Ein Krankenhaus ohne Kunststoffe? Quasi unmöglich: Einmalhandschuhe, Spritzen, Schläuche, aber auch die Gehäuse hochwertiger Medizinprodukte und deren Komponenten. Kunststoffe sind aus der Medizintechnik nicht mehr wegzudenken. Das Umweltbundesamt (UBA) hat in seinem Bericht „Ressourcenschonung im Gesundheitssektor“ [1] vom Januar 2021 aufgezeigt, dass der Ressourcenverbrauch im Gesundheitssektor in den vergangenen Jahren massiv zugenommen hat. So ist dieser im 20-Jahres-Zeitraum von 1995 bis 2016 um rund 80 % gestiegen. Erhebungen zeigen, dass allein Krankenhäuser für fast 5 Mio. t Müll pro Jahr verantwortlich sind, wobei circa 20 % dieser Menge aus kunststoffhaltigen Abfällen besteht. Damit sind sie der fünftgrößte Abfallerzeuger in Deutschland [2]. Abfälle aus anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens wie Rehakliniken, Pflegeheimen und Arztpraxen sind hierbei noch gar nicht berücksichtigt und müssen deshalb für eine Gesamtbetrachtung ebenfalls mitbeachtet werden.
Was ist Kreislaufwirtschaft überhaupt?
Gemeint ist hier nicht (nur) das Kreislaufwirtschaftsgesetz, das es in Deutschland seit den 90er-Jahren gibt und das auch die Abfallvermeidung in den Vordergrund stellt, aber vor allem die Schadstoffbeseitigung im Abfall zum Ziel hat. Man spricht hier auch von einer Kreislaufwirtschaft beziehungsweise Circular Economy, deren oberste Priorität es ist, Abfälle gar nicht erst entstehen zu lassen. Die dabei geltenden sogenannten 10R-Prinzipien der Circular Economy werden nach dem Grad der Kreislauffähigkeit priorisiert und angewandt: von der intelligenteren Nutzung und Herstellung von Produkten (Refuse, Rethink, Reduce) über die Verlängerung der Lebensdauer von Produkten und ihren Bestandteilen (Reuse, Repair, Refurbish, Remanufacture, Repurpose) bis hin zur sinnvollen Wiederverwendung von Materialien (Recycle, Recovery).
Wie steht es konkret um die Kreislaufwirtschaft in der Medizintechnik?
Der Trend geht zu immer mehr Einwegmaterialien: hygienisch einfacher und teilweise sogar kosteneffizienter, da viele Krankenhäuser ihre Aufbereitungsstationen abgeschafft haben beziehungsweise das Erstattungssystem deren Einsatz quasi belohnt. Ökologisch betrachtet ist dieser Trend besonders bei teuren und komplexen Produkten mehr als fragwürdig. Gleichzeitig werden die Produkte, auch Einwegprodukte, in der Regel aus sehr hochwertigen Materialien hergestellt, die vielen Anforderungen wie etwa Biokompatibilität genügen müssen. Recycling, insbesondere die thermische Verwertung, steht in der Circular Economy an allerletzter Stelle, quasi als Notlösung. Doch genau das passiert mit den meisten Krankenhausabfällen, sie werden verbrannt und nur die Energie wird zurückgewonnen. Doch warum ist das so? In Deutschland ist die Abfallwirtschaft kommunal geregelt. Dabei orientieren sich die Kommunen an der Leitlinie Laga-M 18, welche die thermische Verwertung des Klinikabfalls vorsieht. Die Möglichkeit, die Abfälle zunächst zu dekontaminieren und dann einer normalen stofflichen Verwertung zuzuführen, ist nicht vorgesehen. Anlagen für ein solches Verfahren würden allerdings schon existieren. Derzeit laufen Gespräche, um einen Testbetrieb zu ermöglichen. Remondis Medison und Resourcify sind hier in mehreren Projekten mit Herstellern aktiv. Darüber hinaus arbeitet das Projekt Cimple der TU München mit verschiedenen Partnern aus Äthiopien und Deutschland an Recyclingmöglichkeiten.
