PFAS werden auf Grund ihrer einzigartigen chemischen Eigenschaften, die auf der Stärke der Fluor-Kohlenstoff-Bindung beruhen, in vielen industriellen und kommerziellen Anwendungen und Produkten verwendet. Sie sind wasser-, schmutz-, und fettabweisend, überaus hitzebeständig, sind chemisch stabil, haben sehr niedrige Reibungskoeffizienten, gelten als besonders langlebig und besitzen eine geringe Permeabilität gegenüber Gasen und Flüssigkeiten. Sie gelten daher als unabdingbar für die Chemie-, Elektro-, und Automobilindustrie, den Maschinenbau, die Medizintechnik, für die Entwicklung und Herstellung von Brennstoffzellen und Wärmepumpen, die Produktion von Lithium-Ionen-Batterien, Halbleitern, Windrädern, Energiespeichern u.v.m. Sie sind aber auch in Textilien als DWR (durable water resistent) oder in Verpackungen als Barriere gegen Fette und Öle zu finden und gelangen so, auch im großen Maßstab, in die Umwelt. Das oben beschriebene, einzigartige Eigenschaftsprofil sorgt gleichzeitig für deren hohe Persistenz in der Umwelt, die breite Verteilung in Organismen und letztendlich zu großen Verschmutzungsproblemen.
Verbot der kritischen Substanzen – woher Ersatz nehmen?
Um die Umweltproblematik zu adressieren und PFAS nachhaltig und regulatorisch konform zu ersetzen, müssen Ersatzmaterialien gefunden werden, die dem einzigartigen PFAS-Eigenschaftsprofil gerecht werden. Die gestellten Anforderungen sind sehr hoch: Neben der grundsätzlichen chemischen, physikalischen und technischen Funktionalität und Leistung sollen die Alternativen im Idealfall über eine ähnliche Anwendungsvielfalt bei wettbewerbsfähigen Herstellungskosten verfügen, sodass sie in verschiedenen Einsatzgebieten verwendbar und gleichzeitig mit bestehenden Herstellungsprozessen und Materialien kompatibel sind.
Schnell wird bei der Liste an Anforderungen und der Bandbreite an Anwendungen jedoch klar, dass es sich nach jetzigem Kenntnisstand bei allen PFAS-Materialalternativen nicht um einen direkten 1:1 Ersatz handeln wird. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, Materialspezifikationen und geforderte Eigenschaftsportfolios genau zu definieren, denn nicht immer werden alle PFAS-typischen Eigenschaften benötigt. Außerdem gilt es, bei Anwendungen, wo möglich, Kompromisse bei der Materialauswahl z.B. hinsichtlich Wartungszyklen, Haltbarkeit etc. einzugehen. Auch das konzeptionelle Überdenken oder das komplette „neu denken“ von bestehenden Produkten und Prozessen muss zukünftig Berücksichtigung finden.
Multifunktionale Beschichtungs-Materialien als Schlüssel für den PFAS-Ersatz
In der Abteilung für Chemische Beschichtungstechnologie am Fraunhofer ISC werden multifunktionale Beschichtungsmaterialien für verschiedene Grundmaterialien wie Gläser, Metalle, Kunststoffe und Textilien entwickelt. Durch die Beschichtung werden die Substrate mit neuen und / oder verbesserten Oberflächeneigenschaften ausgerüstet. Dieses nachhaltige Materialdesign ermöglicht durch das Aufbringen der Beschichtung die Verlängerung der Lebensdauer des Substrats und vergrößert zusätzlich die Bandbreite an zugänglichen (umweltfreundlicheren) Basismaterialien für unterschiedlichste Anwendungen.
