Im Jahr 2021 wurden laut Plastics Europe weltweit 391 Mio. t Kunststoffe hergestellt, davon 57 Mio. t, also fast 15 %, in Europa. Gut 9 % aller Polymere werden im Mobilitätssektor verwendet. Global ist dies ein Markt von etwa mehr als 31 Mrd. Euro. Etwa 30 verschiedene Kunststoffe kommen in Fahrzeugen zum Einsatz, wobei es sich weitgehend um Standardthermoplaste im unteren Drittel der Kunststoff-Leistungspyramide handelt, ergänzt von Elastomeren und einigen Duroplasten. Je nach Typ lässt sich bei aktuellen Fahrzeugmodellen ein Kunststoffanteil von bis zu 20 % am Gesamtgewicht ableiten. Die Fraktionen teilen sich (nach Gewichtsanteil) ungefähr wie folgt auf (Quelle: Nexus/Tecpart): PP (35 %), PUR (14 %), PA (10 %), PC (7 %), ABS (7 %), TPE (4 %), PE (4 %), Andere (20 %).
Variantenreichtum als Herausforderung
Der Schwerpunkt beim Einsatz von Kunststoffen liegt im Interieur, also beispielsweise Instrumenten- und Türtafeln, Konsole, Paneele, Griffe, Sitze. Beim Exterieur gibt es große Spritzgießkomponenten im Frontend und im rückwärtigen Bereich des Fahrzeugs. Anwendungen unter der Motorhaube von Verbrennern werden so gut wie äquivalent im Gewichtsanteil ersetzt durch Applikationen um Batteriebereich von PHEV und vollelektrischen Fahrzeugen. Die Vielgestaltigkeit der Kunststoffe im Fahrzeug zeigt, dass zahlreiche Fragestellungen und Anforderungen von Konstrukteuren mit ihnen beantwortet werden können. Zugleich ist dieser Variantenreichtum die komplexeste Herausforderung im Hinblick auf Nachhaltigkeitsanforderungen und dem von der Europäische Kommission priorisierten Ansatz der Kreislaufwirtschaft. Dazu kommen Verarbeitungsschritte wie Kaschieren, Laminieren, Verklebung, die das Recycling erschweren, weiterhin Komposit- und Hybridmaterialien.
Um diese Unübersichtlichkeit zu entzerren, bietet sich der Blick in die Welt der Polymerschäume an. Seit 1951 war der bekannteste Schaum expandiertes Polystyrol (EPS) und besetzte neben dem Polyurethan (PUR) über lange Zeit die Anwendungsspektren. Erst durch den Einsatz von expandiertem Polypropylen (EPP) seit Ende der achtziger Jahre ist das Portfolio verfügbarer oder entwickelter Polymerschäume stark gewachsen. Es lässt sich feststellen, dass die meistverwendeten Polymere sich auch im Bereich der Schäume als leichtes Pendant wiederfinden, so EABS, EPA, EPET, ETPE. Zum Teil sind diese Schäume noch in einem frühen Stadium nach ihrer Markteinführung, werden in der Automobilindustrie aber in Entwicklungskonzepten für zukünftige Fahrzeuge berücksichtigt und entsprechend auf ihre Eigenschaften und Performance geprüft.
Was Polymerschäume ermöglichen
In diesem Zusammenhang zeigen sich, getrieben auch durch die Elektromobilität, vier Hauptimpulse im Mobilitätsbereich – und die Fähigkeit von Polymerschäumen, Antworten auf diese Fragen anbieten zu können:
- Gewichtseinsparung: Leichtbaukonzepte vertrauen auf den Einsatz von Polymerschäumen, die bis zu dreißigmal leichter sind als ihre korrespondierenden Werkstoffe im Bereich Spritzguss oder Tiefziehen. Durch Design Thinking und Neudenken von Plattformen und Bauraum sind Lösungen mit Polymerschäumen bei weniger erforderlichen Bauteilen möglich. Durch die akustische oder dämmende Wirkung lassen sich Funktionen modular in ein Bauteil integrieren.
- CO2-Reduktion: Durch Polymerschäume leichtere Fahrzeuge überzeugen bei der Umsetzung von Dekarbonisierungszielen, sei es längere Batteriereichweite oder Kraftstoffeinsparung beim Verbrenner. Für Automobilhersteller ist auch die Betrachtung der Lieferkette von Interesse, und Schäume mit Rezyklatanteil können einen wichtigen Beitrag leisten.
