Charta fuer Holz 2.0 im Dialog

Prof. Dr. Michael Braungart ist CEO von Braungart EPEA – Internationale Umweltforschung, Hamburg, und Professor an der Leuphana Universität Lüneburg. (Bild: BMEL-FNR-photothek)

Kunststoffe haben in der Vergangenheit Bedeutendes geleistet: Sie reduzieren das Gewicht, sie sind bruchstabil, sie können für Verpackungen genauso wie für Baumaterialien, Autoteile und andere technische Anwendungen eingesetzt werden. Sie sind Fluch und Segen zugleich. Bekanntermaßen gelangen über 8 Mio. t Plastik jedes Jahr in die Ozeane, jeder Mensch nimmt durchschnittlich pro Woche etwa 5 g Mikroplastik auf. Plastik ist inzwischen zum Schimpfwort geworden. Jeder, der etwas auf sich hält, versucht, Plastik zu vermeiden oder zumindest die Plastikanwendung zu reduzieren. Dies ist verheerend, da durch das schlechte Image von Plastik eine ganze Generation an jungen Forschern verlorengehen könnte, um Kunststoffe weiterzuentwickeln. Die historische Entwicklung der Kunststoffanwendung ist sicherlich den Lesern der Zeitschrift Plastverarbeiter bekannt und soll nicht Gegenstand der weiteren Erörterung sein. Es geht vielmehr darum, welche Zukunft Kunststoffe haben. Kunststoffe sind in Bezug auf ihre Anwendung von hoher Leistungsfähigkeit, in Bezug auf ihre Umwelt- und Gesundheitsverträglichkeit haben sie jedoch einen drastischen Optimierungsbedarf. Es ist deshalb notwendig, zu überlegen, wie eine weitere Entwicklung von Kunststoffen aussieht. Dafür ist es wichtig, zunächst die Ausgangssituation zu betrachten.

Kunststoffe werden in vielfältigen Anwendungen eingesetzt. Dazu gehören auch die Kunststoffpartikel, die bei einem Laserdrucker auf das Papier gelangen und dort festgeschmolzen werden, genauso wie Nassfestigkeitsstabilisatoren in Papier oder Teflonverbindungen in Druckerzeugnissen. Kunststoffe in Lacken und Oberflächenbeschichtungen, Kunststoffe in Schuhabrieb, Bremsbelägen, Autoreifen sind genauso problematische Anwendungen. Es ist notwendig, das gesamte Feld zu betrachten und dabei auch textile Anwendungen besonders hervorzuheben.

Überraschenderweise wird das Umwelt- und Gesundheitsproblem immer noch als eine Art Luxus begriffen. Etwas, was man sich leistet, wenn es einem wirtschaftlich gutgeht. Dabei sind die 40 Jahre Umwelt-Weltuntergangsdiskussionen eine Chance, Innovationen zu erreichen, die nicht mit Sklavenarbeit aus Asien konkurriert. Umwelt und Gesundheit sind praktisch die einzige echte Innovationschance, bei der es einen Know-how-Vorsprung in Europa gibt. Es geht also besonders um Innovation. Bestehendes kann in anderen Ländern der Welt weitaus kostengünstiger erzeugt werden.

Warum „Der Grüne Punkt“ als abschreckendes Beispiel dient

Wie wenig die Kunststoffbranche bisher zu echten Veränderungen in Bezug auf Umwelt und Gesundheit bereit ist, zeigt exemplarisch „Der Grüne Punkt“. Seit der Einführung des Grünen Punktes hat sich die Kunststoffverpackungsmenge nahezu verdoppelt. Kein einziges giftiges Additiv, Pigment, kein Hilfsstoff ist von der Industrie selbst vom Markt genommen oder vom Gesetzgeber verboten worden. Es gilt als Recycling, wenn Kunststoffe in Recyclingbetrieben angekommen sind, beziehungsweise wenn sie exportiert wurden. Denn sie durften ja nur als Wirtschaftsgut exportiert werden. In Kambodscha und Vietnam stolpert man über diese Kunststoffe. Es galt bis vor kurzem noch als stoffliche Verwertung, wenn Kunststoffabfälle in Bergwerke gefüllt wurden. Es ist dabei ein Ökologismus entstanden. Das heißt, der Grüne Punkt dient nicht der Umwelt und der Vermeidung von Abfällen, sondern im Gegenteil der Bereicherung von wenigen. In den Verpackungen wird immer noch PVC verwendet. Obwohl es nur etwa 3 % sind, erreicht dadurch das Recycling nur minderwertigen Standard, da die Dichte von PVC und PET identisch ist.

