Zentrifugenröhrchen. Die Labels müssen mit hoher Präzision an die Kavität übergeben werden. Hierfür kommt ein Label-Justierkopf zum Einsatz.

Die Labels müssen mit hoher Präzision an die Kavität übergeben werden. Hierfür kommt ein Label-Justierkopf zum Einsatz. (Bild: Arburg)

Mann mit kurzen braunen Haaren, Kinnbart, weißem Hemd, grüne Krawatte und schwarzem Jackett. Sven Kitzlinger betreute seitens Arburg das Projekt IML-Röhrchen.
Sven Kitzlinger betreute seitens Arburg das Projekt IML-Röhrchen. (Bild: Arburg)

Beim In-Mould-Labelling werden beliebig bedruckte oder strukturierte Folien hinterspritzt. Doch weshalb ist dieses Dekorationsverfahren für die Medizintechnik interessant? „Welches Potenzial das IML-Verfahren auch für medizinische und pharmazeutische Produkte bietet, zeigt das mit Partnern entwickelte Konzept“, sagt Sven Kitzlinger, Experte Medizintechnik bei Arburg. „Das Thema IML ist in der Medizin noch ganz neu“, ergänzt Johannes Strassner, Managing Director von Kebo, der als Werkzeugexperte den Markt seit 1984 begleitet. Die weiteren Partner des Gemeinschaftsprojekts sind: MCC/Verstraete verantwortlich für die Labels, Beck übernahm die Automation und Intravis ist für die optische Prüfung verantwortlich.

Produkt aus Monomaterial

Zunehmend wichtig sind die Anforderungen hinsichtlich Nachhaltigkeit. Weil Röhrchen und Label beide aus PP gefertigt sind, kann es einfach dem Recycling zugeführt werden. Nachfolgende Arbeitsschritte wie Bekleben oder Bedrucken entfallen. Daher sind weder zusätzliche Klebstoffe für die Haftung von Etiketten noch Flüssigfarben für nachfolgendes Bedrucken erforderlich. Ergebnis des IML-Prozesses ist ein Produkt aus Monomaterial mit integriertem Label. Dieses kann gegebenenfalls auch zur Stabilität des Röhrchens beitragen. Damit ließe sich die ursprüngliche Wandstärke reduzieren und in der Massenproduktion Kunststoff sparen.

In einer Hand hält jemand 2 durchsichtige Kunststoffröhrchen. Das linke Röhrchen besitzt eine thermochrome Bedruckung, das rechte ist mit einer Füllskala bedruckt.
Das linke Röhrchen besitzt eine thermochrome Bedruckung, das rechte ist mit einer Füllskala bedruckt. (Bild: Arburg)

„Der Abstand ‚Print to Cut‘ beträgt nur rund 0,2 Millimeter“, weiß Kim Blondeel, Business Development Managerin bei MCC/Verstraete. Zum Vergleich: Bei IML-Dekoren für Verpackungsprodukte sind es in der Regel rund 1 bis 1,5 mm. Die Labels mit lediglich 57 µm Wandstärke gilt es, möglichst genau in den Kavitäten zu positionieren. Zum exakten Ausrichten und Aufbringen der Labels kommt der Partner Beck ins Spiel: „Wir haben unsere technischen Möglichkeiten in der Automation bestmöglich ausgereizt“, berichtet Ralf Ziemer, Sales Manager Medical. „Unser Label-Justierkopf kann die Fertigungstoleranz auf wenige Hundertstel ausgleichen.“ Das ist eine wichtige Voraussetzung für die Funktionalität und reduziert signifikant Qualitätsschwankungen und den Ausschuss.

