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Leichtbau mit glasfaserverstärktem Kunststoff am Beispiel der Chevrolet Corvette 1953, der ersten Fahrzeugkarosse in dieser Bauart (Bild: GM)

 

Im Jahre 1950, dem Gründungsjahr des Plastverarbeiter, spielte Plastik (griechisch für geformte Kunst) noch keine große Rolle im Leben der Menschen; es begann der Siegesszug von Kohle und Stahl. Dennoch waren zahlreiche Plastikprodukte bekannt: Das Bakelit kleidete Radios, Stecker, Steckdosen, Telefone und vieles mehr, die Schelllack-Schallplatte hatte vor allem Musik in die Welt getragen, technische Spritzgießteile wie Röhrensockel aus Polystyrol gab es schon seit den 1930er Jahren, synthetische Kautschuke waren ebenso geläufig wie Lacke und Farben. Dieser Bericht zeigt Beispiele der weiteren Entwicklungen auf, kann aber weder repräsentativ noch umfassend sein. Es ist auch kein Auszug aus einer Enzyklopädie, die aus einem Dutzend Bänden bestehen könnte. 70 Jahre Kunststoffe und deren Verarbeitung, das sind auch zahlreiche Geschichten aus einer von Erfindungen und Synergien gesegneten Branche.

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Nach dem zweiten Weltkrieg hatte sich der Motor für die Entwicklungen von Kunststoffen verlagert. Stand bis dahin vor allem der Ersatz von Rohstoffen und Produkten im Vordergrund, die kriegsbedingt nicht zur Verfügung standen, wie beispielsweise die Gewinnung von Benzin aus Kohle mit Hilfe der Fischer-Tropsch Synthese, so ging es nun darum, Forschung und Entwicklung frei von staatlichen Vorgaben den Märkten zu überlassen. Schon in den 1930er Jahren hatte die Synthetisierung von Erdöl und Erdgas begonnen, und ab den 1950er Jahren nahm die Petrochemie einen rasanten Aufschwung.

Kunststoff ist Lebensqualität

Die Haltung der Leute zum Kunststoff war durchaus positiv. Zwar hatte der „künstlich hergestellte“ Werkstoff Nachteile, doch die hatten andere Werkstoffe auch. Allerdings hafteten vielen Anwendungen noch das Ärmliche des Ersatzstoffes an, wie zum Beispiel im Automobilbau, wo Kleinserien mit Holzrahmen und Kunststoffverkleidungen in verschiedenster Bauart gefertigt wurden. Denn das war billiger als Stahlblech geschweige denn Aluminium, das von Hand über Holzformen getrieben wurde. Den ersten Versuch eines hochwertigen Kunststoffproduktes startete General Motors mit dem Roadster Chevrolet Corvette im Jahre 1953, der über die erste in Serie hergestellte Karosse aus glasfaserverstärktem Kunststoff verfügte – ein Verfahren, das etwa zur gleichen Zeit auch im Bootsbau zur Anwendung kam.

Transluzentes Bild

Neue Lichteffekte erreichte der Künstler bei diesem transluzenten Bild aus verschmolzenem Polystyrol. (Bildquelle: BASF-Kunststoff-Fibel, 1. Auflage 1970)

Die Lernkurve beschreibt ein leider nicht mehr bestätigbares Gerücht, demzufolge bei der Montage des ersten Prototyps die Elektrik versagt habe. Erst eine grundlegende Fehlersuche ergab, dass die mangelhafte elektrische Leitfähigkeit der Karosserie Ursache des Versagens war. Ein typisches Missgeschick, wenn Werkstoffe durch andere ersetzt werden. Im Laufe von Modellentwicklungen mauserte sich die „Vette“ zu einem der beliebtesten Sportwagen nicht nur in den USA.

Auch die Kunst profitierte von künstlichen Werkstoffen im Bereich plastischer Gestaltung. BASF veröffentlichte im Jahre 1970 die erste Auflage der BASF-Kunststoff-Fibel und belegt anhand zahlreicher Beispiele, dass im künstlerischen Bereich ein neues Experimentierfeld entstanden war: Kunststoffe sollten nicht ersetzen, sondern in Form, Farbe und Funktion neue Darstellungsmöglichkeiten realisieren wie bei dem transluzenten nebenstehenden Bild aus Polysterol, dessen Urheber leider nicht angegeben wurde.

