Darstellung strahlenvernetztes, flammgeschütztes PA 11 ohne (links) und mit Holzpartikel (rechts) nach der UL-94-Prüfung.

Bild 1: Strahlenvernetztes, flammgeschütztes PA 11 ohne (links) und mit Holzpartikel (rechts) nach der UL-94-Prüfung. (Bild: Fraunhofer WKI)

Biokunststoffe, die aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnen werden, verringern die Abhängigkeit von fossilen Ressourcen. Zudem geht ihr Einsatz üblicherweise mit einer besseren CO2-Bilanz einher als der von Kunststoffen petrochemischer Herkunft. Manche biobasierte Polymere sind biologisch abbaubar und kompostierbar. Langlebigere Biokunststoffe lassen sich im Sinne der Kreislaufwirtschaft meist recyceln und mehrfach verwenden. Die Nachfrage der Industrie nach biobasierten Kunststoffen steigt. Europa hat die regulatorischen Weichen gestellt, um bis 2050 klimaneutral zu werden, und Verbraucher legen Wert auf Nachhaltigkeit. Dabei geht es nicht mehr nur um Verpackungen und vergleichbare Kunststoffanwendungen, sondern auch um technische Materialien mit anspruchsvollem Eigenschaftsprofil. So müssen beispielsweise Kunststoffe für Anwendungen in der Elektrotechnik und Elektronik thermisch belastbar und schwer entflammbar sein.

Mechanismus der Strahlenvernetzung

Von vielen Kunststoffarten auf petrochemischer Basis ist bekannt, dass sie nach Strahlenvernetzung Bedingungen standhalten, denen sie ansonsten nicht gewachsen wären. Energiereiche Beta- oder Gamma-Strahlung spaltet in den polymeren Molekülen homolytisch chemische Bindungen. Somit entstehen instabile Bruchstücke, die ein einsames Elektron besitzen, also freie Radikale. Indem benachbarte freie Radikale miteinander reagieren, bilden sich Querverbindungen: So entsteht ein dreidimensionales, sehr stabiles Netzwerk. Die Kunststoffe werden durch die Bestrahlung mechanisch fester, hitzebeständiger, abriebfester sowie widerstandsfähiger gegen Chemikalien.

Aufwertung von Bio-Polyamiden

Zu den petrochemisch-basierten Polymeren, die für die Strahlenvernetzung geeignet sind, gehören unter anderem Polyethylen (PE) und Polyamide (PA). Für diese Kunststoffe sind inzwischen Alternativen kommerziell erhältlich, die chemisch identisch oder nahezu identisch sind, aber aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden. Verarbeiter können die herkömmlichen Kunststoffe daher direkt durch diese Biokunststoffe ersetzen, ohne ihre Prozesse anpassen zu müssen (Drop-In Biokunststoffe). Besonders Bio-Polyamide sind für technisch anspruchsvolle Anwendungen eine Alternative. Daher hat das Unternehmen BGS Beta-Gamma-Service die Wirkung der Strahlenvernetzung insbesondere auf Bio-Polyamide (PA 4.10 /PA 6.10/ PA 10.10 und PA 11) eingehend untersucht. Experten verglichen das thermische Verhalten von unbehandeltem und vernetztem Bio-PA, indem sie die Eindringtiefe einer auf 350 °C erhitzten Lötkolbenspitze in Probekörper bestimmten. Das Ergebnis (Bild 2): Während die Spitze innerhalb von 5 s den Prüfkörper aus unvernetztem Bio-PA vollständig durchdringt, kommt sie bei den vernetzten Bio-PA-Typen nur 0,2 bis 1 mm weit. Auch die Glasübergangstemperaturen von unvernetzten und vernetzten Polyamiden unterscheiden sich deutlich. Beim vernetzten Bio-PA 10.10 beispielsweise liegt sie mit über 67 °C rund 10 °C höher als beim unbehandelten PA.

Die dynamisch-mechanische Analyse (DMA) zeigt ebenfalls die Wirkung der Strahlenvernetzung (Bild 3). So fallen der Speicher- und der Verlustmodul von unvernetztem Bio-PA 6.10 bei rund 225 °C stark ab: Das Material beginnt vollständig zu schmelzen. Anders strahlenvernetztes PA 6.10: Es behält oberhalb der Schmelztemperatur eine Reststeifigkeit. In den amorphen Bereichen des Kunststoffs halten die Vernetzungsstellen die Polymere zusammen. Bauteile aus den vernetzten Biokunststoffen zeigen also auch noch bei Temperaturen eine ausreichende Festigkeit, bei denen ihre unbehandelten Pendants versagen würden. Fazit: Bio-Polyamide lassen sich strahlenvernetzen, wodurch sich unter anderem ihre Wärmeformbeständigkeit erheblich verbessert.

