In der letzten Dekade wurden in Deutschland jährlich mindestens 500.000 t Chemiefasern produziert. Circa 60 % dieser Fasern wurden im technischen Bereich eingesetzt, beispielsweise im Automobilbau (Sicherheitsgurte, Sitzbezüge), in der Luft- und Raumfahrt (Faserverbundwerkstoffe, Raumanzüge) oder im Sport (Fallschirme, Tornetze). Dabei dominieren Polyester (PET)- und Polyamid (PA)-Fasern. [1] In Tabelle 1 sind dazu, neben den Verarbeitungseigenschaften, die mechanischen Eigenschaften von technischen PET- und PA-Fasern zu sehen. [2,3] Die Mindestfestigkeit beträgt 60 cN/tex (PA), maximal werden 95 cN/tex (PET) erreicht. PET-Fasern haben zudem einen höheren E-Modul. Dies begründet auch die geringere Dehnung. Vor dem Hintergrund, dass die Rohstoffe zur Herstellung von PET und PA begrenzt verfügbar und gleichzeitig endlich sind, kommt der Forschung nach Alternativen eine große Bedeutung zu. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Fasern aus PET oder PA nicht biologisch abbaubar sind – mit entsprechenden Folgen für Natur und Umwelt. Ein möglicher Ersatz sind Biopolymere, die aus biobasierten, nachwachsenden Rohstoffen bestehen und gleichzeitig biologisch abgebaut werden können, wie Polylactid (PLA). [4] PLA wird anhand der chemischen Synthese auf Basis von unter anderem Mais oder Zuckerrüben hergestellt. Mehrere Hersteller, darunter Nature Works aus den USA oder Total Energies Corbion aus den Niederlanden, bieten PLA kommerziell an, um Fasern daraus herzustellen. Die Festigkeiten von PLA-Fasern liegen im Bereich von 30 bis 40 cN/tex. [5,6] Damit werden sie für textile Anwendungen genutzt (Bekleidung oder auch Heimtextilien [7]) und kommen als Ersatz für die oben genannten technischen Fasern aus PET oder PA derzeit nicht infrage.
PLA-Garne mit technischen Eigenschaften ermöglichen
Eine Lösung für PLA-Fasern mit technischen Festigkeiten könnte der Stereokomplex-PLA (scPLA) sein: Eine racemische Mischung von teilkristallinem PDLA und teilkristallinem PLLA, also PDLLA, erzeugt stereokomplexe Kristallite mit einer Schmelztemperatur von circa 230 °C – also 50 °C mehr als die Ausgangsmaterialien PDLA und PLLA. Mit dieser Kristallstruktur gehen verbesserte thermische und mechanische Eigenschaften einher. [8] Trotz umfangreicher wissenschaftlicher Untersuchungen in den letzten Jahren beziehungsweise Jahrzehnten [9], die überwiegend im Labormaßstab durchgeführt wurden, ist heute noch kein scPLA-Material für Fasern mit technischen Festigkeiten auf dem Markt verfügbar. Im Rahmen des am Faserinstitut Bremen durchgeführten AIF-Forschungsprojektes PLA² ist es erstmals gelungen, ein scPLA-Blend in technischer Größenordnung herzustellen. [10] Durch die Materialentwicklung auf einer industrienahen Technikumsanlage ist eine einfache Überführung in den Industriemaßstab möglich. Gleichzeitig ist nun ausreichend scPLA-Material verfügbar, um PLA-Garne mit technischen Eigenschaften zu entwickeln und eine Alternative zu den oben beschriebenen, technischen PET- und PA-Fasern zu schaffen. In diesem Beitrag werden der Herstellungsprozess des scPLA-Materials erklärt sowie die Verarbeitungseigenschaften im Schmelzspinnen mit denen von PET (RT20 von Invista) und PA6 (Ultramid B27 03 von BASF) verglichen. Bild 1 zeigt den Herstellungsprozess vom scPLA-Material. PDLA (Luminy D120) und PLLA (Luminy L130) von Total Corbion Energies werden mit zwei Dosierern von Coperion und einem Doppelschneckenextruder von Leistritz zugeführt. Der Massedurchsatz für jedes Material beträgt 1 kg/h. Durch eine Extrusionstemperatur oberhalb der Schmelztemperaturen der Ausgangsmaterialien und gleichzeitig unterhalb der Schmelztemperatur vom Stereokomplex fällt das scPLA-Blend als Pulver mit 2 kg/h aus. Das Pulver hat eine mittlere Korngröße von circa 500 μm. Dabei beeinflussen im Wesentlichen Massedurchsatz (Füllgrad), Schneckendrehzahl (Verweilzeit) und Extrusionstemperatur die Korngröße.
scPLA im Vergleich zu anderen Materialien
Die Thermogramme, gemessen mit einer TA Instruments Q2000, von PET, PA6 und scPLA sind in Bild 2 dargestellt. Die in Tabelle 1 angegebenen Schmelzpeaks von PET (255 °C) und PA6 (220 °C) sind deutlich zu erkennen. Die beiden Materialien sind bei 265 °C (PET) beziehungsweise 230 °C (PA6) komplett aufgeschmolzen – somit liegt die Verarbeitungstemperatur oberhalb dieser Werte. Der Schmelzpeak vom scPLA liegt bei 235 °C und das Material ist bei 240 °C komplett aufgeschmolzen. Aufgrund der thermischen Degradation von PLA ab 250 °C [8] ist das Verarbeitungsfenster von scPLA auf 240 °C bis 250 °C einzuschränken.
