Gruppenfoto nach einer Preisverleihung

Die Preisträger 2024 wurden ausgezeichnet von Polykum-Vorstand Peter Putsch (l.) und Laudator Dr. Martin Bussmann (r.): Prof. Dirk Muscat, Prof. Nicole Strübbe und Vitus Zenz (TH Rosenheim, 2. Preis), Dr. Dirk Hollmann (Cell-2-Green, 1. Preis), Tobias Irkens und Philipp Wisse (Greenfoilnature, 3. Preis), Thomas Lemke (Glenpro Ingenieursgesellschaft) und Hubertus Franckenstein (Neo-Plastic, beide 3. Preis). (Bild: Redaktion)

Die Entwicklungen im Kurzüberblick: Ein Chemiker hat eine bioabbaubare Folie ganz ohne Plastik ausgearbeitet. Ein Student erlebt in Neuseeland Versuche zum Herstellen von Treibstoffen aus Holzfasern und entwickelt daraus die Idee für ein hocheffizientes Verfahren zur Produktion von Bernsteinsäure. Ein Apotheker und ein Medizintechniker nutzen pharmazeutische Technologien, um den Zerfall von Biokunststoffen gezielt zu steuern. Und drei Kunststoffprofis finden einen Weg, um Forstbetrieben die Regenerierung ihrer Wälder zu erleichtern.

Was Tobias Irkens vorträgt, klingt für die meisten Zuhörer in der halleschen Georg-Friedrich-Händel-Halle und an Computerbildschirmen in aller Welt geradezu unglaublich. Der approbierte Apotheker aus Schwerte erläutert, wie der Zerfall von Biokunststoffen mit Hilfe von Verfahren aus der Pharmazie gezielt gesteuert werden kann: „Wir brechen die Struktur von Biopolymeren anhand bestimmter Trigger wie Feuchtigkeit, pH-Wert oder Wärme auf, so dass Mikroorganismen ihre Arbeit effizienter erledigen können.“ Weil er die Skepsis kennt, die er bei Gesprächen darüber immer wieder erntet, taucht er eine zuvor präparierte Folie aus Biokunststoff in Wasser. Während die eine Hälfte davon augenblicklich zerfällt, zeigt die andere sich gänzlich unbeeindruckt. Den Unterschied machen Zerfallsregulatoren, die Irkens mit seinem Geschäftspartner Philipp Wisse entwickelt und die das Duo mit seiner im Januar gegründeten Firma Greenfoilnature nach dem Baukastenprinzip systematisch erweitert.

Dass Irkens und Wisse einen der beiden dritten Preise in diesem Jahr entgegennehmen konnten, verdeutlicht die hohe Qualität, die der zum fünften Mal ausgeschriebene Wettbewerb um die handgefertigten Trophäen aus Biokunststoff und Stahl mittlerweile erreicht hat (die beiden Materialien stehen für das Zusammenspiel von Werkstoff und Technologie/ Maschinen, die die Entstehung moderner Biokunststoffe ermöglichen). Die fünf Mitglieder der Jury, die in ihrer finalen Sitzung unter den zuvor gekürten Top-10-Kandidaten nach ausführlicher Diskussion unabhängig voneinander ihre Bewertung in Form von Platzziffern abgeben, hatten buchstäblich die Qual der Wahl. „Im Gegensatz zu den letzten Jahren, wo es immer relativ einmütige Entscheidungen gab, war es in diesem Jahr ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen sehr vielen Bewerbern“, erläutert Jury-Präsident Peter Putsch, der auch der ausschreibenden Fördergemeinschaft Polymkum vorsteht, „die Unterschiede zwischen Platz 1 und Platz 6 waren so gering wie nie“.  Weil selbst nach wiederholten Abstimmungen zwei Bewerber gleichauf lagen, entschieden die Juroren, in diesem Jahr zwei dritte Plätze zu vergeben.

Trophäen
Die Biopolymer Innovation Awards 2024 wurden beim Internationalen Kongress „Biopolymer – Processing & Moulding“ in Halle (Saale) vergeben. (Bild: Redaktion)

Aufgrund der hohen Qualität der besten Bewerbungen erhalten in diesem Jahr erstmals alle Kandidaten, die es in die „Top 10“ geschafft haben, Finalisten-Urkunden. Mehrere von ihnen nahmen zudem das Angebot wahr, am Biopolymer-Kongress in Halle teilzunehmen und ihre Innovationen kostenfrei in der Ausstellung zu präsentieren.

