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Bild 1: Prinzip des Integrierten Metall/Kunststoff-Spritzgießens (IMKS). (Bild: alle IKV)

Die zunehmende Forderung des Verbrauchermarktes im E/E-Bereich nach leistungsfähigen Produkten zu gleichzeitig günstigen Preisen bedingt die Entwicklung von effizienten Ferti­gungsverfahren. Das am Institut für Kunststoffverarbeitung (IKV) entwickelte Integrierte Metall/Kunststoff-Spritzgießen (IMKS) ermöglicht die Herstellung von Kunststoffbauteilen mit integrierten Leiterbahnen in einem einstufigen Prozess. Bei dieser Technologie wird zunächst ein Kunststoffträger spritzgegossen. Anschließend wird in einer zweiten Kavität im gleichen Spritzgießwerkzeug durch ein angeflanschtes Druckgießaggregat eine niedrigschmelzende Metalllegierung als Leiterbahn eingebracht (Bild 1) [1]. Das IMKS-Verfahren bietet die Möglichkeit, vergleichsweise aufwendige und kostenintensive Verfahren mit längeren Prozessketten, zum Beispiel MID-Technologien, zu ersetzen [2].

Es besteht das Potenzial, elektronische Komponenten wie Pins, Stecker oder LEDs, direkt im Prozess durch die Metalllegierung zu kontaktieren. Dazu wird der Kunststoffträger mit den Komponenten bestückt, bevor die metallische Leiterbahn druckgegossen wird [3]. Um eine reproduzierbare Herstellbarkeit der Kontaktierung sicherstellen zu können, sind Gestaltungs- und Prozessrichtlinien für die Integration von elektronischen Komponenten notwendig. Dafür wurden zunächst IMKS-Probekörper hergestellt, anhand derer anschließend eine Analyse der Kontaktierungseigenschaften durch elektrische Belastungstests und Langzeituntersuchungen mittels Salzsprühnebeltests und Klimawechseltests durchgeführt wurden.

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Bild 2: IMKS-Kontaktierungsprobekörper.

Tabelle

Tabelle 1: Materialauswahl für IMKS-Probekörper: Drahteinleger.

Zunächst erfolgte eine Materialauswahl. Für den Kunststoffträger wurde PA6 (Durethan B30S – Lanxess Deutschland, Köln) gewählt, für die metallische Leiterbahn Sn95Ag+ (Felder Löttechnik, Oberhausen) und Bi58Sn42 (Tamura Elsold, Ilsenburg). Es wurde die Kontaktierung acht verschiedener Kupferdrähte (Berkenhoff, Heuchelheim) untersucht, die sich in Oberflächenbeschichtung (unbeschichtet/verzinnt), Querschnittsgeometrie (rund/quadratisch) und Querschnittsfläche unterscheiden (Tabelle 1).

Als Probekörper zur Analyse der Kontaktierungseigenschaften dient ein Kunststoffträger, der über eine L-förmige Nut für die spätere Leiterbahn verfügt (Bild 2). Die Drähte wurden hinter der Kurve platziert und direkt durch das metallische Lot fixiert. Weiterhin ist eine Dichtung erforderlich, sodass ein entstehender Spalt zwischen Kunststoffträger und Drahteinleger nicht mit schmelzflüssigem Lot gefüllt wird. Diese Abdichtung wurde mittels gestanzter Elastomerplättchen realisiert, die in ovale Vertiefungen an den jeweiligen Einleger platziert wurden. Der Leiterbahnquerschnitt hat eine Querschnittsfläche von 2,25 mm² (1,5 mm x 1,5 mm) und ist an Versuche von Neuß angelehnt [4]. Zudem bildet der Kunststoffträger einen H-förmigen Querschnitt, sodass der Draht für die anschließenden Analysen frei zugänglich ist.

Wie leitfähig sind die Probekörper?

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Bild 3: Messung der spezifischen elektrischen Leitfähigkeit: Variation Prozessparameter – Einfluss der Einspritzgeschwindigkeit: Cu-verzinnt – Ø 0,8 mm.

