Bohrinseln in der Dämmerung im Meer

2022 war für die Branche ein schwieriges Jahr. Die hohen Energie- und Rohstoffpreise belasten viele Unternehmen. Bleibt das auch 2023 so? (Bild: Ben Wicks - Unsplash)

Für die chemisch-pharmazeutische Industrie war das Jahr 2022 besonders schwierig. Der Angriffskrieg auf die Ukraine und die daraus resultierende Energiekrise haben die Branche hart getroffen. „Die enormen Energiepreise, aber auch die Preissteigerungen von Rohstoffen und Vorprodukten machen der industriellen Basis unseres Landes schwer zu schaffen. Dazu kommt, dass unsere Unternehmen durch die stark vom Gaskommissionsvorschlag abweichende Umsetzung der Strom- und Gaspreisbremse voraussichtlich kaum oder nicht entlastet werden. Vor allem unsere Mittelständler kämpfen um ihre Zukunft“, erklärte VCI-Präsident Markus Steilemann bei der Jahrespressekonferenz des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI) in Frankfurt.

Wie wirken sich die hohen Energie- und Rohstoffpreise auf die Unternehmen aus?

Der enorme Energie- und Rohstoffkostendruck führte zwar zu einem kräftigen Anstieg der Produktpreise. Infolge waren chemische Erzeugnisse im Gesamtjahr 22 % teurer als im Vorjahr. Die Kosten stiegen jedoch stärker als die Verkaufspreise, sodass laut einer aktuellen Mitgliederbefragung des VCI mittlerweile bei rund 80 % der Unternehmen die Gewinne zurückgehen. Jedes vierte Unternehmen macht bereits Verluste. Insbesondere der Mittelstand ist betroffen.

Zwei Drittel der Mitgliedsunternehmen machte im November der Auftragsmangel zu schaffen. Über 25 % der Unternehmen sahen ihre Geschäftstätigkeit dadurch sogar stark beeinträchtigt. Seit einigen Monaten sinkt der Branchenumsatz. Dennoch lag der Umsatz in Deutschlands drittgrößter Branche im Gesamtjahr mit 266,5 Mrd. Euro noch rund 17,5 % höher als 2021. Das Umsatzplus war jedoch allein preisgetrieben. Die Verkaufsmengen waren hingegen rückläufig.

Um größere Verluste zu vermeiden und um Energie – insbesondere Gas – einzusparen, haben viele Unternehmen ihre Produktion gedrosselt. 40 % der Unternehmen geben an, die Produktion bereits zurückgefahren zu haben oder dies in Kürze tun zu wollen. Ein Teil davon wurde an ausländische Standorte verlagert. Bei fast jedem vierten Unternehmen ist die Verlagerung konkret geplant oder bereits umgesetzt. Jedes fünfte Unternehmen musste wegen der Energiekrise zudem Aufträge ablehnen.

Wie hat sich die Chemieproduktion 2022 entwickelt?

Laut Steilemann werden einzelne Grundstoffe bereits knapp. Die Chemie müsse mit angezogener Handbremse produzieren, so der VCI-Präsident. Rund 50 % der VCI-Mitgliedsunternehmen berichteten im November von Lieferschwierigkeiten. Es fehlt unter anderem an Pigmenten, Carbon- und Glasfasern, Salzsäure, Natronlauge, technischem CO2, organischen Silikonverbindungen oder Eisenchlorid. Die Liste wird stetig länger, erste Wertschöpfungsketten reißen. „Chemie steckt in fast allen Gegenständen des täglichen Bedarfs. Eine wirtschaftliche Schieflage der Branche würde zu Versorgungsengpässen in allen Lebensbereichen führen“, so Steilemann weiter. Die Produktion sank im Vergleich zum Vorjahr um 6 %. Rechnet man das Pharmageschäft heraus, lag der Rückgang sogar bei rund 10 %. Einen ähnlich starken Einbruch bei der Produktion gab es zuletzt 2009 als Folge der Weltwirtschaftskrise.