Gießen eines Tafelbildes aus Palatal

Anspruchsvolle Werkstoffverarbeitung: Hier wird ein Tafelbild aus Palatal hergestellt (BASF-Kunststoff-Fibel, 1. Auflage 1970)

Das Plastifizieren mit Kunststoffen löste keinen Verdrängungswettbewerb aus; die Handhabung der vielfältigen Materialien stellt bis heute meistens hohe Ansprüche an den verarbeitenden Künstler. Anders war es bei Halbzeugen wie dem Polymerisationsprodukt aus Acrylsäure, dem PMMA (Polymethylmethacrylat), kurz: Acrylglas. Schon in den 1930er Jahren vom  Erfinder und Gründer der gleichnamigen Firma Otto Röhm, Darmstadt, unter demMarkennamen „Plexiglas“ patentiert machte es eine steile Karriere als Flugzeugscheibe. Künstler und Handwerker schätzen bis heute diesen Werkstoff gleichermaßen, der sich bohren, fräsen, schneiden und bei Hitze problemlos verformen lässt. Leuchtreklamen waren eine Domäne der Plexiglasverarbeitung. Eine unvergessene Hymne an den Werkstoff war der Plexiglas-Flügel von Schimmel, mit dem Udo Jürgens outdoor in den schneebedeckten Bergen spielte (Bild).

Der Kunststofffaden macht Karriere

In Europa entwickelte sich schnell eine sehr innovative Textilindustrie, die ihr Heil im reißfesten Kunststofffaden suchte. Wolle und auch Baumwolle litten unter schnellem Verschleiß, und da versprach der hoch belastbare künstliche Faden aus dem 1935 erfundenen Polyamid Abhilfe. Er hatte sich bei Fallschirmen schon bestens bewährt. Teuer und sexy eroberten Nylonstrümpfe die Damenwelt: ein echter Hingucker. Aber ein Fluch bei falscher Behandlung des Gewebes, die eine Laufmasche in Gang setzte. Rechtzeitig bemerkt ließ sie sich mit Uhu-Alleskleber stoppen. Für das Überstreifen der edlen Beinbekleidung gab es spezielle Handschuhe, damit Fingernägel keine Chance zur Fadenverletzung bekamen. Doch auch der laufmaschenversehrte Strumpf bekam eine zweite Karrierechance: Als Keilriemenersatz rettete er so manche Heimfahrt, wenn der Monteur – oder die Monteurin – es  verstand, den Knoten richtig zu gestalten.

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Nur noch reine Kunstfaser: Das Nyltesthemd für den modernen Mann endete tragisch, beeinträchtigte den Durchbruch der Textilfaser aus Kunststoff aber nicht. (Bildquelle: LVR Industriemuseum)

Unzählige Fäden wurden von den Großen und Kleinen der Chemiebranche entwickelt und gesponnen. Dabei war nicht nur die Zugkraftfestigkeít von Bedeutung, sondern auch das Gewicht. Mehrfach-Hohlkammerfasern waren das Nonplusultra der Kunstfaser, und auch Dupont fuhr in der ersten Reihe mit. Deren in den USA entwickelte Dreifachhohlkammer galt als Benchmark, doch die deutsche Niederlassung konnte das toppen: mit der Vierfachhohlkammer. Da Geschäftsführer oft skeptisch sind, wenn Niederlassungen in fremden Ländern technologisch weiter sein sollten, musste eine Expertengruppe den Atlantik ostwärts überqueren und sich vor Ort überzeugen lassen. Bis in die 1980er Jahre gehörte diese Anekdote zum deutsch-internen Repertoire. Damit war aber nicht Schluss: Bei der Inge GmbH im oberbayrischen Greifenberg, die seit kurzem zu Dupont gehört, wurde sogar eine aus modifiziertem PES (Polyethersulfon) erstellte Membranfaser mit sieben Kapillaren entwickelt, wie F&E-Leiter Martin Heijnen berichtet.

