Im Leichtbau setzen sich thermoplastische Faserverbunde aufgrund ihrer Verarbeitungsvorteile in immer mehr Anwendungen durch. Die Funktionsintegration spielt dabei eine wichtige Rolle. Eine treibende Kraft ist die Automobilindustrie, die aufgrund der EU-Verordnung zur Reduzierung der CO2-Emissionen immer mehr auf Metallsubstitutionen durch Faserverbundwerkstoffe setzt. Die EU-Verordnung schreibt eine Begrenzung der CO2-Emission bei Neuwagen auf 95 g/km ab 2021 vor [1]. Im Hinblick auf das gute Preis-/Leistungsverhältnis und das geringe Gewicht sind die Hybridleichtbaustrukturen als Konstruktionswerkstoffe ideal für Leichtbauanwendungen geeignet.
Organobleche im Spritzgussprozess weiterzuverarbeiten schafft Bauteile mit großem Zukunftspotenzial. Denn es werden die Vorteile der Endlosfaserverstärkung, wie hohe Festigkeit, Steifigkeit und Schlagzähigkeit, mit den Vorteilen der Spritzgusstechnologie, wie kurzen Taktzeiten, nachbearbeitungsfreiem Fertigen und hoher Funktionsintegration, in einem Verfahrenshybrid kombiniert.
Die Feinheiten liegen im Detail
Herausfordernd bei dieser Technologie ist die material- und verfahrensgerechte Bauteilauslegung. Weiterhin ist der Umformgrad der Faserhalbzeuge aufgrund des Drapierens eingeschränkt. Um die Kraft am belasteten Bauteil ideal zwischen den zwei thermoplastischen Komponenten übertragen zu können, ist eine ausreichende Haftfestigkeit zwischen angespritzten Funktionsstrukturen und Organoblechen notwendig. Die Struktursteifigkeit lässt sich gegenüber dem Knicken und Beulen in der Regel durch Rippenstrukturen erhöhen. Es wurden bisher in der Literatur lediglich erste Erkenntnisse über die Einflussgrößen dargestellt, jedoch nicht im Zusammenhang mit optimierten Rippenstrukturen.
Das Zusammenführen von Ergebnissen aus verschiedenen Grundlagenprojekten und die konsequente Fortführung der Projekte an der Technischen Hochschule Rosenheim dient einerseits dazu, Gestaltungsrichtlinien für das Auslegen von Hybridbauteilen zu erarbeiten. Andererseits sollen durch die Identifizierung der Haupteinflussfaktoren Grundlagen für das Auslegen und Optimieren der Prozesskette geschaffen werden.
Einflussfaktoren auf die Haftfestigkeit
Seit mehr als zwei Jahrzehnten beschäftigen sich zahlreiche Forschungseinrichtungen, Institute sowie Verfahrensentwickler in der Kunststoffindustrie mit dem Thema Verfahrenshybride. Dabei entstanden eine Vielzahl von Demonstratoren und Prototypbauteilen.
Durch eine Analyse des bestehenden Benchmarks konnten die primären entscheidenden Einflussfaktoren im Hinblick auf die Haftungseigenschaften charakterisiert werden. Dazu zählen die Dicke der Organobleche sowie die Orientierung der Rippenstrukturen in Relation zur Hauptverstärkungsrichtung der Endlosfasern. Darüber hinaus ergibt sich aus der Vielzahl an Materialkombinationen und der Art der Prozessführung ein breites Parameterfeld, welches die Verbundhaftung beeinflusst.
