Blaue Fässer unter blauem Himmel. Durch die Inline-Wanddickenmessung des Vorformlings wird der Materialeinsatz reduziert.

Durch die Inline-Wanddickenmessung des Vorformlings wird der Materialeinsatz reduziert. (Bild: Detailfoto – stock.adobe.com)

Das Extrusionsblasformen ermöglicht das wirtschaftliche Herstellen von Kunststoffhohlkörpern mit komplexen Geometrien und einer großen Bandbreite an Volumina. Der Großteil der Bauteile wird als Verpackungsartikel für die Konsumgüter- und Lebensmittelindustrie verwendet. Technische Komponenten werden zum Beispiel in der Automobil- und Chemieindustrie eingesetzt [GH00, THG19]. Blasgeformte Verpackungsartikel machten 2019 mit rund 902.000 t etwa 20 % der gesamten Produktion von Kunststoffverpackungen in Deutschland aus [URL20]. Entscheidendes Qualitätskriterium für extrusionsblasgeformte Hohlkörper ist die Wanddickenverteilung. Durch eine anforderungsgerechte Wanddickenverteilung werden mechanische Bauteilbelastungen optimal verteilt. Gleichzeitig wird der Materialeinsatz reduziert und damit die Produktivität des Blasformprozesses erhöht. Die Wanddickenverteilung des Hohlkörpers ist direkt von der des Vorformlings abhängig. Eine Inline-Wanddickenmessung des Vorformlings konnte sich bisher aufgrund hoher Investitionskosten der Anlagentechnik oder der Notwendigkeit, gefährliche Radionuklide einzusetzen, nicht etablieren [Brü08, MKH+04, SW94]. In der industriellen Praxis erfolgt aktuell das Überwachen der Bauteilwanddicke erst nach der Produktion mit taktilen Messsystemen (Offline-Messung).

Warum die Inline-Messung wichtig ist

Unzureichende Bauteilqualität wird durch die Offline-Messungen erst spät erkannt, woraus hohe Ausschüsse resultieren. Aus diesem Grund wurde am IKV ein neuartiges Messsystem entwickelt, mit dem Prozessschwankungen, die unter anderem durch den vermehrten Einsatz von Post-Consumer-Rezyklaten (PCR) hervorgerufen werden, detektiert werden können.
Durch den Einsatz einer Thermografiekamera sollen Wanddickenunterschiede des Vorformlings anhand der unterschiedlich langen Kühlzeiten erkannt und ausgewertet werden. Das Messsystem besteht aus der Kombination einer Thermografiekamera Thermo-Imager TIM 640, Mikro Epsilon Messtechnik, Ortenburg, und einem gekoppelten Matlap-Skript, The Mathworks, Massachusetts, USA. Die Thermografiekamera wurde in der Einstationen-Blasanlage BM-206, Bekum Maschinenfabrik, Berlin, platziert, um eine Messung ohne Winkelverzerrung zu ermöglichen (Bild 1). Mit einer Auflösung von 640 Zeilen ergibt sich bei einer Schlauchlänge von 380 mm eine Bildauflösung von circa 0,6 mm je Pixel. Durch die Aufnahme von Grauwert-Infrarotbildern jeweils zum Ende der Soll-Extrusionszeit (30 s) mit 255 Grauwertstufen und einem Messintervall von 50 °C können Temperaturgradienten von 0,2 K erfasst werden. Zum Aufbau des Prozessmodells wurden Versuchspunkte mit verschiedenen (nicht profilierten) Vorformlingen unterschiedlicher Wanddicke durchgeführt, sodass eine lokale Wanddicke einer Temperaturdifferenz (nämlich der zwischen Blaskopf und Vorformling) zugeordnet werden kann. Zur Bestimmung der lokalen Wanddicken wurde anstelle einer Blasform ein Segmentierungswerkzeug in die Blasanlage eingebaut, welches den Vorformling beim Schließen des Werkzeugs in 29 Einzelsegmente unterteilt (vgl. Bild 1).