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Sieben auf einen Streich für den Leichtbau: Noch in den 1950er Jahren war die Dreifachhohlkammerfaser das Nonplusultra; heute ist es die Membranfaser mit sieben Kapillaren, wie die der Firma Inge in Greifenberg. (Bildquelle: Dupont)

Anfang der 1960er Jahre tauchte für den modebewussten Verbraucher wie aus dem Nichts das Nyltesthemd auf. Das Herren-Oberkleid bestand zu hundert Prozent aus Polyamid und versprach Unmögliches: dauerhaftes weiß, leicht und atmungsaktiv sollte es sein. Doch das Wichtigste war die Pflegeleichtigkeit: Waschen und Aufhängen reichte. Als das Markenzeichen der Moderne kauften es daher meist Frauen für den Ehemann und den männlichen Nachwuchs. Bei diesem erfreuten sie sich schnell großer Beliebtheit wegen ihrer blau schimmernden Leuchtkraft in der Nähe von fluoreszierenden Neonröhren. Es war die Zeit der Partys und der Beginn der Diskotheken.

Erste Zweifel tauchten auf, als die Herrenwelt mit den bis dahin wenig bekannten elektrostatischen Entladungen schmerzhafte Erfahrungen machte, gerne beim Griff an die Autotüre. Und dann mussten sie sich von ihren Sekretärinnen des Öfteren ermahnen lassen, dass ihr Deodorant versagt habe – die Faser konnte keinen Schweiß aufnehmen. Dieses spannende Pro und Kontra wurde leider von einem tragischen Unfall entschieden. Als in den USA ein Feuerzeug das Hemd seines Trägers in Brand setzte und ihm schwere Verbrennungen zufügte, war es um die Innovation geschehen, sie verschwand sang- und klanglos aus den Modehäusern. Nicht aber die Kunstfaser. Sie ist in den heutigen Textilien in Dutzenden Varianten vertreten und unverzichtbar bei In- und Outdoor-Artikeln.

Schub durch hohe Stückzahlen

Führend bei der Entwicklung von Kunststoffen und deren Verarbeitung wurde die Automobilindustrie. Stoßstangen, Armaturenbretter. Benzintanks, Bedienelemente und sogar Schrauben wechselten den Werkstoff. Die hohen Stückzahlen begünstigten vor allem die Thermoplaste und den Spritzguss, den 1956 die Schnecken-Spritzgießmaschine der Ankerwerke in Nürnberg hoch effizient machte. Erfunden hatte dieses Prinzip schon dreizehn Jahre zuvor Hans Beck bei der BASF in Ludwigshafen. Die Vorteile: gleichmäßigere und schonendere Plastifizierung gegenüber der Kolbenmaschine nebst höherem Potenzial zur Automatisierung.

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Aus der Frühzeit der Angusstemperierung: Im Jahre 1958 war die von einer Heizpatrone innenbeheizte Düse ein Meilenstein zur Reduzierung des Stangenangusses. (Bildquelle: Incoe Corporation, USA)

Einen ähnlichen Zeitversatz, der für viele Erfindungen zutrifft, erfuhr der Heißkanal. Noch in den 1950er Jahren begann Alex Seres, Gründer der Injection Control Engineering Corporation (Incoe) in den USA, mit der gewerbsmäßigen Herstellung nebst Vertrieb seines „Hot Runner Systems“. Aber er musste viel Geduld und Innovationsgeist aufbringen, um den materialintensiven Stangenanguss obsolet zu machen. Erst die Automatisierung, die Materialersparnis zunehmend hochwertigerer Materialien und der Wert der Zykluszeit verhalfen dem Heißkanal zum Erfolg. Heute hat er sich durchgesetzt und ist Grundlage vieler vorteilhafter Werkzeugkonzepte.

Hauptmotiv für den Metallersatz durch Kunststoff war das geringere Gewicht. Kaum Beachtung fand jedoch die Tatsache, dass die Herstellung von Kunststoffen enorme Mengen Energie einspart: Gegenüber beispielsweise Polyethylen erfordert die Herstellung von Stahl die zweieinhalbfache Energie, Kupfer die sechseinhalbfache und Aluminium sogar die sechzehnfache Energie – ein Argument mit Nachholbedarf. Viel wichtiger war es zu Beginn der Massenproduktion, möglichste viele Funktionen in einem Bauteil zu integrieren, das sich schnell viele tausend Mal in einem Werkzeug herstellen ließ. Das vereinfachte und verkürzte den gesamten Produktionsprozess.

