Die gefüllten Mikrokapseln sind in der Polymermatrix verteilt und geben unter Druck beispielsweise Schmiermittel ab, die für ein gutes Gleiten der Oberflächen sorgen.

Die gefüllten Mikrokapseln sind in der Polymermatrix verteilt und geben unter Druck beispielsweise Schmiermittel ab, die für ein gutes Gleiten der Oberflächen sorgen. (Bild: Carl Bechem)

Die Bedeutung von Spezialschmierstoffen in der Industrie, speziell in der Automobilindustrie nimmt zu. Je nach Anforderungsprofil trägt er zur geräuscharmen Funktionstüchtigkeit verschiedenster Baugruppen bei. Die gezielte Schwingungsdämpfung und Reibwertoptimierung ermöglichen langfristig reproduzierbare Abläufe in den unterschiedlichsten Komponenten.

Neben Schmierfetten, Pasten und Schmierstoffdispersionen gehören längst auch Beschichtungen sogenannte Gleitlacke zu den wirksamen Schmierstoffsystemen. Einerseits befinden sich Gleitlacksysteme von Bechem bereits im Großserieneinsatz, beispielsweise in der Fertigung von Premiummotorkolben, andererseits ist die Vielfalt der Applikationsmöglichkeiten von Gleitlacken vielen Entwicklern und Zulieferern in ihrer Gänze noch nicht bekannt. Bei diesem Lacktypus handelt es sich um Dispersionen ausgewählter Festschmierstoffe in organischen oder anorganischen Bindern in Lösemittel oder Wasser. Nach der Applikation und dem Aushärten bildet der Lack einen festen Verbund aus Bindemitteln und Festschmierstoffen.

Bei der tribologischen Beanspruchung des beschichteten Bauteils erfolgt ein Übertrag der eingebundenen Festschmierstoffe auf den Gegenkörper. Dabei bildet sich ein Transferfilm, der zum Reduzieren der Scherkräfte und damit zu verminderten Reibwerten führt. Eine Vielzahl von Bindemitteln und Festschmierstoffen, auch auf Basis von Nanotechnologie, mit unterschiedlichsten Eigenschaften, ist für die unterschiedlichen Entwicklungsanforderungen verfügbar.

So funktioniert die Mikrokapseltechnologie

Durch das Einbetten von wirkstoffbefüllten Mikrokapseln in den Gleitlack können die enthaltenen Festschmierstoffe hinsichtlich ihrer Schmierwirkung signifikant unterstützt werden. In den Mikrokapseln mit einer Größe von 1 bis 1.000 µm können sowohl feste, flüssige wie auch gasförmige Stoffe (das eigentliche Kernmaterial) in kleinsten Portionen, von einem Wand-/Matrixmaterial umgeben, immobilisiert werden.

Das Wirkprinzip der Mikrokapseltechnologie in Gleitlacken veranschaulichen die REM-Aufnahmen in Bild 1. Nur unter dem Rasterelektronenmikroskop zu erkennen, sind mit Schmierstoff oder anderen Wirkstoffen gefüllte kugelartige Container im Gleitlack eingebettet. Bei Belastung der ausgehärteten Lackschicht geben sie ihre Ladung (hier Schmierstoff) an die Reib- beziehungsweise Schmierstelle ab. Dadurch baut sich ein leistungsstarker und dosierter Schmierfilm zwischen den beteiligten Reibpartnern auf, wodurch der Reibwert und Verschleiß reduziert werden.

Die Verkapselung dient hierbei als Schutz, um Unverträglichkeiten zwischen Harzbindesystem und verkapselten Schmierstoffen zu vermeiden. Nach jeder Bewegung ist ein minimaler Verschleiß der Oberfläche zu erkennen. Dies nutzt die Mikrokapseltechnologie zu ihrem Vorteil: Das mechanische Einwirken auf den Gleitlack bewirkt das Öffnen der Kapselhülle und gibt den zusätzlichen Schmierstoff dosiert frei. Durch die kontinuierliche Reibbewegung im tribologischen Spalt wird er weiterverteilt und sorgt für eine grifftrockene Oberfläche. Mit weiterem Verschleiß werden tiefer liegende Kapseln erreicht, die eine konstante Schmiermittelversorgung gewährleisten.

