Vor einer Wärmebildkamera liegt schwarzes Kunststoffgranulat. Mit der Wärmebildkamera wurde die Erwärmung des Bauteils überprüft.

Mit der Wärmebildkamera wurde die Erwärmung des Bauteils überprüft. (Bild: Allod Werkstoff)

Mikrowellen, die von Radarsensoren ausgestrahlt und empfangen werden, werden von Eiskristallen stark reflektiert. Dies führt beim Einsatz im Fahrzeug zu Fehlinformationen. Das Enteisen der Radarsensoren innerhalb kürzester Zeit – auch während der Fahrt – ist somit ein sehr wichtiges Thema, um autonomes Fahren sicher realisieren zu können. Stand der Technik sind Gehäusesysteme, die mit Heizdrähten beheizt werden. Hierfür wird ein engmaschiges Netzwerk aus Heizdrähten benötigt, um ein homogenes Erwärmen der Oberfläche zu ermöglichen. Dadurch befinden sich zwangsläufig Heizdrähte im Austrittsfenster der Radarwellen, die das Signal dämpfen. Darüber hinaus benötigt diese Heizung eine Temperaturerfassung und ein Regelsystem, die zusätzliche Kosten verursachen und das Gewicht des Fahrzeugs erhöhen.
Im Verbundprojekt „Heatelligent“ wurde daher ein Gehäusematerial entwickelt, bei dem keine externe Heizung in Form von zusätzlichen Heizelementen erforderlich ist. Der entwickelte Werkstoff besitzt selbstregulierende Eigenschaften, das heißt, er erreicht bei Bestromung eine gewünschte Temperatur, übersteigt diese jedoch nicht. Realisiert wird dies mit einem Polymer mit einem positiven Temperaturkoeffizienten (PTC: Positive Temperature Coefficient) des elektrischen Widerstandes. Durch Ausnutzen des PTC-Effekts werden weder zusätzliche Temperatursensoren noch eine gesonderte Steuerelektronik für die Abschaltung benötigt.

Wann Strom fließt und wann nicht

Kunststoffe mit PTC-Effekt enthalten leitfähige Füllstoffe wie Ruß oder andere leitfähige Materialien. Bei Bestromung heizt sich der Kunststoff auf, wodurch es zur Volumenausdehnung kommt und die leitfähigen Füllstoffe größere Abstände zueinander einnehmen. Leitfähige Pfade werden dadurch unterbrochen, wodurch die Materialtemperatur nicht weiter steigt. Beim Abkühlen werden diese leitfähigen Pfade wieder zurückgebildet, sodass sich bei konstanter Bestromung ein Gleichgewichtszustand bei einer für das Material typischen Temperatur einstellt.

Leitfähige Compounds aus einem Polymer und einem Füllstoff zeigen neben dem anfänglichen PTC-Verhalten zusätzlich bei höheren Temperaturen ein NTC-Verhalten. Dies liegt an der Abnahme der Viskosität bei Temperaturerhöhung, der damit erhöhten Mobilität der Füllstoffe und deren Affinität zur Agglomeration. Wird für Monomaterialien eine kritische Temperatur überschritten, so bilden sich zusätzliche leitfähige Pfade aus, welche die Leitfähigkeit sprunghaft ansteigen lassen. Ein ungeregeltes Bestromen führt bei dieser Werkstoffart unweigerlich zum Erweichen und Aufschmelzen bis hin zur vollständigen Zerstörung (Brand).
Im Projekt war außerdem herausfordernd, möglichst wenig Füllstoff einzusetzen, um die mechanischen Eigenschaften nicht zu stark zu beeinträchtigen. Darüber hinaus sollte eine ausreichende Formstabilität, auch bei erreichter Maximaltemperatur, gewährleistet werden, bei gleichzeitig sehr guten PTC-Schalteigenschaften.