Baugruppe wird Bauteil

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Metallersatz: Dieser Spülhahn eines Wasseraufbereiters von Brita besteht aus 18 unterschiedlichen Produkten, zum Teil aus hochwertigen Metallen. (Bildquelle: Britta Pofessional)

Manchmal vollzieht sich der Umbruch sehr abrupt. Als Mitte der 2000er Jahre bei der Firma Britta Professional in Taunusstein der Kunststoffexperte Jochen Zöller mit der Produkt- und Prozessoptimierung betraut wurde, erkannte er schnell, dass ein kleiner, aus mehreren überwiegend hochwertigen metallischen Bauteilen gefügter Spülhahn in einer Filteranlage ein lohnendes Ziel für den Materialwechsel zu Kunststoff sein könnte.

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Die Brita Spüleinheit aus Kunststoff, auf zwei Bauteile reduziert, senkt die Kosten um 80 Prozent und ist sicherer wegen des Wegfalls von Fügestellen.(Bildquelle: Britta Pofessional)

Ihm stand ein steiniger Weg bevor, denn nicht nur die hohe Qualität von Brita-Produkten war unantastbar, sondern auch die des Trinkwassers. Ein Hürdenlauf über Zulassungsbestimmungen, Spezifikationen und internationale Vorschriften begann. Letztendlich gelang der Coup: Elf Bauteile wurden durch zwei aus glasfaserverstärktem PPA ersetzt, die über 80 Prozent Kosten sparten im Wesentlichen durch den Wegfall des Fügens. Gewünschter Nebeneffekt: kein Fügen, keine Leckagen, höhere Qualität.

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Werner Barlog demonstriert die „Kunstfertigkeit“ einer zweigeteilten Schraube aus einem Verbundwerkstoff von EMS. (Bildquelle: Heinz-Jürgen Rottig)

Ein sehr ungewöhnliches Beispiel für Metallersatz lieferte Werner Barlog. Dem Gründer der gleichnamigen Firma und Veranstalter der Engelskirchener Technologietage machte es regelrecht Spaß zu zeigen, zu welchen Leistungen Kunststoffe fähig sind. Er eine Kunststoff-Gewindemutter der Größe M12 und ließ damit publikumswirksam einen Kleinwagen anheben. Schön, aber kann das nicht auch die nur halb so große Gewindemutter der Größe M6 aus Stahl? Das entscheidend Andere zeigt hier sehr anschaulich die Fähigkeiten des Kunststoff-Spritzgießens: Die von Dr. Dietmar Schnier erfundene Mutter besteht aus zwei raffiniert geformten Teilen, die sich einfach auseinandernehmen und wieder zusammenstecken lassen. Das eröffnet eine radiale Montage an jeder Stelle des Gewindes. So etwas in Großserie aus Metall herzustellen – unmöglich.

Quarz gegen Polycarbonat

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An dieser zweigeteilten, radial montierten Mutter hängt ein Kleinwagen. (Bildquelle: Heinz-Jürgen Rottig)

Langwieriger und komplexer war der Weg vom Quarzglas zum Polycarbonat. Bis in die 1980er Jahre bestanden Fahrzeug-Hauptscheinwerfer aus einer Streuscheibe und mehreren Metallbauteilen. Heute bilden sie eine Einheit aus wenigen Baugruppen, deren Abschlussscheiben aus Polycarbonat und Gehäusen aus verschiedenen Thermoplasten bestehen. Das Problem war die Kratzfestigkeit der PC-Oberfläche, die Lösung eine spezielle Beschichtung. Wie komplex manche Entwicklungen waren und zu welchen Kooperationen das führte wird am Beispiel der Autoscheibe deutlich. Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends begann eine stürmische Entwicklung von Glasdächern, die manchmal einschließlich Rahmen in einem Schuss in Wendeplattenwerkzeugen hergestellt werden sollten. Schon 1998 hatten GE Plastics, USA, und Bayer Material Science, Leverkusen, als Joint Venture die Firma Exatec gegründet, nachdem beide schon mit eigenen Werkstoffen im Markt erfolgreich waren. 2005 kam es zu einer weiteren Kooperation mit Peguform Bohemia im tschechischen Liberec.