Warum das jetzige Recycling einem Downcycling entspricht

Recyclingbemühungen sind im Allgemeinen kein Recycling, sondern ein Downcycling, da die Kunststoffe nie für echte Kreisläufe entwickelt worden sind. Allein in Polypropylen werden etwa 800 Additive verwendet, wie etwa UV-Stabilisatoren oder Antioxidantien. Die Polyolefine machen etwa die Hälfte der Kunststoffanwendungen aus. Dadurch, dass die Vielfalt der Additive und Hilfsstoffe und Pigmente so groß ist, ist allein auch bei sortenreinem Polyolefin an ein Recycling nicht zu denken, es ist immer ein Downcycling. Viele Kunststoffe werden so verarbeitet, dass unterschiedliche Eigenschaften erreicht werden, indem verschiedene Schichten von Kunststoffen zusammengebracht werden. Zum Beispiel ist dadurch eine Schokoladenverpackung, die allein aus Polyolefin besteht, trotzdem nahezu nicht mehr recyclingfähig. Sie verliert ihre thermoplastischen Eigenschaften und kann so nicht zurückgewonnen werden.

Was bedeutet Cradle-to-Cradle?

Stoffkreisläufe in der Biosphäre
Anzustrebende Stoffkreisläufe in der Biosphäre und in der Technosphäre. (Bild: Prof. Braungart – EPEA)

Bei Cradle-to-Cradle unterscheidet man zwischen Materialien für die Biosphäre und die Technosphäre: Alles, was verschleißt, wie etwa Schuhsohlen, Bremsbeläge Autoreifen oder Waschmittel, wird so gestaltet, dass es biologischen Systemen nutzt. Alles was nur eine Dienstleistung ist, wie etwa Fenster, Waschmaschinen oder Fernseher, geht in die Technosphäre, ist also technischer Nährstoff. Es gibt also keinen Abfall mehr, sondern nur noch Nährstoffe für die Bio- und Technosphäre. Dies bedeutet ein erhebliches Innovationspotenzial. In die Biosphäre sollten nur Materialien gelangen, deren Eigenschaften für die Biosphäre geeignet sind. Im Durchschnitt gibt ein Mensch in Deutschland durchschnittlich etwa 110 g Mikroplastik pro Jahr durch Schuhabrieb in die Umwelt ab. Über die Hälfte von allem Mikroplastik in der Elbe ist nach Messungen der Leuphana Universität Lüneburg Reifenabrieb. Die Materialien sind nie für den Verschleiß entwickelt worden und stellen nun ein großes Abfallproblem dar. Bei Untersuchungen konnten wir als Minimum 1.500 Plastikteile in jeder Auster nachweisen. Bis zu 40.000 Plastikteile waren dabei vorzufinden.

Kunststoffrecycling: Der große Überblick

Mann mit Kreislaufsymbol auf dem T-Shirt
(Bild: Bits and Splits - stock.adobe.com)

Sie wollen alles zum Thema Kunststoffrecycling wissen? Klar ist, Nachhaltigkeit hört nicht beim eigentlichen Produkt auf: Es gilt Produkte entsprechend ihrer Materialausprägung wiederzuverwerten und Kreisläufe zu schließen. Doch welche Verfahren beim Recycling von Kunststoffen sind überhaupt im Einsatz? Gibt es Grenzen bei der Wiederverwertung? Und was ist eigentlich Down- und Upcycling? Alles was man dazu wissen sollte, erfahren Sie hier.

