Aus dem Basisbaustein 5-HMF lassen sich 175 biobasierte Chemikalien herstellen.  Zu den möglichen Downstream-Applikation gehören PET, Polyester und andere Biokunststoffe.

Aus dem Basisbaustein 5-HMF lassen sich 175 biobasierte Chemikalien herstellen.Zu den möglichen Downstream-Applikation gehören PET, Polyester und andere Biokunststoffe. (Bild: AVA)

Die chemische Industrie basiert heute überwiegend auf fossilen Rohstoffen wie Erdöl und Erdgas. Aus diesen werden sogenannte Basis- oder Plattform-Chemikalien hergestellt, die wiederum als Ausgangsstoffe für viele verschiedene Industrieprodukte dienen, beispielsweise für Kunststoffe oder Stoffe für Beschichtungen, Farben und Lacke. Angesichts von Ressourcenknappheit, Klimawandel und dem Streben nach nachhaltiger Entwicklung steigt allerdings das Interesse an erneuerbaren Rohstoffen, die das Erdöl ersetzen können. Pflanzen binden das Kohlendioxid der Atmosphäre in ihrer Biomasse. Bindet man die Kohlenstoffverbindungen der Pflanzen in Produkten, kann man die Erhöhung der Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre durch die fossil basierte Industrialisierung wieder rückgängig machen. Die meisten Kohlenstoffverbindungen in Pflanzen sind Zucker, wie Cellulose in Bäumen. Aus Zucker kann man unter anderem die Plattformchemikalie 5-Hydroymethylfurfural machen.
Eine Schlüsselrolle beim Wandel von der erdölbasierten Chemie zu einer Chemie auf der Grundlage von Biomasse könnte die Plattform-Chemikalie 5-Hydroxymethylfurfural, kurz 5-HMF spielen. Als eine der wichtigsten und vielfältigsten Plattform-Chemikalien bildet 5-HMF die Basis für über 175 wertvolle biobasierte Folgechemikalien  wie zum Beispiel 2,5-Furandicarbonsäure (FDCA), 2,5-Bishy-droxymethylfuran, Adipinsäure oder Monomere zur Herstellung von Hochleistungspolymeren, und findet dabei Anwendung in der Kunststoff-, Pharmazeutischen-, Lebensmittel- oder der chemischen Industrie.

5-HMF ist eine organische Kohlenstoffverbindung, gewonnen durch die  Dehydratisierung von bestimmten Zucker (Hexosen, C6) und kann technisch und ökonomisch sinnvoll nur aus Biomasse hergestellt werden. 5-HMF besteht aus einem Furanring mit zwei funktionellen Seitengruppen – Aldehyd und primärer Alkohol. Durch geeignete chemische Modifikationen einer oder beider funktioneller Gruppen können daher verschiedene Monomere zur Herstellung von neuen Polymeren wie zum Beispiel PEF (Polyethylenfuranoat) hergestellt werden. Der Furanring kann chemisch auch als dehydratisiertes Di-Enol angesehen werden. Durch Aufspaltung dieses Rings können ebenso bi-funktionelle Monomere hergestellt und dadurch viele erdölbasierte Polymere durch biobasierte ersetzt werden (Drop-In-Polymere wie Polyamide, -ester, -urethane). 5-HMF ist eine helle, feste, sehr gut wasserlösliche Substanz mit niedrigem Schmelzpunkt.
Durch einen neuartigen, skalierbaren hydrothermalen Produktionsprozess kann 5-HMF in Zukunft in industriellen Mengen hergestellt werden. Dabei besteht die Möglichkeit, 5-HMF in kristalliner Form mit einer Reinheit von bis zu 99,9 % oder in wässriger Lösung herzustellen. Der Produktionsprozess basiert auf einem hydrothermalen Prozess und bietet den großen Vorteil, dass die gesamte Reaktion in Wasser als Lösemittel abläuft.

