
Isabell Mathes und Stefan Caba testen am Demonstrator die einseitig gelagerte Sitzstruktur. Diese ermöglicht eine gute Zugänglichkeit unter dem Sitz, da bei Carsharing-Fahrzeugen eine einfache Reinigung besonders wichtig ist. (Bild: Redaktion)
Nachhaltigkeit ist das allüberspannende Thema aktueller technischer Diskussionen. Zum Erreichen des Ziels einer emissionsfreien Mobilität rücken, neben der schon länger betrachteten Nutzungsphase, nun auch die Herstellung und das Recycling zunehmend in den Fokus. Insbesondere kohlenstofffaserverstärkte Kunststoffe (CFK) zeigen einen hohen CO2-Fußabdruck durch das thermisch aufwendige Herstellen der Fasern und dem späteren Aushärten der verwendeten Harze. Die mit Leichtbau erzielbaren Verbrauchseinsparungen können diese negativen Effekte daher in der Regel nicht innerhalb eines Fahrzeuglebens ausgleichen. Faserverbunde lassen sich zudem aufgrund der Mischung unterschiedlicher Werkstoffe besonders schlecht stofflich verwerten.
Im Rahmen des von der EU kofinanzierten Forschungsprojekts Fibereuse – „Groß angelegte Demons-tration der technisch-wirtschaftlichen Vorteile der neuen Wertschöpfungsketten der Kreislaufwirtschaft auf der Grundlage der Wiederverwendung von faserverstärkten Verbundwerkstoffen am Ende des Lebens“ wurde 2017 mit dem Ziel ins Leben gerufen, das Problem der Entsorgung ausgedienter Faserverbunde zu lösen. Am Projekt waren zahlreiche Unternehmen und Universitäten in ganz Europa beteiligt. Die Leitung des Projektes hatte die Polytechnische Universität Mailand, Italien. In der 4-jährigen Projektlaufzeit wurden Lösungen entwickelt, wie Faserver-bunde in eine Kreislaufwirtschaft überführt werden können, die zu niedrigeren Gesamtemissionen führt.

Welche Aspekte betrachtet wurden
In Use-case 1 wurde das mechanische Recycling von kurzfaserverstärktem GFK und deren Wiederverwendung untersucht. In Use-case 2 wurde das thermische Recycling von Langfasern (GFK und CFK) und deren Wiederverwendung betrachtet. Im dritten Use-case wurden neue Anwendungsfelder für Duroplaste mit recyclierten Fasern gefunden und daraus neue Bauteile für die Automobilindustrie hergestellt. Der dritte Use-case, die direkte Wiederverwendung des Bauteils, wurde von den Partnern Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) in Chemnitz, Invent in Braunschweig, und Edag Engineering in Fulda, bearbeitet.
Die Idee hinter Use-case 3 war, die Bauteile so zu konstruieren, dass sie über mehrere Produktlebenszyklen verwendet werden können, ohne Eigenschaftsverluste hinnehmen zu müssen. Es zeigte sich, dass kohlefaserverstärkte Kunststoffe (CFK) aufgrund ihrer besonders hohen Dauerfestigkeit für die Wiederverwendung sehr gut geeignet sind. „Zunächst mussten jedoch am Fahrzeug Komponenten identifiziert werden, bei denen CFK seine Leichtbaueigenschaften besonders gut ausspielen kann“, erläutert Stefan Caba, Leiter des Competence Center Nachhaltige Fahrzeugentwicklung bei Edag. „Mit der Struktur des Fahrzeugbodens und der eines Sitzes wurden Bauteile gewählt, die einerseits aufgrund ihres Volumens große Gewichtseinsparungen ermöglichen. Andererseits können sie eins-zu-eins über sieben Fahrzeugleben, sprich über die gewünschten 30 Betriebsjahre eingesetzt werden, da sie vom Design des Fahrzeugs unabhängig sind.“ Die Weiternutzung erfolgt natürlich nur, sofern die Komponenten noch vollständig intakt sind oder aufbereitet werden können.
Die wiederverwendbaren Strukturen eignen sich sehr gut für den Einsatz in Carsharing-Fahrzeugen, da diese in der Regel eine hohe Laufleistung in kurzer Zeit erfahren. Die wiederverwendeten Bauteile sparen Betriebskosten im Gesamtlebenszyklus ein und erhöhen die Gewinne der Betreiber. Weiterhin lassen sich basierend auf diesen Strukturen vereinfachte, betreiberspezifische Fahrzeuge mit Designs für das jeweilige Einsatzgebiet erzeugen.
Hintergründe zum Projekt Fibereuse