Wie der Wandel hin zur Kreislaufwirtschaft gelingt
Die regulatorischen Anforderungen an Medizinprodukte sind hoch, denn die Produkt- und Patientensicherheit haben immer oberste Priorität. Gleichzeitig gilt es, das Patientenwohl zu gewährleisten und Geschäftsmodelle und Medizinprodukte so zu verändern, dass Kreisläufe entstehen. Um beim Beispiel der Kunststoffe zu bleiben: Für den Einsatz in Medizinprodukten werden in der Regel besonders hochwertige und sortenreine Materialien verwendet. Daher sollten diese so lange wie möglich im Gebrauch bleiben und so eingesetzt werden, dass am Ende ihrer Lebensdauer ein stoffliches Recycling überhaupt möglich ist. Die Circular Economy beginnt bereits bei der Produktentwicklung. Um Medizinprodukte langlebiger, komplett oder in Teilen wiederverwendbar, reparierbar, recyclingfreundlicher im Design oder auch in den Materialien zu gestalten, ist ein Umdenken in der Entwicklung notwendig. Hier ist die Kommunikation zwischen den Akteuren ganz entscheidend. Denn nicht in jeder F&E-Abteilung ist das Wissen der Entsorgungsbetriebe über die Möglichkeiten des stofflichen Recyclings, aber auch der Unternehmen, die Remanufacturing und Reparaturen anbieten, in der Tiefe vorhanden. Aus der Regulatorik ergibt sich außerdem, dass aktuell kein Kunststoffrezyklat für die Verwendung in Medizinprodukten zugelassen ist. Das Material sollte jedoch im Anschluss für andere Einsatzzwecke nutzbar gemacht werden. Ein chemisches Recycling wäre hierbei möglich, wird aber derzeit kaum eingesetzt und ist in der Regel sehr energieintensiv. Gleichzeitig ist die Gesamtmenge an Kunststoffabfällen aus dem Gesundheitssektor im Gegensatz zu anderen Branchen relativ gering. Dies stellt die Entsorger vor eine große Herausforderung. Das Projekt Medicircle hat als Kooperationsprojekt bayerischer Cluster, gefördert durch das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie, die verschiedenen Stakeholder entlang des Lebenszyklus von der Entwicklung über die Anwendung bis hin zur Entsorgung an einen Tisch gebracht, um den Lebenszyklus von Medizinprodukten zu analysieren und gemeinsam erste Lösungsideen zu entwickeln und First-Practices für erfolgreiche erste Schritte in eine Circular Economy zu identifizieren. Gleichzeitig wurden die drei Stakeholdergruppen zur Circular Economy in der Medizintechnik befragt. Hier zeigt sich, dass vor allem die Kommunikation zwischen den Stakeholdern verbesserungswürdig ist. Spricht die Entwicklungsabteilung eines Herstellers mit potenziellen Entsorgern, um ein möglichst leicht recycelbares Produkt zu entwickeln? Welche Kommunikation findet zwischen den Versorgern und Entsorgern statt, um die Abfälle den richtigen Kategorien zuzuordnen und möglichst wenig Abfälle in die Hochtemperaturverbrennung geben zu müssen? Die Befragung hat deutlich gezeigt, dass keine der Akteursgruppen mit der Kommunikation – sofern sie denn überhaupt stattfindet – wirklich zufrieden ist. In Bezug auf die 10R der Circular Economy wird deutlich, dass aktuell besonders die Reparatur, die Reduktion von Abfällen und das Recycling im Fokus von Herstellern und Anwendern stehen. Grundsätzlich lässt sich zusammenfassen, dass es Zeit und Raum für Kommunikation und Wissenstransfer zwischen den Akteursgruppen braucht. Sowohl durch Netzwerke und Clusterorganisationen als auch durch mehr zeitliche und finanzielle Kapazitäten bei den Versorgern. Für die Entsorger bietet sich hier die Chance, ihr Dienstleistungs- und Beratungsangebot für die Versorger auszuweiten, aber auch für die Hersteller zu erweitern. Die Regulatorik ist eine große Herausforderung, insbesondere im Bereich der Entsorgung. Das Thema Digitalisierung muss weiter gestärkt werden, um Prozesse transparenter zu gestalten und die Messbarkeit von Maßnahmen zu ermöglichen. Weitere Informationen in der Broschüre des Projekts [3].
Was befindet sich bereits in der Umsetzung?
In den letzten Jahren sind viele Initiativen entstanden, die sich mit dem Thema Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen beschäftigen und für Vernetzung und Information sorgen. Seltener wird auch das Thema Kreislaufwirtschaft aufgegriffen. Im vergangenen Jahr hat sich zudem die Allianz für nachhaltige Medizintechnik aus Biopro Baden-Württemberg, Biovox Connect und Bayern Innovativ Gesundheit gegründet, die mit einer monatlichen Online-Veranstaltungsreihe die Akteure vernetzt und informiert.
Quelle: Bayern Innovativ
Literatur
[1] Ostertag, Katrin / Bratan, Tanja / Gandenberger, Carsten / Hüsing, Bärbel / Pfaff, Matthias (2021): Ressourcenschonung im Gesundheitssektor – Erschließung von Synergien zwischen den Politikfeldern Ressourcenschonung und Gesundheit. 15/2021. Dessau-Roßlau.
[2] Remondis Medison (2018): In Krankenhäusern sind 60 Prozent der Abfälle Hausmüll. https://www.abfallmanager-medizin.de/zahl-des-monats/in-krankenhaeusern-sind-60-prozent-der-abfaelle-hausmuell/
[3] Brauer, Stefanie / Kleemann, Tina / Schichl, Eva / Wendel, Marco (2024): MeDiCircle - Circular & Digital Medtech. https://www.bayern-innovativ.de/uwao-api/faila/files/bypath/pdf-dokumente/innovationsnetzwerk-gesundheit/medicircle-broschuere.pdf?mod=2024-04-05T09:06:35.717Z&published=false
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