Außen- und Innenteil einer weißen Kunststoffspritze, daneben weißes und durchsichtiges Granulat.

(Bild: Biovox)

Kunststoffe sind aus der Herstellung von Medizinprodukten und Pharmaverpackungen nicht wegzudenken, doch die Komplexität der Anforderungen an diese Werkstoffklasse nimmt zu. Mit der Einführung der VDI-Richtlinie 2017 wurde ein wichtiger Schritt zur Gewährleistung von Patientensicherheit, Verfügbarkeit und Qualität getan. Die Zukunft bringt jedoch weitere Herausforderungen mit sich: Eine strengere Regulierung umwelt- und gesundheitskritischer Stoffe ist wahrscheinlich, Beispiele sind PFAS, BPA und Phthalate. Die Klimagesetzgebung lässt auch Kliniken nach CO2-armen Produkten suchen – und fordert dasselbe von Inverkehrbringern. Dazu kommt das Thema Recycling: Bis 2034 müssen auch medizinische Primärverpackungen in der EU recyclingfähig sein. Absehbar ist die Relevanz des Recyclings auch für die Medizinprodukte, denn der Weg zur Kreislaufwirtschaft ist in der EU beschlossene Sache. Kurz: Kunststoffe im medizinischen Bereich müssen zunehmend Umweltaspekte wie den Umgang mit persistenten, bioakkumulierenden und toxischen (PBT) sowie hormonell wirksamen Stoffen berücksichtigen. Sie müssen einen deutlich reduzierten Carbon Footprint aufweisen und recyclingfähig sein.

Zwei Trokare: Im Vergleich zu einem konventionellen Trokar verfügt die optimierte Variante einen über 50 % reduzierten CO2-Fußabdruck – Röchling Medical und Biovox zeigen, wie das geht.
Im Vergleich zu einem konventionellen Trokar verfügt die optimierte Variante einen über 50 % reduzierten CO2-Fußabdruck – Röchling Medical und Biovox zeigen, wie das geht. (Bild: Röchling Medical)

Zukunftsfähige Kunststoffe kompetent auswählen

Für die Lösung dieser Herausforderungen sind Handlungen in mindestens vier Dimensionen notwendig:

  • In der Entwicklung wird der Umweltfußabdruck zu etwa 80 % festgelegt – ein geschicktes, recyclinggerechtes und ressourceneffizientes Design eines Produktes oder einer Verpackung ist die Grundlage. Life Cycle Assessments müssen integraler Bestandteil der Entwicklung sein.
  • Die Nutzung nachwachsender Ressourcen und die Verarbeitung in energieeffizienten Prozessen führt nicht nur zu langfristig geringeren Kosten, sondern realisiert die CO2-Einsparungen und sorgt für eine Verfügbarkeit zu adäquaten Kosten über das Zeitalter fossiler Brennstoffe hinaus.
  • Recycling von heute ungenutzten Wertstoffströmen wie klinischen Kunststoffabfällen wird kommen – Materialien müssen recyclingfähig sein.
  • Die Änderung von Geschäftsmodellen, beispielsweise weg vom Verkauf von Produkten hin zur Bereitstellung von Behandlungen, kann den Umsatz von einem eigentlich unnötig hohen Ressourcenstrom entkoppeln.

Nachhaltigere Lösungen für die Medizin

Für Kunststoffe sind erste Lösungen verfügbar. Der Ersatz von vergleichsweise energieintensiv hergestellten Kunststoffen wie ABS oder PC durch PE oder PP kann ein erster Schritt zur Reduktion des Fußabdrucks sein, wenn die Leistungsfähigkeit der Polyolefine ausreicht. Eine langfristig tragfähige Lösung können in der Breite der Anwendungen nachwachsende Rohstoffe bieten, im Optimalfall aus Reststoffströmen. Denn selbst bei einem hervorragend funktionierenden Recyclingsystem werden circa 20 % der Ressourcen stetig neu zugeführt, um Verluste in Sammlung und Aufbereitung auszugleichen und steigenden Bedarf zu decken. Nutzbar sind heute schon kosteneffizient verfügbare, biobasierte Polyolefine, Polylactide (PLA) und künftig Polyethylen-Furanoate (PEF). Während Polyolefine sehr gut mechanisch, aber wenig effizient chemisch zu rezyklieren sind, ermöglichen Polyester PEF sowie PLA ein sehr effizientes chemisches Recycling. Dieses beruht nicht auf Pyrolyse, sondern auf der mit wenig Energiezufuhr erreichbaren hydrolytischen Spaltung der Esterbindungen. Damit gelangt man effizient, ohne hohen Anteil an Nebenprodukten, zum sauberen Monomer zurück. Auf diese Weise haben chemisch rezyklierte Kunststoffe die gleichen Spezifikationen wie Neuware. Sie sind nachverfolgbar und sicher in der Medizin einzusetzen, bei einem um 30 bis 50 % geringeren Fußabdruck. Bei der Materialwahl müssen Aspekte wie die Sterilisierung berücksichtigt werden. Gammabestrahlung oder Heißdampf können die Polymere stark schädigen, was zu spezifischen Recyclingstrategien, nämlich der Bevorzugung chemischen Recyclings, führen kann – während kunststoffschonende ETO-Sterilisation einen im Vergleich hohen Klima-Fußabdruck aufweist, aber energieeffizientes mechanisches Recycling ermöglichen kann. Biovox als technologieunabhängiger Anbieter medizinischer Kunststoffe ist davon überzeugt, dass es nicht die eine Wunderlösung geben wird, sondern dass produktspezifisch unter Berücksichtigung des ganzen Produktlebenszyklus ausgewählte Kunststoffe verschiedener Polymerklassen ihre Daseinsberechtigung haben. Deswegen setzt das Unternehmen auf ein breites Produktportfolio und eine enge, interdisziplinäre Zusammenarbeit in den Entwicklungsprojekten mit Anwendern.

