Strand mit einer großen braunen Alge. Im Hintergrund Palmen.

Es erfordert nur wenige Prozessschritte, um von der Meeresalge über das vorgefertigte Rohmaterial Folie bis zur fertigen Verpackung zu gelangen. (Bild: Brabender)

Die Herstellung von Polymeren für die Kunststoffherstellung aus fossilen oder nachwachsenden Rohstoffen ist aufwendig und benötigt viele Ressourcen. In der Folge ist der CO2-Fußabdruck der Materialien groß. Polymere werden in großen Mengen hergestellt und seit vielen Jahrzehnten werden die Prozesse und Anlagen weltweit weiterentwickelt und optimiert. Wesentlich effizientere Prozesse hat die Natur entwickelt. Vor etwa drei Milliarden Jahren sind die ersten Algen entstanden, noch weit vor den Landpflanzen. Sie haben sich bis heute immer weiterentwickelt und angepasst: „Heutige Meeresalgen sind in der Lage, nur mithilfe von Sonnenlicht, CO2, Salzwasser und Nährstoffen in kurzer Zeit große Mengen Polymere herzustellen. Der CO2-Fußabdruck dieser sogenannten Polymersynthese ist sogar negativ, da CO2 aufgenommen wird“, erklärt Ludwig Schmidtchen, Leiter des Meeresalgenpolymerprojekts bei Brabender.

Alles zum Thema Biokunststoffe

Eine Hand reißt einen Papierstreifen weg. Darunter steht das Wort "Biokunststoff"
Wissenswertes über Biokunststoffe finden Sie in unserem Übersichtsartikel. (Bild: thingamajiggs - stock.adobe.com)

Auf dem Weg zu einer klimaneutralen Zukunft müssen verschiedenste Rädchen ineinander greifen. Doch wie schaffen wir es, die Dekarbonisierung unserer Gesellschaft umzusetzen? Biokunststoffe sind ein wichtiger Hebel um diesem Ziel näher zu kommen. Doch was wird unter einem Biokunststoff eigentlich verstanden? Wo werden diese bereits eingesetzt? Und ist "Bio" wirklich gleich "Bio"? Wir geben die Antworten. Alles, was Sie zu dem Thema wissen sollten, erfahren Sie hier.

Warum Kunststoffe aus Algen wirtschaftlich konkurrenzfähig sein können

Hellbraune Meeresalgen.
Die Meeresalgen können direkt extrudiert werden, um daraus beispielsweise ein Granulat herzustellen. Eine Extraktion der Polymerbestandteile ist nicht erforderlich. (Bild: Brabender)

Der an der TU Dresden am Institut für Naturstofftechnik, Professur für Verarbeitungsmaschinen/Verarbeitungstechnik erdachte und bei Brabender weiterentwickelte Ansatz ist es, die Meeresalgen direkt mittels Extrusion zu dem Polymerwerkstoff zu verarbeiten. Der Prozess ist im Grunde eine Umformung der Meeresalge mittels Extrusion in das gewünschte Produkt wie Granulat, Strang, Folie oder 3D-Formteil. Alle Bestandteile der Meeresalge sind dann auch im Endprodukt enthalten. Mit diesem Ansatz wird die Verarbeitung auf ein Minimum reduziert. Die Summe aus CO2-Fußabdruck des Rohstoffs, der Verarbeitung zum Produkt, dessen Nutzung und der Entsorgung hat daher das Potenzial, minimal zu sein.

Aufgrund der Simplizität des Herstellungsprozesses und der geringen Rohstoffkosten besitzt das Material aus Meeresalgen nicht nur großes Potenzial, eine umweltfreundliche Alternative zu bestimmten Kunststoffen zu liefern, sondern auch wirtschaftlich konkurrenzfähig zu sein. Am Beginn des Stoffkreislaufs steht das Wachstum der Meeresalge im Ozean. Aus Sonnenenergie, Meerwasser, CO2 und Nährstoffen entsteht eine polysaccharidhaltige, also Mehrfachzuckerverbindungen enthaltende Meeresalgenbiomasse. Nach circa 45 Tagen ist die Meeresalge in den Aquakulturen gewachsen und kann geerntet werden. Zu diesem Zeitpunkt besteht die Meeresalge zu circa 85 % aus Wasser. Mittels Trocknung in der Sonne wird der Wassergehalt so weit reduziert, bis die Meeresalge lagerstabil ist. Eine Lagerung über längere Zeiträume ist dann kein Problem.