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Bild 4: Messung der spezifischen elektrischen Leitfähigkeit: Variation Einlegermaterial - Einfluss der Einlegerquerschnittsfläche, Querschnittsform und Oberfläche.

Zur Ableitung von Prozessrichtlinien erfolgte zunächst eine Analyse der Abhängigkeit der elektrischen Leitfähigkeit von den Prozessparametern Lottemperatur (Heizzonen des Druckgießaggregats: 280 °C beziehungsweise 320 °C), Einspritzgeschwindigkeit des Lots (1,02 m/s beziehungsweise 1,70 m/s) und Werkzeugtemperatur (Wassertemperierung: 80 °C beziehungsweise 100 °C). Die Untersuchungen werden repräsentativ mit dem Lot Sn95Ag+ und dem Einleger Cu‑verzinnt – Ø 0,8 mm durchgeführt. Der jeweilige Probekörper wurde zur Fixierung in eine Aufnahme eingespannt und ein Netzteil (des Typs Hioki 3541 Resistance Hi-Tester von ASM Automation, Moorsinning) über eine Krokodilklemme am Drahteinleger und durch eine Aufsatzelektrode an der Leiterbahn angeschlossen. Bild 3 zeigt den Einfluss der variierten Parameter auf die spezifische elektrische Leitfähigkeit. Diese liegt immer über 2,50 • 106 S/m. Wird die spezifische elektrische Leitfähigkeit bei einer gleichleibenden Werkzeugtemperatur von 80 °C betrachtet, führt eine Erhöhung der Einspritzgeschwindigkeit und eine geringere Lottemperatur zu besseren elektrischen Eigenschaften. Bei einer Werkzeugtemperatur von 100 °C führt eine Erhöhung der Einspritzgeschwindigkeit und eine höhere Lottemperatur zu besseren elektrischen Eigenschaften. Eine Signifikanzanalyse wurde mit der Statistik-Software Minitab (Version 19.2020.1) von Minitab, München, durchgeführt. Für alle Analysen wurde ein Konfidenzniveau von 95 % festgelegt, sodass die Wahrscheinlichkeit für ein zufälliges Auftreten eines Effekts kleiner als 5 % ist [5]. Signifikant ist dabei die Wechselwirkung zwischen Lottemperatur und Werkzeugtemperatur. Die spezifische elektrische Leitfähigkeit sinkt bei einer höheren Lottemperatur, wenn die Werkzeugtemperatur erhöht wird. Insgesamt sind die Auswirkungen der veränderten Prozessparameter so gering, dass dies vernachlässigt werden kann. Es handelt sich demnach um einen sehr robusten Prozess.

Zur Ableitung von Gestaltungsrichtlinien für die Kontaktierung wurde der Einfluss der Einlegerquerschnittsfläche, der Querschnittsformen und der Oberflächenmaterialien untersucht (Bild 4). Die statistische Analyse zeigte, dass signifikante Effekte der Querschnittsform, der Einlegerdicke, der Wechselwirkung aus beidem und der Einlegeroberfläche vorliegen. Die spezifische elektrische Leitfähigkeit ist bei größeren Querschnitten (Durchmesser von 0,8 mm beziehungsweise Querschnitt von 0,8 mm x 0,8 mm) und quadratischen Querschnitten höher, da eine größere Drahtoberfläche vom Lot umschlossen wird. Die spezifische elektrische Leitfähigkeit bei verzinnten Drähten mit einem quadratischen Querschnitt ist am höchsten, da die Kombination aus einem verzinnten Draht und der zinnhaltigen Metalllegierung besonders leitfähig ist. Deshalb sollten möglichst elektrische Komponenten mit Cu‑verzinnten Kontakten eingesetzt werden. Zudem sollte eine möglichst große Kontaktierungsfläche vorliegen.