Die entwickelten Beschichtungsmaterialien basieren auf der Materialklasse der anorganisch-organischen Hybridpolymere (Ormocer - organically modified ceramic und Bioormocer, Bild 1). Diese Hybridmaterialien verknüpfen charakteristische Strukturen anorganischer, glasartiger Materialien mit organischen Struktureinheiten und werden am Fraunhofer ISC seit mehreren Jahrzehnten kontinuierlich weiterentwickelt. Durch die Ausbildung von kovalenten Bindungen zwischen den anorganischen und organischen Domänen werden die Eigenschaften aus beiden Materialwelten auf molekularer Ebene in einem homogenen Verbundwerkstoff kombiniert. Dies ermöglicht es, neben der inhärenten chemischen, thermischen und mechanischen Stabilität mit wenigen Verfahrensschritten ein vielfältiges Eigenschaftsportfolio zu adressieren, was bereits zu zahlreichen Produkten geführt hat.
Die Materialien bauen dabei auf Oligomeren mit einem Siliciumrückgrat auf, welches sich während der Synthese bildet. Die organische Netzwerkbildung geht vor allem bei der Trocknungs- und Härtungsreaktion von statten. Durch die Verwendung von funktionellen und auf die beabsichtigte Anwendung abgestimmten Silanen kann u.a. die Polarität der Schichten beeinflusst werden, sodass zusätzliche z.B. antimikrobielle Eigenschaften, Hydrophobie, Schmutzabweisung und Easy-to-Clean Eigenschaften erzielt werden können. Zudem lassen sich Ormocer-Beschichtungslösungen einfach hochskalieren und mit allen gängigen Methoden der Lackindustrie aufbringen, sodass diese Materialplattform ein einfaches und gleichzeitig vielseitig nutzbares Werkzeug zur Funktionalisierung von Oberflächen unterschiedlicher Trägermaterialien bietet.
Ormocer-Beschichtungen erlauben durch die molekulare Verknüpfung von anorganischen und organischen Bausteinen und die Variation der einzelnen Ausgangsmaterialien die Ausbildung von neuen Eigenschaftskombinationen. Insbesondere Charakteristika wie mechanische und thermische Stabilität (bis 250 °C), UV-Stabilität, Hydrophobie und abweisende Eigenschaften gegen Schmutz und Öle lassen sich so adressieren.
Zerof – Verbundforschung auf Europäischer Ebene
Im EU-Projekt Zerof (https://www.zerof.eu/), das von der Europäischen Union und dem Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation der Schweiz mit 5,5 Mio. Euro gefördert wird, arbeiten zwölf Partner aus Forschung und Industrie in neun Ländern an PFAS-freien, umweltfreundlichen und nachhaltigen Beschichtungslösungen für Lebensmittelverpackungen und Textilien. Bei dem Projekt, welches im Januar 2023 startete, handelt es sich um eins von vier großen Verbundforschungsprojekten, die sich mit der Entwicklung von umweltfreundlichen Ersatzmaterialien für PFAS in ihren jeweiligen Hauptanwendungsfeldern beschäftigen.
Das Hauptaugenmerk am Fraunhofer ISC liegt im Rahmen des Projektes auf der Entwicklung von sowohl wasser- als auch öl-abweisenden Ormocer-basierten Beschichtungen für Textilien (Bild 2). Diese beiden Eigenschaftsprofile lassen sich chemisch gesehen – jeweils separat – relativ leicht adressieren. Die Herausforderung stellt jedoch die Kombination dar. Diese so genannte Omniphobizität in Verbindung mit einer Abriebbeständigkeit ist in insbesondere für Polstermöbel interessant, da diese Textilien nicht wie herkömmliche Kleidung gewaschen werden können.
Dem entsprechend wird die Performance der entwickelten Beschichtungslösungen zunächst hinsichtlich der Wasser- und Ölabweisung evaluiert. Dabei handelt es sich um einen iterativen Prozess, der zusätzlich weitere Eigenschaften wie z.B. Abrasionsbeständigkeit, Optik und Haptik beinhaltet und bei dem es eine enge Zusammenarbeit mit den Projektpartnern von VTT aus Finnland hinsichtlich der Optimierung der Synthese und Leitat aus Spanien bezüglich der Optimierung der Formulierung der Beschichtungslösungen gibt. Bei der Formulierung besteht die Herausforderung vor allem darin, eine wasser- und ölabweisende Beschichtung für Textilien zu entwickeln, die entsprechend der Vorgabe der Textilindustrie als wasserbasierte Lösung appliziert werden kann.
