Das Auto der Zukunft wandelt sich vor allem durch die Trends zum Elektroantrieb und autonomen Fahren zu einem komplexen elektrischen Gerät. Traditionelle Grenzen zwischen der Automobil- und Elektro-/Elektronik(E/E)-Industrie verschwimmen. Zunehmend werden Materialanforderungen aus der E/E-Branche auf elektrische Fahrzeuge und die zugehörige Infrastruktur übertragen und mit Werkstoffanforderungen aus dem Automobilbereich kombiniert. PC und seine Blends sind seit Jahrzehnten in der Massenfertigung von elektrischen und elektronischen Geräten etabliert – so etwa als Gehäuse- und Trägermaterial für Lithium(Li)-Ionen-Batterien von Tablets oder Smartphones.
Daher bringen sie auch im elektrifizierten Fahrzeug Vorteile. Als amorphe Werkstoffe konkurrieren sie unter anderem mit teilkristallinen Thermoplasten wie Polyamid 6, 66 oder Polybutylen-Terephthalat (PBT), die in Verbrennungsmotoren wegen der hohen Temperaturen und der besseren Resistenz gegen Kraftstoffe oft gesetzt waren.
Mit Wegfall dieser Anforderungen können PC-Materialien nun ihre Vorteile gegenüber teilkristallinen Werkstoffen ausspielen: Sie sind oft Material der Wahl, wenn dimensionsstabile und verzugsarme Bauteile, konstante mechanische Eigenschaften in einem breiten Temperaturfenster und hohe Flammwidrigkeiten mit Additivpaketen gefordert werden, die frei von Brom, Chlor, Antimon und rotem Phosphor sind. Für PC-Materialien sprechen häufig auch ihre hohe Zähigkeit und Schlagfestigkeit. Oft sind sie wegen ihrer mechanischen Eigenschaften unverstärkt einsetzbar, was zu Gewichts- und Kostenersparnissen führt.
Großes Potenzial in Li-Ionen-Batterien
Ein Einsatzschwerpunkt von PC-Materialien in Elektrofahrzeugen sind Bauteile der Li-Ionen-Batterie wie Gehäuse, Zellhalterschalen, Abdeckungen, Trägerelemente von Stromschienen und Kühlelemente.
Im Falle von Gehäusen sind vor allem eine hohe Schlag- und Kerbschlagzähigkeit auch in eisiger Kälte gefordert, darüber hinaus Maßhaltigkeit über einen weiten Temperaturbereich sowie eine exzellente Flammwidrigkeit. Ein Material, das sich in diesem Sinn in Anwendungen bewährt, ist Bayblend FR3040 EV (Electric Vehicle). Der unverstärkte PC+ABS-Blend erreicht im Brandtest UL 94 des US-Prüfinstituts Underwriters Laboratories Inc. die beste Einstufung V-0 (1,0–1,5 mm) und ist in einem breiten Temperaturfenster besonders dimensionsstabil. Auch bei dünnen Wandstärken zeigt er ein gutes dynamisches Verhalten, zum Beispiel eine hohe Vibrationsbeständigkeit.
Präzise gefertigte Zellhalter
Bei schalenförmigen Zellhaltern kann neben einer hohen Flammwidrigkeit, Dimensionsstabilität, Schlagzähigkeit und gutem Isolationsverhalten auch UV-Transparenz gefordert sein. Sie ist notwendig, um Halter und Zellen mit UV-härtenden Klebstoffen in einem industriellen Fertigungsprozess automatisiert und in kurzen Zykluszeiten zu verkleben. Bayblend FR3040 EV stellt diese Eigenschaft bereits in der Anwendung unter Beweis.
Darüber hinaus sind von dieser Marke Materialtypen mit minimierter Schwindung verfügbar. Sie lassen sich zu verzugsarmen Zellhalterschalen mit extrem geringen Toleranzen von rund 0,05 mm verarbeiten, die die Zellen so fest fixieren, dass ein Verkleben überflüssig ist. Dies verbessert deutlich die Recyclingfähigkeit der Baugruppe und reduziert die Komplexität in der Fertigung.