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Wendeplattenwerkzeug von Exatec zur Herstellung eines Glasdaches mit Rahmen in einem Schuss (Bildquelle: Autor: Heinz-Jürgen Rottig)

Aus dem neuen Werkstoff Exatec 900 sollten neben Seiten- und Heckschieben auch Panoramadächer hergestellt werden. Dazu richtete Peguform den neuen Betrieb „Clever-Glass“ ein, der mit „der neuesten optischen Spritzgieß-Technologie“, einer Reinraumtechnologie, Fehlstellen jeglicher Art und Größe vermeiden sollte. 2007 übernahm GE Exatec vollständig. Nur ein Jahr später wechselte das Unternehmen zu Sabic Innovation Plastics, das noch 2008 ein komplettes Dachmodul vorstellte. Aber man war nicht alleine: auch Battenfeld hatte zusammen mit Summerer Technologies ein Modul entwickelt, und Webasto gelang es, den Auftrag für das Dachmodul des Smart zu erobern.

Werkstoffgerechte Konstruktion

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Dieses Glasdach aus Polycarbonat wird zusammen mit dem Rahmen in einem Schuss in einem Wendeplattenwerkzeug hergestellt, vorgestellt im Jahre 2008. (Bildquelle: Sabic Innovation Plastics, Niederlande)

Nicht immer verlief die Umstellung auf den Kunststoff reibungslos. Falsche oder auf Dauer nicht beständige Werkstoffe, unterschätzte Belastungen, unzureichende Werkzeuge im Formenbau, nicht fertigungsgerechte Konstruktionen – die Liste der „Sünden“ ist keineswegs kurz. Den meisten Modelleisenbahnern ist die erst sehr späte Umstellung von Stahlblech- auf Kunststoffschienen bei der renommierten Marke Märklin noch in unangenehmer Erinnerung. Das neue Design war überfällig und angemessen, aber die Haltbarkeit entsprach bei Weitem nicht der bekannten Qualität; die Schienen waren zu spröde und brachen auch an wenig belasteten Stellen. Ein höherwertigerer Werkstoff schaffte umgehend Abhilfe. Ein typischer Fehler, der in vielen Produktbereichen vorkam.

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Musterbeispiel für eine nicht fertigungsgerechte Konstruktion: Dieses Magazin zur Aufnahme von Akkupunkturnadeln wurde als Monolith gespritzt und konnte die Vorgaben für die Entformbarkeit und Maßhaltigkeit durch Verzug und Schwindung nur im Ausnahmefall erreichen. (Bildquelle: Heinz-Jürgen Rottig)

Auch das fertigungsgerechte Konstruieren ist und bleibt ein Thema. Ein Beispiel aus der Medizintechnik: Der Erfinder eines Nadelspenders für Akupunkturnadeln, Elmar Grandy aus München, hatte Probleme mit der geforderten Präzision des Nadelmagazins, das wie ein Monolith aus einem Stück gefertigt war. Doch Kunststoff verhält sich (nicht nur) beim Spritzguss völlig anders als Metall. Mangelhafte Entformbarkeit, Verzug und Schwindung, kaum etwas fehlte für das Versagen auf ganzer Linie. Grandy wendete sich an Gerhard Bornschlegel, einen erfahrenen Konstrukteur und Inhaber der Werkzeug- und Sondermaschinen Neuhaus im gleichnamigen Ort am Rennsteig. Der machte klar: mit dem vorliegenden Verfahren ist ein wünschenswertes Resultat niemals möglich.

Für eine fertigungsgerechte Konstruktion zerlegte Bornschlegel das Magazin in vier ineinanderpassende Röhrchen-Ringsysteme, die sich in einem Familienwerkzeug in der geforderten Qualität spritzen ließen. Ein speziell konstruiertes Handlingsystem montiert die vier Bauteile zu einer Gruppe, und alle Probleme waren gelöst – durch das sich Lösen von der Vorstellung einer einfachen Fertigung. Das Nadelspender-Magazin war der Jury des Euromold Awards im Jahre 2007 die Preisvergabe in Gold wert.