So ist das Polymer aufgebaut

Gelöst wurden die vielfältigen Herausforderungen durch ein spezielles ternäres, aus drei Komponenten bestehendes Blendsystem, bei dem der leitfähige Ruß in einer der Komponenten lokalisiert vorliegt. In dieser Komponente befindet sich zusätzlich zum Ruß dispers verteilt ein niedrigschmelzendes Polymer als Schaltkomponente. Beide zusammen liegen in einer cokontinuierlichen Morphologie gemeinsam mit einer Gerüstkomponente vor. Letztere sorgt für die mechanische Stabilität und Wärmeformbeständigkeit. Die Grundlagen für diese Materialkombination wurden im Fraunhofer LBF im Labormaßstab geschaffen und von Allod Werkstoff für einen stabilen, produktionstauglichen Prozess weiterentwickelt.
Da auch ein gefüllter, leitfähiger Kunststoff eine starke Dämpfung des Radarsignals bewirkt, wurde zur Zielerreichung des Projektes von den Partnern ein Gehäusekonzept mit einem wärmeleitfähigen, radartransparenten Fenster entwickelt und umgesetzt.

Tabelle: Rezepturen und spezifische Wärmeleitfähigkeit von ausgewählten Allruna V-Materialien, ermittelt mit LFA-Methode.
Tabelle 1: Rezepturen und spezifische Wärmeleitfähigkeit von ausgewählten Allruna V-Materialien, ermittelt mit LFA-Methode. (Bild: Allod Werkstoff)

Wie die Wärmeleitfähigkeit erhöht wurde

Durch den Einsatz von innovativen Füllstoffen konnte die Wärmeleitfähigkeit des radartransparenten Materials stark erhöht werden. Tabelle 1 zeigt die mittels Laser-Flash-Analyse ermittelte Wärmeleitfähigkeit für zwei Raumrichtungen. Die durch den Spritzgießprozess erzeugte anisotrope Füllstoffausrichtung führt zu einer in-plane Leitfähigkeit von bis zu 8,4 W/(m·K) und ist somit 20-fach höher als bei ungefüllten Gehäusewerkstoffen.

Beim dritten Konsortialpartner, Neo-Plastic Dr. Doetsch Diespeck erfolgte die Werkzeugsimulation und -herstellung sowie die anschließende Fertigung der Demonstratoren im Spritzgießprozess. Durch die BMBF-Förderung war es den Projektpartnern möglich, alle Bereiche der Bauteilauslegung zu bewerten und Verbesserungspotenziale zu nutzen. Im Werkzeugbau konnten verschiedene Angusskonzepte und Prozessparametervariationen systematisch abgeprüft und optimiert werden.

Simulierter Abkühlverlauf des Radarfenster-Einlegers
Simulierter Abkühlverlauf des Radarfenster-Einlegers (Bild: Neo-Plastic)

Die Kombination der beiden Spezialwerkstoffe führt zu dem gewünschten Erwärmungsprofil. Innerhalb weniger als zwei Minuten aktiver Bestromung steigt die Oberflächentemperatur am Mittelpunkt des Radarfensters bereits um mehr als 15 °C an, sodass ein reales Gehäuse in dieser Konfiguration nach dieser kurzen Zeit bereits eisfrei wäre.

Grafik: Oberflächentemperatur am Radarfenster bei aktiver Bestromung, PTC-Material: Allruna VEL 04041944
Oberflächentemperatur am Radarfenster bei aktiver Bestromung, PTC-Material: Allruna VEL 04041944 (Bild: Allod Werkstoff)

Mit den in Heatelligent gemeinschaftlich entwickelten Erkenntnissen lassen sich eine Vielzahl neuartiger Leichtbaulösungen für die Elektromobilität und das autonome Fahren realisieren.
In der gemeinsamen Projektarbeit wurde ein tiefgreifendes Verständnis der Verteilung von Ruß in unterschiedlichen Phasen von Polymerblends erarbeitet, welches auch in hochleitfähige Kunststoffblends transferiert werden kann, sodass weitere Anwendungsgebiete erschlossen werden können.

Dank

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(Bild: BMBF)

Die Entwicklung der Radarsensorgehäuse im Projekt „Heatelligent“ wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. (Programm: „KMU-innovativ: Materialforschung
(Promat_KMU)“; FKZ: 03XP0381)

Allod Werkstoff: Halle/Stand A5/5007

Quelle: Allod Werkstoff, Neo-Plastic, Fraunhofer LBF

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