Ein Haupteinflussfaktor auf die Verbundhaftung ist die Kontaktfläche des Verbundes. Umso größer die Fläche ist, desto höher ist die Festigkeit. Aus dem Benchmark wurden einige Anbindungsgeometrien mit unterschiedlichen Radien und Größen der Kontaktfläche ermittelt, untersucht und zwei Geometrien mit unterschiedlichen Verbundkontaktflächen ausgewählt. Diese zwei speziell ausgewählten Geometrien konnten in einem Prüfkörperwerkzeug, das im Rahmen eines BMWI-Forschungsvorhabens in Zusammenarbeit mit der Firma Bosch Formenbau, Bad Dietzenbach, und der Contura MTC, Menden, entstanden ist, für weitere Untersuchungen umgesetzt werden. Es handelt sich hierbei um die Anbindungsgeometrie Fuß mit einer großen Verbundkontaktfläche sowie um die Anbindungsgeometrie R0,8 mit einer kleinen Verbundkontaktfläche.
Verbundkontaktfläche entscheidet
Der Haftungsunterschied der Verbundkontaktflächen ist deutlich erkennbar. Nicht nur durch die Anbindungsgeometrie und die Größe der Verbundkontaktfläche zwischen dem Organoblech und der Spritzgusskomponenten, sondern vor allem durch die Aufheiztemperatur der Organobleche werden die Verbundfestigkeiten entscheidend beeinflusst. Grund dafür ist die geringere Temperaturdifferenz der Organoblechoberfläche zu der auftreffenden Schmelze. Hierdurch Verschweißen die beiden Komponenten besser miteinander. Bei Organoblechen, die bei Raumtemperatur (20 °C) in das Werkzeug eingelegt werden, ist keine nennenswerte Verbundhaftung messbar. Um eine ausreichende Festigkeit zu erhalten wird empfohlen, die Organobleche über die Schmelztemperatur der Matrix aufzuheizen.
Zusätzlich muss der Temperaturabfall während des Handlings vom Ofen in das Werkzeug berücksichtigt werden. Die Handlingszeit vom Ofen in das Spitzgusswerkzeug betrug während der Versuchsreihe circa 5 s. In diesen 5 s ist bereits ein Temperaturabfall von 25 bis 30 °C an der Organoblechoberfläche messbar. Wird versucht, den Temperaturabfall durch stärkeres Erwärmen der Matrix zu kompensieren, kann es zu thermischen Schädigungen des Materials führen. Dies kann ebenfalls die Verbundfestigkeit beinträchtigen.
Alternative zum externen Aufheizen
Durch die oben genannten gewonnenen Erkenntnisse wurde im Zuge des Forschungsvorhabens eine neue Technologiekombination entwickelt. Grundidee war es, dem Abkühlen der Organobleche im Spritzgusswerkzeug durch eine variotherme Prozessführung entgegenzuwirken. Bislang wurden diese Technologien vor allem aus optischen Gesichtspunkten beispielsweise zur Realisierung von Nanostrukturen an der Bauteiloberfläche oder zum Vermeiden von Bindenähten eingesetzt [3].
Die variotherme Werkzeugtemperierung stellte sich als sehr gute Alternative zum externen Aufheizen der Organobleche heraus. Diese werden bei Raumtemperatur in das „heiße“ Spritzgusswerkzeug einlegt. Während des Zufahrens und einer formteilspezifischen Aufwärmzeit zwischen „Werkzeug geschlossen“ und „Einspritzen der Schmelze“ (verzögertes Einspritzen), wird das Organoblech über die Wärmeleitung der anliegenden Werkzeugwand an der Oberfläche ausreichend aufgeheizt und somit eine stoffschlüssige Verbindung mit der angespritzten Schmelze sichergestellt.
Nachdem der Nachdruck gewirkt hat, wird der Temperierkreislauf auf „kalt“ umgeschaltet und das Spritzgusswerkzeug während der Kühlzeit auf Entformungstemperatur heruntergekühlt.
Erste Untersuchungen zeigen eine hervorragende Verbundhaftung zwischen der funktionsintegrierenden Spritzgusskomponente und dem „kalt“ eingelegten Organoblech in das „heiße“ Spritzgusswerkzeug (145 °C). Die Verbundfestigkeiten der herkömmlichen Aufheizstrategie sind mit der variothemen Aufheizung im Werkzeug durchaus vergleichbar.
