Bislang ließ sich Kunstleder nur schwer wiederverwerten. Ein neues Material soll das nun ändern. Ein Lederstück über den drei Kreislaufpfeile abgebildet sind. Daneben Pusteblumen, Blätter etc.

Bislang ließ sich Kunstleder nur schwer wiederverwerten. Ein neues Material soll das nun ändern. (Bild: Dalle3/OpenAI)

Bei vielen Kunstledern handelt es sich um flexible Verbundmaterialien, bei denen ein textiler Festigkeitsträger mit zumeist mehreren Lagen eines Polymers beschichtet vorliegt. Gegenwärtig werden für die Trägermaterialien und Beschichtung unterschiedliche Ausgangsstoffe eingesetzt. Es dominieren Gewebe oder Vliesstoffe aus PET als Träger und Polyvinylchlorid (PVC), Polyurethane oder Silicone als Beschichtungspolymere. Die Verwendung dieser etablierten Verbundmaterialien genügt nicht den heutigen Nachhaltigkeitskriterien. Solch aufgebaute Kunstleder zu rezyklieren ist sehr aufwändig oder gar unmöglich. Eine biologische Abbaubarkeit ist in der Regel nicht gegeben. Die Suche nach alternativen Materialien für die Herstellung ist daher im Sinne des Sustainable Product Design (SPD) von zentraler Bedeutung. Es handelt sich hierbei um eine der Kernforderungen des Green Deal. Für die Hersteller bedeutet dies, bereits bei der Produktgestaltung darzulegen, welche Möglichkeiten der rohstofflichen Wiedernutzung möglich sind bzw. sich Gedanken über ein End-of-Life-Szenario zu machen (Life Cycle Assessment). Oberste Ziele sind die Vermeidung von Abfallströmen und die Reduzierung des produktspezifischen Carbon Footprints.

Ziele und Lösungsansatz

Bei der Entwicklung neuer Kunstleder stehen vor allem zwei Zielforderungen im Vordergrund, die an das Design zu stellen sind:

  • Sortenreinheit des Verbunds, wodurch die Möglichkeit der Realisierung einer einfachen Rezyklierbarkeit geschaffen wird,
  • prinzipielle biologische Abbaubarkeit.

Erreichen lassen sich diese Forderungen, indem sowohl für die Faser-respektive Textilherstellung wie auch für die Beschichtung dasselbe Polymer verwendet wird. Ein Polymer, das sowohl als Ausgangsstoff für das Trägermaterial als auch als Ausgangsstoff für den Beschichtungsstoff verwendet werden kann, muss jedoch über ein spezielles Eigenschaftsprofil verfügen. Zur Herstellung von Trägermaterialien muss dieses Material einerseits spinnfähig sein und ausreichende mechanische Festigkeiten besitzen. Andererseits wird von dem Material eine hohe Flexibilität und Beständigkeit gegen Umwelteinflüsse gefordert, um als Beschichtungsstoff geeignet zu sein. Das Bio-Polymer Polybutylensuccinat (PBS) erscheint diesbezüglich sehr interessant, um als Alterna­tive in Frage zu kommen.

Ein Stück schwarzes Kunstleder: Muster des entwickelten Kunstleders bestehend aus PBS-Trägergewebe (weiß), Haftstrich (PBAT), Deckstrich (PBS) und Decklack mit der für Kunstleder typischen Prägung.
Bild 1: Muster des entwickelten Kunstleders bestehend aus PBS-Trägergewebe (weiß), Haftstrich (PBAT), Deckstrich (PBS) und Decklack mit der für Kunstleder typischen Prägung. (Bild: DITF)

Warum Polybutylensuccinat?

Beim PBS handelt es sich um einen thermoplastischen Polyester, der aus Bernsteinsäure (SA) und 1,4-Butandiol (BDO) synthetisiert wird. PBS gehört strukturell zur Gruppe der aliphatischen Polyester. Die verwendeten Edukte können sowohl aus fossilen als auch aus nachhaltigen Quellen gewonnen werden. Für die fossile Route wird SA durch Hydrierung von Maleinsäureanhydrid, das durch Oxidation von Butan oder Benzol und anschließende Hydratisierung gewonnen. SA kann jedoch auch durch bakterielle Fermentation von erneuerbaren Rohstoffen wie Stärke oder Glukose hergestellt werden. Mehrere Bakterienstämme sind in der Lage, SA zu produzieren. BDO kann durch verschiedene chemische Prozesse, aber auch durch katalytische Reduktion von gereinigtem SA, das durch Fermentation von aus Mais gewonnener Glukose gewonnen wird, gewonnen werden. Darüber hinaus ist gentechnisch verändertes Escherichia coli in der Lage, Zucker zu BDO zu fermentieren. Die Synthese von PBS umfasst die Veresterung von SA und BDO oder die Umesterung von Dimethylsuccinat und BDO, um Oligomere zu erhalten, die der Polykondensation unterzogen werden. PBS ist im Handel mittlerweile in Form verschiedener Brands – zumindest teilbiobasiert – zu einem moderaten Preis erhältlich. Allerdings liegt der Schmelzbereich des aliphatischen Polyesters PBS bei gerade einmal 115 °C, was einige Verfahrensanpassungen vor allem in der Spinnerei und Beschichtungsapplikation erforderlich macht.