Versuchsaufbau und Präparation des Vorformlings zum Aufbau des Prozessmodells
Bild 1: Versuchsaufbau und Präparation des Vorformlings zum Aufbau des Prozessmodells (Bild: IKV)

Wie sich die Wanddicke des Vorformlings berechnen lässt

Durch Erfassung des lokalen Außendurchmessers und Verwiegung der Segmentgewichte kann die tatsächliche Wanddicke des Vorformlings berechnet werden (vgl. Bild 2). Diese Daten wurden zur Kalibrierung eines Prozessmodells genutzt, welches lokal gemessene Temperaturdifferenzen des Vorformlings in eine zugehörige Wanddicke umrechnen kann. Bei der Kalibrierung wird jedem Segment beziehungsweise jeder Wanddicke eine per Thermografie erfasste Temperaturdifferenz zugeordnet. In das so kalibrierte Modell wird in der laufenden Produktion der lokale Temperaturgradient eingegeben, um so die lokalen Wanddicken des Vorformlings zu erhalten. Neben der Temperaturdifferenz und damit der Wanddicke des Vorformlings können mit der Thermografiekamera natürlich auch Größen wie Schlauchlänge und Zentrierung über binarisierte Bilder erfasst werden (vgl. Bild 2). Mit dem Prozessmodell konnte in Validierungsversuchen die Wanddicke in der unteren Hälfte des Vorformlings auf durchschnittlich 0,04 mm genau und somit mit 1,5 % Abweichung vorhergesagt werden. Dies entspricht üblichen Messungenauigkeiten von industriell eingesetzten Messsystemen wie der Magna-Mike 8600 der Firma Olympus K.K., Shinjuku, Tokyo, Japan, die in diesem Dickenbereich (0,001 bis 9,1 mm) Abweichungen von 1 bis 3 % aufweist [URL23]. Im oberen Bereich des Vorformlings fällt aufgrund geringerer Verweilzeit die Temperaturdifferenz und damit die Genauigkeit geringer aus.

Aufnahme der Thermografieaufnahmen und Überführung in binarisierte Bilder zur Auswertung.
Bild 2: Aufnahme der Thermografieaufnahmen und Überführung in binarisierte Bilder zur Auswertung. (Bild: IKV)

Wie der Transfer in die Praxis gelingt

Nachdem im Technikum des IKV erste positive Ergebnisse mit dem Messsystem erzielt werden konnten, wurde dieses auch unter industriellen Bedingungen getestet. Dazu wurde das Messsystem bei der Firma Mauser Packaging Solutions, Brühl, installiert, die Industrieverpackungen aus Kunststoff, Fiberglas und Metall herstellt. Der Schwerpunkt liegt auf der Produktion von Kunststoffbehältern wie Intermediate Bulk Containern (IBC, 1.000 l), Großfässern (150 bis 220 l) und Kanistern als Industrieverpackungen für Chemikalien und Lacke für den internationalen Markt. Die Kunststoffbehälter werden überwiegend im Extrusionsblasformverfahren hergestellt. Im Fokus stand das Überwachen der Produktion von L-Ring-Fässern mit einem Volumen von 220 l. Der Vorformling hat ein Gewicht von etwa 11 kg bei einer Länge von 1.550 mm. Übliche Wandstärken des profilierten Vorformlings liegen zwischen 11 mm und 15 mm. Durch den Einsatz einer Zweistationenmaschine (zwei Kavitäten, ein Blaskopf) beträgt die Extrusionszeit nur 35 s und ist damit zeitlich vergleichbar mit der Extrusion im Technikum des IKV. Der Gesamtdurchsatz beträgt etwa 1.200 kg/h.

Welche Temperaturen ermittelt wurden

In Bild 3 sind der Verlauf der Profilierung der Wanddickensteuerung und die gemessene lokale Temperatur des Vorformlings über dem Messfeld von 640 Zeilen dargestellt. Die Temperaturen des Vorformlings werden in der Mitte des Vorformlings erfasst. Das Diagramm zeigt drei Temperaturverläufe aus drei verschiedenen Herstellungszyklen. Der Verlauf der Profilierung zeigt zwei Bereiche mit erhöhten Werten, die für die Formgebung des Deckel- und Bodenbereichs vorgesehen sind. In diesen Bereichen wird besonders viel Material benötigt, um die Flächen senkrecht zur Extrusionsrichtung auszuformen und um die Quetschnähte zu verstärken. Die geringen Abweichungen der Temperaturverläufe lassen eine hohe Reproduzierbarkeit der Messergebnisse vermuten. Im oberen Bereich des Vorformlings (Zeile 1 bis 300) findet eine lineare Abkühlung statt. Die nur kurz außerhalb des Blaskopfs verweilenden Segmente kühlen naturgemäß weniger stark ab. Danach nimmt die Steigung der Kurve ab und bildet bis zur Zeile 470 ein Plateau. Das Plateau resultiert aus der lokal höheren Vorformlingstemperatur, die wiederum von der lokal erhöhten Wanddicke des Vorformlings verursacht wird. In den Bildzeilen 550 bis 600 sinkt die Temperatur stark, was die geringe Wanddicke dort zur Ursache hat. Daher kann geschlussfolgert werden, dass das entwickelte Messsystem nicht nur unter Laborbedingungen, sondern auch auf industriellem Maßstab unterschiedliche Wanddicken identifizieren kann. Aufbauend auf dem entwickelten Messsystem ergeben sich folglich verschiedene Möglichkeiten zur Prozesskontrolle und -regelung. Da unter anderem bereits die Schlauchlänge automatisch erfasst wird, kann eine Schlauchlängenreglung mit dem Düsengrundspalt als Stellgröße mit einer Messgenauigkeit von 2,5 mm eingeführt werden. Das entwickelte Messsystem ist in der Lage, direkt in die Profilierung der Wanddickensteuerung als Stellgröße für einen Regler zu fungieren, der in die Profilierung des Schlauchs eingreift. Durch punktuelle Anpassungen kann eine ideale Wanddickenverteilung erzeugt werden, um möglichst materialeffizient und nachhaltig zu produzieren. Diese Regelung kann durch die Einführung einer Solltemperaturkurve umgesetzt werden, bei der Abweichungen vom Sollwert erkannt und direkt korrigiert werden können. Wenn zusätzlich noch die oben beschriebene Kalibrierung vorgenommen wird, können auch absolute Werte der Schlauchdicke über dessen Länge bestimmt werden.