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Erzeugerpreise geraten trotz steigender Kosten immer mehr unter Druck. Die Aufträge sind rückläufig und Verkaufserlöse sinken. Besonders schwer getroffen hat es das Geschäftsfeld Petrochemikalien. Es verzeichnet im Gesamtjahr einen Produktionsrückgang von 15,5 %. Die Hersteller von anorganischen Grundstoffen, Polymeren und Spezialchemikalien mussten ihre Produktion um knapp 10 % zurückfahren. Bei den konsumnahen Seifen, Wasch- und Reinigungsmitteln sowie bei Kosmetika lag das Minus bei 1,5 %. Allein die Pharmasparte konnte auch in diesem Jahr zulegen. Ihre Produktion stieg um 3 %. Die Zahl der Beschäftigten in der Chemie- und Pharmabranche verbleibt im Gesamtjahr mit 475.500 auf stabilem Niveau.

Was der VCI für das Jahr 2023 erwartet

Auch für das kommende Jahr erwartet der VCI aktuell keine Besserung der Lage, denn die Unsicherheit ist nach wie vor hoch. Die Energiekrise zwingt die deutsche und die europäische Wirtschaft in die Rezession. „Die Ertragslage der gesamten Branche hat sich im Jahresverlauf rapide verschlechtert. Und die Vorzeichen für das kommende Jahr stehen denkbar schlecht. Der Rückgang der Industrieproduktion in Deutschland wird sich weiter beschleunigen, der Importdruck weiter zunehmen“, erklärt Steilemann.

Die Herausforderungen der Branche sind daher auch im kommenden Jahr enorm: Auftragsmangel, gestörte Lieferketten und hohe Energiekosten. Nach derzeitigem Stand rechnet der VCI für 2023 mit einem weiteren kräftigen Produktionsrückgang in der chemisch-pharmazeutischen Industrie. Auch der Umsatz wird sich aller Voraussicht nach negativ entwickeln. Im Inlandsgeschäft erwartet der Verband wegen der Industrierezession einen kräftigen Rückgang. Aufgrund der äußerst volatilen Lage wird über diese Einschätzung hinaus keine quantitative Prognose abgegeben.

Warum Strom- und Gaspreisbremse bislang zu wenig sind

Der VCI erkennt an, dass die Politik den dringenden Handlungsbedarf sieht. Das Hilfsprogramm der Bundesregierung sorgt allerdings nicht für die angekündigte Entlastung. Grund dafür sind die vielen Einschränkungen, die das europäische Beihilferecht vorsieht, sowie darüber hinausgehende Verschärfungen im parlamentarischen Verfahren.

Der VCI sieht im Wesentlichen vier Problemfelder:

  • Die festgelegten Förderobergrenzen sind vor allem für Großverbraucher viel zu niedrig.
  • Unternehmen sind gezwungen, Rücklagen zu bilden, sofern das EBITDA nicht um mindestens 40 % sinkt.
  • Die verschärften Regelungen zu Boni- und Dividendenauszahlungen.
  • Unternehmen müssen bis April 2025 eine Beschäftigtenzahl von 90 % des heutigen Niveaus garantieren.

„Die Bundesregierung hat es versäumt, auf EU-Ebene für das Gelingen der Energiepreisbremsen zu sorgen. Die Hürden für unsere Unternehmen, die Hilfen in Anspruch zu nehmen, sind brutal. Umso wichtiger ist es jetzt, in Brüssel nachzuverhandeln“, betont Steilemann. Die Regulierungswut der EU bereitet ohnehin Sorgen. Im kommenden Jahr plant die Kommission, 51 neue Gesetze auf den Weg zu bringen, 116 Vorschläge aus den Vorjahren sind noch anhängig. „Die ohnehin schon angeschlagenen Unternehmen erwartet damit ein regelrechter Regulierungs- und Bürokratietornado.“ Anstatt Anreize für Innovation und Investition zu setzen, schnelle Planungs- und Genehmigungsverfahren auf den Weg zu bringen und den massiven Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben, werde gesetzgeberisches Mikromanagement betrieben.

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Dabei steht nicht nur die Krisenabwehr auf dem Spiel. Die Chemiebranche leistet auch für die Transformation hin zur Klimaneutralität einen entscheidenden Beitrag. „Ohne eine starke und international wettbewerbsfähige Chemieindustrie wird es keine zukunftssichere und nachhaltige Wirtschaft geben. Sie ist unersetzlich für den Wohlstand unseres Landes“, sagt Steilemann.

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