Fibereuse demonstriert in großem Maßstab eine Reihe von ökologisch und gleichzeitig wirtschaftlich rentablen Lösungen für die Behandlung und Verwertung von End-of-Life-Verbundstoffabfällen (EoL) aus verschiedenen Produktionssektoren. Ein ganzheitlicher Ansatz, der auf der synergetischen Nutzung verschiedener Technologien basiert, wird beim Realisieren von drei groß angelegten Anwendungsfällen umgesetzt. Jeder dieser großen Anwendungsfälle hat mehrere andere Demo-Fälle hervorgebracht, um den Kreislauf des Lebenszyklus von Verbundwerkstoffen in verschiedenen Industriesektoren aus Sicht der Kreislaufwirtschaft zu schließen. Es wurden auch Verbindungen zwischen den verschiedenen Anwendungsfällen realisiert, um das Ausmaß der Kreislaufwirtschaft im Verbundwerkstoffsektor weiter auszudehnen.
Welche Produktionsverfahren eingesetzt werden
Zur Konzeption wurde vom Engineering-Unternehmen Edag die Karosserie in funktionale Einheiten aus den jeweilig besten Werkstoffen aufgeteilt. Crash-absorbierende Bereiche bestehen aus Aluminium und der für die Fahrzeugsteifigkeit verantwortliche Grundrahmen wurde in einer CFK-Profilbauweise hergestellt. Dieser wurde mit dem kostengünstigen und verschnittsparenden Pultrusionsverfahren gefertigt. Der Rahmen besteht aus einem drei Kammern umfassenden Profil, in dem unterschiedliche Faserausrichtungen genutzt werden, um die hohen Biegekräfte aufzunehmen, die im Falle eines Crashs auf das Bauteil wirken. Weiterhin wurde das Konzept auf im Radiuspultrusionsverfahren produzierte Profile erweitert. Dieses Verfahren wurde am Fraunhofer IWU bereits für Bauteile aus dem Sportsektor und dem Automobilbereich erfolgreich eingesetzt. Mit diesem Verfahren gefertigte Bauteile ermöglichen beim Front- oder Heckaufprall Crashlasten ähnlich einem Brückenbogen aufzunehmen und um die zu schützenden Bereiche der Fahrgastzelle und der Batte-rien herum zu leiten. Über Knotenelemente sind die Profile verbunden. In ähnlicher Bauweise wurde von Invent eine Sitzstruktur entworfen, die an den Ecken ebenfalls mit Knotenelementen verbunden ist.
Wie die Fasern wiedergewonnen werden

Pressverfahren wie das Verarbeiten von Bulk Molding Compounds (BMC) oder Sheet Molding Compounds (SMC) wurden als positive Beispiele identifiziert, um wiedergewonnene Fasern zu nutzen. Die recycelten Glasfasern stammten beispielsweise von den Flügeln von Windrädern sowie Abdeckplatten während die Kohlenstofffasern aus End-of-Life-Bauteilen wie Tragflächen, Rumpfteilen und weiteren Teilen von Flugzeugkonstruktionen der Luftfahrtindustrie rührten. „Beim Gewinnen der Fasern handelt es sich um Downcycling, da die Fasern mit jedem Verarbeitungsschritt kürzer werden, aber in einer entsprechend ausgewählten Anwendung vollumfänglich ihre Eigenschaften entfalten“, berichtet Caba.
Um Recyclingfasern zu erhalten, wird die Epoxid-matrix unter hoher Temperatur und Sauerstoffausschluss kontrolliert zersetzt, sodass die Fasern zurückbleiben. Die erhaltenen Faserstücke unterschiedlicher Länge wurden mit einer innerhalb des Konsortiums entwickelten Schlichte im Sprühverfahren benetzt. „Das Aufbereiten der Fasern klappte gut und gleichmäßig, sodass beim Weiterverarbeiten die Verbindung zu allen gängigen Harzsystem hergestellt werden konnte“, erläutert Stefan Caba. „Diese Anbindung ist äußerst wichtig, da nur dann ein effektives Einleiten von Kräften und damit die Verstärkungswirkung der Fasern in der Matrix überhaupt möglich ist.“
Die Profilkonstruktion der Plattform wird mit dem Schweller über eine Polyurethanklebverbindung verbunden, die aufgrund der unterschiedlichen Wärmeausdehnungskoeffizienten eine Klebspaltdicke von rund 5 mm besitzen muss. Diese Spaltdicke reicht bei der Demon-tage aus, um die Verbindung gezielt mechanisch, beispielsweise mit einer Säge, zu trennen. Die verbliebenen Klebstoffrückstände können leicht abgeschliffen werden. In Versuchen wurde gezeigt, dass dieses Verfahren praktikabel, kostengünstig und wiederholt durchführbar ist. Das mechanische Lösen der Verklebung im Bereich der Knoten gestaltete sich als sehr aufwendig. Deshalb wurde eine selbstlösende Klebverbindung entwickelt. Die gefügten Bauteile erfahren im eingebauten Zustand keine Temperaturen von mehr als 100 °C. In einer zum Patent angemeldeten Technologie werden thermisch aktivierbare Mikrokugeln genutzt, die sich beim Erwärmen über 100 °C stark ausdehnen und dabei gezielt ausschließlich die Klebverbindung lösen. Auf diese Weise können die Bauteile in kurzer Zeit in einem einfachen Ofen getrennt und anschließend aufbereitet werden.

