Ulrich Reifenhäuser, CSO der Reifenhäuser Gruppe

Ulrich Reifenhäuser, CSO der Reifenhäuser Gruppe im VDMA-Interview. (Bild: Reifenhäuser)

Mitarbeiter kontrolliert eine Folie
Ein Reifenhäuser-Mitarbeiter kontrolliert eine Folie. (Bild: Reifenhäuser)

Herr Reifenhäuser, mit welchen Problemen sieht sich die Kunststoffindustrie heute konfrontiert?
Ulrich Reifenhäuser: Kunststoff ist in den letzten Jahren in Verruf gekommen. Wegen des Mülls. Wir alle haben die Bilder von Marine Litter vor Augen. Der Umgang mit gebrauchten Kunststoffen ist nirgendwo auf der Welt wirklich gut. Vielerorts werden sie einfach weggeworfen. Kunststoff selbst hat viele Vorteile: Er ist sehr haltbar, sehr flexibel, sehr wasserdicht und sehr leicht. Darum ist er so erfolgreich. Aber im Müll kehren sich diese Vorteile in das Gegenteil um. Kunststoff schwimmt, er geht nicht kaputt, er löst sich nicht auf. Hätte man von Anfang an neben Funktion und Kosten auch die Recycelbarkeit als wichtiges Kriterium gesehen, hätten wir weniger Probleme und mindestens 80 Prozent der Kunststoffe wären schon recycelbar. Das sind sie in dieser Dimension heute nicht. Das lange Streben nach optimaler Funktion hat zum Teil sogar Kunststoffe hervorgebracht, die schwierig oder gar nicht zu recyceln sind, mehrlagige Folien, zum Beispiel. Ich bin überzeugt, dass wir das ändern müssen und auch können.

Welcher Weg muss eingeschlagen werden?
Reifenhäuser: Wir müssen letztlich den Kunststoff neu erfinden. Ich sehe die Kunststoffindustrie in einer entscheidenden Wende. Sie muss zeigen, dass sie sich drehen kann, dass sie tatsächlich nachhaltig sein kann, dass sie Recyclingfähigkeit ermöglicht. Kurz: Es müssen neue Kunststoffprodukte entstehen, die den Anforderungen der Umwelt entsprechen. Der Weg dahin geht über die Kreislaufwirtschaft. Wenn Kunststoffe im Kreislauf geführt werden, wird Müll vermieden, indem die Lebensspannen der Produkte verlängert werden und einzelne Bestandteile in neue Produktionskreisläufe zurück fließen können. Diesen Kreislauf zu etablieren sehe ich als die Hauptaufgabe der Kunststoffindustrie.

Welche Rolle hat dabei der Kunststoffmaschinenbau?
Reifenhäuser: Als Maschinenbauer können wir in die Prozesse gehen. Wir können Technologien entwickeln, mit denen recycelbarer Kunststoff produziert wird, und die eine Materialersparnis bringen. Aber die Initiative zu diesen Entwicklungen muss von den Anwendern kommen, den Brand-Owners. Ich gehe noch einen Schritt weiter. Am besten wäre es, wenn der Gesetzgeber Vorgaben machen würde. Ich wünsche mir, dass er eine Rezyklatquote für jedes Kunststoffprodukt vorschreibt. Erfreulicherweise wird darüber auf EU-Ebene schon intensiv diskutiert. Wenn es solche Vorgaben gibt, dann ist es Sache des Maschinenbaus, die Prozesstechnik zu entwickeln, damit die Vorgaben erreicht werden können.

Kunststoffrecycling: Der große Überblick

Mann mit Kreislaufsymbol auf dem T-Shirt
(Bild: Bits and Splits - stock.adobe.com)

Sie wollen alles zum Thema Kunststoffrecycling wissen? Klar ist, Nachhaltigkeit hört nicht beim eigentlichen Produkt auf: Es gilt Produkte entsprechend ihrer Materialausprägung wiederzuverwerten und Kreisläufe zu schließen. Doch welche Verfahren beim Recycling von Kunststoffen sind überhaupt im Einsatz? Gibt es Grenzen bei der Wiederverwertung? Und was ist eigentlich Down- und Upcycling? Alles was man dazu wissen sollte, erfahren Sie hier.