Flexibles Wärmemanagement
Große Bedeutung hat das Wärmemanagement der Batterie. Es erhöht deren Lebensdauer, sorgt für optimale Betriebstemperaturen und verhindert ein Überhitzen und Entzünden der Zellen (thermisches Durchgehen). Zellhalter oder Kühlelemente aus wärmeleitenden PC-Kunststoffen sind direkt in das Batteriemodul integrierbar. Ein Material dafür ist zum Beispiel Makrolon TC110FR, das trotz hohen Gehalts an Wärmeleitpartikeln gute mechanische Eigenschaften wie eine hohe Schlagzähigkeit zeigt. Das flammgeschützte Compound ist elektrisch isolierend und V-0- sowie 5VA-gelistet (1,5 mm beziehungsweise 2,0 mm, UL 94). Es bietet sich daher für Kühlelemente direkt innerhalb flammgefährdeter Umgebungen an. Für aktive Batterie-Kühlsysteme, die mit Luft, Flüssigkeiten wie Wasser-Glykol-Gemischen oder mit Phasenwechselmaterialien (PCM) kühlen, wurden inzwischen ebenfalls maßgeschneiderte PC-Compounds entwickelt.
Auch in der Peripherie der Batterie ergeben sich neue Anwendungen für PC-Werkstoffe. Ein Beispiel sind Crash-Absorber mit Wabenstruktur, die Covestro zum Schutz der Batterie bei einem seitlichen Aufprall entwickelt hat. Sie bestehen aus dem sehr schlagzähen und duktilen PC+PBT-Blend Makroblend KU2-7912/4, der mehr Formgebungsfreiheit als Metalle bietet und kostengünstiger zu verarbeiten ist. Im Crash-Fall faltet sich das Material zusammen, ohne zu brechen. Dadurch wird die Energie aufgenommen.
Wetterfeste und robuste Ladestationen
Der Boom in der Elektromobilität wird die Zahl an Ladestationen rasant steigen lassen. Davon profitieren auch PC-Werkstoffe. Die Anforderungen an Compounds, etwa für Gehäuse und Abdeckungen, hängen entscheidend davon ab, ob die Ladestationen öffentlich, privat, im Freien oder in Gebäuden zum Einsatz kommen, sowie von regionalen Anforderungen. Da alle großen Hersteller von Ladestationen den profitablen US-Markt im Blick haben, produzieren sie nach den sehr strengen US-Normen und -Spezifikationen.
So müssen etwa Materialien für Außenteile von Ladestationen im UL 94-Test eine 5VA-Klassifizierung erreichen und gleichzeitig eine UL f1-Listung aufweisen. Letztere dient als Nachweis für die Eignung des Einsatzes im Außenbereich (UL746C) und prüft eine hohe Beständigkeit gegen UV-Strahlung und Wasser. Besonders bei öffentlich zugänglichen Ladestationen ist außerdem eine hohe Schlagzähigkeit in einem breiten Temperaturfenster notwendig, weil die Außenteile der Stationen sowohl in eisiger Kälte als auch Wüstenhitze unempfindlich gegen Stöße und Vandalismus sein müssen. Ein Compound mit diesem Eigenschaftsmix ist das PC Makrolon 6487, das unter anderem für Gehäuse von Ladestationen verwendet wird .
Edle Optik im Markendesign
Das Design von Ladestationen – wie Wallboxes in Garagen – spielt eine zunehmend wichtige Rolle. So bieten viele Hersteller von Elektrofahrzeugen oder auch Stromproduzenten Ladestationen an und gestalten ihre Geräte markengerecht bezüglich Farbe, Oberflächenstruktur und Logo. PC-Werkstoffe eröffnen dabei zahlreiche Möglichkeiten. Sie sind gut einzufärben und zu beschriften und matt bis hochglänzend zu verarbeiten. Sie bilden feine Strukturen wie Narbungen präzise ab und können etwa im Direct-Skinning-Verfahren mit einem haptisch angenehmen Softtouch versehen werden.
