Plasma beruht auf einem einfachen physikalischen Prinzip. Durch Energiezufuhr ändern sich die Aggregatzustände: Aus fest wird flüssig, aus flüssig gasförmig. Wird einem Gas nun weitere Energie zugeführt, so wird es ionisiert. Im angeregten Gas befinden sich freie Elektronen, Ionen und Molekülfragmente, es entsteht Plasma.
Eine Frage der Oberflächenenergie
In der Medizintechnik verwendete unpolare Kunststoffe, wie zum Beispiel Polyethylen (PE), Polypropylen (PP) oder Polyetheretherketon (PEEK), bedürfen aufgrund ihrer zu geringen Oberflächenenergie zwingend einer Aktivierung zum Erhöhen ihrer Benetzbarkeit.
Bei Atmosphärendruckplasma-Düsenverfahren (AD) wird zur Erzeugung des Plasmas eine im Kiloherzbereich getaktete lichtbogenähnliche Hochspannungsentladung eingesetzt. Durch diese wird das meist aus Luft bestehende Prozessgas geführt, dabei ionisiert und anschließend auf die zu behandelnde Oberfläche geleitet. Auf Kunststoffen bewirkt es in einem einzigen Arbeitsschritt die Feinreinigung, statische Entladung und simultane Aktivierung der Materialoberfläche. Die Folge der Aktivierung ist eine einstellbare veränderte Benetzbarkeit mit unterschiedlichen Medien. Erreicht wird dies durch das Beeinflussen der polaren und dispersen Anteile der Oberflächenenergie des Substrates. Eine gute Benetzbarkeit ist dann erreicht, wenn die Oberflächenenergie des festen Werkstoffs möglichst höher liegt, als die Oberflächenspannung des flüssigen Mediums oder sich beide zumindest stark angenähert haben. Dies ist durch geeignete Plasma-Behandlungsparameter realisierbar.
Schnittstelle Oberfläche
Oberflächen von Bauteilen sind generell der erste Kontakt zu ihrer Umgebung. Abhängig von der Risikoklasse des medizintechnischen Produkts sind sie zum Beispiel bei Implantaten die Schnittstelle zum biologischen System, bei Medizingeräten die äußere Verbindungsstelle zum Patienten oder auch der Kontakt zu Medien in der Analytik wie bei Petri-Schalen und mikrofluidischen Diagnosegeräten. Den unterschiedlichen Ansprüchen an das Verhalten der Oberflächen nachzukommen, bedingt bei Herstellern einen großen regulatorischen Aufwand und die Erfüllung strenger Anforderungen an die Biokompatibilität der eingesetzten Werkstoffe und Produktionshilfsmittel. Auch sind die Vorbehandlungsmethoden genau reglementiert. Vorbehandlungen und Beschichtungen mit Atmosphärendruckplasma können die Langzeitstabilität von Verklebungen gewährleisten bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Anforderungen hinsichtlich der Biokompatibilität. Die Plasmaverfahren sind für Medizinprodukte aller Risikoklassen einsetzbar.
Wie auch in der Elektromobilität oder der Luft- und Raumfahrt, haben Leichtbauwerkstoffe längst Einzug in die Medizintechnik gehalten. Häufig haben diese Werkstoffe schwer verklebbare Oberflächen, die einer Vorbehandlung bedürfen. Elektronische Bauteile erfordern oft eine dichte Verkapselung, die teilweise erst durch eine Oberflächenbehandlung, gegebenenfalls in Kombination mit einer Beschichtung, realisiert werden können. Beides sind Themen, die in der Medizintechnik zunehmend bedeutender werden, sei es bei leichten Faserverbundprothesen oder um die Elektronik bei aktiven Implantaten zu schützen. Ebenso wichtig sind Materialvorbehandlungen für die moderne Laboranalytik und Diagnostik.
Beim Herstellen von Medizinprodukten werden unterschiedliche Oberflächenvorbehandlungsverfahren eingesetzt. Ein Beispiel ist die in der Medizintechnik bereits erfolgreich eingesetzte Vorbehandlung von Bauteilen im Niederdruckplasma. Dieser Prozess ist jedoch aufgrund der erforderlichen Vakuumkammer nicht nur technisch aufwendig und kostenintensiv, mit ihm lassen sich auch ohne zusätzliche Maskierung keine partiellen Vorbehandlungen vornehmen. AD-Düsenplasma arbeitet dagegen immer ortsselektiv, also an genau definierter Stelle, sodass eine Maskierung der übrigen Oberfläche entfällt.