Grafik und daneben ein blaues Kunststofffass. Lokale Vorformlingstemperaturen und axiale Dickenprofilierung des L-Ring-Fasses 220 l.
Bild 3: Lokale Vorformlingstemperaturen und axiale Dickenprofilierung des L-Ring-Fasses 220 l. (Bild: IKV)

Dieses Fazit lässt sich ziehen

In diesem Forschungsvorhaben wurde der Einsatz eines Messsystems zur Überwachung der Vorformlingsextrusion mittels Thermografiekamera im Extrusionsblasformen entwickelt. Durch Korrelation der mittels einer Thermografiekamera ermittelten Temperaturdifferenz zwischen Schmelzeaustrittstemperatur und der jeweiligen Schlauchposition mit den real gemessenen Schlauchdicken war es möglich, ein Modell zu entwickeln, das jeder Temperaturdifferenz eine Wanddicke zuweisen kann. In einer ersten Validierung im Labormaßstab konnte die Wanddicke des Vorformlings bis auf 0,04 mm (98,5 %) genau vorhergesagt werden. Im oberen Bereich des Vorformlings sind die Vorhersagen aufgrund der geringen Abkühlzeit aktuell nur schwer möglich. Auch bei der industriellen Fertigung von 220-Liter-L-Ring-Fässern konnten analog zu den Versuchen im IKV-Technikum in der unteren Hälfte des Vorformlings Temperaturunterschiede in Abhängigkeit der vorliegenden Wanddicken identifiziert werden. Das entwickelte System eignet sich daher zum Überwachen der Wand-dickenprofilierung. Messsystem und Methodik könnten in Regelkreise interessierter Firmen eingebaut werden. Auch wäre eine Erprobung für andere Materialien oder Produkte interessant.

Dank

Das IGF-Forschungsvorhaben 21515 N der Forschungsvereinigung Kunststoffverarbeitung wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung und -entwicklung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Neben diesen Institutionen danken die Autoren auch der Mauser Packaging Solutions, Brühl, für die Durchführung der Versuche auf industriellem Maßstab.

Literatur

[Brü08] Brümmer, T.: Verfahren zur berührungslosen Erfassung der Vorformlingswanddicke beim Extrusionsblasformen. Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, Dissertation, 2008 - ISBN: 3-86130-863-0
[GH00] Gust, P.; Holbach, M.: Produktivität und Qualität weiter verbessern. Kunststoffe 90 (2000) 10, S. 152-155
[THG19] Thielen, M.; Hartwig, K.; Gust, P.: Blasformen von Kunststoffhohlkörpern. München, Wien: Hanser Verlag, 2019, ISBN: 978-3-446-45552-8
[MKH+04] Manke, I.; Kardjilov, N.; Haibel, A.; Denker, A.; Rack, A.; Hilger, A.; Banhart, J.: Zerstörungfreie Messmethoden am Hahn-Meitner-Institut. Hahn-Meitner-Institut Berlin Zfp-Zeitung 88 (2004) 2, S.31-40
[URL20] N.N.: Industrievereinigung Kunststoffverpackungen e.V. URL: http://kunststoffverpackungen.de/marktdaten/produktion/, 20.01.2020
[URL23] N.N.: Thickness and Flaw Inspection Solutions: Magna-Mike 8600 https://www.olympus-ims.com/en/magna-mike8600/, 23.01.2023
[SW94] Spang, A.; Wüstenberg, D.: Berührungslose Online-Dickenmessung. Kunststoffe 84 (1994) 4, S. 412-422

Quelle: IKV

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