PFAS sind organische Verbindungen aus Kohlenstoffketten, bei denen die Wasserstoffatome durch Fluoratome ersetzt sind (vollständig: perfluoriert oder teilweise: polyfluoriert). Die Substanzklasse umfasst über 10.000 Verbindungen mit einzigartigen Eigenschaften wie niedrige Oberflächenspannung, dielektrische Eigenschaften bei niedrigen Temperaturen, korrosionsbeständige, nicht reaktive Materialien, hydrophobe und oleophobe Beschichtungen, langfristige Stabilität von Gasen oder Materialien, geringe Entflammbarkeit von Polymeren und Geweben. Sie werden daher in einer Vielzahl von Schlüsselindustrien und Zukunftstechnologien eingesetzt. Aus Umweltsicht ist der Hauptkritikpunkt an PFAS die sehr hohe Persistenz von ihnen und/oder ihren Abbauprodukten: Sie können länger in der Umwelt verbleiben als alle anderen vom Menschen hergestellten Chemikalien. PFAS sind in der Umwelt bereits allgegenwärtig: in Organismen, Trinkwasserquellen und Nahrungsmitteln sowie in abgelegenen und unberührten Gebieten. Viele PFAS reichern sich fortwährend in Organismen an, und es werden bei einigen Stoffen auch (öko)toxikologische Auswirkungen gesehen. Eine weitere Freisetzung würde zum Erhöhen der Konzentration in der Umwelt führen, da kein Abbau unter natürlichen Bedingungen erfolgt; daraus folgend werden negative Umwelt- und Gesundheitsauswirkungen erwartet. Auch ist die Entfernung von PFAS aus Oberflächenwasser, Grundwasser, Boden, Sediment und Biota technisch äußerst schwierig und sehr kostspielig, wenn überhaupt möglich (Echa 2023).
Recherche der Substitutionsmöglichkeiten
Vor dem Hintergrund, dass die Europäische Kommission ein Verbot dieser Stoffgruppe plant, hat der Think Tank Industrielle Ressourcenstrategien ein Projekt durchgeführt, das Substitutionsmöglichkeiten für PFAS-Verbindungen und technische Anwendungen in der Industrie untersucht. Gemeinsam mit dem Institute for Industrial Ecology der Hochschule Pforzheim (INEC) und der Technologiemanagement-Beratung TIM Consulting sowie fünf baden-württembergischen Unternehmen aus besonders betroffenen Branchen (Automobilhersteller und -zulieferer, Medizintechnik, Pharma), nämlich Carl Zeiss, Karl Storz, Mercedes-Benz, Novaliq und Richard Wolf wurde diese Herausforderung angegangen (siehe Bild 1). Mittels einer durch künstliche Intelligenz gestützten Recherche wurde nach Substanzen gesucht, die die bisher eingesetzten PFAS ersetzen und die gleichen Funktionen in industriellen Anwendungen erfüllen können.
So wurde die KI zur strukturierten Datenanalyse genutzt
Hierzu wurde mit über 2.000 Datensätzen vorab eine KI auf die Frage trainiert, welche Substanzen möglicherweise die Funktionalität der PFAS – also deren technische Nutzenfunktion – bei möglichst gleicher Leistungsfähigkeit in ausgewählten Anwendungen ersetzen können. Für die Analyse des Datenpools wurde die TIM-Consulting-Eigenentwicklung Cumulus AI genutzt. Cumulus AI, ein Analysetool für große Datenmengen, nutzt transformerbasierte Sprachmodelle für effizientes Datenhandling und tiefere Einblicke. Es unterstützt als KI-Assistent die Informationsaufbereitung, wobei Patente und Publikationen von Espacenet und Open Alex als Datenquellen dienen (siehe Bild 2). Eine spezifische Suchstrategie extrahiert relevante Informationen, in denen automatisiert Themencluster und Trends identifiziert werden. Die Clusterbildung basiert auf einer multikriteriellen Vektorisierung, die Wörter in ihrem spezifischen Kontext bewertet, was zu homogeneren und klar definierten Clustern führt. Zusätzlich werden Metadaten genutzt, um Trends und Fachexperten zu identifizieren.
Zusätzlich wurde ein Bewertungsschema aufgebaut, das auf den Hauptkriterien technische Leistungsfähigkeit, Umweltauswirkungen, Kosten, Verfügbarkeit und regulatorische Konformität basiert. Mit den beteiligten Unternehmen wurden die sechs Nutzenfunktionen Langzeitstabilität, chemische Stabilität, thermische Stabilität, Lichtbeständigkeit, hohe Gleiteigenschaften und biologische Verträglichkeit ausgewählt und untersucht. Die KI analysierte weltweit 35.246 Veröffentlichungen und erweiterte dabei selbstständig den Rechercherahmen. Da auf die Nutzenfunktion und nicht auf die chemische Struktur der PFAS abgehoben wurde, wurde nicht nur nach chemisch analogen Verbindungen, sondern nach jeder Art von chemischen Substanzen gesucht, die diese Nutzenfunktion erfüllen können. Es konnten 420 Substanzen identifiziert und in 32 Clustern strukturiert werden (siehe Bild 3).