Mehrere Zentrifugenröhrchen in einer Maschine/Laufband. Die Skala der Zentrifugenröhrchen muss exakt angebracht sein, damit der richtige Füllgrad vorhanden ist.
Die Skala der Zentrifugenröhrchen muss exakt angebracht sein, damit der richtige Füllgrad vorhanden ist. (Bild: Arburg)

Mehrwert dank Funktionsintegration

Über das Label erhalten die Zentrifugenröhrchen eine Skala, die den exakten Füllstand anzeigt. Optional besteht die Möglichkeit, mittels thermochromer Druckfarbe ein temperatursensitives Element hinzuzufügen: Sobald beispielsweise die Temperatur des befüllten Zentrifugenröhrchens auf über 7 °C steigt, schlägt die Farbe irreversibel um, wodurch auf einen Blick die Unterbrechung der Kühlkette erkannt wird. Ein zusätzlicher Mehrwert könnte sein, dem Produkt mit kratzfestem Label zum Beispiel über einen QR-Code zusätzliche Informationen zu Recycling und Lagermanagement mitzugeben. Für die Zukunft ist denkbar, über einen RFID-Code die Prozess-, Qualitäts- und Patientendaten für jedes einzelne Teil zu 100 % rückzuverfolgen.

Ein Bildschirm/Monitor. Jedes Röhrchen wird in der Linie auf verschiedene Merkmale hin geprüft und bei Nichterfüllen ausgeschleust.
Jedes Röhrchen wird in der Linie auf verschiedene Merkmale hin geprüft und bei Nichterfüllen ausgeschleust. (Bild: Arburg)

Kompakte Fertigungszelle

Die einsatzbereiten Zentrifugenröhrchen werden in einer Fertigungszelle hergestellt. Die Spritzgießmaschine, ein elektrischer Allrounder 520 A mit 1.500 kN Schließkraft in der Leistungsvariante Ultimate, ist für schnelle und anspruchsvolle Prozesse ausgelegt und erfüllt die Anforderungen für das Fertigen in der Reinraum-Klasse ISO 7. Auf der Fakuma 2023 wurden die 15 ml fassenden Röhrchen mit einem 8-fach-Werkzeug von Kebo in rund 10 s Zykluszeit spritzgegossen. Viele Schritte der vollautomatischen Fertigung laufen parallel ab. So werden beispielsweise in einer Bewegung auf der einen Seite vom Handling die Labels in die Kavitäten eingebracht und auf der anderen Seite die fertigen Röhrchen entnommen. Die optische Kontrolle erfolgte über ein in die Beck-Automation integriertes Kamerasystem von Intravis. Es erkennt fehlerhafte Produkte in Echtzeit. Über drei Klappen wurden die fertigen Produkte als Gutteile, Schlechtteile oder als Prüfteile ausgeschleust. Die automatisierte „End-to-end-Production“ spart zwar insgesamt keine Zykluszeit, sorgt aber für eine deutlich höhere Produktqualität. Außerdem reduziert sich die erforderliche Aufstellfläche (Footprint). In der realen Anwendung könnten in der Fertigungszelle zusätzlich das Verschrauben der Röhrchen und das Verpacken in Schlauchbeuteln realisiert werden.

IML-Anwendung für die Medizintechnik: Video zu IML-Zentrifugenröhrchen

So blicken die Partner nach vorne

Der Medizinmarkt entwickelt sich sehr dynamisch. Ein Fokus ist das Thema Nachhaltigkeit, in das unsere Kunden massiv investieren. Zudem sehen wir durch den Einzug der KI eine zunehmende Verbindung von Kunststoff und Software. IML bietet hier zusätzliche Möglichkeiten, innovative Funktionen mit dem Kunststoffteil zu verbinden, die eine automatisierte Handhabung ermöglichen. Das gilt für das gezeigte Beispiel Zentrifugenröhrchen genauso wie für Insulin-Pens oder medizinische Messbecher. Im Vordergrund stehen dabei Sicherheitsmerkmale oder auslesbare Informationen für die Lagerung oder Logistik. Zudem sind die Unternehmen immer daran interessiert, die Qualität zu verbessern und Teilekosten zu reduzieren. Einer allein oder im Team? Wir sind davon überzeugt, dass wir ohne eine unternehmensübergreifende Zusammenarbeit global operierende Firmen nicht überzeugen können und dass wir mit einer gemeinsamen Herangehensweise nicht nur schnellere, sondern auch bessere Lösungen entwickeln, sind sich die Projektverantwortlichen sicher.