Warum die Bauteile im Kreislauf bleiben sollen
Kernidee des Use-case 3 ist jedoch das Wiederverwenden der Bauteile über mehrere Lebenszyklen eines Fahrzeugs. Um dies zu ermöglichen, sind lösbare Verbindungen notwendig. Schraub- und Bolzenverbindungen sind bei Faserverbunden meist nicht ideal, da hier die Krafteinleitung nur mit erhöhtem Aufwand erfolgen kann und damit nicht fasergerecht ist. Daher wurden von den drei Partnern gezielt lösbare Klebeverbindungen erarbeitet.

Wie sich der CO2-Footprint senken lässt
Die neuartigen Konstruktionsweisen, Werkstoffe und Verfahren wurden zu einem Gesamtkonzept vereint und einer ökologischen sowie ökonomischen Bewertung unterzogen. Hierbei konnte gezeigt werden, dass sich die hohen Emissionen beim Herstellen der Carbonfasern schon durch die erste Wiederverwendung der Plattform im Vergleich zu einer Stahlplattform verringern. Weitere fünf Lebenszyklen sind möglich, wodurch sich eine verbesserte Gesamtbilanz über den gesamten Lebenszyklus ergibt. Hierbei konnte auch gezeigt werden, dass die Gewichtseinsparung durch den Einsatz von Leichtbaustrukturen zwar eine wichtige, jedoch nicht die entscheidende Rolle spielt. Auf ökonomischer Seite wurde in einer Multifaktorsimulation gezeigt, dass es im Falle spezifischer Carsharing-Fahrzeuge möglich ist, Kosteneinsparungen zu realisieren, die zu einer gesteigerten Profitabilität führen können. Hierbei ist jedoch eine erhöhte Anfangsinvestition erforderlich. Das Wiederverwenden führt dabei zu einer gänzlich neuen Wertschöpfungskette, bei der die Aufbereitung der Strukturen eine entscheidende Rolle spielt.
Im Rahmen des Projekts wurden vielfältige konstruktive und verfahrenstechnische Lösungen aufgezeigt, die eine Kreislaufwirtschaft für Faserverbunde ermöglichen und zu positiven Beiträgen dieser Werkstoffklasse führen können. Entscheidend ist dabei, dass neue Wege beschritten und diese Technologien stetig weiter verbessert werden.
Die gute Anbindung gilt auch für das Compoundieren mehrfach wiedergewonnener Fasern in einem Thermoplasten, der im Spritzguss verarbeitet wird. Ebenso konnte von Forschern der Polytechnischen Universität Mailand gezeigt werden, dass sich aufbereitete Fasern im 3D-Druck mit photoaktiven Harzen verarbeiten lassen. Es stehen somit vielfältige Verfahrensvarianten zur Verfügung, um die einst energieintensiv hergestellten Kohlenstofffasern im Materialkreislauf zu erhalten.
Aus einer BMC-Pressmasse mit Recyclingfasern wurden am Fraunhofer IWU die Knotenelemente für Plattform und Sitzstruktur hergestellt. Außerdem wurde für den Batteriekasten prototypisch ein Verbindungselement in einem Niederdruckgussverfahren gefertigt.
Im Bereich des Kofferraums wurde der Boden im SMC-Verfahren konzipiert. Hinzu kommt die große Batteriewanne, in der ein Sandwichverbund aus recycelten Kohlenstofffasern (rCF) und Polyurethanschaum genutzt wird. Dieser kann im Nasspressverfahren aus Recyclingvliesen erzeugt werden. Auf diese Weise wird es möglich, bereits in Neuteilen Recyclingfasern einzusetzen, sodass der CO2-Fußabdruck bei der Teilefertigung stark sinkt.
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