Betrachtung von Anwendungsbeispielen
Für die Unternehmen wurden materialspezifische Funktionsprofile erstellt und das anwendungsspezifische Substitutionspotenzial der identifizierten Materialien beurteilt.
Für die konkret betrachteten Anwendungsfelder wurden folgende Ergebnisse ermittelt:
- Halbleitertechnik:
Optische Fotolithografie zum Herstellen von Mikrochips: Die für die Lithografiesysteme benötigten Spezialoptiken sind bis zu 10 t schwer. Sie bestehen aus bis zu 100.000 Teilen und müssen mit einer weltweit einmaligen Präzision gefertigt werden. Neben dieser Präzision ist auch eine extreme Sauberkeit erforderlich; weniger als ein milliardstel Gramm Kontamination an der falschen Stelle zerstört die Funktion des gesamten Systems. Die Kombination aus UV-Licht, Präzision und dieser Sauberkeit macht es erforderlich, Materialien aus PFAS an verschiedenen Stellen im Lithografiesystem, so zum Beispiel als Dichtungsmaterial, Dämpfungselement, Isolierung und Schmiermittel einzusetzen. Konventionelle Materialien und Kunststoffe, zum Beispiel auf Basis von reinen Kohlenwasserstoffen oder Silikonen, sind viel weniger gegen UV-Licht beständig und zersetzen sich unter dem Einfluss der UV-Strahlung in kurzer Zeit. Außerdem gasen sie chemische Substanzen aus (Kontamination), die sich auf den Optiken niederschlagen und das System in seiner optischen Funktion nachteilig beeinflussen.
Nach Filterung der Gesamtergebnisse nach benötigten Nutzendimensionen ergab sich eine Liste von 34 Materialien, von denen drei technisch sinnvolle Materialien identifiziert wurden. Dabei ist unklar, ob Material 1 eine genügende UV-Stabilität besitzt. Bei Material 2 ist unklar, ob es auch in einer sehr dünnen Schicht funktioniert. Zu Material 3 gibt es bisher keine Erfahrungen und wurde daher „skeptisch“ bewertet.
PFAS können häufig mehrere Nutzenfunktionen gleichzeitig erfüllen, Alternativen nicht.
- Automobilindustrie:
In der Automobilindustrie spielen Fluorpolymer-Anwendungen eine wichtige Rolle, insbesondere in Dichtungen und Schläuchen. Sie werden dort aufgrund ihrer hohen chemischen Beständigkeit, Temperaturbeständigkeit und geringen Reibungseigenschaften eingesetzt. Sie gewährleisten eine zuverlässige Abdichtung auch bei hohen Temperaturen, aggressiven Chemikalien und Druckschwankungen. Insgesamt tragen Fluorpolymer-Anwendungen in Dichtungen und Schläuchen so zur Zuverlässigkeit, Effizienz und Sicherheit von Fahrzeugen bei.
Nach Filterung der Gesamtergebnisse nach benötigten Nutzendimensionen ergab sich eine Liste von 16 Materialien, von denen zwei technisch sinnvolle Materialien identifiziert wurden. Zwar wäre der Einsatz der beiden Materialien vorstellbar, er bezieht sich jedoch nicht auf das zu ersetzende Ausgangsmaterial. Insofern konnten für das betrachtete Anwendungsbeispiel „Fluorpolymere“ keine geeigneten Alternativen oder nur Alternativen mit qualitativen Einbußen identifiziert werden.
- Medizintechnik:
Resektoskop für minimalinvasive Prostataoperationen: Mit der Resektionstechnik wird minimalinvasiv gearbeitet. Das Resektoskop ist ein medizinisches Instrument mit Drahtschlinge, das über Hochfrequenzstrom Gewebe abträgt. Resektoskope werden für Prostataoperationen, aber auch für andere Anwendungsfälle genutzt: zum Entfernen von Blasentumoren, bei Eingriffen in die Gebärmutter oder zur operativen Behandlung von Uterusfehlbildungen. In Resektoskopen kommen in fünf verschiedenen Funktionen Fluorpolymer-Komponenten (also PFAS) zum Einsatz: Eine davon ist das Nutzen von Hülsen aus PTFE zur elektrischen Isolierung der Elek-troden: Sie gewährleisten eine sehr hohe Durchschlagsfestigkeit von 20 kV/mm und muss thermisch stabil, chemisch resistent, antihaftend, relativ flexibel und zudem biokompatibel sein.