Interview mit Johannes Strassner, Managing Director/CSO, Kebo und Ralf Ziemer,Sales Manager Medical, Beck Automation

Was war die „Initialzündung“ für das IML-Projekt und wie haben sich die Projektpartner gefunden?
Johannes Strassner: Vor drei Jahren erhielten wir von einem Kunden aus dem Bereich Life Sciences eine konkrete Anfrage für ein flexibles Produktionssystem, das verschiedene Teileformate abdecken sollte. Während der Arburg-Technologietage im März 2022 setzten wir uns (als Team) zusammen und überlegten, wie wir dies gemeinsam angehen könnten. Kreativität und Erfahrung waren gefragt. Das Ergebnis war ein durchgängiger Prozess mit einer flexiblen, innovativen IML-Systemlösung.

Was war für Ihr Unternehmen die Motivation, Teil dieser Entwicklung zu werden?
Ralf Ziemer: Unser aller Ziel war, ein Proof of Concept (PoC) zu erstellen. Wir wollten eine Zukunftstechnologie in die Praxis umsetzen und damit zeigen, was im Bereich IML in der Medizintechnik möglich ist. Wichtig war uns auch, mit kompetenten Partnern eine „End-to-end-Produktion“ zu realisieren, also ein gebrauchsfertiges Produkt in nur einem Schritt herzustellen. Und das auf möglichst minimaler Stellfläche.
Strassner: Die Motivation war einerseits begründet durch den Bedarf unserer Kunden, die nach Möglichkeiten für „innovative Kundenerfahrungen“ suchten und andererseits durch die Möglichkeit, gemeinschaftlich mit Partnern in kurzer Zeit die technologisch beste Lösung für diesen Bedarf zu erarbeiten. Dabei ging es zum Beispiel auch um erweiterte Funktionen am Kunststoffteil wie (QR)-Kennzeichnungen oder RFID. Zudem bestehen heute Qualitäts- und Kostenprobleme bei der Bedruckung.

Was war die größte Herausforderung für Ihren Projektteil?
Strassner: Zeit und Ressourcen. Wir hatten keine Zeit für einen „geplanten 6-Stufen-Entwicklungsprozess“ (Idealbedingungen). Wir mussten in kurzer Zeit Bewährtes und Neues miteinander kombinieren. Dabei hat uns sicherlich unsere IML-Erfahrung seit 1984 sehr geholfen. Herausfordernd war auch unsere Kapazitätsauslastung aufgrund der guten Auftragslage. Das Ergebnis und der Zuspruch haben uns sehr motiviert.
Ziemer: Technisch lag die vielleicht größte Herausforderung darin, mit der neuen Technologie den hohen Ansprüchen an die Wiederholgenauigkeit gerecht zu werden.

Was war für Sie die wichtigste Erkenntnis nach der erfolgreichen Präsentation der IML-Technologie für die Medizintechnik auf der Fakuma 2023?
Strassner: Es gibt nicht nur die eine Anwendung für IML, wie am Beispiel Zentrifugenröhrchen gezeigt. Die Vielfalt der Rückmeldungen war beeindruckend – es gibt noch so viel Potenzial! Auch wenn wir noch nicht für alle Anfragen und Ideen eine Lösung haben, hat die Vorstellung des Proof-of-Concept (PoC) funktioniert.
Ziemer: Wir hatten im Vorfeld die Bedeutung des Themas „Sustainability“ deutlich unterschätzt. Viele Firmen beschäftigen sich aktuell damit, wie sie ihre Produkte und Produktionsprozesse nachhaltiger gestalten können.

Was Sie über PFAS wissen müssen

Übersichtsgrafik zu PFAS.
Wissenswertes zu PFAS finden Sie in unserem Übersichtsartikel. (Bild: Francesco Scatena – Stock.adobe.com)

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