- Kreislaufwirtschaft: Durch den Ansatz des Ecodesigns gelangt kaum ein Werkstoff noch in neue Fahrzeugkonzepte, wenn nicht die Fragen des CO2-Fußabdrucks in der gesamten Lieferkette und dem Fahrzeugeinsatz geklärt sind. Der mit Design for Recycling befasste Konstrukteur schätzt die Monomateriallösungen, die sich mit Polymerschäumen umsetzen lassen und etwa durch integrierte Oberflächen andere Verfahren wie Kaschieren und Verkleben überflüssig machen, die der Wiederverwertbarkeit im Wege stehen. Über die gesetzliche Forderung von 25 % Gewichtsanteil hinaus bieten Schäume die Option, den Post-Consumer-Recyclinganteil in Baugruppen signifikant zu erhöhen ohne bei der Leistungsfähigkeit Kompromisse eingehen zu müssen – insbesondere nicht bei sicherheitsrelevanten Bauteilen.
- Kosteneinsparungen: Durch modulare Bauweise mit Polymerschäumen lassen sich Komponenten einsparen als auch Zusammenbau und Montage vereinfachen. Im Vergleich zu anderen Techniken sind Schaumwerkzeuge günstig, die Produktion von Bauteilen meist regional.
Der Markt für Polymerschäume unter der Lupe
Bei den Herausforderungen neuer Polymerschäume und einem Einsatz im Serienfahrzeug ist zunächst an Industrialisierung und Volumenproduktion zu denken. Hierbei ist ein konkretes Entwicklungsprojekt im Fahrzeugbereich bei früher Einbindung der Rohmaterialhersteller hilfreich. Für den interessierten verschäumenden Lieferanten steht die Verarbeitbarkeit eines neuen Schaums im Vordergrund: lässt sich bestehende Anlagentechnik nutzen? Werden neuartige Werkzeuge benötigt? Wie steht es um die Energiebilanz und die Taktzeit des Schaums? Beim OEM sind im Rahmen der Spezifikation die Leistungscharakterisierung und das Kostenniveau bei Substitution Priorität. Bei jeder Neuentwicklung werden vor der Produktion der ersten Schaumperle die Rezyklierfähigkeit und potenzielle Materialströme zu berücksichtigen sein. Anwendungen im Sichtbereich waren in der Vergangenheit auf Grund der geforderten Oberflächenqualität, der Farbechtheit und Beständigkeit schwierig umzusetzen, aber durch intelligente Anpassung von Lastenheften werden die Polymerschäume in kommenden Fahrzeuggenerationen aus ihrer weitgehenden Unsichtbarkeit treten. Der am längsten am Markt positionierte Polymerschaum ist das expandierte Polypropylen.
Der EPP-Markt in Europa, der laut Angaben des Materialherstellers JSP im Jahr 2023 bei etwa 48.000 t Jahresmenge lag, ist eine spezialisierte und innovative Industrie, die sich den Anforderungen im Bereich Nachhaltigkeit in den eigenen Fertigungsprozessen, bei Energieeinsparungen und letztlich dem Materialeinsatz mit Rezyklatanteil auch außerhalb der Autoindustrie nicht verschließt. Hersteller skalieren und standardisieren Plattformen breiter, Umfänge werden größer. Neue Anwendungen auch in bisher weitgehend auf Vollwerkstoffen, teils Metallstrukturen, beruhenden Bereichen erhöhen den Bedarf an EPP im Fahrzeug von derzeit etwa 2,5 bis 3 auf 10 kg oder mehr. Zudem erschließen sich vermehrt neue Felder im Bereich der kommerziellen Fahrzeuge und LKW. Es handelt sich nicht mehr um reine Füllstücke, um Hohlräume zu dämmen: EPP ist ein 3D-Konstruktionswerkstoff mit hervorragender Energieaufnahme für crashrelevante Bauteile. EPP begünstigt eine Modularität mit Funktionsintegrationen wie Dichtlippen. Kabelführungen, Strukturen, ist thermisch isolierend und akustisch absorbierend. Es erfüllt alle Emissions- und Brandanforderungen und bietet Monomateriallösungen mit Rezyklatanteil und Kreislauffähigkeit an. CO2-Fußabdrücke lassen sich nachweislich im zweistelligen Prozentbereich verringern. Eine nachhaltige Mobilität ist ohne Polymerschäume nur schwer denkbar. Die verarbeitende Industrie kann die Automobilhersteller und deren Zulieferer mit intelligenten und wirtschaftlichen Leichtbaulösungen unterstützen, um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Trotz konjunktureller Schwankungen darf hier mit einer weiterhin positiven Entwicklung des Marktes gerechnet werden.
Quelle: Bewi Group