Reagenzglas mitölartiger Flüssigkeit

Das beim Nassspinnen des Highpercellcarbon-Verfahrens angewandte Lösungsmittel ist ungiftig und umweltverträglich und nahe vollständig rezyklierbar. (Bild: DITF)

Das neuartige und nachhaltige Verfahren, welches unter Federführung von Dr. Frank Hermanutz weiterentwickelt wurde, basiert auf der sogenannten Highpercell-Technologie: In einem besonders umweltschonenden Prozess lassen sich Carbonfasern auf der Basis von Biopolymeren erzeugen.

Das steckt hinter dem neuen Verfahren

Beim Highpercellcarbon-Verfahren werden Zellulosefilamentfasern unter Verwendung ionischer Flüssigkeiten (IL) als Direktlösungsmittel nassgesponnen – in einem umweltfreundlichen und geschlossenen System. Das eigentliche an den DITF entwickelte Highpercell-Spinnverfahren dient als technische Grundlage: Hier wird das Ausgangsmaterial in ionischen Flüssigkeiten gelöst und anschließend in einem speziellen Nassspinnverfahren zu Fasern ausgesponnen. Das Lösungsmittel ist ungiftig und umweltverträglich und kann nahezu vollständig zurückgewonnen werden. Somit werden keine umwelt- oder gesundheitsschädlichen Chemikalien durch den Prozess freigesetzt. Die auf diesem Wege erzeugten Zellulosefasern werden in einem weiteren Entwicklungsschritt zunächst durch einen Niederdruckprozess stabilisiert und dann, gefolgt von einem geeigneten Carbonisierungsprozess direkt in Carbonfasern umgewandelt. Abgase oder auch giftige Nebenprodukte, wie sie bei herkömmlichen, vergleichbaren Verfahren auftreten, entfallen hier komplett.

Hier im
Hier im (Bild: DITF)

Neben dem für das Nassspinnen verwendeten Lösungsmittel überzeugt das Highpercellcarbon-Verfahren auch auf anderer Ebene. Denn die üblicherweise in der industriellen Herstellung verwendeten erdölbasierten Ausgangssstoffe werden durch den nachwachsenden Rohstoff Holz subsituiert. Das wiederum hebt Potenziale in der Leichtbauindustrie, in der der weltweite Bedarf nach Carbonfasern und nachhaltigen, klimaschonenden Lösungen stetig wächst.

Das Verfahren selbst wurde auch für die „Cellulose Fibre Innovation of the Year“ nominiert. Die Auszeichnung wird zum zweiten Mal durch das Nova-Institut für Ökologie und Innovation im Rahmen der „international Conference on Cellulose Fibre 2022“ verliehen. Die DITF Denkendorf gehören zu den insgesamt sechs Nominierten.

Alles zum Thema Biokunststoffe

Eine Hand reißt einen Papierstreifen weg. Darunter steht das Wort "Biokunststoff"
Wissenswertes über Biokunststoffe finden Sie in unserem Übersichtsartikel. (Bild: thingamajiggs - stock.adobe.com)

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Technologiegerüst für nachhaltige Cellulosefasern

Mit dem verfahrenstechnischen Gerüst der bereits beschriebenen Technologie lassen sich aber noch weitere Produkte mit einem besonders nachhaltigen Fußabdruck realisieren – etwa hochwertige Textilien und auch technische Produkte. So werden an den DITF Denkendorf mit der Highpercell-Technologie auch Cellulosefilamente aus Hanfzellstoff mit besonderem Eigenschaftsprofil hergestellt. Die Arbeiten werden im Rahmen des europäischen Eliit-Projektes zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit klein- und mittelständischer Unternehmen der Textilwirtschaft ausgeführt.

Spindel mit Cellulosefasern.
Das unter dem Namen Highpercell an den DITF entwickelte Spinnverfahren dient als technische Grundlage, um biobasierte Cellulosefasern zu produzieren. (Bild: DITF)

Das Hanfmaterial wird in Kooperation mit RBX Créations aus Neuillac, Frankreich, aus der ökologischen und nachhaltigen Bewirtschaftung französischer Agrarflächen gewonnen. Das Unternehmen arbeitet mit Produzenten zusammen, die sich umweltfreundlichen und bodenschonenden Anbauverfahren verschrieben haben und auf künstliche Bewässerung und Pflanzenschutzmittel verzichten. Ziel ist, die Hanfpflanze möglichst vollständig zu verwerten.