Um die Methodik der Kapseln im Gleitlack zu simulieren, wurden lose Agglomerate einer mechanischen Einwirkung ausgesetzt, die hier als Einkerbung zu sehen ist.
Bild 1: Um die Methodik der Kapseln im Gleitlack zu simulieren, wurden lose Agglomerate einer mechanischen Einwirkung ausgesetzt, die hier als Einkerbung zu sehen ist. (Bild: Carl Bechem)

Wie der Wirkstoff in die Mikrokapsel kommt?

Schmierstoff und in Wasser gelöstes Kapselmaterial werden unter Rühren langsam erhitzt. Das Rühren sorgt für die Tröpfchenbildung des Schmierstoffs und eine Ummantelung dieser Tröpfchen durch das Kapselmaterial. Das Erhitzen lässt das Kapselmaterial aushärten und zurück bleiben mit Schmierstoff gefüllte Kapseln.

Wie Mikrokapseln im Spritzguss verarbeitet werden

Neu ist der Einsatz der Mikrokapseltechnologie im Bereich Kunststoffspritzguss. Das Compound, das mit wirkstoffbeladenen Mikrokapseln ausgestattet ist, wird im Spritzgusswerkzeug zu Formteilen verarbeitet. Das gesamte Kunststoffbauteil enthält Mikrokapseln und nicht nur die obersten Lackschichten, wenn das Bauteil lackiert ist.

Das Wort Wirkstoff umfasst hier mehr als Schmierstoff. Durch Variation der Prozessparameter sind Mikrokapseln in unterschiedlichen Größen und Wandstärken möglich. Die freie Wahl des Inhaltsstoffs erlaubt es, eine breite Palette von Anwendungsmöglichkeiten abzubilden.

Beim Spritzgießen bedeutet das, dass die eingebrachte Technologie dazu beitragen kann, die Funktionalität und Lebensdauer von Kunststoffkomponenten, Bauteilen und Baugruppen zu verbessern und den Produkten echten Zusatznutzen zu stiften. Auch mit Blick auf die Konstruktionspraxis zeigen sich alternative Ansätze hinsichtlich Bauart und Materialspezifikation, die gewählt werden können. Es ist durchaus möglich, dass bestimmte von der Konstruktion geforderte Eigenschaften auch mit weniger anspruchsvollen Kunststoffwerkstoffen erfüllt werden können. Möglich wird dies, wenn die dem Polymer zugeführten Mikrokapseln das Qualitätsdefizit anforderungsgerecht ausgleichen.

Hier wird trocken geschmiert

Mögliche Anwendungsbeispiele sind schwergängige Kunststoffmechaniken wie Schubladensysteme, Kulissenführungen und große Schraubgewinde, die vorzugsweise grifftrocken geschmiert werden sollen. Die integrierte Mikrokapselschmierung bewirkt eine leichtere Handhabung, höhere Betriebssicherheit und zugleich Lebensdauer der Bauteile. Ein Beispiel hierfür sind Ausstellfenster mit Kulissenführung oder Kurbelmechanik, wie sie im Boots- und Freizeitmobilbau Verwendung finden. Schmierfette, die in diesen Anwendungen durch UV-Lichteinfluss, Oxidation oder Auswascheffekte ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen, können durch die integrierte Schmierung mit Mikrokapseln ersetzt werden. Nach dem mechanischen Abrieb der Spritzhaut am Kunststoffbauteil beginnt die eigentliche Schmierung der Oberfläche durch das Öffnen der darunterliegenden Mikrokapseln.

„Das Kunststoffbauteil erhält beim Reibkontakt durch compoundierte Mikrokapseln Schmierung bei Bedarf. Es schmiert sich selbst unter Druck – eine echte Alternative zu Grafit oder ausschwitzenden Ölen“, erläutert Dr. Thomas Löhl, Produktverantwortlicher für Gleitlacke in der Business Unit Spezialschmierstoffe bei Bechem.