„Bei Meeresalgen handelt es sich um Naturprodukte, die in Abhängigkeit von vielen Faktoren wie Anbauort oder Erntesaison eine schwankende Zusammensetzung besitzen. Für die industrielle Verarbeitung ist es daher von entscheidender Bedeutung, die Qualität des Rohstoffs messen und im Hinblick auf die Verarbeitung bewerten zu können“, merkt Schmidtchen an.

Was kann man aus Meeresalgen machen?

Eine grüne Verpackung eines Geschirrspültabs aus Meeresalgen.
Das Material aus Meeresalgen ist prädestiniert, um Polyvinylalkohol, etwa zum Verpacken von Geschirrspültabs zu ersetzen. (Bild: Brabender)

Aufbauend auf der 100-jährigen Erfahrung bei Brabender in der Qualitätsbestimmung von Rohstoffen, angefangen mit der Mehlcharakterisierung im Jahr 1923, wurde eine Methode entwickelt, um die Qualität von Meeresalgen zu bestimmen. Dazu wird das Viskosimeter Visco Quick der Firma verwendet. Auf dieser Grundlage kann die Verarbeitung von Rohstoffen mit schwankender Zusammensetzung realisiert werden. Nach der Qualitätskontrolle erfolgt dann die geeignete Verarbeitung in der Extrusion zu dem gewünschten Produkt, beispielsweise eine Folie. Es ist auch möglich, über den Zwischenschritt der Granulatextrusion zu gehen und später das Granulat zum Endprodukt zu extrudieren. Ob es sinnvoller ist, direkt das Endprodukt zu extrudieren oder erst ein Granulat, hängt von der Anwendung und dem Aufbau der Lieferkette ab.

Aus einer Folie wird im nächsten Schritt die Verpackung etwa von technischen Kleinteilen hergestellt: „Die Verpackung kann nach Verwendung theoretisch recycelt werden, um direkt wieder ein Produkt daraus herzustellen. Solche Recyclingkreisläufe gibt es bisher aber noch nicht“, sagt Schmidtchen. Theoretisch ist es auch möglich, aus der Verpackung ein Düngemittel herzustellen. Makroalgen wurden vor der Industrialisierung über Jahrhunderte als Düngemittel eingesetzt und die Verpackung enthält alle Bestandteile der Makroalge. Da auch hier bisher kein entsprechendes Sammelsystem existiere, ist die beste Option das biologische Recycling des Materials mit dem Bioabfall.

Zitat

An der Wasserbeständigkeit des algenbasierten Materials wird bereits gearbeitet.

Eine Zertifizierung der Bioabbaubarkeit ist noch nicht durchgeführt worden. Aufgrund der Zusammensetzung des Materials aus natürlichen Bestandteilen der Meeresalgen, die „nur“ umgeformt wurden, ist eine gute Bioabbaubarkeit zu erwarten. Erste Versuche zum Auflösen im Wasser und Heimkompostierung wurden erfolgreich durchgeführt und bestätigen diese Annahme. Nach der Zersetzung des Materials in seine Grundbestandteile werden diese über kurz oder lang wieder ins Meer gelangen und dort zum Wachstum neuer Meeresalgen beitragen. Damit schließt sich der Kreislauf.

Vier braune Rollen.
Dank des Extrusionsprozesses ist eine kontinuierliche und effiziente Verarbeitung der Meeresalgen möglich. (Bild: Brabender)

Wo kann das auf Meeresalgen basierte Material Kunststoffe ersetzen?