Der Kongress „Biopolymer – Processing & Moulding” war vor Ort im kleinen Saal der Georg-Friedrich-Händel-Halle erneut einem exklusiven Kreis von 80 geladenen Teilnehmern vorbehalten. Dazu zählten erstmals auch Gäste aus Australien und Neuseeland, der Partnerregion 2024. Es gab, wie in den vier Jahren zuvor, keine Tickets im freien Verkauf. Zum vierten Mal wurde die Tagung dafür live und kostenlos im Internet gestreamt, wovon mehr als 500 zuvor registrierte Teilnehmer aus mehr als 40 Ländern auf aller Kontinente Gebrauch machten.

Die Preisverleihung der Biopolymer Innovation Awards bildete traditionell den Höhepunkt am Ende des spannenden Kongresstages. Wir stellen im Folgenden die vier Preisträger des Jahres 2024 mit den Begründungen der Jury im Folgenden vor.

Eine Folie ganz ohne Plastik

Preisübergabe
Dirk Hollmann (rechts) hat für seine Folie, die die Vorzüge von Kunststoff und Papier in sich vereint, den Hauptpreis 2024 erhalten. (Bild: Redaktion)

Eine ultradünne, komplett transparente und reißfeste Folie, die weder Weichmacher noch sonstige Zusatzstoffe enthält, die ausschließlich aus nachwachsenden Rohstoffen oder Abfällen erzeugt wird, obendrein recyclingfähig ist und in Erde oder Wasser vollständig biologisch abgebaut werden kann: Als Dirk Hollmann 2018 als Nachwuchsgruppenleiter „Nachhaltige Chemie“ an der Universität Rostock anheuerte, klang das noch nach einem Lastenheft aus einer fernen Zukunft. Fünf Jahre später trat die von Hollmann mitgegründete Firma Cell-2-Green an, um mit einem inzwischen patentierten Verfahren eben diese kühne Vision Wirklichkeit werden zu lassen. Die entwickelte Folie, die unter anderem Plastikverpackungen im Lebensmittelbereich ersetzen kann, enthält selbst keinerlei Plastik. Sie besteht aus Cellulose.

Im Gegensatz zu manch anderem Verfahren der Celluloseherstellung und ‑verarbeitung kommt der bislang im Pilotmaßstab erprobte Cell-2-Green-Prozess ohne toxische Stoffe aus. Das im mecklenburgischen Bad Doberan beheimatete Start-up nutzt Abfälle zum Beispiel von FSC-zertifizierten Bäumen oder aus der Papierindustrie und bewahrt mit seinem chemisch-mechanischen Verfahren die natürliche Struktur der Cellulose. Kunden aus zahlreichen Branchen bietet das Unternehmen neben maßgeschneiderten Folien für unterschiedlichste Anwendungen auch die Möglichkeit von Kosteneinsparungen durch CO2-Zertifikate. Die Jury würdigt die von einem kleinen, hochprofessionellen Team generalstabsmäßig umgesetzte Innovation mit dem Ersten Preis. Dass die Folie im Gegensatz zu den Kunststoffpendants nicht verschweißt werden kann, sehen die Juroren nicht als Nachteil, sondern empfehlen dem neuen Hauptpreisträger eine Kooperation mit dem TITK in Rudolstadt, das mit seinem biobasierten, bioabbaubaren Kleber Caremelt den Wettbewerb im Vorjahr gewann.

Alles zum Thema Biokunststoffe

Eine Hand reißt einen Papierstreifen weg. Darunter steht das Wort "Biokunststoff"
Wissenswertes über Biokunststoffe finden Sie in unserem Übersichtsartikel. (Bild: thingamajiggs - stock.adobe.com)

Auf dem Weg zu einer klimaneutralen Zukunft müssen verschiedenste Rädchen ineinander greifen. Doch wie schaffen wir es, die Dekarbonisierung unserer Gesellschaft umzusetzen? Biokunststoffe sind ein wichtiger Hebel um diesem Ziel näher zu kommen. Doch was wird unter einem Biokunststoff eigentlich verstanden? Wo werden diese bereits eingesetzt? Und ist "Bio" wirklich gleich "Bio"? Wir geben die Antworten. Alles, was Sie zu dem Thema wissen sollten, erfahren Sie hier.

