Für medizinische Produkte fordern die benannten Stellen der EU und der USA – auch im Deutschen oft „Notified Bodies“ genannt – eine detaillierte Dokumentation während der gesamten Produktentwicklung, Prozessplanung und Herstellung. Die Vorgaben dazu finden sich in der europäischen Norm EN ISO 13485:2016 – Qualitätsmanagementsysteme für Medizinprodukte und in der amerikanischen FDA-Verordnung 21 CFR Part 820 – Quality Systems Regulations. In beiden Regularien ist festgelegt, dass ein Unternehmen kritische Produktionsprozesse, deren Ergebnis nicht durch nachfolgende Überwachung oder Messung verifiziert werden kann, validieren muss. Hierunter fallen Spritzgießprozesse in der Massenproduktion, wo eine 100-Prozent-inline-Kontrolle meistens nicht sinnvoll ist. Die Durchführung der Validierung ist allerdings weder in der amerikanischen Verordnung noch in der europäischen Norm vorgegeben. Lediglich die Aufgaben, die der Hersteller zu erfüllen hat, werden in verschiedenen Richtlinien und Leitfäden festgehalten.
Es ist gängige Praxis, Spritzgießprozesse auf Basis von Maschinenparametern zu validieren. Wechselnde Umgebungsbedingungen, die die Viskosität der Schmelze beeinflussen und zu Ausschuss führen können, bleiben dabei jedoch unberücksichtigt. Viele Verarbeiter stellen sich die Frage, wie sich die neue dynamische Prozessregelung konform mit den aktuellen Gesetzen und Normen in eine Validierungsstrategie für die Herstellung von Medizintechnikprodukten einbinden lässt. Der Schlüssel hierfür liegt in der Definition von Prozessfenstern und der Validierung dieser Prozessbereiche. Das Assistenzsystem IQ Weight Control von Engel bietet die Möglichkeit, den Umfang der Nachjustierung zu begrenzen. Basierend auf Erfahrungen oder Versuchsergebnissen werden für die nachzujustierenden Parameter Umschaltpunkt, Einspritzprofil und Nachdruck jeweils Grenzwerte bestimmt und in der Steuerung hinterlegt. Damit wird sichergestellt, dass trotz dynamischer Prozessregelung die Prozessparameter den validierten Bereich nicht verlassen und der Prozess den regulatorischen Vorgaben entspricht.
Validierungsstrategie an das Produkt anpassen
Zunächst müssen die Produktanforderungen anhand von messbaren Akzeptanzkriterien festgelegt werden. Dies erfolgt in der Regel auf Basis der Risikoanalyse und wird in einem Validierungsmasterplan (VMP) beschrieben. Der VMP beinhaltet die Validierungsstrategie eines Unternehmens und soll die Schlüsselelemente des Qualifizierungs- und Validierungsprogramms klar definieren. Hierfür muss der VMP sehr konkret beschreiben, welche Validierungsprinzipien in dem Unternehmen wie umgesetzt werden, und welche Personen auf welcher Stufe in welcher Form Verantwortung übernehmen. Diese Aufgabe sollte ein Expertenkreis aus Produkt- und Prozessingenieuren des Kunststoffverarbeiters – Task Force genannt – übernehmen.
Jedes Produkt hat kritische Qualitätsmerkmale (CQA, Critical Quality Attributes), welche in der Spritzgießfertigung beispielsweise ein Längenmaß oder die Oberflächengüte sein können. In der Validierung gilt es, die dazugehörigen kritischen Prozessparameter (CPP, Critical Process Parameters) zu finden, die Einfluss auf die CQA nehmen. Anhand von Datenblättern und Erfahrungswerten mit vergleichbaren Spritzgießprozessen legen die Experten diese kritischen Spritzgießparameter fest. Bei kritischen Bauteilen, beispielsweise Funktionselementen eines Medikamentenzuführsystems, bedient man sich der statistischen Versuchsplanung (DoE), um die Prozessgrenzen zu ermitteln. Bei der Mehrzahl der Anwendungen reicht die vereinfachte Planung basierend auf Erfahrungswerten aus, um ein erlaubtes Parameterfenster festzulegen. Befinden sich die CQA in den akzeptierten Grenzen, lassen sich Parameterbereiche, in denen der Prozess angepasst werden darf, einstellen. Zusätzlich wird in dieser Phase der Prozess auf dessen Stabilität untersucht.