Das aus Meeresalgen hergestellte Polymermaterial kann Kunststoffe in bestimmten Anwendungen ersetzen. Die Substitution von allen heute eingesetzten Kunststoffen wird weder technisch möglich sein, noch wäre sie ökologisch sinnvoll. Für Einweganwendungen ist der Einsatz von heutigen Kunststoffen oft nicht zwingend erforderlich und bringt sogar negative Auswirkungen gerade in Bezug auf Umweltverschmutzung und Ressourcenverbrauch mit sich. Gerade bei solchen Anwendungen ist eine Alternative aus Algen sinnvoll vorstellbar. Nach aktuellem Entwicklungsstand besitzt das Material gute mechanische Eigenschaften und ist wasserlöslich.

Lösungen, um Kunststoffe aus Algen auch für Anwendungen nutzbar zu machen, bei denen eine Wasserbeständigkeit erforderlich ist, sind in der Entwicklung: „Das Material ist prädestiniert, um Polyvinylalkohol, zum Beispiel zum Verpacken von Geschirrspültabs, zu ersetzen. Eine Herausforderung ist lediglich die natürliche, leicht bräunliche Farbe des Endprodukts“, so Schmidtchen. Hier kann durch Bleichen oder Farbstoffe Abhilfe geschaffen werden, wobei zu bedenken ist, dass dies den Ressourcenverbrauch für die Materialherstellung und damit den CO2-Fußabdruck erhöht: „Da jeder zusätzliche Prozessschritt den CO2-Fußabdruck des Materials vergrößert, sollte die Verarbeitung möglichst gering gehalten werden“, erklärt Schmidtchen.

Das Schema zeigt den Kreislauf einer Verpackung aus Meeresalgen
Mit der Nutzung der Meeresalgen als Rohstoffquelle für Verpackungen folgt Brabender dem Cradle-to-Cradle-Ansatz. (Bild: Brabender)

Interview

Man mit kurzen braunen Haaren, blauem Hemd und Brille.
Ludwig Schmidtchen, Leiter des Meeresalgenpolymerprojekts bei Brabender (Bild: Brabender)

Was hat Sie dazu bewogen, Meeresalgen zu Kunststoffen weiterzuverarbeiten?
Ludwig Schmidtchen: Die Idee ist während einer Lehrveranstaltung an der TU Dresden entstanden. Es ging um Alternativen zur Holzfaser für die Papierherstellung, da die Ressource Holz begrenzt ist. Daraus ergab sich für mich die Frage, welcher nachwachsende Rohstoff überhaupt in größeren Mengen verfügbar sein kann, ohne große Konkurrenz in der Nutzung des Rohstoffs oder der Anbauflächen zu schaffen. Diese Recherche hat mich zu Meeresalgen geführt. Die Meeresfläche beträgt 70 % der Erdoberfläche, und diese wird im Vergleich zur Landfläche nur minimal genutzt. Das Potenzial, sie stärker für die Gewinnung nachwachsender Rohstoffe wie Meeresalgen zu nutzen, hat mich letztendlich überzeugt, in diese Richtung zu forschen.

 

In welchen Regionen der Welt könnten die Algen angebaut werden?
Schmidtchen: Meeresalgen kommen überall vor. Es gibt jedoch je nach Region unterschiedliche Arten, die sich auch unterschiedlich gut für die Verarbeitung eignen. Besonders geeignet zum Meeresalgenanbau sind Regionen in Äquatornähe. Dort sind das ganze Jahr über sehr ähnliche Bedingungen, sodass Anbau und Ernte das ganze Jahr über erfolgen können.

 

Der gewonnene Werkstoff folgt dem Cradle-to-Cradle-Designprinzip. Werden Sie die Kunststoffe aus Meeresalgen von der EPEA (Environmental Protection Encouragement Agency) zertifizieren lassen?
Schmidtchen: Konkrete Ziele für die Zertifizierung haben wir noch nicht. Erst mal geht es uns um die Demonstration des technisch und wirtschaftlich Machbaren. Je näher die Entwicklung einer Markteinführung kommt, desto wichtiger wird das Thema Zertifizierung, zum Beispiel auch der Bioabbaubarkeit. Wenn es so weit ist, werden wir schauen, welche Zertifizierungen notwendig und hilfreich sind. Die EPEA Zertifizierung kann eine davon sein.