Hocheffiziente Bernsteinsäure-Produktion für mittelständische Holzverarbeiter

Das Team der TH Rosenheim freut sich über die Auszeichnung
Das Team der TH Rosenheim freut sich über die Auszeichnung. (Bild: Redaktion)

Prof. Nicole Strübbe, Prof. Dirk Muscat und Vitus Zenz von der TH Rosenheim begeisterten die Jury mit einem neuartigen, hocheffizienten Verfahren zur Herstellung von Bernsteinsäure. Bernsteinsäure ist eine Plattformchemikalie unter anderem für die Herstellung des bioabbaubaren Kunststoffs Polybutylensuccinat (PBS, auch Polybernsteinsäure genannt), der aufgrund seiner physikalischen und chemischen Eigenschaften das Potenzial hat, Massenkunststoffe wie Polyethylen und Polypropylen in vielen Anwendungsbereichen zu ersetzen. Als Rohstoffe für die im Prototypenstadium erprobte und patentrechtlich geschützte Bernsteinsäureproduktion „Made in Rosenheim“ werden Abfälle aus der Holzindustrie genutzt. Produziert wird in modifizierten Extrudern, wie sie in der Kunststoffbranche zigtausendfach im Einsatz sind.

Mit dieser bewährten technologischen Basis und Investitionskosten ab voraussichtlich etwa 100.000 Euro ist das neue Verfahren im Gegensatz zu bisherigen Technologien nicht nur für Chemiekonzerne und Großinvestoren interessant, sondern eröffnet insbesondere mittelständischen Unternehmen bisher ungeahnte Geschäftspotenziale. Sägewerke und andere Holzverarbeiter können mit der Technologie zum Beispiel neue Wertschöpfungsketten als Rohstofflieferanten unter anderem für die Kunststoffwirtschaft erschließen.

Die Effizienz des Verfahrens ist außergewöhnlich. Während in der Fachliteratur zumeist von Erträgen zwischen 35 bis 40 Gewichtsprozent berichtet wird, erzeugten die Rosenheimer in ihrem Technikum pro Kilogramm Holz teilweise 500 bis 600 g Bernsteinsäure (50 bis 60 Gewichtsprozent) produzieren, und das mit geringem Energieeinsatz. „Der Schlüssel ist die richtige Kombination von Säurekatalysatoren und Mikrowellen“, verrät Projektinitiator Vitus Zenz, der die Idee dafür von einem Studienaufenthalt aus Neuseeland mitbrachte und derzeit an seiner Promotion über das neue Verfahren arbeitet. Der Fertigungsprozess soll durch eine modulare Struktur nahezu beliebig skalierbar sein. So können Unternehmen mit einer kleinen Anlage in das Geschäft einsteigen und es je nach verfügbaren Ressourcen und Nachfrage von Kundenseite durch die Installation weiterer oder größerer Module schrittweise ausbauen.

„Baumkrönchen“ schützt vor Wildverbiss

2 Männer an einem Stehtisch
Hubertus Franckenstein (links), Geschäftsführer Neo-Plastic, und Thomas Lemke, Geschäftsführer Glenpro, präsentierten ihre Entwicklung beim Kongress im Einsatz. (Bild: Redaktion)

In Zeiten, in denen die Wiederaufforstung riesiger Waldgebiete das Gebot der Stunde ist, kommt diese Innovation aus Mittelfranken goldrichtig: Cropro schützt die Spitzen junger Nadelbäume gegen Wildverbiss – und das ohne bleibende Spuren im Wald zu hinterlassen und ohne weitere Folgekosten für die Forstbetriebe. Die in zahlreichen Versuchsreihen entstandene und in der Praxis erprobte Kombination aus bioabbaubarem Material, komplexem Design und funktioneller Farbgebung wird mit einem dritten Preis des Biopolymer Innovation Awards 2024 ausgezeichnet. Damit honoriert die Jury zugleich die beispielhafte Kooperation der drei Projektpartner Neo-Plastic Dr. Doetsch Diespeck, Glenpro Ingenieurgesellschaft und KDS Kunststoffe-Dienstleistungen-Service.