Welchen Beitrag leistet die Firma Reifenhäuser?
Reifenhäuser: Wir verfolgen mehrere Ansätze. Bei einem geht es darum, niedrige Rezyklat-Qualitäten einfach und wirtschaftlich zu leistungsfähigen Produkten zu verarbeiten und den Rezyklatanteil erhöhen zu können. Hier haben wir eine neue Extrusionstechnik entwickelt, die wir EVO Fusion nennen. Sie kann unterschiedliche Polymere im Extruder zusammenschmelzen. Bei den Polymeren gibt es Produkte, wie PET und PE beispielsweise, die man bislang nicht zusammen verarbeiten konnte, weil sie unterschiedliche Schmelztemperaturen haben. Während der eine noch nicht geschmolzen ist, ist der andere schon verbrannt. EVO Fusion lässt das gemeinsame Schmelzen nun aber zu. Wir bringen damit gebrauchte Kunststoffprodukte in den Extruder ein, um daraus eine neue Folie zu machen. Das ist keine Folie für High-End-Anwendungen, etwa in der Verpackung von Lebensmitteln. Aber man kann sie sehr gut als Baufolie einsetzen, als Abdeckung in der Landwirtschaft oder man macht Müllsäcke daraus. Die Folie hat eine hohe Festigkeit und Dichte. Mit EVO Fusion kann man also Produkte recyceln und wiederverwenden, bei denen das bislang nicht möglich war.

Gibt es noch einen weiteren Ansatz?
Reifenhäuser: Wir befassen uns auch mit dem Thema Materialeinsparung. Die Welt kann ohne Kunststoff nicht auskommen, aber man kann versuchen, den Kunststoffeinsatz zu verringern und gleichzeitig die Funktionalität zu erhalten. Bei uns nennen wir das Downgauging. Wir zeigen das am Beispiel eines Spinnvlieses. Das ist ein Gewebe für Windeln oder medizinische Produkte. Wir haben hier den Materialeinsatz von 21 Gramm pro Quadratmeter auf 12 Gramm pro Quadratmeter verringert. Und wir sind dabei auf gut unter zehn Gramm zu kommen. Dann hätten wir ein Produkt, das mit halbierter Menge die gleiche Funktion erfüllt.

Die Way2K-Interviewreihe:

Hand mit Recyclingzeichen in der Hand
(Bild: Ourteam - stock.adobe.com)

Bis zur K-Messe 2022 sind es zwar noch einige Monate, nichtsdestotrotz können Sie die verbleibende Zeit investieren und einen Blick in die bisherigen Interviews aus der Way2K-Reihe des VDMA werfen. Hier gelangen Sie zur Übersicht.

Folienextrusionsanlage
Die Digitalisierung wird auch in der Kunststoffindustrie immer wichtiger. Sie kommt insbesondere der Steuerung von Prozessen zugute. (Bild: Reifenhäuser)

Welche Rolle spielt die Digitalisierung bei solchen Verbesserungen?
Reifenhäuser: Die Digitalisierung hat in der Kunststoffindustrie in den letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen. Und sie ist selber immer besser geworden. Mit ihr sind heute Prozesse möglich, die mit der Automatisierung von vor vielleicht zehn Jahren gar nicht mehr vergleichbar sind. Die Prozessoren sind so viel schneller und präziser, sodass wir mit der heutigen Digitalisierung einen viel höheren Nutzen erzielen können. Für uns im Maschinenbau bedeutet Digitalisierung die Möglichkeit der optimalen Steuerung von Prozessen. Der Prozess der Extrusion wird zum Beispiel perfekt überwacht und auch dokumentiert. Wir gehen sogar noch einen Schritt weiter: Wir setzen auf die Befähigung und Unabhängigkeit der Betreiber – indem wir uns bewusst von üblichen herstellerzentrierten Ansätzen abwenden und eine Digitallösung anbieten, die Produzenten von Folien oder Vliesstoffen helfen soll, ihre Produktionseffizienz selbstständig und nachhaltig zu steigern. Alle Kunden, unabhängig von der Unternehmensgröße, profitieren so von einer neuen Dimension der Prozesstransparenz, die erstmals alle Anlagenhersteller und Anlagentypen einer Produktion einschließt.

2022 ist K-Jahr. Was hat sich seit der letzten K 2019 verändert?
Reifenhäuser: Vor drei Jahren hat man auf der K viel über die Kreislaufwirtschaft geredet und erste Ansätze gezeigt, was möglich sein könnte. 2022 sind wir nicht mehr beim Reden und Ideenaustausch. Wir haben heute schon neue Technologien, neue Produkte und neue Prozesse, die den Anforderungen der Umwelt standhalten können. Und hier müssen wir weitermachen. Wir stehen vor einer großen Herausforderung. Es gibt Unsicherheit, Orientierungslosigkeit und unbeantwortete Fragen zu vielen Themen. Und dennoch dulden sie keinen Aufschub. Jetzt ist es an der Zeit, zu handeln und Herausforderungen in Chancen zu verwandeln. Deshalb haben wir unser Messemotto so gewählt: The Time is Now.

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