Das Verfahren eignet sich besonders für Hybridbauteile, für die die Organobleche nur gering umgeformt werden müssen. Sicherlich ist es ebenso möglich, leichte Umformgrade mit einem dünnen Organoblecheinleger von maximal 1 mm Halbzeugdicke im Werkzeug mit der variothermen Temperierung zu realisieren. Allerdings stellt das Umformen komplexer 3D-Bauteile mit dickeren Organoblechen mit dieser Methode keine Option dar.
Ein weiterer Vorteil der variothermen Temperierung könnte ein lokales Aufheizen der Organobleche sein. Durch partielles Einbringen der Wärme in das Organoblech mit Variothermie kann, speziell an mechanisch hoch beanspruchten Stellen wie Schraubdomen, Rippen, Schnapphaken, im Bauteil eine lokale Verschweißung gewährleistet werden. Durch das lokale Aufheizen lassen sich somit Hybridbauteile wirtschaftlicher herstellen.
Prüfen der Verbundfestigkeit an der TH Rosenheim
Anhand des Prüfkörperwerkzeuges können zwei Werkzeugtemperiermethoden direkt miteinander verglichen werden. Mit einem Schuss kann die bereits am Markt etablierte und seit Jahren genutzte variotherme Technologie mit der konventionellen Werkzeugtemperierung an einem Probebauteil direkt verglichen werden.
Die Quantifizierung der Verbundfestigkeit zwischen Spritzgusskomponente und Organoblech erfolgte, speziell bei den Rippengeometrien im Kopf-Zug-Versuch, mit isobarer Einspannung. Der Kopf-Zug-Versuch wird mit einer speziell entwickelten Prüfvorrichtung durchgeführt.
Neben diesen Untersuchungen wurden auch Analysen mit zahlreichen weiteren Kontaktgeometrien durchgeführt. Mit diesem an der TH Rosenheim entwickelten Spritzgusswerkzeug besteht die Möglichkeit durch Wechseleinsätze sieben verschiedene Varianten von Hybridprüfkörperbauteilen mit unterschiedlichen Kontakt- und Randgeometrien herzustellen. So können viele Einflüsse wie beispielweise der Lage des Angusses zur Kontaktgeometrie oder das Schälverhalten zwischen Organoblech und angespritztem Spritzgussmaterial untersucht werden. Der modulare Aufbau des Werkzeugs erlaubt einen zügigen Wechsel zwischen den verschiedenen Untersuchungsgeometrien sowie eine problemlose und zeitnahe Untersuchung neuer Anbindungsgeometrien, da jeweils nur ein Werkzeugeinsatz erstellt oder ausgewechselt wird.
Serientauglich
Die Verbundfestigkeit wurde nicht nur mittels der variothemen Temperierung optimiert, sondern es wurde festgestellt, dass allein der Wärmeeintrag der „heißen“ Werkzeugwand beim Einlegen von Organoblechen mit geringer Wandstärke ausreicht, um eine gute Verbundfestigkeit zu erzielen. Somit kann bei geringen Umformgraden zukünftig auf das externe Aufheizen der Organobleche verzichtet werden. Das bedeutet für Serienanwendungen einen großen Zugewinn an Prozesssicherheit und Wirtschaftlichkeit.
Quellen
[1] Verordnung (EG) Nr.443/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festsetzung von Emissionsnormen für neue Personenkraftwagen im Rahmen des Gesamtkonzepts der Gemeinschaft zur Verringerung der CO2-Emissionen von Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugen (2009 Literaturangabe).
[2] Schemme, M.: Langfaserverstärkte Thermoplaste [LFT] – Status und Perspektiven. 22. Nationales Symposium Sampe Deutschland e. V., Fürth 2016.
[3] Doriat, C.: Vorübergehend heiß, Kunststoffe Heft 1/2015, Carl Hanser Verlag München.