Drei kleine Häufchen PIR-Flakes. Aus PIR-Flakes und Zellulosefasern werden die Graspellets hergestellt, aus denen Bauteile spritzgegossen oder Extrudate hergestellt werden.

Aus PIR-Flakes und Zellulosefasern werden die Graspellets hergestellt, aus denen Bauteile spritzgegossen oder Extrudate hergestellt werden. (Bild: Redaktion)

Ende der 1990er stellte Michael Gass die Herstellung von Produkten infrage, die auf dem Rohstoff Erdöl basieren. Denn zum einen legt das Öl bis in die Raffinerien lange Transportwege zurück und zum anderen entstehen beim Aufbereiten des Öls Nebenprodukte, die entsorgt werden müssen. Weiterhin werden die fossilbasierten Kunststoffprodukte am Ende ihres Lebenszyklus ebenfalls zu Abfall und somit Müllbergen, die ebenfalls entsorgt werden müssen. Zu dieser Linearität galt es eine Alternative zu entwickeln, sodass er mit einem Kollegen begann, einen Ansatz nach dem Cradle to Cradle (C2C)-Prinzip zu suchen. Sie hatten als Ziel einen neuartigen Kunststoff, dessen Hauptbestandteil ein natürlicher Rohstoff ist. Dieser sollte beim Aufbereiten vollständig umgesetzt werden sowie nach dem Verarbeiten und dem Gebrauch des Bauteils keinen Plastikmüll hinterlassen. Und sie kamen auf Gras – einem kostengünstigen und weltweit verfügbaren Rohstoff, der nicht für die Produktion von Nahrungsmitteln eingesetzt wird. Auf eigene Kosten wurde die notwendige Forschung durchgeführt und im Jahr 2007 ging im hessischen Brensbach die Produktionsanlage des zwischenzeitlich gegründeten Unternehmens Biowert auf dem Gelände einer bereits seit 2005 bestehenden Biogasanlage in Betrieb. Diese ist ein wichtiger Teil der Bioraffinerie. Doch der Reihe nach.

So wird die grüne Energie erzeugt

Um frisches, grünes Gras in eine trockene Grasfaser zu überführen, sind zahlreiche, energieintensive Schritte nötig. Und hier kommt die Biogasanlage ins Spiel, denn sie liefert sowohl Strom als auch Wärme für den Prozess. Bei der Anlage handelt es sich um eine Cofermentationsanlage, die mit pumpfähigen Abfällen aus der Nahrungsmittelproduktion gespeist wird. Im 4.700 m³ großen Fermentbehälter findet bei rund 40 °C die Vergärung statt und das Biogas entsteht. Mit diesem werden zwei Blockheizkraftwerke von je 700 kW/h Leistung gespeist. „Hier wird mehr Strom erzeugt, als wir am Standort benötigen“, berichtet Vera Schwinn, Assistentin der Geschäftsleitung bei Biowert. Der Überschuss wird ins öffentliche Netz eingespeist. Mit der Abwärme der Blockheizkraftwerke wird der Fermenter temperiert, die Büroräume geheizt, Warmwasser für die Gebäude und den Prozess erzeugt und – ganz wichtig – die Grasfasern getrocknet. Das in der Biogasanlage entstehende flüssige Ferment wird von Landwirten abgeholt und auf den Feldern, auf denen unter anderem das zweijährige Gras angebaut wird, als Dünger ausgebracht. Das im Prozess benötigte Wasser ist aufbereitetes Dach- und Oberflächenwasser, das nach seiner Verwendung – zum Waschen der Grasfasern – über die Biogasanlage geführt wird. Ebenso wird der bei der Silierung entstehende Grassaft der Anlage zugeführt und daraus Energie gewonnen.

In dem Mazerator werden die Grasfasern mechanisch aufgeschlossen.
In dem Mazerator werden die Grasfasern mechanisch aufgeschlossen. (Bild: Redaktion)

Welche Rolle die Landwirte übernehmen

Kleine graugrüne Grasfasern auf einer Metallplatte. Die mazerisierten Grasfasern durchlaufen noch drei Pressenstufen, um weiter aufgeschlossen, zerkleinert und vereinzelt zu werden.
Die mazerisierten Grasfasern durchlaufen noch drei Pressenstufen, um weiter aufgeschlossen, zerkleinert und vereinzelt zu werden. (Bild: Redaktion)