Prozessparameter in Echtzeit regeln
Das Assistenzsystem IQ Weight Control ist eine Echtzeit-Regelungssoftware, die Prozessparameter noch während des laufenden Zyklus anpasst, um eine konstant hohe Bauteilqualität zu gewährleisten. Die Software vergleicht den Spritzdruck über der Schneckenposition mit einer Referenzdruckkurve und identifiziert Abweichungen von Einspritzvolumen und Viskosität. Durch die automatische Anpassung von Umschaltpunkt, Einspritzprofil und Nachdruck werden Sollabweichungen Schuss für Schuss ausgeglichen. Konsequenterweise müssen Umschaltpunkt und Nachdruckhöhe in der Validierungsstrategie als CPP festgelegt werden.
Die in der DoE ermittelten Grenzwerte von Umschaltpunkt und Nachdruck werden in der CC300 Steuerung der Engel Spritzgießmaschine als Grenzwert für die Prozessregelung mithilfe von IQ Weight Control übernommen. Ist es zum Erreichen der vorgegebenen Produktqualität notwendig, die Parameter außerhalb der validierten Grenzen zu regeln, lässt sich in der Steuerung eine entsprechende Verfahrensweise definieren. Beispielsweise kann der jeweilige Schuss als Ausschuss deklariert oder beim dauerhaften Überschreiten der Grenzwerte der Produktionsprozess gestoppt werden. Auch ein vereinfachtes Regeln ist möglich. Zum Beispiel indem der Umschaltpunkt konstant gehalten und der Nachdruck angepasst oder umgekehrt der Nachdruck konstant gehalten und der Umschaltpunkt angepasst wird.
Die beschriebene Validierungsstrategie ermöglicht es, auch in der Medizintechnik intelligente Assistenzsysteme einzusetzen, um die Prozesskonstanz und Prozesssicherheit noch weiter zu steigern. Damit lassen sich im validierten Prozess Qualitätsschwankungen des Rohmaterials und Änderungen der Umgebungsbedingungen dynamisch und zuverlässig ausgleichen. Mit einfacher Logik sind die neuartigen Algorithmen, mit denen intelligente Assistenzsysteme arbeiten, in die Validierungsstrategie integrierbar.
Technik im Detail
IQ Weight Control
Schuss für Schuss Formteile mit konstant hoher Qualität zu fertigen, ist das Ziel jedes Spritzgießers. Eine präzise arbeitende Spritzgießmaschine reicht dafür aber nicht aus. Auch Schwankungen der Umgebungsbedingungen oder im Rohmaterial sowie Verschleiß im Werkzeug haben Einfluss und können ein Nachjustieren der Parameter erforderlich machen. Die Software IQ Weight Control ermöglicht es, Abweichungen automatisch zu erkennen und noch im selben Schuss auszugleichen. Auf diese Weise wird die Prozesskonstanz und Reproduzierbarkeit gesteigert und Ausschuss drastisch reduziert. Die intelligente Assistenz ist ein wesentliches Merkmal der Smart Factory, die das Ziel von Industrie 4.0 beschreibt. Für die Digitalisierung und Vernetzung der Produktionsprozesse bietet Engel bereits heute eine Reihe ausgereifter Produkte an. Dabei macht es die Modularität des Inject 4.0 Ansatzes von Engel den Kunststoffverarbeitern einfach, die neuen Möglichkeiten zu nutzen. Schon einzelne Lösungen wie IQ Weight Control können einen hohen Nutzen bringen.
Regularien im Detail
Europäische Norm und amerikanisches Gesetz
Es gibt viele Übereinstimmungen bei den europäischen und amerikanischen Standards. Dennoch gibt es Unterschiede zu beachten: Die Anforderungen der Amerikaner an die Dokumentation sind höher, auch die logische Gruppierung der Dokumente kennt die EN ISO 13485 nicht. Umgekehrt geht der Anspruch der Europäer auf Kundenzufriedenheit und die kontinuierliche Verbesserung des QM-Systems über die Forderungen des 21 CFR part 820 hinaus. Weiter unterscheiden sich der Umgang mit Beschwerden und das Meldewesen deutlich. Eine ISO-13485-Zertifizierung erkennt die FDA nicht als Nachweis der Konformität mit den Forderungen des 21 CFR part 820 an. Im Gegensatz zur ISO 13485 gibt es auch keine Zertifizierung nach 21 CFR Part 820.