Die Plastikkrise als großes weltweites Problem verschärft sich stetig. Von jährlich 400 Mio. t produzierten Kunststoffen gelangen circa 10 Mio. t pro Jahr ins Meer, und auch Böden und Binnengewässer werden stark belastet: Schätzungen zufolge sind diese je nach Umgebung mindestens viermal so hoch mit Mikrokunststoffen belastet wie das Meer [1]. Wir müssen zu einem nachhaltigeren Umgang mit Kunststoffen und einer zukunftsfähigen Kreislaufwirtschaft kommen – möglichst bald und möglichst schnell. Doch welche Rolle können Biokunststoffe [2] dabei spielen? Die Anforderungen an biobasierte Kunststoffe sind hoch: Sie müssen unter anderem lebensmittelecht, nicht toxisch, antimikrobiell, hygienisch geeignet, wärmeformbeständig, hitzestabil, gegebenenfalls für Hochtemperaturen geeignet, bruchfest, kratzfest, spülmaschinenfest, farbecht oder für spezielle Anwendungen explizit abbaubar sein. Sie sollten einen möglichst hohen biobasierten Anteil aufweisen, ressourceneffizient in Herstellung und Rohstoffbeschaffung, rezyklierbar und kreislauffähig sein. Können Biokunststoffe das leisten? Welche Vorteile und welches Potenzial bieten sie?
Nachwachsende Roh- und Reststoffe statt Erdöl
Wesentlicher Vorteil biobasierter Kunststoffe ist ihre nachwachsende Rohstoffbasis: Zucker-, stärke-, zellulosebasiert oder aus Pflanzenölen – die Nutzung nachwachsender Rohstoffe trägt nachhaltig dazu bei, dass weniger Erdöl verwendet wird. Dabei ersetzen die pflanzlichen Rohstoffe nicht nur das Erdöl, sondern ihr Einsatz macht uns auch unabhängig von Erdölimporten aus politisch instabilen Regionen. Um den Bedarf von Agrarrohstoffen für biobasierte Kunststoffe möglichst gering zu halten, kommen zudem immer mehr Reststoffe zum Einsatz, die sonst vielfach ungenutzt bleiben, beispielsweise Stroh, Holzreste, Hanf- oder Flachsstaub, Ernterückstände, Obstkerne, Gemüse- und Nussschalen, Kaffeesatz. Sie können als Füll- oder Farbstoffe, zur Verstärkung oder auch als funktionalisierende Additive eingesetzt werden, um die Eigenschaften eines Biokunststoffes zu verbessern. Am IfBB – Institut für Biokunststoffe und Bioverbundwerkstoffe in Hannover stehen Spargelfasern, Eierschalen und Kaffeepulver im Fokus der Forschung.
Der Einsatz von Reststoffen schont die Landflächen, mindert den Landflächenbedarf erheblich und trägt zu einer regionalen Kreislaufwirtschaft bei. Derzeit werden für Biokunststoffe vornehmlich Zuckerrohr und Maisstärke eingesetzt – Zucker und Mais lassen sich auch in Europa anbauen. Von beidem, dem heimischen Anbau der nachwachsenden Rohstoffe ebenso wie von der Nutzung der bislang teilweise ungenutzten Reststoffe, profitiert die heimische Landwirtschaft. Neue Absatzmärkte werden erschlossen, weniger Primärstoffe werden benötigt, die Flächeneffizienz gesteigert, die Kaskadennutzung gefördert, indem die Rohstoffe zunächst stofflich und erst dann energetisch genutzt werden. Zudem wird die CO2-Belastung reduziert, ebenso wie letztlich die Gesamtkosten für Biokunststoffe. Abgesehen von den nachwachsenden Rohstoffen und Reststoffen gibt es großen Forschungsbedarf, als Ausgangsstoffe auch nicht lebensmittelbasierte und bodenunabhängige Kulturen wie Algen, Bakterien oder Pilze einzusetzen oder sogar CO2 aus der Atmosphäre zu verwenden.
Langlebige Biokunststoffe als Drop-Ins
Langlebige biobasierte Kunststoffe mit gleichem chemischem Aufbau wie ihre fossilbasierten Pendants, beispielsweise Bio-PE, Bio-PA oder Bio-PET, sogenannte „Drop-Ins“, weisen die gleichen Materialeigenschaften auf, einziger Unterschied ist die nachwachsende Rohstoffbasis. Sie können mit den gleichen Prozessen, Verfahren und technischen Mitteln verarbeitet – und recycelt – werden wie fossilbasierte Kunststoffe, es bedarf damit keiner aufwendigen Umstellung der Prozesse. Möglich ist ihr Einsatz zunächst als Ersatz der Massenkunststoffe wie PP oder PE, die zum Beispiel bei Verpackungen, Spielzeug oder auch Büromaterial Verwendung finden. Aber auch bei den sogenannten Konstruktionskunststoffen, also bei technisch anspruchsvolleren Anwendungen wie PA und PET, kommen sie mehr und mehr (teilweise unter Erhöhung ihrer Dauergebrauchstemperatur) zum Einsatz. Langlebige biobasierte Kunststoffe bieten damit eine genauso große Bandbreite wie fossile Kunststoffe. Hinzu kommen chemisch neuartige biobasierte Kunststoffe wie beispielsweise PLA, für die es kein fossilbasiertes Pendant gibt. Sie bieten vor allem mit veränderten Materialeigenschaften großes Potenzial und können ebenso in vielfältigen Anwendungen zum Einsatz kommen.