Doch die Odenwälder Landwirte sind nicht nur für die Düngung der Wiesen zuständig. Sie sorgen für den Rohstoff – das Gras. Biowert und die landwirtschaftliche Erzeugergemeinschaft stehen in engem Kontakt, denn der Grasanbau ist ein Teil der Fruchtfolge auf den bewirtschafteten Äckern. Der Naturfaserhersteller stimmt mit den Bauern im Herbst die Fläche ab, die mit dem zweijährigen Wiesengras eingesät werden soll. Für die angebaute Menge erhalten sie von dem Unternehmen eine Abnahmegarantie. Im Mai ist das Gras in der Regel bereit für den ersten Schnitt. „Für unseren Prozess ist es wichtig, dass das Gras noch keine Rispen gebildet hat, denn dann lässt es sich im Prozess besser aufschließen“, berichtet Schwinn. Die Landwirte aus der direkten Umgebung übernehmen neben der Aussaat auch alle Schritte, die für eine Silierung notwendig sind: Mähen, Häckseln, Ein- und Festfahren des ersten und einige Wochen später des zweiten Schnittes. „Das Fahrsilo auf unserem Betriebsgelände nimmt 1.000 t Frischmasse auf“, erläutert Vera Schwinn. „Durch die Silierung und die luftdichte Abdeckung wird der Grünschnitt haltbar und kann bis zur nächsten Ernte gelagert werden. Dies ermöglicht uns die chargenweise Produktion der Fasern rund ums Jahr.“

Alles zum Thema Biokunststoffe

Eine Hand reißt einen Papierstreifen weg. Darunter steht das Wort "Biokunststoff"
Wissenswertes über Biokunststoffe finden Sie in unserem Übersichtsartikel. (Bild: thingamajiggs - stock.adobe.com)

Auf dem Weg zu einer klimaneutralen Zukunft müssen verschiedenste Rädchen ineinander greifen. Doch wie schaffen wir es, die Dekarbonisierung unserer Gesellschaft umzusetzen? Biokunststoffe sind ein wichtiger Hebel um diesem Ziel näher zu kommen. Doch was wird unter einem Biokunststoff eigentlich verstanden? Wo werden diese bereits eingesetzt? Und ist "Bio" wirklich gleich "Bio"? Wir geben die Antworten. Alles, was Sie zu dem Thema wissen sollten, erfahren Sie hier.

Wie die Grasfasern gewonnen werden

Fertig aufgeschlossene Grasfasern: Wie frisches Heu muten die natürlichen Verstärkungsfasern an.
Fertig aufgeschlossene Grasfasern: Wie frisches Heu muten die natürlichen Verstärkungsfasern an. (Bild: Redaktion)

Das silierte Gras gelangt über ein Förderband in den in der Produktionshalle befindlichen Wäscher. Hier wird das Gras in 60 °C warmem Wasser aufgeweicht und von Verunreinigungen wie anhaftender Erde oder kleinen Steinen getrennt. Die abgeschöpften gereinigten Halme passieren den Mazerator. Dies ist ein Nasszerkleinerer, indem das Gras zerrieben, das heißt aufgeschlossen und von den nicht benötigten Bestandteilen getrennt wird. In den anschließenden drei Pressenstufen werden die Zellulosefasern durch Druck und Reibung getrennt. Nun erfolgt die Übergabe an den 60 °C warmen Bandtrockner, dem ein Flugschichttrockner nachgeschaltet ist. In ihm erfolgt die Faservereinzelung. Nach den Trocknungsschritten besitzen die Zellulosefasern eine Restfeuchte von 10 %, sodass sie noch flexibel sind und nicht brechen. „Die Trockensubstanz, sprich die Zellulosefasern besitzen ein deutlich größeres Volumen als die feuchte Silage“, führt Frau Schwinn aus. Nach der Trocknung werden die Grasfasern abgesackt, die Säcke gut verschlossen und bis zur Weiterverarbeitung zwischengelagert.

Zitat

An den Produkten aus Graskunststoff ist die Nachhaltigkeit zu erkennen.

Die Verarbeitung zum Verbundwerkstoff erfolgt in der Ende 2021 fertiggestellten Produktionshalle. Dort wird aus Post-Industrial-Abfällen (PIR) aus PE und PP oder Biokunststoff (PLA) und der Zellulose der Verbundwerkstoff hergestellt. Vera Schwinn erklärt: „Die Fasern besitzen im Vergleich zu anderen Verstärkungsfasern ein sehr, sehr großes Volumen, das die am Markt üblichen Extruder nicht einziehen können. Außerdem stellen wir die naturfaserverstärkten Polymere mit Füllgraden von bis zu 75 % her, die sich nur mit einer Pelletanlage realisieren lassen.“ Und neben der Anlagentechnik gibt es noch einen weiteren großen Unterschied, der sofort beim Betreten der Halle wahrzunehmen ist – es riecht nicht nach Polymer, sondern nach Heu.

