esterasen, verwendet, die Esterbindungen spalten können (Lipasen, Cutinasen gehören auch dazu). PET heißt ja Polyethylenterephthalat und besteht aus den Bausteinen Terephthalsäure und Ethylenglykol, die in der Hydrolyse freigesetzt und so wieder zur Synthese von neuem PET eingesetzt werden können. Gefunden wurden die ersten Enzyme vor fast 20 Jahren, zum Beispiel bei Untersuchungen von Kompost. Das derzeit beste Enzym (LCC, leaf compost cutinase) stammt auch aus Kompost und wurde durch Methoden des Enzym-Engineerings (also der Optimierung des Enzyms) substanziell verbessert bezüglich Aktivität und Thermostabilität, damit es bei circa 70 °C hochaktiv und für den großen Industrieprozess geeignet ist. Diese Variante heißt „LCC-ICCG“.

Sieben Reagenzgläser mit Schraubverschluss und diversen Inhalten. Mit Enzymen lassen sich Kunststoffabfälle aus beispielsweise PET wiederverwerten.
Mit Enzymen lassen sich Kunststoffabfälle aus beispielsweise PET wiederverwerten. (Bild: Jérôme Pallé)

Welche Herausforderungen bestehen derzeit beim enzymatischen Recycling von PET und wie wird versucht, diese zu überwinden?
Bornscheuer: Die Herausforderungen waren hohe Aktivität und dies bei circa 70 °C. Das wurde durch Enzym-Engineering überwunden und in einer Veröffentlichung von Wissenschaftlern aus Toulouse und von Carbios genau beschrieben.

Wie wird die Wirksamkeit eines Enzyms im Labor getestet? Wie erfolgt die Skalierung für seine industrielle Anwendung?
Bornscheuer: Im Labormaßstab testen wir das zunächst an Modellverbindungen, also ob das Enzym überhaupt aktiv ist, dann werden standardisierte PET-Filme getestet und anschließend „echtes“ Material, also gebrauchte Kunststoffe. Das passiert erst im Milligramm-Maßstab, dann entsprechend größer, bis man Tests in einer Pilotanlage (Multikilogramm-Maßstab) macht, damit Ingenieure auch eine technische Anlage planen können.

Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen Ihrem Team an der Universität Greifswald und dem Unternehmen Carbios konkret aus? Und wie kam diese zustande?
Bornscheuer: Die Entwicklung des im industriellen Verfahren genutzten optimierten Enzyms (LCC-ICCG) erfolgte nicht mit meiner Arbeitsgruppe. Allerdings hatten wir ein Forschungsprojekt zur weiteren Verbesserung des Verfahrens. Ich bin seit 2019 im wissenschaftlichen Beirat (Scientific Advisory Board) von Carbios, da ich einer der weltweit führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet der Enzymkatalyse, des Enzym-Engineerings und auch für enzymatisches/biotechnologisches Kunststoffrecycling bin. So kam diese Zusammenarbeit zustande.

Welche Entwicklungen oder Fortschritte wurden kürzlich bei dieser Technologie erzielt?
Bornscheuer: Das komplette (enzymatische) Recycling von PET (aus Getränkeflaschen beziehungsweise Textilfasern) funktionierte bereits seit geraumer Zeit im technischen Maßstab, entwickelt bei Carbios, Frankreich. Zunächst in einer Demonstrationsanlage, ausgelegt für mehrere Tonnen/Batch. Vor einigen Wochen war die Grundsteinlegung für die industrielle Anlage mit 50.000 Tonnen/Jahr Kapazität, das entspricht circa 2 bis 3 Milliarden PET-Flaschen!

Quelle: Universität Greifswald, Carbios

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