Abbaubare Biokunststoffe im Fokus
Biokunststoffe werden häufig automatisch mit Abbaubarkeit assoziiert. Dabei sollten abbaubare Kunststoffe nur dann eingesetzt werden, wenn die Abbaubarkeit einen tatsächlichen Zusatznutzen bedeutet, beispielsweise als Mulchfolie in der Landwirtschaft oder Implantate in der Medizin. Ansonsten ist ihr Einsatz kritisch zu sehen, da eine Mehrweg- der Einwegnutzung immer vorzuziehen ist. Ob sie eventuell dazu beitragen können, die Plastikverschmutzung der Meere einzudämmen, ist Gegenstand der Forschung. Allerdings liegt auch hier der Fokus auf den unvermeidlichen Einträgen von Kunststoffen ins Meer, zum Beispiel verloren gegangene Fischernetze oder -reusen und soll keinesfalls dazu füh-ren, dass (abbaubare) Kunststoffe in der Natur entsorgt werden.
Maximale Kaskadennutzung, Verwertung und Recycling
Biobasierte Kunststoffe können und sollten möglichst oft werkstofflich wiederverwertet werden, bevor sie schließlich am Ende der Verbrennung zugeführt werden. So verwertet man die Rohstoffe zunächst stofflich und zusätzlich im zweiten Schritt energetisch. Im Unterschied zu petrochemischen Kunststoffen entsteht bei der Verbrennung (und auch der Kompostierung) von Biokunststoffen genau die CO2-Menge, die bei der Bildung der zugrunde liegenden Biomasse aufgenommen wurde. Wenn jetzt der Werkstoff vor der energetischen Verwertung noch stofflich genutzt wird, kann der (Kaskaden-)Nutzen maximiert werden.
Auch Biokunststoffe lassen sich recyceln und zwar im Falle der „Drop-Ins“ wie Bio-PE, Bio-PA, Bio-PET mit den gleichen Stoffströmen wie fossilbasierte Kunststoffe. Hierfür ist kein weiterer technischer Aufwand notwendig. Auch chemisch neuartige Biokunststoffe wie PLA sind grundsätzlich recyclingfähig, hier fehlen derzeit nur noch die Mengen, damit sich das Recycling nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich lohnt. Gleichzeitig müssen wir beim Einsatz aller Kunststoffe mehr und mehr auf Mehrwegsysteme setzen, für den einmaligen Einsatz sind Kunststoffe viel zu schade.
Sind Biokunststoffe nachhaltiger?
Eine grundsätzliche Aussage dazu, ob Biokunststoffe umweltfreundlicher sind als fossilbasierte, lässt sich nicht treffen. Tendenziell kann die Nutzung nachwachsender Rohstoffe oder Reststoffe aber erstens die begrenzten Erdölvorräte schonen und im durchschnittlichen Vergleich mit herkömmlichen erdölbasierten Rohstoffen zweitens die CO2-Emissionen verringern. Biokunststoffe sind also nicht per se umweltfreundlicher als erdölbasierte Kunststoffe, es hängt vielmehr unter anderem von der konkreten Anwendung, dem eingesetzten Material, seiner Herstellung und der Verwertungsmöglichkeit am Ende der Nutzungszeit ab.
Wie also lautet das Fazit?
Biokunststoffe bieten mit ihrer nachwachsenden Rohstoffbasis eine Alternative zur Erdölnutzung - ein wichtiger Vorteil gegenüber fossilbasierten. Doch gleichzeitig sind Biokunststoffe auch nur ein Teil der Kunststofffamilie, keine neue Werkstoffart. Es kann bei ihrem Einsatz nicht um die vollständige Substitution konventioneller Kunststoffe gehen, sondern um eine parallele Nutzung, untrennbar verbunden mit einem dringend notwendigen veränderten Umgang mit Kunststoffen. Kunststoffe jeglicher Art sind als Werkstoffe nicht mehr wegzudenken und viel zu wertvoll, um nach einmaliger Nutzung entsorgt zu werden. Im Sinne der Nachhaltigkeit müssen wir – wie vonseiten der EU in ihrer Kunststoffstrategie gefordert – die Kreislaufwirtschaft weiter vorantreiben, die Recyclingquote nachhaltig erhöhen, die Kaskadennutzung stärken und bereits bei der Herstellung von (Bio-)Kunststoffprodukten nach dem Motto „Design for Recycling“ handeln. Das bedeutet zum Beispiel den konsequenten Einsatz von Monomaterialien bei Verpackungen, aber gleichzeitig auch die konsequente Reduktion aller Kunststoffe – wo irgend möglich.
Quelle: IfBB
Literatur
[1] Vgl. Plastikatlas der Heinrich Böll Stiftung 1019, S. 20-21, 28; https://www.boell.de/sites/default/files/2022-01/Boell_Plastikatlas%202019%206.Auflage_V01_kommentierbar.pdf (16.04.2024).
[2] Sofern nicht anders vermerkt, sind hier mit dem Begriff „Biokunststoffe“ biobasierte Kunststoffe gemeint (langlebige oder abbaubare). Petrobasierte abbaubare Kunststoffe, die grundsätzlich ebenfalls unter den Begriff „Biokunststoffe“ fallen, werden hier nicht betrachtet, da der Fokus auf denen mit biobasierter Rohstoffbasis liegen soll. Eine allgemeingültige Definition des Begriffs „Biokunststoffe“ gibt es nicht.
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Auf dem Weg zu einer klimaneutralen Zukunft müssen verschiedenste Rädchen ineinander greifen. Doch wie schaffen wir es, die Dekarbonisierung unserer Gesellschaft umzusetzen? Biokunststoffe sind ein wichtiger Hebel um diesem Ziel näher zu kommen. Doch was wird unter einem Biokunststoff eigentlich verstanden? Wo werden diese bereits eingesetzt? Und ist "Bio" wirklich gleich "Bio"? Wir geben die Antworten. Alles, was Sie zu dem Thema wissen sollten, erfahren Sie hier.