Belastungen durch Salzsprühnebeltests

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Bild 5: Vergleich der maximalen Temperaturtragfähigkeit vor und nach Salzsprühnebeltest, I = 20 A für: PA6 – Bi58Sn42 – Cu-verzinnt – Ø 0,8 mm bzw. Cu-verzinnt – 0,8 x 0,8 mm.

Zur Lebensdauerprüfung wurden Salzsprühnebeltests gemäß der DIN EN ISO 9227 durchgeführt. Dabei wurden die Proben sechs Stunden lang durch den Salzsprühnebel beansprucht. Es wurden Proben aus den Materialkombinationen PA6 – Bi58Sn42 – Cu‑verzinnt, mit den Querschnitten Ø 0,8 mm beziehungsweise 0,8 x 0,8 mm hinsichtlich ihrer Medienbeständigkeit untersucht. Zur Analyse des Einflusses der Salzsprühnebeltests auf die Kontaktierungseigenschaften wurden Stromtragfähigkeitsmessungen vor und nach den Salzsprühnebeltests vorgenommen. Dazu wurde der jeweilige Probekörper eingespannt und ein Netzteil (des Typs HCS-3600 von Manson Engineering Industrial, Hongkong, China) für die Stromübertragung über eine Krokodilklemme am Drahteinleger und durch eine Aufsatzelektrode an der Leiterbahn angeschlossen. Die Temperatur wurde mit Hilfe einer Infrarotkamera von Flir Systems, Wilsonville, USA, gemessen. Zu Beginn der Strombelastung steigt die Temperatur steil an und strebt dann gegen einen Endwert. Bild 5 zeigt entsprechenden Temperaturverlauf bei einem definierten Strom von 20 A. Es lässt sich erkennen, dass der Temperaturanstieg über der Zeit, für die Proben mit dem Cu‑verzinnten Draht mit dem Durchmesser 0,8 mm sowohl vor als auch nach dem Salzsprühnebeltest bei einem Wert von circa 95 °C konvergiert. Auch bei der Kontaktierung des Drahts mit quadratischer Querschnittsfläche konvergieren die Probetemperaturen vor und nach dem Salzsprühnebeltest gegen den gleichen Wert (110 °C). Aufgrund der Gegenüberstellung der maximalen Temperaturtragfähigkeit der Probekörper wird zusammenfassend davon ausgegangen, dass die Belastung durch Salzsprühnebel keinen Einfluss auf die resultierenden Kontaktierungseigenschaften hat.

Sind die Probekörper witterungsbeständig?

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Bild 6: Temperaturverlauf eines Zyklusses beim Klimawechseltest und makroskopische Aufnahme nach Klimawechseltest: PA6 – Bi58Sn42 – Cu-verzinnt, 0,8 x 0,8 mm.

Die Durchführung der Klimawechseltests erfolgte in Anlehnung an die DIN EN 60068-2-14. Proben aus den Materialkombinationen PA6 – Bi58Sn42 – Cu-verzinnt, mit den Querschnitten Ø 0,8 mm  beziehungsweise 0,8 x 0,8 mm wurden in eine Klimakammer des Typs MKF 240 der Binder GmbH, Tuttlingen, eingelagert. Der entsprechende Temperaturverlauf ist Bild 6 (links) zu entnehmen. Nach den Klimawechseltests wurden die Probekörper an den Kontaktierungsstellen optisch beurteilt. Es kam bei allen Proben zu einer Aufwerfung der metallischen Leiterbahn aus der Nut. Zudem löste sich an einer Probe der Drahteinleger während der Klimawechseltests aus der Leiterbahn heraus. Bild 6 (rechts) zeigt dies beispielhaft anhand des Einlegers Cu-verzinnt, 0,8 x 0,8 mm.