 

Die Algen können im Spritzguss sowie in der Extrusion verarbeitet werden. Liegen die Verarbeitungsparameter im Bereich von fossil basierten Polymeren?
Schmidtchen: Ja und nein. Fossil basierte Polymere besitzen eine enorme Spannweite in Bezug auf die Verarbeitungsparameter, zum Beispiel Polycaprolacton (PCL) mit einer Schmelztemperatur von zum Teil deutlich unter 100 °C bis hin zu Polyetheretherketon (PEEK) mit deutlich über 300 °C. In dieser Vielfalt finden sich auch die Meeresalgenpolymere wieder. Ein sinnvoller Vergleich ist jedoch nur mit einem konkreten Kunststoff möglich.

 

Und wie verhalten sich die mechanischen Eigenschaften des Werkstoffs – Stichwort: Spülmaschinentabfolie?
Schmidtchen: Wird die reine Meeresalge verwendet, dann erhält man ein Material mit hoher Festigkeit. Es ist gleichzeitig sehr spröde und besitzt nur eine minimale Dehnbarkeit. Durch Einsatz natürlicher Weichmacher können Festigkeit und Dehnbarkeit so eingestellt werden, dass man beispielsweise eine Folie erhält, die zum Verpacken von Spülmaschinentabs verwendbar ist.

 

In welchem Dichtebereich liegt das Algenmaterial?
Schmidtchen: Einen genauen Messwert kann ich leider nicht nennen. Sie wird wahrscheinlich ähnlich anderer Kunststoffe im Bereich von 1 g/cm³ liegen.

 

Können Sie den CO2-Fußabdruck eines hergestellten Produktes angeben?
Schmidtchen: Einen konkreten Wert können wir noch nicht angeben. Dazu gibt es noch zu viele Unbekannte in einer möglichen Lieferkette und Produktion. Dadurch, dass die Polymersynthese in der Natur erfolgt und die gesamte Meeresalge ohne Vorbehandlung verarbeitet wird, sind sonst sehr energieintensive Schritte wie Polymersynthese oder Extraktion von Polymeren aus Biomasse nicht erforderlich. Folglich gehen wir davon aus, dass das Material einen deutlich kleineren CO2-Fußabdruck aufweisen wird als andere Verpackungsmaterialien.

 

Würden sich Cradle to Cradle und eine Einfärbung des Werkstoffs widersprechen?
Schmidtchen: Ob die Einfärbung dem Cradle to Cradle-Prinzip widersprechen würde, weiß ich nicht genau. Es widerspricht auf jeden Fall dem Ansatz, durch minimale Verarbeitung ein Produkt zu erhalten, welches nur minimale negative Auswirkung auf die Umwelt hat. Insofern würde ich es aus ökologischer und technischer Sicht stark befürworten, das Material ohne Einfärbung zu verwenden. Letztendlich wird es aber eher eine Entscheidung im Marketing sein, welche Farbe ein Material haben soll.

 

Werden wir zum Abschluss noch konkret: Könnte man mit dem Material beispielsweise auch Lebensmittel wie Nudeln oder Reis verpacken, die dann einfach in kochendes Wasser geworfen werden können?
Schmidtchen: Theoretisch ja. Die Umsetzung birgt einige Risiken oder Herausforderungen. Wenn die Verpackung sich auflöst und mitgekocht wird, dann wird sie Teil des Lebensmittels. Folglich müssten alle Anforderungen in Bezug auf Lebensmittelsicherheit eingehalten werden. Um dies auf dem Transport zu gewährleisten, wäre wahrscheinlich eine Verpackung zum Schutz der Meeresalgenverpackung notwendig. Dann würde ich mir die Frage stellen, ob die Meeresalgenverpackung überhaupt notwendig ist.

 

 

Quelle: Brabender

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