Der Wechsel von PC zu PP und biobasiertem PLA, die keine bedenklichen Chemikalien enthalten, bringt einen signifikanten Fortschritt in der biologischen Sicherheit und Umweltverträglichkeit.
Der Wechsel von PC zu PP und biobasiertem PLA, die keine bedenklichen Chemikalien enthalten, bringt einen signifikanten Fortschritt in der biologischen Sicherheit und Umweltverträglichkeit. (Bild: Röchling Medical)

Von Einweg-Trokaren und Verpackungstechnik

Recyclingfähige Werkstoffe, Materialkennzeichnung und demontagefreundliches Design helfen beim  Recycling.
Recyclingfähige Werkstoffe, Materialkennzeichnung und demontagefreundliches Design helfen beim Recycling. (Bild: Röchling Medical)

In der Medizintechnik stehen Einweginstrumente und Verpackungen im Mittelpunkt der Nachhaltigkeitsdebatte. Ein in großer Zahl genutztes Werkzeug bei laparoskopischen Eingriffen sind Trokare. Der Trokar ermöglicht einen sicheren Zugang in die Bauchhöhle für endoskopische Instrumente. Röchling Medical, Entwicklungspartner und Anbieter anwenderspezifischer Lösungen für die Medizintechnik, hat unter Verwendung von Biovox-Kunststoff einen Trokar entwickelt, bei dem die Nachhaltigkeit und die Verwendung zukunftssicherer Materialien Optimierungsziele waren. Durch belastungsgerechte Gestaltung konnte die Masse um 32 % gesenkt werden. Das ist besonders wirksam: Vermiedener Materialeinsatz kostet nichts, hat keinen CO2-Fußabdruck, muss nicht transportiert und nicht verarbeitet werden. Die Materialwahl hat hier neues Potenzial eröffnet: Durch die hohe Steifigkeit und Festigkeit von PLA in Form von Biovox Med Eco ICB konnten Bauteilquerschnitte bei gleicher Funktionalität reduziert werden. Acht statt zwölf Bauteile und der Einsatz von Schnappverschlüssen: So wurde die Montage vereinfacht und die Demontage für das Recycling optimiert (Design for Recycling). Auch die Verringerung der Materialvielfalt auf nur drei Typen (PLA, PP und Silikon) verbessert die Recyclingfähigkeit des Trokars. Eine eindeutige Materialkennzeichnung auf jedem Bauteil erleichtert zudem die korrekte Trennung und Verwertung. So wird die Kreislaufwirtschaft möglich. Der Wechsel von PC zu PP und biobasiertem PLA, die keine bedenklichen Chemikalien enthalten, bringt einen signifikanten Fortschritt in der biologischen Sicherheit und Umweltverträglichkeit. Das macht den Trokar unempfindlich gegenüber möglichen künftigen Verschärfungen der Anforderungen an biologische Sicherheit und senkt den CO2-Fußabdruck. Die Neugestaltung des Trokars führte zu einer Reduktion des Treibhauspotenzials um 51 % im Vergleich zum Standardprodukt bei vergleichbaren Kosten. Der Einsatz von einer Million dieser nachhaltigen Trokare könnte die CO2-Emissionen um 50 t CO2-Äquivalent verringern. In diesem Zusammenhang interessant: In einem Verpackungsprojekt konnte Biovox auf PLA-Basis durch Material- und Energieeinsparungen eine Halterung neurochirurgischer Instrumente um 55 % im CO2-Ausstoß senken, bei 4 % höheren Bauteilkosten – gegenüber dem kosteneffizienten Erdöl-PP. Das lässt sich durch bessere ESG-Ratings und gutes Marketing wieder einspielen.

Was ist jetzt zu tun?

Der Einsatz nachhaltiger und biologisch sicherer(er) Kunststoffe in der Medizintechnik, Labor- und Pharmabranche spielt im Kontext kommender und existierender Regulatorik eine zentrale Rolle für die Zukunftssicherheit der Branche. Neue Biokunststoffe stehen als Teil der künftigen Materialwelt für den Wandel hin zu umweltfreundlicheren und teils sogar leistungsfähigeren Kunststoffen. Bei den Hochleistungskunststoffen gibt es (noch) Lücken. Die Forschung an neuen Polymeren und Additiven steht nicht still, auch für höchste Anforderungen wird es in Zukunft nachhaltigere Alternativen geben. Für die Inverkehrbringer von Medizintechnik und Arzneimitteln gilt es nun, Lösungen zu entwickeln, die nicht nur leistungsfähig, sondern auch ressourcenschonend und sicher für Patienten UND Umwelt sind. Denn Umwelt- und Klimarisiken werden bei zunehmender Regulierung zu Geschäftsrisiken. Mit interdisziplinärer Zusammenarbeit in der Entwicklung und einer kompetenten Materialauswahl kann die Versorgungssicherheit mit Medizinprodukten und Pharmazeutika innerhalb der planetaren Belastungsgrenzen langfristig gewährleistet werden. Wer diese Herausforderung jetzt aktiv annimmt, stellt sich und sein Unternehmen zukunftsfähig auf und hilft Umwelt und Gesellschaft.

Quelle: Biovox, Röchling Medical

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