Verklebungen
Beim Vorbereiten von Verklebungen werden bei herkömmlichen Verfahren neben Haftvermittlern auch mechanische Techniken wie Strahlverfahren eingesetzt, die die Substratoberfläche aufrauen. In den Oberflächenrauigkeiten verankert sich der Klebstoff mechanisch und unterstützt die Haftfestigkeit einer Klebeverbindung. Häufig wird diesem Verfahren ein zusätzlicher Reinigungsschritt nachgeschaltet.
Die von Plasmatreat entwickelte Openair-Plasma-Technologie ermöglicht in der Medizintechnik die angestrebten optimalen Materialkombinationen. Selbst bislang inkompatible Substrate können mit einer Plasmabehandlung primerfrei zum Haften gebracht werden, wobei sowohl wasserbasierende wie vielfach auch UV- Klebstoffe nach dem Aktivieren langzeitstabil haften. Typische Erwärmungen der Kunststoffoberflächen betragen dabei nur ΔT< 30 °C.
In besonderen Fällen bedarf es unter Umständen einer zusätzlichen haftvermittelnden Plasmabeschichtung, die ohne mechanisches Vorbereiten der Oberflächen zu einem zuverlässigen und dauerhaften Materialverbund führt.
Drucken und Lackieren
Bei Druck- oder Lackierprozessen gelten in der Medizintechnik viele Anforderungen, die ein homogenes Benetzen der Bauteile mit Tinte oder Lack erfordern. Dieses Thema gewinnt an Aktualität mit der Umsetzung der neuen Medizinprodukte-Richtlinie (Medical Device Regulation – MDR), die ab dem 26. Mai 2020 in Kraft treten wird. Sie regelt unter anderem, dass Medizinprodukte eine weltweit gültige Produktkennzeichnung erhalten, die sowohl in maschinenlesbarer Form (zum Beispiel über einen Barcode), als auch in Klarschrift auf dem Produkt lesbar sein muss. Dieses Kennzeichnen soll der Nachverfolgbarkeit in Schadensfällen und ein Zuordnen des Medizinprodukts an einen Hersteller dienen. [1] Stand der Technik sind Markierungen über Laserverfahren, die jedoch eine entsprechende Sensibilität des Matrixwerkstoffes oder des Einsatzes von laseraktivierbaren Additiven bedürfen. Häufig erfüllen diese Additive nicht die regulatorischen Vorgaben wie Prüfungen zum Lebensmittelkontakt oder zur Biokompatibilität.
Aufgrund der Aktivierungswirkung von Plasma können unterschiedlichste Substrate ohne spezielle Additivzugabe langzeitstabil bedruckt werden, wie beispielsweise ein Katheterbeutel aus PVC.
Plasmabeschichtung unter Normaldruck
Im Plasma-Plus-Verfahren können eine Vielzahl von Substraten beschichtet werden. Dabei werden Chemikalien oder auch metallene Partikel wie Kupfer in den Plasmastrom eingebracht und auf der aktivierten Oberfläche abgeschieden. Die chemischen Präkursoren können flüssig als Sol oder gasförmig sein. Die Vielfalt der einsetzbaren Präkursoren erlaubt ein für den jeweiligen Anwendungsfall zugeschnittenes Funktionalisieren der Bauteile. [2] Die in diesem Verfahren abgeschiedenen Dünnschichten beeinflussen gezielt die Benetzbarkeit. Die Oberfläche kann sowohl hydrophil als auch hydrophob, biokompatibel oder auch antimikrobiell funktionalisiert werden. Zudem können die Beschichtungen Barrierefunktion übernehmen, antikorrosiv wirken, die Gleitreibung reduzieren oder für stoffschlüssige Verbindungen in Hybridbauteilen sorgen.
