Herr Wittmann, die Wittmann-Group bietet Spritzgießmaschinen und Peripheriegeräte an. Inwieweit begünstigt Digital Manufacturing diesen ganzheitlichen Ansatz?
Michael Wittmann: Der ganzheitliche Ansatz erlaubt uns, über Smart Machines hinauszugehen und intelligente und flexible Wittmann 4.0 Spritzgießzellen anzubieten, eine Grundvoraussetzung für die Realisierung einer Smart Factory. Die einzelnen Spritzgießzellen bestehen aus vollständig vernetzten Spritzgießmaschinen, Automatisierungssystemen und Peripheriegeräten und werden vom Anwender je nach Produktionsbedarf für einen bestimmten Spritzgießartikel flexibel zusammengestellt. Die Produktionsmittel nehmen selbstständig die Kommunikation auf, sie tauschen Einstellungen und Rezepte aus und führen Kompatibilitätsprüfungen durch. Innerhalb der Wittmann 4.0 Spritzgießzelle findet eine horizontale Kommunikation der Peripheriegeräte und Automatisierung zur Spritzgießmaschine statt. Nach außen hin sind alle vernetzten Teilnehmer, vorzugsweise über ein Gateway, wie es unser Wittmann 4.0-Router beinhaltet, erreichbar. Als Gesamtanbieter können wir unseren Kunden unterschiedliche Ausbaustufen von Digital Manufacturing auf dem Weg zur Smart Factory anbieten.
Was bedeutet Wittmann 4.0 genau?
Wittmann: Wittmann 4.0 ist unser ganzheitlicher Ansatz für eine intelligente und vernetzte Spritzgießzelle. Ein wesentlicher Vorteil von Wittmann 4.0 ist neben der lückenlosen und automatischen Geräteanbindung auch eine hohe Datenqualität. Die wird erreicht durch die korrekte automatische Zuordnung von Peripheriegeräten zu einer Arbeitszelle für die Produktion eines bestimmten Spritzgießteiles. Das beginnt damit, dass unsere Spritzgießmaschinen mit einer E63 oder E77-Schnittstelle ausgestattet und an ein MES- oder ERP-System angeschlossen werden. Diese Ausbaustufe ermöglicht bereits die Ermittlung der wichtigsten Leistungskennzahlen der Spritzgießmaschine. Wichtige Prozessparameter von externen Peripheriegeräten, die sich direkt auf die Qualität der Spritzgießprodukte auswirken, wie Kühltemperaturen für Werkzeuge, externe Heißkanalsysteme, Einstellungen für Materialtrockner und Dosiersysteme, um nur einige zu nennen, werden damit jedoch nicht erfasst. Dazu wird der ganzheitliche Ansatz benötigt, die möglichst vollständig vernetzte Spritzgießzelle.
Die Way2K-Interviewreihe:
Bis zur K-Messe 2022 sind es zwar noch einige Monate, nichtsdestotrotz können Sie die verbleibende Zeit investieren und einen Blick in die bisherigen Interviews aus der Way2K-Reihe des VDMA werfen. Hier gelangen Sie zur Übersicht.
Hat die Digitalisierung in ihrem Unternehmen zu einer Veränderung des Produktportfolios geführt?
Wittmann: Die Digitalisierung hat insofern zu einer Erweiterung des Produktportfolios geführt, dass es bei praktisch allen Peripheriegeräten ein Modell ohne und eines mit erweiterten externen Schnittstellen gibt. Wir nennen Geräte mit erweiterter Schnittstelle Wittmann 4.0-fähig. Diese Produkte umfassen standardisierte Schnittstellen, typischerweise EUROMAP 82.x, die für die horizontale Kommunikation mit der Spritzgießmaschine entwickelt wurden, aber auch für die vertikale Kommunikation mit MES/ERP-Systemen zum Einsatz kommen. Wenn einmal universell akzeptierte Schnittstellen vorhanden sind, entwickeln diese ein Eigenleben und werden auch für Einsätze verwendet, für die sie ursprünglich nicht vorgesehen waren.
Wie wichtig sind standardisierte Schnittstellen?
Wittmann: Euromap-Schnittstellen sind eine notwendige Grundvoraussetzung für Digital Manufacturing. Wir schätzen es daher sehr, dass der VDMA die Normierungstätigkeiten im Rahmen von Euromap leitet und Kommunikationsprotokolle auf die Beine stellt, die von der Industrie vollumfänglich akzeptiert und übernommen werden. Wir sind zuversichtlich, dass die Euromap-Schnittstellen den Wildwuchs an unterschiedlichsten herstellergebundenen Kommunikationsprotokollen beenden. Die haben in unserer Branche nie die kritische Masse erreicht, um einen Branchenstandard zu definieren. Die mit der Standardisierung einhergehende Möglichkeit der Gerätehersteller, sich bei der Entwicklung auf eine stabile und zuverlässige Implementierung von einem universell akzeptierten Standard konzentrieren zu können, bringt unsere Industrie bei den vielen bevorstehenden Aufgaben für datenbasierte Funktionen weiter.
Mit zunehmender Digitalisierung nimmt auch die Gefahr von Cyberattacken zu. Was ist in puncto Cyber Security zu tun?
Wittmann: Das ist ein großes Thema für die Kunden. Wir haben bei Wittmann 4.0 eine Firewall integriert. Sie ist im Hinblick auf die typische Nutzung einer Spritzgießzelle optimiert und sehr restriktive ausgelegt. Standardmäßig werden praktisch alle Kommunikations-Ports zur Spritzgießzelle geschlossen, die nicht für die ursächliche Kommunikation der Spritzgießmaschine und der angeschlossenen Geräte nach außen vorgesehen sind. Auch die dezidiert erlaubten Kommunikationen werden laufend auf Plausibilität, die sogenannte Intrusion Detection, überprüft. Sollte das Kommunikationsaufkommen das zu erwartende und typische Datenvolumen überschreiten, könnte möglicherweise ein DoS-Angriff vorliegen. Der wird dann unterbunden.
Was ist die nächste große Herausforderung in der Digitalisierung in ihrem Unternehmen?
Wittmann: Wir arbeiten kontinuierlich an der Erweiterung unserer intelligenten und adaptiven HiQ-Algorithmen - HiQ-Melt zur Überwachung der Materialqualität und HiQ-Flow für die viskositätsbezogene Kompensation von Temperatur- und Chargeneinflüssen. Einen weiteren Entwicklungsschwerpunkt stellen zukünftige und für unsere Industrie neuartige Konzepte für die Bedienung von Spritzgießmaschine und Roboter dar. Beispielsweise der Einsatz von Spracherkennung und die Unterstützung von Augmented Reality für die Einblendung von Zusatzinformation und zukünftigen Aktionen. Auch die konsequente Weiterentwicklung unserer Wittmann 4.0 Spritzgießzellen steht sehr hoch auf unserer Entwicklungsagenda.
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