Mehrere Spulen mit PBS-Filamenten aus dem für PBS angepassten Schmelzspinnprozess.
Bild 2: Spulen mit PBS-Filamenten aus dem für PBS angepassten Schmelzspinnprozess. (Bild: DITF)

Optimierung des Schmelzspinnprozesses für PBS

An den DITF wurden die günstigsten Spinnparameter ermittelt, bei welchen teilorientierte Multifilamentgarne (POY) aus PBS hergestellt werden können. Nach einer Versuchsreihe mit Spinnkopftemperaturen zwischen 180 und 230 °C wurde eine Spinnkopftemperatur von 210 °C als besonderes geeignet identifiziert. Generell konnten bei einem geringeren Polymerdurchsatz und entsprechend höherem Spinnverzug oder längerer Abkühlphase die Filamente besser in die Injektordüse aufgenommen werden als bei höheren Durchsätzen. Theoretische Modellrechnungen zeigen, auf der Basis der ermittelten kalorischen Daten (DSC, spezifische Wärmekapazität, Kühllast), dass für das PBS im Vergleich zu PET (Schmelzpunkt circa 258 °C) eine deutlich längere Spinnschachtlänge bis zur Abzugswalze erforderlich ist. Daraus ableitend konnten bei Geschwindigkeiten bis zu 3.000 m/min POY-Garne mit guten mechanischen Eigenschaften bei stabilem Spinnprozess erhalten werden (Bild 1). Diese ließen sich problemlos zu FDY-Garnen verstrecken, die am Ende Festigkeiten von bis zu knapp 30 cN/dex aufwiesen. Die erzielten Kraft/Dehnungseigenschaften sind für die meisten textilen Weiterverarbeitungsprozesse völlig ausreichend. Röntgenstruktur-Untersuchungen (WAXS) zeigen für das FDY-Garn einen relativ hohen Kristallinitätsindex von 0,62 (PET-POY circa 0,53) und deuten auf eine hohe Orientierung der PBS-Filamente hin.
Als textiles Basismaterial für die Kunstlederherstellung wurden verschiedene PBS-Gewebe hergestellt. Dazu wurden die 6 FDY-Garne gefacht und mit circa 90 T/m gezwirnt. Die erhaltenen Garne hatten eine Endfeinheit von 615 dtex f 180, eine Festigkeit von 26 cN/tex und eine Bruchdehnung von circa 80 %. Diese wurden als Kett- und Schussmaterial auf einer Musterwebmaschine eingesetzt. Die in unterschiedlichen Bindungen wie Panama (2/2), Leinwandbindung, Köper (1/2) und Atlas (1/4) hergestellten Gewebe hatten ein Flächengewicht von 200 g/qm und dienten als Substrate für die Beschichtung mit PBS-Schmelzen.

Schichtaufbau im Querschnitt.
Bild 3: Schichtaufbau im Querschnitt. (Bild: DITF)

Extrusionsbeschichtung mit PBS

Durch Extrusionsbeschichtung von PBS-Schmelzen auf die PBS-Gewebe konnten  am FILK Freiberg einkomponentige Verbundkörper hergestellt werden. Hierbei mussten mehrere Hürden durch gezielte Anpassungen des Materialien und Prozessoptimierungen überwunden werden. Die Herausforderung bei der Verarbeitung eines PBS-Textils mit einer PBS-Beschichtungsmasse bestand im identischen Erweichungs- und Schmelzbereich bei den Komponenten. Übliche Verfahren eines direkten Schmelzeauftrages auf das Trägertextil sowie die nachträgliche Prägung durch heiße Gravurwalzen stießen hier an ihre Grenzen. Im Verlauf des Projektes wurde ein Verarbeitungskonzept entwickelt, bei dem die Schmelzeapplikation analog einer Umkehrbeschichtung aus niedrigviskosen Formulierungen auf ein strukturiertes Release-Papier erfolgte. Diese mit einer Ledernarbe versehene Schicht fungiert im Verbund als strukturierte Deckschicht. Auf diese wurde der Haftstrich appliziert und das PBS-Textil einkaschiert. Aufgrund der nur kurzen Zeitdauer, in der das Textil mit der heißen Schmelze in Berührung kommt, bleibt das Textil ohne Beeinträchtigungen erhalten. Basierend auf dieser Verfahrensweise wurde zum einen ein Kunstleder komplett aus PBS aufgebaut und zum anderen ein hinsichtlich Flexibilität optimiertes Kunstleder mit einem Haftstrich aus PBAT (Poly(butylenadipat-co-terephthalat)). Die hergestellten finalen Muster sind beispielsweise für Automobilinnenraumauskleidungen geeignet (Bild 1).