Forstarbeiter können das nur 1,5 g leichte „Krönchen“ aus biobasiertem, bioabbaubarem Kunststoff mit einer Hand im Vorbeigehen auf die Baumspitzen stecken – und es dann getrost sich selbst überlassen. Die „Stacheln“ des komplex ausgeformten Spritzgussteils und die blaue, für Tiere abschreckende Farbe verhindern, dass Wildtiere wie Reh oder Hirsch den für den Baum so wichtigen Terminaltrieb, also die Baumspitze, abnagen. Die selbstumschließende und zugleich flexible Form des zierlichen Teils verhindert ein Abrutschen durch Wind und Wetter oder durch Abstreifen. Die offene Struktur von Cropro verhindert Hitze- wie auch Nässestau, lässt Licht und Luft an die für das schnelle, gerade Baumwachstum so wichtige Knospe und dehnt sich bei deren Wachstum mit. Etwa fünf bis sechs Jahre lang verrichtet der Verbissschutz so seinen wertvollen Dienst. Wenn der Baum groß genug und der Terminaltrieb somit für das Wild unerreichbar ist, zerfällt es allmählich. Im Gegensatz zu anderen Schutzmaßnahmen muss dieser weder dem Baumwachstum angepasst, noch später aus Umweltschutzgründen eingesammelt werden. Denn bei Kontakt mit dem Waldboden wird der Biokunststoff durch Mikroorganismen und Abbauprozesse auf ähnliche natürliche Weise zersetzt wie zum Beispiel Holz oder Stroh.

Zerfall auf Knopfdruck

4 Männer bei der Preisübergabe
Greenfoilnature belegten mit ihrem Zerfallsregulator einen der dritten Plätze. (Bild: Redaktion)

Mit einem weiteren dritten Preis wurden Tobias Irkens und Philipp Wisse für ihren wegweisenden Zerfallsregulator für Biokunststoffe ausgezeichnet. Denn mit ihrem Produkt beweisen die Gründer von Greenfoilnature nicht nur, dass sich die Lebensdauer von Biopolymeren erstaunlich gut „programmieren“ lässt. Sie demonstrieren ebenso, wie grundlegend neue Denkansätze entstehen können, wenn Erfahrungen aus einem Wissenschaftszweig auf einen anderen übertragen werden. Denn die Unternehmer kamen als Quereinsteiger in die Kunststoffbranche: Nachdem Irkens, ein approbierter Apotheker, und Wisse, Ingenieur der Biomedizintechnik, vor einigen Jahren erfolgreich Patches auf Algenbasis gegen Aphthen im Mundbereich entwickelt hatten, kamen sie auf die Idee, die dafür verwendete Trägermatrix dünner zu gestalten. Heraus kam eine wasserlösliche Biofolie. Um deren Haltbarkeit den Anforderungen der medizinischen Behandlungen anzupassen, entstand die Idee des Zerfallsregulators. Dafür übertrugen die beiden bewährte Prinzipien aus der Pharmaforschung auf die Welt der Kunststoffe. „Wenn es gelingt, Medikamente im Darm wirken zu lassen, ohne dass sie zuvor auf ihrem Weg vom Mund durch den Körper beispielsweise von Speichel, Magensäure oder Körperwärme freigesetzt und aktiviert wurden, dann wird es doch auch möglich sein, Biokunststoffe auf ähnliche Weise zu triggern“, beschreibt Irkens die Ausgangsüberlegungen.

Ein Ansatz, der sich als so erfolgversprechend herausstellte, dass die beiden Erfinder im Januar 2024 ihr gemeinsames Unternehmen gründeten. Zu diesem Zeitpunkt konnten sie bereits einen ersten Baukasten aus algenbasierten Regulatoren vorweisen, die, als Pulver oder Granulat beim Compoundieren in Biokunststoffe eingebracht, deren Zerfall gezielt steuern. Dabei geben sich Irkens und Wisse nicht damit zufrieden, nur die Geschwindigkeiten von Zerfallsprozessen in Biokunststoffen zu beeinflussen. Erklärtes Ziel ist es auch, unterschiedlichste Auslösefaktoren wie Feuchtigkeit, pH-Werte oder Temperaturen in das Material „einzuprogrammieren“. Der Baukasten soll in viele Richtungen weiter wachsen.

Das ist die Jury des Biopolymer Innovation Award

Der Jury gehörten in diesem Jahr an (in alphabetischer Reihenfolge der Nachnamen):

  • Martin Bussmann, Industrial Expert, Mannheim
  • Simone Fischer, Verantwortliche Redakteurin des Fachmagazins „PLASTVERARBEITER“, Hüthig Medien, Heidelberg
  • Dr.-Ing. Patrick Hirsch, Experte für Biokunststoffe am Fraunhofer Institut für Werkstoffe und Systeme (IMWS), Halle (Saale).
  • Peter Putsch, Vorstand der Polykum e. V. – Fördergemeinschaft für Polymerentwicklung und Kunststofftechnik in Mitteldeutschland, Merseburg.
  • Michael Walter, Global Business Development Manager, Wirthwein, Creglingen

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