Wird an den falschen Stellen optimiert?

Im Vergleich halten Autoreifen heutzutage etwa doppelt so lange wie vor 30 Jahren. Es werden etwa 470 Chemikalien verwendet, um Autoreifen herzustellen. Vorher blieb der Reifenstaub auf der Straße, heute wird er eingeatmet und gelangt in die Gewässer. Dadurch, dass die Reifen doppelt so lange halten, hat man das Falsche perfekt gemacht und damit perfekt falsch. Anstatt zuerst zu fragen, was ist gesunder Abrieb für biologische Systeme.

Man denkt traditionell, man würde die Umwelt schützen, wenn man weniger zerstört. Schütze die Umwelt: Fahr weniger Auto! Mach weniger Müll! Reduziere den Energieverbrauch! Verwende weniger Plastik! Das ist aber kein Schutz, sondern nur weniger Zerstörung. Das wäre so, wie wenn ich sagen würde: Schütze Dein Kind, schlag es nur fünf- statt zehnmal! In dieser Logik hat ein Land wie Polen in kommunistischen Zeiten die Umwelt besser „geschützt“ als der Westen – durch Ineffizienz. Sie hatten keine Ressourcen, die Umwelt zu zerstören, da das System so ineffizient war.

Darum ist es wichtig, zuerst zu fragen, was das Richtige ist, bevor man es optimiert. Wenn eine Kunststoffverpackung 10 % leichter wird, danach nicht mehr verwendbar ist oder vom Wind davongetragen wird, hat man einen Pyrrhussieg erreicht. Wenn Kunststoffverpackungen mit Memory-Effekten recycelt werden, entstehen immer stinkende Materialmischungen. Das heißt, es ist notwendig, das Denken zu ändern. Kunststoffe, die in die Biosphäre gelangen, müssen biologisch abbaubar sein. Dies gilt auch für Textilabrieb – etwa ein Drittel des Mikroplastiks in der Nordsee ist Textilabrieb. Kunststoffe, die nur verwendet werden, also in der Technosphäre, zum Beispiel in Waschmaschinen, müssen für die Technosphäre gestaltet sein, sodass sie wieder und wieder für die gleichen Zwecke einsetzbar sind. Die Herkunft der Rohstoffe – ob fossil oder biologisch – ist damit zunächst für den Verbleib in der Umwelt belanglos. Zum Beispiel sind die biologisch perfekt abbaubaren Polyester von BASF für die Biosphäre hervorragend geeignet, obwohl sie fossilen Ursprungs sind.

Wie sollen Produkte in Zukunft gestaltet sein?

Alle Kunststoffanwendungen – ob in Papiertaschentüchern, Druckerzeugnissen, als Beschichtungen, als Verschleißteile, Schuhsohlen, Bremsbeläge – müssen so gestaltet sein, dass sie die Biosphäre unterstützen. Alle Materialien für die Technosphäre sind technische Nährstoffe. Dies bedeutet jedoch andere Geschäftsmodelle. Eine Waschmaschine zum Beispiel enthält etwa 150 kostengünstige Kunststoffe, ein BMW enthält etwa 200 Kunststoffe, die alle niemals für ein Recycling entwickelt wurden. Diese zu recyceln ist ausgeschlossen. Das bestehende Geschäftsmodell lässt jedoch kaum etwas anderes zu. Wie wäre es, wenn man die Waschmaschine nicht mehr verkauft, sondern nur 3.000 Waschgänge? Dann könnte der Hersteller die Waschmaschine aus drei bis vier Kunststoffsorten herstellen, bei denen sich das Recycling tatsächlich lohnen würde. Ähnliches gilt für Autos. Wenn man nur die Dienstleistung der Autoverwendung verkaufen würde, dann könnten die besten Kunststoffe verwendet werden. Das setzt aber voraus, dass das Geschäftsmodell verändert wird. Der Hersteller bleibt Eigentümer und gibt lediglich die Dienstleistung ab, die Materialien werden reversibel miteinander, zum Beispiel über enzymatische Klebeverbindungen, verbunden und können auf diese Art und Weise tatsächlich wieder sortenrein voneinander getrennt werden. Die Grundvoraussetzung dafür ist allerdings eine definierte Nutzungszeit und die positive Definition aller Inhaltsstoffe anstelle von Langlebigkeit. Dies bedeutet zugleich ein Verbot von problematischen Anwendungen. Dabei ist die Industrie noch nicht einmal dazu bereit, beispielsweise bei Heftpflastern oder Wurstpellen auf solche prinzipiellen ökologischen Anforderungen zurückzugehen.