Alles zum Thema Biokunststoffe

Eine Hand reißt einen Papierstreifen weg. Darunter steht das Wort "Biokunststoff"
Wissenswertes über Biokunststoffe finden Sie in unserem Übersichtsartikel. (Bild: thingamajiggs - stock.adobe.com)

Auf dem Weg zu einer klimaneutralen Zukunft müssen verschiedenste Rädchen ineinander greifen. Doch wie schaffen wir es, die Dekarbonisierung unserer Gesellschaft umzusetzen? Biokunststoffe sind ein wichtiger Hebel um diesem Ziel näher zu kommen. Doch was wird unter einem Biokunststoff eigentlich verstanden? Wo werden diese bereits eingesetzt? Und ist "Bio" wirklich gleich "Bio"? Wir geben die Antworten. Alles, was Sie zu dem Thema wissen sollten, erfahren Sie hier.

Recycling und Kompostierung von PBS-Verbunden

Die Untersuchungen zur stofflichen Wiederverwertung im Extrusionsprozess belegen das Potenzial von PBS. Zwar findet im Zuge eines thermischen Recyclings ein Polymerabbau statt, doch ist dieser insofern moderat, als dass das nach 3-maliger Rezyklierung erhaltene PBS sich noch für die Extrusionsbeschichtung eignet. In Bild 4 ist dies am Beispiel der Folienextrusion für PBS, erhalten aus bis zu 5 Recyclingschritten, mit Charakterisierung des Melt Flow Index (MFI) für R1, R3 und R5 dargestellt. Hierbei ist anzumerken, dass die jeweiligen Rezyklate ohne weitere Aufbereitung für den sich anschließenden Extrusionsversuch verwendet wurden. Durch entsprechende Optimierungsmaßnahmen lassen sich die Folieneigenschaften aus Rezyklat sicher noch deutlich verbessern. PBS ist bekanntermaßen biologisch abbaubar. Entsprechende Untersuchungen zeigten, dass eine industrielle Kompostierung unter kontrollierten Bedingungen ein mögliches End-of-Life-Szenario bei den hergestellten Kunstledern aus PBS und PBS/PBAT sein kann.

Fünf Bilder nebeneinander: Folienherstellung von 1- bis 5-fach rezykliertem PBS (R1 bis R5) bewertet anhand des Schmelzeaustrags aus einer Breitschlitzdüse und MFI-Werten.
Bild 4: Folienherstellung von 1- bis 5-fach rezykliertem PBS (R1 bis R5) bewertet anhand des Schmelzeaustrags aus einer Breitschlitzdüse und MFI-Werten. (Bild: DITF)

Was sind die Zukunftsperspektiven?

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das vorgestellte Konzept zur Herstellung von 1K-Verbunden auf der Basis von  Polymeren biogenen Ursprungs mit dem Ziel der Kreislaufführung und Abfallvermeidung funktioniert. Das Produktrecycling wird durch die Sortenreinheit der Verbunde sowie deren thermoplastische Eigenschaften stark vereinfacht. Die dem Projekt zugrunde liegende Arbeitshypothese hat hierbei Modellcharakter beim nachhaltigen Produktdesign weiterer multimaterialer Faserverbunde. Hinzuzufügen ist, dass mittlerweile von einzelnen Faserherstellern Garne auf der Basis von PBS am Markt angeboten werden. Aufgrund der oben beschriebenen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der niederen Schmelztemperatur und der erforderlichen Anpassungen handelt es sich häufig um Blends (zum Beispiel mit Polylactid). Letztendlich spielen mehrere Faktoren eine Rolle, ob PBS als Faser- und Beschichtungspolymer in Zukunft größere Marktanteile gewinnen wird.

Quelle: DITF, Filk

Weitere Autoren:

  • Stefan Schindler, Stellvertretender Leiter Technologiezentrum Smart Living Textiles, Sensorik & Aktorik, Deutsche Institute für Textil- und Faserforschung Denkendorf (DITF)
  • Dr. Kristin Trommer, Abteilungsleiterin Funktionale Schichtsysteme, Filk Freiberg Institute

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