Antimikrobielle Funktionalisierung
Mit häufiger werdenden Antibiotikaresistenzen werden Infektionen im Krankenhaus und insbesondere implantatassoziierte Infektionen zu einem globalen Problem. Die antimikrobielle Funktionalisierung von Medizinprodukten gewinnt dadurch eine zentrale Bedeutung. Unter Anwendung der Plasma-Plus-Technologie können Metalloxidbeschichtungen auf unterschiedlichsten Substraten abgeschieden werden, die photokatalytisch aktiv sind und dadurch antimikrobielle Wirkung haben. Die Metalloxid-Schicht wird durch Licht im ultravioletten und auch im sichtbaren Bereich aktiviert, wodurch Elektronen in einen angeregten Zustand gebracht werden. In feuchter Umgebung werden durch Wasserspaltung reaktive Spezies wie Hydroxylradikale gebildet, die direkt antimikrobiell wirken. Der genaue Mechanismus, wie die reaktiven Spezies auf Bakterien wirken, ist noch nicht eindeutig geklärt, doch wird vor allem die oxidative Schädigung der bakteriellen Zellmembran diskutiert. Die antimikrobielle und selbstreinigende Ausstattung von Oberflächen wird von Plasmatreat derzeit in dem Projekt „Auto Protect“ (D-NL-Interreg Projekt, Förderkennzeichen: 144131) verfolgt.
Die cytotoxikologisch unbedenklichen, antimikrobiellen Plasmabeschichtungen auf Kunststoffen oder Metallen können eine breite Anwendung als selbstreinigende Oberflächen oder bei der Desinfektion von Luft oder Wasser finden. Ihr Einsatz auf Implantatoberflächen zum präventiven Vermeiden implantatassoziierter Infektionen während oder kurz nach der Operation kann zukünftig besondere Bedeutung gewinnen.
Positive Wirkung auf Knochenzellen
Implantate sollten Patientenbedürfnissen optimal angepasst sein. Aufbauend auf Daten aus bildgebenden Diagnoseverfahren lassen sich mittels additiver Fertigungsverfahren personalisierte Implantate herstellen. Polyetheretherketon (PEEK) zeigt sich hierbei als bestens geeigneter Werkstoff. Es ist chemisch inert, nicht toxisch, biokompatibel und führt im Gegensatz zu Metallimplantaten in bildgebenden Verfahren wie Röntgen nicht zu Artefakten. Durch die Möglichkeiten additiver Fertigungsverfahren lassen sich so strukturkompatible, lasttragende Implantate herstellen, die sich den mechanischen Eigenschaften von Knochen annähern [3]. Nachteilig wirkt sich jedoch die geringe Benetzbarkeit der PEEK-Oberflächen auf die Besiedelung mit Knochenzellen, den Osteoblasten, aus.
Das Münchener Medtech-Startup Kumovis hat sich auf die Herstellung von 3D-Druckern zur Verarbeitung von Hochleistungspolymeren für patientenindividualisierte Implantate spezialisiert. In Zusammenarbeit mit Plasmatreat wurden Besiedelungsversuche mit Osteoblasten (Knochenzellen) auf verschieden plasmabehandelten PEEK- und Referenzproben durchgeführt. Bei den Versuchen ergab sich, dass im Vergleich zu einer unbehandelten PEEK-Oberfläche eine reine Plasmaaktivierung zwar bewirkt, dass Osteoblasten die Oberflächen besiedeln können, der Effekt jedoch nicht besonders ausgeprägt ist. Die Ergänzung des Vorbehandlungsprozesses durch die atmosphärische Plasmabeschichtung ergab dagegen ein sehr positives Ergebnis: das Anwachsen der Knochenzellen hatte sich signifikant verbessert. Mit Hilfe der Plasma-Plus-Technologie wurden PEEK-Implantatoberflächen mit guten, für Knochen attraktiven, osseointegrativen Eigenschaften erzeugt.
Zukunftsweisend
Die hier beschriebenen atmosphärischen Plasma-Düsentechnologien gelten als zukunftsweisende Verfahren in der Medizintechnik. Sie können die Herstellung von Medizinprodukten vielfältig und effektiv unterstützen. Neben der ortsselektiven Anwendbarkeit und der einfachen Integration der Systeme in die kontinuierliche Fertigung, sind es Faktoren wie hohe Prozessgeschwindigkeit und Prozesssicherheit, Roboterkompatibilität und genaue Reproduzierbarkeit, die ihren Einsatz in der Medizintechnik sinnvoll machen. Die Atmosphärendruck-Plasmaverfahren lassen sich problemlos in digital gesteuerte Produktionsprozesse integrieren bei höherer Wirtschaftlichkeit im Vergleich zu herkömmlichen Vorbehandlungsmethoden.
Literatur:
[1] Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über Medizinprodukte, zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 und zur Aufhebung der Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG des Rates. Europäische Union, 2017
[2] Verfahren und Vorrichtung zur Plasmabeschichtung von Oberflächen, Patentnummer EP 1 230 414 B1
[3] S.-W. Ha, E. Wintermantel. Medizintechnik Life Science Engineering, 5. Auflage, Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 2009