Eine Frau in einem roten Mantel mit kurzen grauen Haaren und Brille hält einen gelben Sack in der Hand. Daneben lieben noch drei weitere gelbe Säcke. „Die Zellulosefasern werden in Säcken luftdicht bis zum Weiterverarbeiten verpackt, damit sie keine Luftfeuchtigkeit aufnehmen“, erläutert Vera Schwinn.
„Die Zellulosefasern werden in Säcken luftdicht bis zum Weiterverarbeiten verpackt, damit sie keine Luftfeuchtigkeit aufnehmen“, erläutert Vera Schwinn. (Bild: Redaktion)

Eckpunkte zum Werkstoff

Braune Pellets in einer Halle. Die abgeschlagenen Pellets warten auf das Absacken.
Die abgeschlagenen Pellets warten auf das Absacken. (Bild: Redaktion)

Die von der Anlage hergestellten Pellets besitzen nicht die typische runde Granulatform, sondern unterscheiden sich in der Größe und haben eine eher strukturierte Oberfläche. Durch den hohen Faseranteil verhält sich der Werkstoff abrasiver als ungefüllte Polymere. Er ist jedoch sehr gut fließfähig und selbst zu dünnen Wandstärken von 0,3 mm verarbeitbar. Die raue Oberfläche der Pellets bedingt, dass diese nicht so gut rieseln wie Granulat. „Wichtig ist, dass die Ware vor dem Verarbeiten vorgetrocknet wird, da die Zellulose während der Lagerung Feuchtigkeit bindet“, ist von Frau Schwinn zu erfahren. „Werden die von uns vorgegebenen Temperaturen bei der Verarbeitung eingehalten, dann riecht es auch beim Kunststoffverarbeiter nach frischem Heu.“

Graugüne Grasspellets in Nahaufnahme. Die Grasfaserpellets haben große Ähnlichkeit mit den Tierfutterpellets, da sie mit analogen Anlagen hergestellt   werden.
Die Grasfaserpellets haben große Ähnlichkeit mit den Tierfutterpellets, da sie mit analogen Anlagen hergestellt werden. (Bild: Redaktion)

Die mechanischen Eigenschaften der Werkstoffe sind mit denen von konventionell verstärkten Polymeren vergleichbar. Die Schlagzähigkeit ist etwas schlechter als bei unverstärkten Kunststoffen, was auf die langen Fasern zurückzuführen ist. Die Verbesserung soll jedoch in einem Forschungsprojekt untersucht werden. Die Life-Cycle-Analyse der Werkstoffe, die nach dem C2C-Prinzip hergestellt werden, hat folgende Treibhausgaspotenziale (IPCC GWP 100a) ergeben: Die reinen Grasfasern besitzen ein CO2-Äquivalent von 0,77, ein mit 30 % Fasern verstärktes rPP eines von 1,13 und das mit 50 % Grasfasern eines von 1,06.

Was derzeit aus dem Graskunststoff hergestellt wird

Der Werkstoff an sich kann wie die fossil-basierten Polymere bei der Verarbeitung mit Masterbatches eingefärbt werden. Es ist jedoch auch bei Biowert möglich, vor der Pelletierung den Grasfasern und dem Kunststoff Farben und Additive zuzufügen, sodass auch eingefärbte Polymere bezogen werden können.

Graue und Grüne Behälter - davor liegen Grasfasern. Ein Schweizer Unternehmen stellt Unterputzdosen für Steckdosen und Lichtschalter aus einem Agriplast NFPP 50/50 her.
Ein Schweizer Unternehmen stellt Unterputzdosen für Steckdosen und Lichtschalter aus einem Agriplast NFPP 50/50 her. (Bild: Redaktion)

Derzeit werden beispielsweise Unterputzdosen und Stapelkästen hergestellt sowie zahlreiche Modelle von Kleiderbügeln. So bestehen seit Herbst 2021 die Kleiderbügel für Kindertextilien einer deutschen Drogeriekette aus dem Odenwälder Werkstoff. Die Kleiderbügel verbleiben beim Kauf eines Produktes im Markt und werden zurück an den Hersteller der Textilien zur erneuten Verwendung geliefert. Sind diese defekt, so werden diese zurück an den Kunststoffverarbeiter gesandt, der diese wieder in neuen Bügeln verwendet, sodass der Kreislauf geschlossen ist und der hochwertige Werkstoff erhalten bleibt. Weiterhin werden in den unterschiedlichsten Industriezweigen unter anderem der Automobilindustrie Bemusterungen durchgeführt. Vera Schwinn berichtet: „Das Interesse an dem Werkstoff ist sehr hoch, denn am daraus gefertigten Produkt ist die Nachhaltigkeit direkt sichtbar.“

Quelle: Biowert

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