Bezüglich der Wasserabweisung konnten durch die Verwendung von Silikon-Additiven oder langkettigen Silanen in der Ormocer-Matrix bereits erste Erfolge erzielt werden (Bild 3 und Bild 4). Im Moment wird daran gearbeitet, durch die Kombination von Ormocer mit cellulosebasierten Materialien des Projektpartners VTT oder durch die Additivierung mit Partikeln eine Oberflächenstrukturierung zu erzielen und so zusätzlich die ölabweisenden Eigenschaften zu realisieren.
Sicherheit und Nachhaltigkeit im Fokus
Das gesamte Zerof-Konsortium verfolgt im Rahmen des Projektes ein sicheres und nachhaltiges Design-Prinzip (SSbD – safe and sustainable by design). Das bedeutet, dass kontinuierlich alle entwickelten Alternativmaterialien mit Augenmerk auf Sicherheit und Performance, sowie alle Prozessschritte unter ökologischen, aber auch unter ökonomischen Gesichtspunkten evaluiert werden. Ein Projektziel ist so beispielsweise ein maximaler Kostenanstieg der entwickelten PFAS-freien Beschichtungslösungen von 20 %. Aus den Ergebnissen der Beurteilung werden Richtlinien für das Materialdesign generiert, die direkt in die Optimierung der Entwicklung mit einfließen. Ebenso wird die Verbraucherakzeptanz evaluiert und Verwertungsstrategien durch Stakeholder Engagement erarbeitet.
Das im Rahmen des Projektes generierte Wissen bildet den Grundstock für die Entwicklung von weiteren PFAS-Ersatzmaterialien für verschiedenste Anwendungen, die am Fraunhofer ISC bereits jetzt adressiert werden. So werden unter anderem UV-vernetzbare Schutzschichten für Papier-basierte Verpackungen im Lebensmittel- und Kosmetikbereich entwickelt. Hier wird die Einstellbarkeit der Flexibilität der Ormocer-Matrix durch einen erhöhten organischen Anteil und die Additivierung mit Silikonen, um zusätzlich eine Ölabweisung zu realisieren, genutzt. Mit einer ähnlichen Strategie lassen sich weiterhin Mulchpapiere beschichten, mit dem Ziel diese zum einen mechanisch zu stabilisieren und zum anderen zu hydrophobieren, um langfristig Mulchfolien in der Landwirtschaft ersetzen zu können. Weiterhin lassen sich PFAS-freie Antihaftbeschichtungen auf der Basis von Ormocer herstellen, die als Formtrennmittel im Spritzguss oder beim Pulversintern Einsatz finden können.
Über das Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC
Das Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC ist eines der wichtigsten europäischen Zentren für materialbasierte Forschung und Entwicklung in den Bereichen Energie, Umwelt und Gesundheit. Rund 360 Mitarbeiter entwickeln an den Standorten Würzburg, Bronnbach und Bayreuth innovative Materialien und Technologien für nachhaltige Produkte und Verfahren. Die vielfältigen Forschungsschwerpunkte umfassen u.a. Batteriematerialien, Hochtemperaturwerkstoffe, Materialien für die Wasserstoffwirtschaft, Sensortechnologien sowie Werkstoffe und Verfahren für die Bereiche Biomedizin, Pharma und Kosmetik und PFAS (Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen)-Ersatzwerkstoffe. Innovative Recyclingtechnologien und die einzigartige Kombination aus Material-, Verarbeitungs-, Anwendungs- und Analytik-Know-how runden das Profil des Instituts ab.
Was Sie über PFAS wissen müssen
Fluorpolymere und weitere fluorhaltige Substanzen sollen verboten werden. Eine ihrer herausragenden Eigenschaften – die Beständigkeit – könnte ihr Verbot bedeuten. Für Sie haben wir das Thema PFAS aus verschiedenen Blickwinkeln während der Widerspruchsfrist beleuchtet und halten Sie künftig zu PFAS-Alternativen auf dem Laufenden. Alles, was Sie zum Thema wissen sollten, erfahren Sie hier.