Integration von LED-Licht
Seine hohe Transparenz macht PC zum geeigneten Material für LED-Display-Abdeckungen und für die Integration von LED-Funktionen wie Lichtleitern. In hinterleuchteten Anzeigen können lichtstreuende PC-Diffusoren, die punktförmiges LED-Licht in flächig leuchtendes Licht umwandeln, zum Einsatz kommen. Ein entsprechendes serienbewährtes Diffusormaterial ist Makrolon DQ5122. Um die Freiheiten von PC-Materialien beim Design von Ladestationen weiter zu erschließen, arbeitete Covestro unter anderem mit dem schwedischen Umeå Institue for Design in einem Pilotprojekt zusammen.
Vernetzt laden
Ein neuer Trend bei Ladestationen sind vernetzte, sogenannte Smart Charging-Systeme, die ein Laden der Fahrzeugbatterie zu Zeiten günstiger Stromtarife oder das Nutzen der Batterie als Zwischenspeicher zur Stabilisierung des Stromnetzes ermöglichen (Vehicle to Grid). Der Datenaustausch erfolgt mit Funksignalen über integrierte Antennen. Für Gehäuseteile verwendete Werkstoffe dürfen die Signale nicht blockieren. Wegen ihres geringen Dissipationsfaktors (Df) und der kleinen Dielektrizitätskonstante (Dk) beeinflussen PC-Werkstoffe die Signale auch in den Frequenzen des künftigen 5G-Mobilfunkstandards nur wenig.
Bauteile des elektrischen Antriebsstrangs
Ein vergleichsweise „junges“ Einsatzfeld von PC-Werkstoffen ist der Antriebsstrang von Elektrofahrzeugen. Die Anwendungsmöglichkeiten reichen von Wechselrichtern, Wandlern, Stromsammelschienen und Ladeanschlussdosen über Halterungen und Schutzsysteme bis hin zu Gehäusekomponenten für Steuergeräte der Leistungselektronik. Die Vorteile von PC-Materialien ähneln dabei denen, die bereits weiter oben bei den Anwendungsgebieten Batterie und Ladestationen vorgestellt wurden.
Die jeweiligen Einsatzgebiete sind mit den Herstellern entsprechender Komponenten genau zu definieren. Für Steuergeräte könnte etwa Makrolon FR6485 Verwendung finden. Das chlor- und bromfrei flammgeschützte PC-Compound erreicht im UL 94-Test eine 5VA-Klassifizierung und zeichnet sich durch eine hohe GWFI-Glühdrahtfestigkeit von 960 °C aus (Glow-Wire-Flammability-Test nach IEC 60695-2, 0,75 mm).
Wachsender Bedarf an sensortransparenten PC-Materialien
Zu den potenziellen Anwendungen im Umfeld des Antriebsstrangs zählen auch Bauteile für Fahrerassistenzsysteme wie Sensoren und Aktuatoren. Inzwischen werden Mittel- und Oberklassefahrzeuge mit Sicherheitsfunktionen wie Bremsassistenten, Fahrererkennungs- und Notrufsystemen ausgestattet. Zunehmend stehen außerdem Kommunikationssysteme für V2X-Anwendungen (Vehicle-to-Everything) zur Verfügung.
In allen diesen Anwendungen werden sensortransparente Kunststoffe benötigt, die für elektromagnetische Strahlung über ein breites Frequenzfenster – vom sichtbaren Bereich über das nahe Infrarot bis in den Gigaherz-Bereich (5G, WIFI) – durchlässig sind. Diese Transparenz muss etwa auch bei schwarzer Einfärbung gegeben sein. Ein für Infrarot-Strahlung sehr durchgängiges Material ist das PC Makrolon AX ST. Es wurde für schwarze Abdeckungen von radarbasierten Geräten zur optischen Abstands- und Geschwindigkeitsmessung (LiDAR, Light detection and ranging) entwickelt.
Biobasierte Rohstoffe und Kreislaufwirtschaft
Der PC-Hersteller legt großen Wert auf nachhaltige Materialien für elektrifizierte Fahrzeuge. Das Unternehmen bietet beispielsweise massenbilanzierte PC-Compounds auf Basis biozirkulärer Vorprodukte an, die vollständig aus Rückständen nachwachsender Rohstoffe gewonnen werden. Hier arbeitet Covestro unter anderem mit den Unternehmen Neste und Borealis zusammen. Ein anderer Ansatz sind Produkte, die mechanisch rezykliertes PC oder PET aus Post Industrial- und Post-Consumer-Abfällen enthalten.