Vielfältige Applikationen

2,5-Furandicarbonsäure ist eine Dicarbonsäure, die durch Oxidation von 5-HMF erzeugt werden kann. Mit ihrer strukturellen Ähnlichkeit zu Terephthalsäure kann sie als Grundstoff des PET (Polyethylenterephthalat) -ähnlichen Biopolymers PEF benutzt werden und somit den CO2-Fußabdruck von Kunststoffflaschen oder anderen Verpackungen erheblich verbessern.
PEF bietet neben dem besseren CO2-Fußabdruck aber noch weitere Vorteile. So weist PEF gegenüber PET bedeutend bessere Barriere-Eigenschaften für CO2, O2 und H2O auf, was neue Anwendungen erlaubt und die Lebensdauer, das „shelf live“, der geschützten Produkten verlängert. Zudem sparen  die verbesserten Barriere-Eigenschaften und die Zugfestigkeit von PEF Material bei Verpackungen und  Produktionskosten.
5-HMF lässt sich selektiv zu Bis-hydroxymethylfuran reduzieren. Dieses Diol bildet mit verschiedenen Polyisocyanaten lineare oder vernetzte Polyurethane mit unterschiedlichsten Eigenschaften. Der Grad der Vernetzung und die Möglichkeit, die Engmaschigkeit der Vernetzung durch Verwendung bestimmter Polyisocyanate zu variieren, führen zu biobasierten Kunststoffen, welche Duroplaste, Thermoplaste oder auch Elastomere sein können. So werden bereits auf der Basis von 5-HMF Polyurethane hergestellt , um daraus unschmelzbare, unlöslichen Fasern zu produzieren.
Unter Ringöffnung kann 5-HMF zu biobasierter Adipinsäure konvertiert werden, einem wichtigen Baustein in der Synthese von Polyamiden wie zum Beispiel Nylon. Adipinsäure ist auch ein Vorprodukt für die Herstellung von Polyesterpolyolen für Polyurethansysteme und thermoplastische Polyurethane. Anwendungsgebiete hierfür sind Elastomere, Weich- und Hartschäume. Hochsiedende Esterprodukte der Adipinsäure, speziell Diethylhexyladipat, werden als Ersatz für Phtalsäureester als Weichmacher in Polyvinylchlorid (PVC) eingesetzt.
Durch Reduktion von Adipinsäure wiederum entsteht 1,6-Hexandiol, ein wichtiger Baustein für die Produktion von Hochleistungspolyestern, Polyurethanharzen und Klebstoffen. Die weltweite jährliche Produktion allein dieser Synthesechemikalie aus fossilen Rohstoffen beträgt etwa 33.000 Tonnen.

5-HMF als Ersatz für Formaldehyd

Neben den interessanten und vielfältigen Anwendungsbereichen im Kunststoffbereich bietet 5-HMF auch als Ersatz von Formaldehyd in Duroplasten eine gesundheitlich unbedenkliche, biobasierte Alternative. Die Phenol-Formaldehyd-Harz Fertigungsindustrie steht vor einer wachsenden Heraus-forderung. Die Verwendung von
krebserzeugenden Formaldehyds hat nachteilige Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und steht einer wachsenden Kritik gegenüber.
Glucose und eines seiner Derivate, 5-Hydroxymethylfurfural (5-HMF) haben sich mittlerweile als potenzielle Ersatzstoffe für Formaldehyd in der Synthese von Phenol-Novolak-Harzen (Phenoplasten) und Melaminharzen (Aminoplasten) bestätigt. Harnstoff-Formaldehyd und Phenol-Formaldehyd-Kondensationsharze sind zurzeit die wichtigsten Arten von Duroplasten. Diese werden unter anderem als Klebstoffe zum Binden fester Lignocellulose-Materialien wie beispielsweise Holz verwendet. Die Harze werden üblicherweise als wässrige Produkte mit hohem Feststoffgehalt produziert. Verwendung findet aber auch eine pulverförmige Variante, welche in Wasser gelöst oder direkt auf die Lignocellulose-Teilchen vor dem Heißpressen aufgebracht wird. Eines der Hauptanwendungsgebiete ist die Produktion von Spanplatten. Obwohl der größte Teil des bei der Bildung des Harzes verwendeten Formaldehyds mit dem Harnstoff oder Phenol reagiert, gast immer noch freies Formaldehyd aus. Die Hydrolyse des Harzes kann zudem ebenfalls zur Freisetzung der Chemikalie  aus dem Endprodukt führen. Formaldehyd ist als karzinogen eingestuft. Seine Präsenz in der Umwelt stellt ein potenzielles Problem für die öffentliche Gesundheit dar und steht daher seit Jahren in der öffentlichen Kritik. Die Industrie ist demnach stark daran interessiert, Klebstoffe zu entwickeln, welche weder Formaldehyd als Bestandteil haben noch solches bei der Hydrolyse freisetzen. Zudem basieren die meisten im Handel erhältlichen Kondensationsharze auf Erdöl oder Erdgas. Die Verfügbarkeit dieser nicht erneuerbaren Ressourcen ist langfristig nicht gesichert oder unterliegt zumindest einer großen Preisvolatilität. Es ist daher auch wirtschaftlich sinnvoll, Kondensationsharze auf Basis von biobasierten, erneuerbaren Materialien zu produzieren. Die Eignung von biobasierten 5-HMF als künftiger Ersatz für Formaldehyd in Duroplasten wurde in der Vergangenheit bereits in einer Vielzahl von Studien und Untersuchungen bestätigt. Biobasiertes 5-HMF als Formaldehydersatz in Duroplasten stellt also bereits heute eine Alternative dar.