Flammgeschützte Bio-Polyamide

Die Strahlenvernetzung von Bio-PA eröffnet somit eine Möglichkeit, die anspruchsvollen thermischen Anforderungen, beispielsweise an Produkte der Elektronik- und Elektrotechnikindustrie, zu erfüllen. Doch solche Produkte müssen auch strengen Flammschutzvorgaben genügen. Gemeinsam haben daher das Fraunhofer-Institut WKI und BGS sowie weitere Industriepartner für den Spritzguss Formulierungen entwickelt, die auf Bio-PA basieren und mit Flammschutzmitteln ausgerüstet sind. Außerdem untersuchten sie die Vernetzbarkeit dieser Formulierungen. Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft über die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe gefördert.

Die Partner führten Glühdrahttest und Messungen der Kriechstromfestigkeit durch. Ausgewählte flammgeschützte Formulierungen auf Basis von Bio-PA erfüllten die Zielanforderungen (Glühdrahttest: 960 °C, Kriechstromfestigkeit: CTI-Wert 600 V). Die Zugabe von Holzpartikeln verbesserte die Flammschutz-Performance. Die Projektpartner belegten, dass die flammgeschützten Bio-PA-Typen strahlenvernetzbar sind, allerdings in unterschiedlichem Ausmaß. Im UL-94-Test zur Prüfung der Brennbarkeit zeigte sich, dass die Klassifizierung nach der Strahlenvernetzung bei Einsatz von Holzpartikeln erhalten wurde (Bild 1). Am besten vernetzbar ist flammgeschütztes Bio-PA 6.10, niedrigere Vernetzungsgrade unter vergleichbaren Bestrahlungsbedingungen zeigte Bio-PA 11. Wie erwartet, erhöhte sich durch die Strahlenvernetzung die Zugfestigkeit (Bild 4) und das Zug-E-Modul, während die Kerbschlagzähigkeit abnahm.

Grafik: Durch Strahlenvernetzung lässt sich die Zugfestigkeit flammgeschützter Bio-PA-Prüfkörper verbessern.
Bild 4: Durch Strahlenvernetzung lässt sich die Zugfestigkeit flammgeschützter Bio-PA-Prüfkörper verbessern. (Bild: Fraunhofer WKI)

Tests mit Polylactid (PLA)

Neben biobasierten Drop-In-Polymeren gibt es Biokunststoffe, die auf nachwachsenden Rohstoffen beruhen. Dazu zählt Polymilchsäure (PLA), die ihren Ursprung in Pflanzenstärke hat. Auch zur Strahlenvernetzung dieses Biokunststoffes gewann das Forschungskonsortium rund um das Fraunhofer IAP neue Erkenntnisse. Die Projektpartner testeten umfangreich Additive, um eine Strahlenvernetzung von PLA zu erreichen. Sie fanden ein Additiv, bei dessen Einsatz die Elektronenbestrahlung das Material positiv beeinflusst. Die Vernetzung der polymeren Moleküle überwiegt dabei nachweislich den durch die Strahlung bedingten Abbau von PLA. Bei der Synthese halogenfreier, neuartiger Flammschutzmittel auf Basis von biobasierten Alkoholen und phosphorhaltigen Verbindungen erwies sich der Fokus auf die Herstellung vollveresterter Phosphate als vielversprechend. Nach Optimierung konnte eine Compoundierung mit PLA realisiert werden. Entflammbarkeitstests gemäß UL94 ergaben eine sehr gute Klassifizierung (V-0) bei einer Prüfkörperdicke von 1,6 mm.

Neue Anwendungsmöglichkeiten

Die Forschungsarbeiten zeigen: Bei der Herstellung, Verarbeitung und Strahlenvernetzung von Biokunststoffen gibt es viele Parallelen zu konventionellen Kunststoffen. Durch Flammschutzausrüstungen und Strahlenvernetzung ergeben sich neue Anwendungsmöglichkeiten von Biokunststoffen in der Elektrotechnik und der Elektronik, aber beispielsweise auch in der Automobilindustrie.

Quelle: BGS Beta-Gamma-Service

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(Bild: Redaktion)

 

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