Grafik
Bild 2: Reibwertverlauf über die Testdistanz eines POM mit Mikrokapseltechnologie. (Bild: Carl Bechem)

Wie effizient die Schmierung in der Reibstelle von Kunststoffteilen (Material POM-C) aufgebaut werden kann zeigt die Betrachtung der Reibwertverläufe bei konstanter Flächenpressung in Bild 2. Die gelbe und die rote Kurve verlaufen auf niedrigem Niveau ohne Ausschläge. Die Entwickler des Unternehmens stellten in Laborversuchen fest, dass durch Zugabe von 10 % Mikrokapseln in POM (Polyoxymethylen) der statische und dynamische Reibwert (COF) um einen durchschnittlichen Faktor von 2,5 reduziert werden kann. Die Menge der Kapseln, die dem Kunststoff zugeführt werden sollen, ist abhängig von der Belastung auf die Reibstelle. Bei höherem Kontaktdruck ergibt sich kein nennenswerter Unterschied zwischen 10 und 20 % Kapselzugabe.

Durch Mikrokapseln lassen sich

  • flüssige Stoffe in trockenes Pulver umwandeln,
  • leicht flüchtige Stoffe einkapseln,
  • Stoffe vor der Reaktion beispielsweise mit Luft, Licht oder Flüssigkeiten schützen und sie bei Bedarf freisetzen,
  • reaktionsfreudige Substanzen voneinander getrennt halten,
  • Wirkstoffe gezielt oder über eine bestimmte Zeit freisetzen oder
  • zusätzliche Funktionalitäten wie Farbe oder Geruch in ein Produkt einsetzen.

Die verkapselten Wirkstoffe sind typische Schmierstoffe, welche Bechem zur Lösung von tribologischen Aufgaben in anderer Form bereits erfolgreich einsetzt. Die Kapseln können auch mit anderen Additiven, wie beispielsweise additivierten Ölen unterschiedlichster Konsistenz, gefüllt werden. So ist es beispielsweise möglich, dass Mikrokapseln eine wichtige Funktion als Trägermedium für PFAS-Ersatzstoffe einnehmen können. Die bisherigen Ergebnisse zeigen in Kunststoffen eine Wirkung, die für einige Anwendungen ein Ersatz für PFAS darstellen könnte.

Im Themenkreis Innenraumakustik, Soundmanagement und Störgeräuschreduktion in der Automobilbranche finden sich Anwendungen, in denen mikrokapseladditivierte Kunst- stoffcompounds Einfluss auf die Entwicklungsarbeit und die Konstruktionsprinzipien nehmen können. Je nach Art, Größe und Anzahl lässt sich mit Mikrokapseln eine akustische Emission für bestimmte Frequenzen unterdrücken. „Oft zeigen sich „Two-in-one-Effekte“, sagt Stephan Henzler, Leiter Tribologie beim Gleitlackhersteller, und meint dabei das Zusammenfallen von Produkteigenschaften wie Schmierung und Dämpfung oder Dämpfung und Akustiksteuerung aber auch Dämpfung und Thermoeffekt.

Mit Thermoeffekt meint Henzler, dass mit der Mikrokapseltechnologie im Kunststoffbauteil integrierte Latentwärmespeicher, die mit einem Phasenwechsel von fest zu flüssig arbeiten, möglich sind, die einen großen Teil der ihnen zugeführten thermischen Energie speichern und wieder abgeben. Solche Wärmespeicher sind für Anwendungen im Fahrzeuginnenraum zur Komfortsteigerung oder in der Baufassadentechnik vorstellbar. „Starke Temperaturschwankungen im Außenbereich wirken sich auf den Innenbereich aus. Wünschenswert sind daher Oberflächen, die noch kühl sind, wenn es heiß ist, und noch warm, wenn es kalt wird“, ergänzt Dr. Löhl.

Was Sie über PFAS wissen müssen

Übersichtsgrafik zu PFAS.
Wissenswertes zu PFAS finden Sie in unserem Übersichtsartikel. (Bild: Francesco Scatena – Stock.adobe.com)

Fluorpolymere und weitere fluorhaltige Substanzen sollen verboten werden. Eine ihrer herausragenden Eigenschaften – die Beständigkeit – könnte ihr Verbot bedeuten. Für Sie haben wir das Thema PFAS aus verschiedenen Blickwinkeln während der Widerspruchsfrist beleuchtet und halten Sie künftig zu PFAS-Alternativen auf dem Laufenden. Alles, was Sie zum Thema wissen sollten, erfahren Sie hier.

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