Die Wertschöpfungskette

5-HMF lässt sich aus Biomasse in einem Prozess unter Hochdruck in wässriger Lösung herstellen. Hydrothermale, also unter Wärme und Druck in Wasser geführte Prozesse, haben den Vorteil, dass sie vollständig im Medium Wasser ablaufen, was zu entsprechenden Kostenvorteilen bei der Produktion von 5-HMF führt, wenn das Ausgangsmaterial wie die Biomasse schon Wasser enthält oder sowieso wie heute üblich in diesem aufbereitet wird (Papier-, Zucker- und Stärkeherstellung).

Darstellung der Wertschöpfungskette des 5-HMF Prozesses. (Quelle: AVA)

Darstellung der Wertschöpfungskette des 5-HMF Prozesses. (Quelle: AVA)

Der skalierbare Prozess erlaubt es, in Zukunft 5-HMF als Bulk Chemikalie herzustellen. Nur durch die entsprechenden Skaleneffekte werden biobasierte Verbindungen wie 5-HMF in Zukunft mit petro-basierten Alternativen preislich konkurrenzfähig sein. Mit der Inbetriebnahme der weltweit ersten, kommerziellen Produktionsanlage für 5-HMF durch AVA Biochem in Muttenz, Schweiz ,konnte der Beweis erbracht werden, dass der Prozess sehr effizient funktioniert. Bereits heute wird 5-HMF in wässriger Lösung oder in kristalliner Form mit einer Reinheit von bis zu 99,9 % angeboten.
Als nächsten Schritt plant die Mutter-gesellschaft die großtechnische Umsetzung der Technologie. Als Spezialist zur Produktion von 5-HMF kooperiert das Unternehmen mit allen Beteiligten in der Wertschöpfungskette – vom Lieferanten der Biomasse über die Chemieindustrie und deren Folgeindustrien bis zu den Endanwendern. Es bringt seine Kernkompetenz der Umwandlung von Fructose in Wasser zu 5-HMF in Wasser in die Kette der Kernkompetenzen der anderen Industriepartner ein und ermöglicht somit völlig neue Wege zur Herstellung bekannter und neuer Produkte. Durch den innovativen, skalierbaren Produktionsprozess für zuckerbasiertes 5-HMF ist ein wichtiger Schritt in Richtung bio-basierter Chemie gelungen. Der Weg zu Verpackungen und Kunststoffen, welche 100 % auf Biomasse basieren, ist damit ein wichtiges Stück einfacher geworden.

 

 

 

Experten Tipp

HMF aus Stroh mit Mikroreaktortechnik
Aus HMF lassen sich Polymer-Bausteine herstellen und diese könnten PET (Polyethylenterephthalat) ersetzen. Ersetzt man einen Hauptbestandteil (Terephthalsäure) von PET durch die biogene Alternative FDCA (Furandicarbonsäure), dann entsteht statt PET das Polymer PEF (Polyethylenfuranoat). PEF und PET sind einander chemisch sehr ähnlich und haben auch beinahe dieselben Materialeigenschaften – allerdings ist PEF sogar noch etwas undurchlässiger für Gase. Die Marktaussichten für ein solches Material sind vielversprechend: Allein in Österreich gibt es einen Markt für über 50.000 Tonnen PET pro Jahr. „Das war auch der Grund, warum sich die chemische Industrie von Anfang an sehr für unser Projekt interessiert hat“, sagt Dr. Michael Schön. Der Chemiker erhielt im Dezember 2014 den Ernst-Fehrer-Preis der TU Wien. Er entwickelte in seiner Dissertation Verfahren, mit denen aus Bio-Reststoffen wie Stroh bessere Bio-Treibstoffe oder Plastikflaschen werden können. Durch moderne Durchfluss-Mikroreaktortechnologie wurde es möglich, chemische Reaktionen, die nur bei hohen Drücken und Temperaturen ablaufen, unter Berücksichtigung wichtiger Sicherheitsaspekte durchzuführen. Dr. Michael Schön, Institut für Angewandte Synthesechemie, Technische Universität Wien,
michael.schoen@tuwien.ac.at.

 

Autor
Thomas Kläusli
ist Chief Marketing Officer
von AVA-CO2 in Zug, Schweiz.
tk@ava-co2.com

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