Fazit und Ausblick

Auf Basis der durchgeführten Untersuchungen konnten Richtlinien hinsichtlich der Prozessführung und der Gestaltung für die Kontaktierung von Einlegeteilen mit dem IMKS abgeleitet werden. Die Auswirkungen der veränderten Druckgussparameter waren so gering, dass diese vernachlässigbar sind und es sich demnach um einen robusten Prozess handelt. Hinsichtlich der Gestaltung sind die Einleger mit Cu‑verzinnter Oberfläche und möglichst großer Kontaktfläche zu bevorzugen. Bezüglich der Prüfungen zur Langzeitbeständigkeit hatten die Belastung durch Salzsprühnebel keinen Einfluss auf die resultierenden Kontaktierungseigenschaften. Den Belastungen des Klimawechseltests hat der Verbund nicht standgehalten. Die unterschiedliche Wärmeausdehnung von Kunststoff- und Metallkomponente hat während der Belastungen durch die Klimawechseltests zum Herauslösen der Leiterbahnen aus den Kunststoffträgern geführt. Zudem unterliegt der Draht einem Formzwang, sodass sich durch die Wärmeausdehnung der metallischen Leiterbahn, auch dieser Verbund gelöst hat. Es müsste hier in künftigen Analysen untersucht werden, ob eine Anpassung der Leiterbahn Abhilfe schaffen könnte. Die Probekörper wurden durch sehr hohe (+120 °C) sowie niedrige (‑40 °C) Temperaturen belastet. Sofern eine Anwendung im Consumer- oder Industrial-Bereich gefordert ist, sind geringere Temperaturbereiche, denen die Probekörper standhalten müssen, von 0 °C bis +40 beziehungsweise 10 °C bis +70 °C gefordert [6]. Entsprechend müssten erneute Klimawechseltests mit Vergleichsprobekörpern vorgenommen werden.

Danksagung

Das IGF-Forschungsvorhaben 19778 N der Forschungsvereinigung Kunststoffverarbeitung wird über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung und -entwicklung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Allen Institutionen gilt unser Dank. Die Autoren bedanken sich außerdem bei den Unternehmen Berkenhoff, Heuchelheim, Felder Löttechnik, Oberhausen, Lanxess Deutschland, Köln und Tamura Elsold, Ilsenburg für die Unterstützung und die Bereitstellung von Versuchsmaterialien.

 

Literatur

[1]          Bobzin, K.; Bührig-Polaczek, A.; Haberstroh, E.; Michaeli, W. et al.: Verkürzung von Prozessketten bei der Herstellung von Kunststoff/Metall-Hybriden durch neuartige Urform- und Fügeprozesse. In: Brecher, C. (Hrsg.): Integrative Produktionstechnik für Hochlohnländer. Berlin, Heidelberg 2011, S. 514–559.

[2]          Hopmann, C., Wunderle, J., Neuss, A., Ochotta, P., Bobzin, K., Schulz, C., Liao, X.: Influence of surface treatment on the bond strength of plastics/ metal hybrids. Journal of Plastics Technology 11 (2015) 4, S. 227–255.

[3]          Michaeli, W., Hopmann, C., Wunderle, J.: Hybrid multi-component injection moulding for electro- and electronic applications. Proceedings of the 27th World Congress of the Polymer Processing Society. Marrakesch, Marokko 2011.

[4]          Neuß, A.: Verfahrensentwicklung des hybriden Mehrkomponenten-Spritzgießens zur                Herstellung von Bauteilen für Elektro- und Elektronikanwendungen. RWTH Aachen,                Dissertation, 2014.

[5]          Kleppmann, W.: Versuchsplanung –  Produkte und Prozesse optimieren. München, Wien 2011.

[6]          Nowottnik, M.: Zuverlässigkeit von Lötverbindungen – AVT für die Leistungselektronik. Sächsischer Arbeitskreis Elektronik – Technologie, 57. Treffen    2011.

 

ist Inhaber des Lehrstuhls für Kunststoffverarbeitung an der RWTH Aachen und Leiter des Instituts für Kunststoffverarbeitung (IKV) in Aachen.

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am IKV und Leiterin der Arbeitsgruppe Mehrkomponententechnik.

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Unternehmen

Institut für Kunststoffverarbeitung (IKV) in Industrie und Handwerk an der RWTH Aachen (Hauptsitz)

Seffenter Weg 201
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