Simulation überholt Erfahrung

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Datenübertragung per Modem: Langwierig und interpretationsbedürftig verliefen die frühen Kunststoff-Spritzguss-Simulationen. (Bildquelle: Novo Nordisk)

Schon in den 1970er Jahren entstanden die ersten Computerprogramme zur Simulation, um Fehler in Konstruktionen zu erkennen. Auf Basis der Folgar-Tucker Formel, benannt nach ihren Erfindern, gründete 1978 der Australier Colin Austin die Firma Australia as Moldflow in Melbourne. Obwohl er seiner Zeit voraus war konnte sich Moldflow, das erste Simulationsprogramm für den Kunststoff-Spritzguss, nur langsam im Markt durchsetzen – von den heutigen Fähigkeiten konnte man nur träumen. Die Computer waren noch zu langsam, die Datenübertragungen per Modem zeitraubend. Eine Berechnung konnte viele Tage dauern. Der Aufwand rechnete sich nur für große Firmen mit hohen Umsätzen, denn die Simulationsspezialisten brauchten umfassende Schulungen, um die hohe Kunst der Interpretation von Vorhersageergebnissen zu erlernen.

Als weiteres großes Hindernis erwies sich der Stolz vieler Werkzeugbauer, die ihrer Erfahrung mehr vertrauten als dem Computer und seiner „Spekulation“ auf Basis einer Materialdatenbank. Allerdings war der Trend zur Simulation mit der rapide ansteigenden Leistungsfähigkeit der Rechner, der Solver und auch der Übertragungswege nicht aufzuhalten. Mit Ablauf des Patentes für die Folgar-Tucker-Formel entstanden weltweit zahlreiche Anbieter von Simulationssoftware. Heute sind die Programme, die in Leistung, Umfang und Bedienung intensiv weiter entwickelt wurden, unverzichtbare Begleiter der Konstruktionssoftware.

Was bringt die Zukunft?

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Fertigungsgerechte Konstruktion des Nadelspenders: Das Zerlegen in vier Bauteile war die Lösung für ein maßhaltiges Produkt; Ausschuss war die Ausnahme und nicht die Regel wie beim Monolithen (Bildquelle: Heinz-Jürgen Rottig)

In den letzten Jahren ist der Werkstoff Kunststoff sehr in Misskredit geraten. Plastikverdreckte Strände und schwimmende PET-Flaschen sind zum Synonym für weltweite Verschmutzung und Verschwendung geworden. Seit vielen Jahren kursieren Berichte über quadratkilometergroße Plastikmülldeponien im Pazifik und daran verendete Tiere. Offensichtlich ist hier niemand zuständig, niemand verantwortlich. War nicht das Meer immer schon die natürliche Kläranlage der Schifffahrt? Oder für alle? Angesichts der schockierenden Bilder wendet sich die ohmächtige Wut gegen den Werkstoff selbst: Plastik wird zur Projektionsfläche für globales Fehlverhalten.

Noch nie ist ein Werkstoff für das Versagen durch Benutzung derart verantwortlich gemacht worden. Grollt man dem Aluminium, weil es bei der Herstellung Unmengen an Energie verschlingt? Dem Stahl, dass er rostet, dem Glas, dass es bricht, dem Holz, dass es brennt?

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Die intravenöse Kanüle demonstriert Hightech-Alltag in der Medizin: Nur noch die Kanüle ist aus Stahl, alles andere aus verschiedenen hochwertigen Kunststoffen. (Bildquelle: B. Braun Melsungen)

Auf der Kunststoffmesse „K“ in Düsseldorf im Herbst 2019 hatte fast jeder Stand seine „Circular Economy“ und seine seit Jahren bestehenden Recyclingbemühungen in die erste Reihe gestellt – leider für das falsche Publikum. Die Fachbesucher der „K“ wissen um die Recycling-Anstrengungen. Schon 1983 trug das von der Arbeitsgemeinschaft Kunststoff-Industrie herausgegebene Buch „Kunststoffe – Werkstoffe unserer Zeit“ dem Recycling umfänglich Rechnung. Doch wie kommen diese Informationen an die Verbraucher. Was also wurde versäumt? Von wem?

Heute ist das plastikfreie Bad die Zierde des Ökofreaks. Aber nicht die Glasflasche, sondern die wiederverwendbare Kunststoffflasche ist die ökologisch überlegene Verpackung – wenn sie nicht im Meer landet. Wer vermittelt das dem Konsumenten? Steht nach dem verflixten siebten Jahrzehnt der ambivalenten Vernunftehe von Verbraucher und Werkstoff die Beziehung vor einem Umbruch? In welche Richtung? Kann eine Wende zum liebevollen Zusammenleben gestaltet werden?

ist freier Fachjournalist in Dinslaken

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