Cellulosefasern gestrickt
Mithilfe des Highpercell-Verfahrens der DITF lassen sich beispielsweise auch hanfbasierte Cellulosefasern herstellen, die in vielfältiger Ausprägung in der Textilindustrie Anwendung finden. (Bild: DITF)

Elastisch und dehnbar

Die aus dieser Kooperation entstehenden hanfbasierten Cellulosefasern werden unter der Marke „Iroony“ direkt zum fertigen Textil verwebt oder gestrickt. Sie können ebenso zu Stapelfasern und Garnen verarbeitet werden. Mögliche Anwendungen neben hochqualitativen Bekleidungstextilien sind zudem Casual- oder Sportbekleidung. Die Fasern besitzen eine besonders hohe Zugfestigkeit und punkten auch bei Elastizitäts- und Dehnungscharakteristika, was weitere Potenziale für die technischen Einsatzmöglichkeiten offenhält.

Maschine, in der der Niederdruck-Stabilisierungsprozess stattfindet.
Cellulosefasern werden durch einen Niederdruck-Stabilisierungsprozess in Carbonfasern umgewandelt. (Bild: DITF)

Nachgefragt bei Dr. Frank Hermanutz, Bereichsleiter Kompetenzzentrum Biopolymerwerkstoffe Deutsche Institute für Textil- und Faserforschung Denkendorf

Dr. Frank Hermanutz, Bereichsleiter Kompetenzzentrum Biopolymerwerkstoffe Deutsche Institute für Textil- und Faserforschung Denkendorf
Dr. Frank Hermanutz, Bereichsleiter Kompetenzzentrum Biopolymerwerkstoffe Deutsche Institute für Textil- und Faserforschung Denkendorf (Bild: DITF)

Herr Hermanutz, das Highpercellcarbon-Verfahren wurde jüngste vom Nova-Institut für Ökologie und Innovation für die „Cellulose Fibre Innovation of the Year“ nominiert – basierend auf der ebenfalls vom DITF entwickelten Highpercell-Technologie: Gibt es hier materielle Einschränkungen? Oder anders gefragt: Welche naturbasierten Rohstoffe lassen sich mit der Technologie verarbeiten?

Dr. Frank Hermanutz: Es können Zellstoffe aus unterschiedlichen Zellstoffquellen verarbeitet werden. Hierzu zählen vor allem heimisches Buchenholz und auch Pflanzenreste des hier vor Ort angebauten Ölsaatenhanfs. Die Rohmaterialen werden mit entsprechenden Verfahren aufbereitet.

Was waren die Beweggründe hinter der Entwicklung des Verfahrens?
Hermanutz: Auf Basis eines neuen, umweltfreundlichen Direktlösemittels für Zellstoff (ein flüssiges Salz sogenannte Ionische Flüssigkeit) konnte das neue Highpercell-Verfahren entwickelt werden; ein Direktlöseverfahren für Zellstoff. Das Highpercell-Verfahren zur Herstellung von technischen und textilen Cellulosefilamentfasern ist nachhaltig: alle Komponenten werden rezykliert und es entstehen keine Abfallströme und toxischen Nebenprodukte.

Unterscheiden sich die daraus gewonnenen Carbonfasern in ihren mechanischen Eigenschaften gegenüber „klassischen“ Kohlenstofffasern?
Hermanutz: Carbonfasern die aus Highpercell-Cellulosefilamenten hergestellt werden erreichen die Eigenschaften konventioneller Carbonfaserntypen. Die neuen Carbonfasertypen haben ein etwas geringeren Elastizitätsmodul und sind dadurch weniger spröde.

Was sind derzeitige Anwendungen/Pilotprojekte – was ist für die Zukunft geplant?
Hermanutz: Es werden am neugegründeten Technikum Laubholz des Ministeriums für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz des Landes Baden-Württemberg, sowohl für die Highpercell-Technologie als auch für die Highpercellcarbon-Technologie Technikums-Pilotanlagen aufgebaut, um den industriellen Technologietransfer zu ermöglichen.

Wie nachhaltig ist die Technologie? Gibt es Messungen, Vergleichswerte, die den ökologischen Nutzen aufzeigen?
Hermanutz: Beide Verfahren sind sehr nachhaltig, was unter anderem durch den sehr geringen Carbonfootprint beider Verfahren, im Vergleich zu konventionellen Verfahren, nachgewiesen ist.

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Deutsche Institute für Textil- und Faserforschung Denkendorf (DITF)

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