Bild 3 zeigt die Viskositäts-Verläufe, aufgenommen mit einem AR 2000x Platte-Platte-Rheometer von TA Instruments, der drei untersuchten Materialien in Abhängigkeit von der Temperatur. Die oben genannten Temperaturwerte, bei welchen die Materialien komplett aufgeschmolzen sind, sind in Bild 3 ebenfalls zu erkennen. Ab diesen Temperaturen verläuft die Viskosität in der logarithmischen Darstellung linear. Der in Tabelle 1 angegebene Wert der komplexen Viskosität von 100 Pa∙s für PA6 liegt bei 270 °C vor. Für PET liegt die komplexe Viskosität höher und der Wert von 250 Pa∙s liegt bei circa 250 °C vor. Entsprechend werden die beiden Materialien im Bereich dieser Temperaturen ausgesponnen. Deutlich zu erkennen ist die wesentlich niedrigere komplexe Viskosität für das scPLA-Blend. Hier liegt die komplexe Viskosität bei 35 bis 50 Pa∙s und damit wesentlich niedriger als die von PET und PA6 und nähert sich somit den Viskositäten von Spinnlösungen an. [2] Damit einher gehen entsprechende Herausforderungen bei der Extrusion des Materials hinsichtlich der Druckregelung und der Auslegung des Verhältnisses von Länge und Durchmesser (L/D-Verhältnis) der Düsenbohrungen im Spinnkopf.
Wie ist das Spinnverhalten des Materials?
Die Verlustfaktoren als Funktion der Temperatur aus der Rheologie-Messung für PET, PA6 und scPLA sind in Bild 4 dargestellt. Zu sehen ist, dass der tan δ von allen drei Materialien mit der Temperatur zunimmt und die Materialien zunehmend ein viskoses Spinnverhalten zeigen. Für PET ist die Spinnbarkeit mit tan δ > 5 (vergleich Tabelle 1) für den gesamten Temperaturbereich oberhalb von 270 °C gegeben mit einem Maximalwert von 73 bei 300 °C. Dies gilt ebenso für das PA6 für den komplett aufgeschmolzenen Zustand ab 230 °C, auch wenn der Verlauf im Vergleich zum PET wesentlich flacher ist und maximal ein Wert von 16 bei 275 °C erreicht wird. Für das scPLA ist zu sehen, dass der Verlustfaktor zwischen 12 (bei 240 °C) und 25 (bei 250 °C) und damit zwischen den Werten von PET und PA6 liegt. In diesem Beitrag wurden die Verarbeitungseigenschaften des entwickelten scPLA-Blends mit denen von PET und PA6 verglichen. Es zeigt sich, dass für die Weiterverarbeitung des Materials für die Entwicklung von umweltfreundlichen und nachhaltigen scPLA-Fasern mit technischen Festigkeiten der Schmelzspinnprozess noch grundlegend untersucht und gegebenenfalls angepasst werden muss.
Literatur
[1] https://www.ivc-ev.de/de, aufgerufen am 22.02.2023
[2] Fourné, F.: Synthetic Fibers - Machines and Equipment Manufacture, Properties, Carl Hanser Verlag, 1999
[3] Beyreuther, R. ; Brünig, H.: Spinnability of Polymer Melts - a Complex Problem in Basic Research, Int. Polym. Process. 11, 154 – 158, 1996
[4] Endres, H.-J.; Siebert-Raths, A.: Engineering Biopolymers: Markets, Manufacturing, Properties and Applications, Carl Hanser Verlag, 2011
[5] Emailanfrage zu Festigkeiten von PLA-Garnen, Gerhard Klis, Director Sales & Marketing Filaments, Trevira GmbH, 29.03.2022
[6] https://thefilamentfactory.de/de/pla-biobased-multifilament-yarns-de/, aufgerufen am 22.02.2023
[7] https://www.trevira.de/filamente/pla-garne, aufgerufen am 13.02.2023
[8] Tsuji, H.: Poly(lactide) Stereocomplexes: Formation, Structure, Properties, Degradation and Applications, Macromol. Biosci. 5, 569 – 597, 2005
[9] Chen, Q.; Auras, R.; Uysal-Unalan, I.: Role of stereocomplex in advancing mass transport and thermomechanical properties of polylactide, Green Chem. 24, 3416 – 3432, 2022
[10] Bostan, L.; Marx, B.: Hochleistungs-PLA-Biko-Fasern (PLA²), Forschungsberichte aus dem Faserinstitut Bremen 68, 2022
Dank
Das IGF-Vorhaben „Hochleistungs-PLA-Biko-Fasern (PLA²)“ (AIF-Nr. 20570 N) der Forschungsvereinigung Werkstoffe aus nachhaltigen Rohstoffen e. V., Breitscheidstraße 97, 07407 Rudolstadt wurde über die AIF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung und -entwicklung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Zudem wurde die Ausstattung des Faserinstituts (Compoundieranlage) mit Mitteln aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) finanziert. Dafür wird ausdrücklich gedankt.
Quelle: Faserinstitut Bremen (Fibre)