Wird die Kunststoffbranche in ihrer jetzigen Form eine Zukunft besitzen?

Die Kunststoffbranche hat große Verdienste. Wenn sich die Branche jedoch nicht auf ihre wirklichen Fähigkeiten in Bezug auf Umwelt und Gesundheit konzentriert, wird sie keine echte Zukunft haben. Dies setzt voraus, dass PVC aus den meisten Anwendungen herausgenommen wird, dass für Polyolefine lediglich etwa 60 bis 80 Additive verwendet werden und es eine Positivliste an Pigmenten gibt, die wiederum aus der Schmelze abtrennbar sind; dass neue Verpackungskonzepte bedacht werden, bei denen zum Beispiel alle Verpackungen aus einem Monokunststoff bestehen, etwa aus PET. Da PET jedoch durch die Abnahme der Kettenlänge nur etwa achtmal recyclingfähig ist, sind zum einen Depolymerisierungsstrategien von Vorteil, zum anderen aber auch Strategien, einen bestimmten Anteil aus dem Polyesterstrom auszuschleusen, um ihn biologisch abbaubar zu machen und diesen ausgeschleusten Strom in der Textilienproduktion zu verwenden, bei dem die Emission von Mikroplastik nicht vermeidbar ist. So könnte künstliches Plankton in den Gewässern entstehen, der durchaus nützlich ist durch die Anlagerung von Algen oder Mikroorganismen und dann als Plankton in der Nahrungskette genutzt werden kann. Die Branche hat die Zeichen der Zeit bisher jedoch nicht erkannt, bis auf ganz wenige Unternehmen.

Es ist also notwendig, umzudenken. Dann können Kunststoffe eine wichtige Rolle in der Industriegesellschaft spielen. Dies setzt aber voraus, dass nicht nur schädliche Additive und Katalysatorenrückstände wie Antimon aus PET verschwinden, sondern dass ein Denken einsetzt, dass Kunststoffe wertvoll sind, dass ihr Wert geschätzt wird, dass zum Beispiel alle Verpackungen der Lebensmittelindustrie mit einem einzigen Kunststoff, wie etwa PET, hergestellt werden. Und dann wird auf diese Kunststoffe ein Pfand erhoben, das mit einer Pfandkarte bezahlt werden kann, bei der zum Beispiel anfangs vom Anbieter 30 EUR aufgebucht sind. Alles, was dann über 30 EUR erwirtschaftet wird, kann dann an die Kunden ausgezahlt werden. Kunststoffe sind wertvoll, und ich werde immer ein Unterstützer für die Anwendung von Kunststoffen sein, wenn sie sinnvoll ist. Persönlich habe ich den Tod eines fünfjährigen Mädchens im Hause von Bekannten in Braunschweig erleben müssen, da sie sich bei einem Treppensturz den Hals an einer gebrochenen Glasflasche aufgeschnitten hat. Jährlich führen allein in Hamburg Glasscherben zu etwa 200 schwerverletzten Kindern. Es gibt gute Gründe, auf Kunststoffe und die Kunststoffverarbeitung stolz zu sein, aber nicht auf diese Kunststoffe und diese Kunststoffverarbeitung.

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