Nach Filterung der Gesamtergebnisse nach benötigten Nutzendimensionen ergaben sich beim ersten der beiden beteiligten Medizintechnik-Unternehmen eine Liste von 36 Materialien und beim zweiten Unternehmen eine mit 20 Materialien. Keines der identifizierten Materialien erwies sich als technisch sinnvoller Ersatz.
- Pharmaindustrie:
Therapie des schweren, trockenen Auges: Die Konjunktivitis sicca, das „Trockene Auge“, ist eine der häufigsten Oberflächenerkrankungen des Auges, unter der 5 bis 30 % der über 50-Jährigen leiden. Augentropfen, die Perfluorhexyloktan (F6H8) enthalten, reduzieren das exzessive Austrocknen. Es dringt im Gegensatz zu wässrigen Augentropfen sogar in die Meibomschen Drüsen in den Augenlidern ein und kann die Sekretion der dortigen Lipide verbessern. Perfluorhexyloktan lindert nach weislich die Symptome und hat gleichzeitig eine heilende Wirkung in trockenen Augen, was die bisher verfügbaren Augentropfen so nicht leisten können.
Nach Filterung der Gesamtergebnisse nach benötigten Nutzendimensionen ergab sich eine Liste von 33 Materialien, von denen zwei technisch sinnvolle Materialien identifiziert wurden. Ihre Einsetzbarkeit in der Praxis wurde jedoch als bislang unwahrscheinlich eingestuft.
Die KI-Recherche hat nur wenige Materialien identifiziert, die möglicherweise PFAS ersetzen können.
Das sind die zentralen Erkenntnisse
Zentrale Erkenntnisse der Studie sind, dass es in der Mehrzahl der technischen Anwendungen für die beteiligten Unternehmen kein adäquates, sofort oder in Kürze einsetzbares Substitut existiert. In wenigen Fällen wurden maximal 2 bis 3 Materialien identifiziert, die das Potenzial haben, PFAS zukünftig möglicherweise zu ersetzen. Dazu bedarf es jedoch noch umfangreicher Forschungsarbeiten. Auch können PFAS häufig mehrere Nutzenfunktionen gleichzeitig erfüllen, was die Alternativen nicht können.
In dem Fall, dass keine Substitutionsmöglichkeiten gefunden werden, stehen essenzielle Hightech-Anwendungen nicht mehr oder zumindest erheblich eingeschränkt zur Verfügung. So würden für Industrie und Gesellschaft in Europa erhebliche Nachteile entstehen. Daher sollte für industrielle Anwendungen eine sorgfältige Abwägung zwischen dem Nutzen für Industrie und Gesellschaft auf der einen und Risiken für Umwelt und Gesundheit auf der anderen Seite erfolgen. Es sollte in Betracht gezogen werden, technische Anwendungen, bei denen PFAS in geschlossenen Systemen eingesetzt werden und diese nicht in die Umwelt gelangen, vom Verbot auszuschließen. In weiteren Bereichen, in denen PFAS essenziell sind und eine hohe, nicht ersetzbare Funktionalität besitzen, sollte dann eine detaillierte Nutzen-/Risiko-Bewertung vorgenommen werden. Unabhängig davon wird empfohlen, Forschungsarbeiten zu PFAS-Alternativen stark zu forcieren.
Die Ergebnisse der Studie stehen auf der Website des Think Tanks zum Download zur Verfügung. https://www.thinktank-irs.de/
Quelle: Think Tank IRS
Literatur
● Echa-European Chemicals Agency (Hrsg.) (2023): Annex XV Restriction Report Proposal for a restriction, substance name(s): Per- and polyfluoroalkyl substances (PFASs). Version Number 2, 22.03.2023.
● Lang-Koetz, C.; Hutschek, U.; Heil, M. (2024): PFAS: Anwendung, technische Funktionen und Substitutionsmöglichkeiten in der Industrie. Unter Mitarbeit von Christian Kühne. Think Tank Industrielle Ressourcenstrategien. Stuttgart. https://doi.org/10.60846/6hf7-nh56, abgerufen am 07.05.2024.
Was Sie über PFAS wissen müssen
Fluorpolymere und weitere fluorhaltige Substanzen sollen verboten werden. Eine ihrer herausragenden Eigenschaften – die Beständigkeit – könnte ihr Verbot bedeuten. Für Sie haben wir das Thema PFAS aus verschiedenen Blickwinkeln während der Widerspruchsfrist beleuchtet und halten Sie künftig zu PFAS-Alternativen auf dem Laufenden. Alles, was Sie zum Thema wissen sollten, erfahren Sie hier.